Je schlechter die Lehrer, desto größer die soziale Ungleichheit

In kaum einem Land entscheidet die Geburt derart drastisch über die Bildungskarriere wie in Deutschland: Wie nahezu allen Bildungsstatistiken zu entnehmen ist, wird der Anteil von Arbeiterkindern in der Abfolge primärer, sekundärer und tertiärer Bildungsinstitutionen immer geringer, bis sie dann an Hochschulen gerade noch einen Anteil von 17% ausmachen (bei einem Bevölkerungsanteil von rund 40%, dazu: Isserstedt et al. 2010, S.72, 101). Darauf habe ich unter dem Titel “Institutionelle Diskriminierung” bereits an anderer Stelle hingewiesen.

Institutionelle Diskriminierung ist bislang in Deutschland eine “black box” oder eine Pandora’s box, die sich kaum jemand zu öffnen traut, vermutlich weil das Wissen darüber, was oder wer im deutschen Schulsystem Diskriminierung vorantreibt, weiter verbreitet ist, als man so denkt. Mit diesem Beitrag will ich etwas Licht in das institutionelle Dunkel bringen. Anlaß dafür ist eine Studie von Guillermo Montt, die mir Dr. Heike Diefenbach empfohlen hat, wofür ich ihr sehr dankbar bin.

Guillermo Montt hat sich aufgemacht zu untersuchen, warum in manchen Ländern die Herkunftsfamilie einen deutlich stärkeren Effekt auf den schulischen Erfolg von Schülern hat als in anderen Ländern. Unter den 50 Ländern, für die er die Daten der PISA-Studie (2006) analysiert hat, gehört Deutschland zur Gruppe derjenigen Länder, in denen die Herkunftsfamilie den größten Effekt auf den Schulerfolg von Schülern hat. Entsprechend kann man die Fragestellung von Montt etwas modifizieren und sich fragen, warum andere Länder mehr Erfolg haben, das Humankapital von Kindern aus Arbeiterfamilien zu nutzen als dies für Deutschland der Fall ist.

Schulerfolg wird bei Montt zu einer Funktion von Anstrengung, Ambition und Talent: Schulen, so schreibt er, “are called to provide equal opportuniteis to learn and identify differences among their students so that students are properly allocated into the labour market” (Montt, 2011, S.11). Das meritokratische Ideal, das hinter einer solchen Formulierung steht, sieht in der Schule eine Sortieranstalt, die Schüler nach Leistung stratifiziert (und eben nicht nach Herkunft). Um diese Aufgabe zu erfüllen, müssen Schulen gute Möglichkeiten zum Lernen bereitstellen und sie müssen für eine bestimmte Intensität des Lernens sorgen. Dies zu tun, ist eine Frage der Sach- und Human-Ressourcen. Demgemäß versucht Montt die Leistung der gut 400.000 Schüler, die in der PISA(2006)Studie getestet wurden, über eine ganze Reihe von Variablen zu erklären und interessiert sich vor allem dafür, welche Variablen die soziale Stratifizierung und somit den Effekt der Herkunftsfamilie beeinflussen.

Die Ergebnisse seiner Analyse sind aufschlussreich:

  • Je besser Lehrer ausgebildet sind, desto besser schneiden Arbeiterkinder in der Schule ab und desto geringer ist die soziale Ungleichheit im Schulsystem: “Total inequality is also a function of the intensity of schooling such that school systems with better trained teachers have less dispersion in achievement” (Montt, 2011, S.62).
  • Je weniger hierarchisch und je durchlässiger ein Schulsystem ist, desto besser schneiden Arbeiterkinder in der Schule ab und desto geringer ist die soziale Ungleichheit im Schulsystem.

Mit anderen Worten, dass Kinder aus Arbeiterfamilien in Deutschland beim Schulerfolg hinter Kindern z.B. aus der Mittelschicht zurückbleiben, hat seine Ursachen im dreigliedrigen Schulsystem, das einen nachträglichen Schulwechsel erschwert oder verunmöglicht und, vor allem, in der Qualität der Lehrer. Hier zeigen die Berechnungen von Montt einen erheblichen Effekt: Wären deutsche Lehrer besser ausgebildet, Kinder aus der Arbeiterschicht wären deutlich erfolgreicher.

Die Studie von Montt ist ein weiterer Beleg für den Einfluss der Institution “Schule” auf den Bildungserfolg von Kindern. Die Schule ist in Deutschland eben keine Institution, die Schüler nach Leistung sortiert, sondern eine Institution, die Schüler weitgehend nach Herkunft sortiert. Dass sie das tut, ist zumindest in Teilen darauf zurückzuführen, dass deutsche Lehrer (im Durchschnitt) nicht gut genug ausgebildet sind.

Literatur
Isserstedt, Wolfgang, Middendorff, Elke, Kandulla, Maren, Borchert, Lars & Leszczensky (2010). Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in der Bundesrepublik Deutschland 2009. 19. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks durchgeführt durch HIS Hochschul-Informations-System. Berlin: Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Montt, Guillermo (2011). Cross-national Differences in Education Achievement Inequality. Sociology of Education 84(1): 49-68.

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