Institutionelle Diskriminierung

Zuweilen findet man auf offiziellen Servern richtig gute Studien, die man allerdings etwas “verlängern” muss, da die Autoren sich oftmals nicht trauen oder es schlicht die Institutionelle Selbstzensur nicht zulässt, das eigentliche spannende Ergebnis des Beitrags auch deutlich zu benennen. Ein solcher Beitrag stammt von Regina T. Riphahn und Parvati Trübswetter, und trägt den Titel  “The intergenerational transmission of educational attainment in East and West Germany”.

In Ihrem Beitrag zeigen die Autoren auf der Grundlage von Daten des Mikrozensus, dass sich das ostdeutsche Bildungssystem nach der Vereinigung im Hinblick auf soziale Stratfizierung sehr schnell dem westdeutschen Bildungssystem angeglichen hat. Wie der Hinweis auf “intergenerational transmission” im Titel bereits nahelegt, ist das Bildungsniveau von Kindern nicht nur im Westen, sondern auch im Osten Deutschlands weitgehend durch das Bildungsnievau der Eltern bzw. des höchstgebildeten Elternteils determiniert. Väter mit akademischem Abschluß haben Kinder, die einen akademischen Abschluß erwerben bzw. anstreben. Mütter ohne Schulabschluss haben Kinder, die keinen Schulabschluss oder einen Hauptschulabschluß erwerben. Es hat nur wenige Jahre gedauert, bis das ostdeutsche Bildungssystem die beschriebene soziale Stratifizierung aufgewiesen hat, die das westdeutsche Bildungssystem nun schon seit Jahrzehnten aufweist. Eine vertikale Mobilität im Bildungssystem ist die Ausnahme: Wie nahezu allen Bildungsstatistiken zu entnehmen ist, wird der Anteil von Arbeiterkindern in der Abfolge primärer, sekundärer und tertiärer Bildungsinstitutionen immer geringer, bis sie dann an Hochschulen gerade noch einen Anteil von 17% ausmachen (bei einem Bevölkerungsanteil von rund 40%, dazu: Isserstedt et al. 2010, S.72, 101).

Im Einzelnen zeigen die Ergebnisse von Riphahn und Trübwetter, dass

  • mit Implementierung des westdeutschen Schulsystems in Ostdeutschland Mädchen in Ostdeutschland genau wie in Westdeutschland häufiger auf weiterführenden Schulen zu finden sind als Jungen;
  • die Wahrscheinlichkeit, dass Jungen oder Mädchen eine weiterführende Schule besuchen, in Ostdeutschland wie in Westdeutschland für Kinder von Eltern mit hoher Bildung am höchsten ist;
  • es nur wenige Jahre gebraucht hat, um in Ostdeutschland eine weitgehend identische soziale Stratifizierung im Bildungssystem herzustellen wie in Westdeutschland;

Die Autoren legen bereits im Titel ihrer Arbeit nahe, diese Angleichung des ostdeutschen an das westdeutsche Bildungssystem als Ergebnis einer Transmission von Bildung anzusehen. Sie schlagen also eine individuelle Erklärung der Art vor, dass hohe Bildung (der Kinder) zu hoher Bildung (der Eltern) kommt (fast natürlich). Allerdings wollen die Autoren eigentlich nicht erklären, sie “choose a descriptive approach” und “do not attempt to identify causal effects of ‘nature’ … and ‘nurture'” und sie “do not focus on the relevance of specific institutional aspects in the secondary education system” (Riphahn & Trübswetter, 2011, S.6).

Vor allem Letzteres ist nicht nachvollziehbar, denn ich habe bislang nur wenige Arbeiten gesehen, die den Effekt, den die Bildungsinstitutionen auf den Besuch weiterführender Schulen haben, besser zeigen. Zu Beginn der 1990 Jahre wurde das westdeutsche Bildungssystem auf Ostdeutschland übertragen. Als Folge davon lässt sich eine deutliche Zunahme der sozialen Stratifikation feststellen, und es zeigen sich dieselben Nachteile für Jungen, die das westdeutsche Schulssystem auszeichnen. Worauf, wenn nicht auf die Institutionen, soll man diese Entwicklung zurückführen? Da die Annahme, die (männlichen) Kinder ostdeutscher Arbeiter seien über Nacht verdummt, kaum Sinn macht, bleibt nur die Institution, was den Schluß, dass das deutsche Bildungssystem, seine Institutionen und die darin Beschäftigten, nach sozialer Klasse und nach Geschlecht diskriminieren unausweichlich macht . Insofern liefern Riphahn und Trübswetter einen klaren Beleg institutioneller Diskriminierung im deutschen Bildungssystem.

Literatur
Riphahn, Regina T. & Trübswetter, Parvati (2011). The Intergenerational Transmission of Educational Attainment in East and West Germany. Nürnberg: Institute for Employment Research, IAB-Discussion Paper 4/2011.

Isserstedt, Wolfgang, Middendorff, Elke, Kandulla, Maren, Borchert, Lars & Leszczensky (2010). Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in der Bundesrepublik Deutschland 2009. 19. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks durchgeführt durch HIS Hochschul-Informations-System. Berlin: Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Folgen Sie uns auf Telegram.
Anregungen, Hinweise, Kontakt? -> Redaktion @ Sciencefiles.org
Wenn Ihnen gefällt, was Sie bei uns lesen, dann bitten wir Sie, uns zu unterstützen. ScienceFiles lebt weitgehend von Spenden. Helfen Sie uns, ScienceFiles auf eine solide finanzielle Basis zu stellen.
Wir haben drei sichere Spendenmöglichkeiten:

Donorbox

Unterstützen Sie ScienceFiles


Unsere eigene ScienceFiles-Spendenfunktion

Zum Spenden einfach klicken

Unser Spendenkonto bei Halifax:

ScienceFiles Spendenkonto: HALIFAX (Konto-Inhaber: Michael Klein):
  • IBAN: GB15 HLFX 1100 3311 0902 67
  • BIC: HLFXGB21B24

Print Friendly, PDF & Email
21 Comments

Schreibe eine Antwort zu AK-siebenAntwort abbrechen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Entdecke mehr von SciFi

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen

Entdecke mehr von SciFi

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen