Opfertod als soziale Norm: Was beim Verschwinden des traditionellen Männerbilds untergeht

In Deutschland haben es Männer schwer, und zwar solche, die einem traditionellen Männlichkeitsbild sowie den dazugehörigen Normen anhängen. Ein Verschwinden dieses Männerbilds, das bereits in Grundschulen in Form “chauvinistischer” Sechsjähriger in Erscheinung zu treten scheint und das in etlichen “Studien” und “Expertisen” angemahnt wird, hätte jedoch auch unangenehme Effekte, von denen diejenigen betroffen wären, die am lautesten das Verschwinden traditioneller Normen von Männlichkeit fordern.

Es scheint dass, Ökonomen um den Schweizer Grandseignieur  ökonomischer Theorie mit einem Schuß Psychologie, Bruno S. Frey, zur Rettung traditioneller Männlichkeitsnormen angetreten sind, freilich ohne diese Zielsetzung preis zu geben. Entsprechend haben sich Frey und seine Mitstreiter ein Thema gewählt, das eher nicht mainstream ist und auf den ersten Blick eher nicht dem Ziel der Rettung traditioneller Normen von Männlichkeit dient: Sie haben untersucht, von welchen Faktoren das Überleben des Schiffsuntergangs von Titanic oder Lusitania abhängt.

Die Titanic sankt am 14. April 1912 nach einer Kollision mit einem Eisberg. Die Lusitania sankt am 7. Mai 1915, nachdem sie von einem deutschen Torpedo getroffen worden war. Die Bilanz des Untergangs der Titanic sah 1517 Tote 706 Überlebenden gegenüberstehen. Der Untergang der Lusitania forderte 1198 Opfer und hinterließ 761 Überlebende. Die Lusitania sank innerhalb von 18 Minuten, die Titanic benötigte rund drei Stunden um im Nordatlantik zu verschwinden.

Diese zeitliche Differenz ist von erheblicher Bedeutung. 18 Minuten “Sinkzeit”, so haben Frey und seine Mitautoren berechnet, sind Gift für soziale Normen, finanzielle Macht und Status. Nichts davon lässt sich einsetzen, um den vorletzten oder letzten Platz im Rettungsboot zu sichern. Nur physische Macht entscheidet über Leben und Tod – oder wie Frey et al. schreiben: “Hier kann ein Survival of the Fittest beobachtet werden” (239). Entsprechend hatten Passagiere, männliche und weibliche in gleicher Weise, die zwischen 16 und 35 Jahren alt waren, eine höhere Chance, den Untergang der Lusitania zu überleben als ältere und jüngere Passagiere (Die ausgelassene Annahme lautet: Personen im Alter zwischen 16 und 35 befinden sich in ihrer “Blütezeit”, was Frey et al. als shortcut für “physische Macht” ansehen, S.242).

Anders auf der Titanic: Die Titanic ist erheblich langsamer gesunken. Zeit für Finanzkraft und soziale Normen, ihre Wirkung zu entfalten. “Eine der wesentlichen sozialen Normen in lebensbedrohlichen Situationen”, so schreiben Frey et al., “besteht darin, dass Frauen und Kinder zuerst gerettet werden” (S.244). Entsprechend hatten vor allem weibliche und (in etwas geringerem Ausmaß) junge Passagiere auf der Titanic eine deutlich höhere Überlebenswahrscheinlichkeit als männliche Passagiere.  Dieses Ergebnis deckt sich mit Berichten von Zeitzeugen, “wonach Ehemänner ihre Frauen und Kinder in die Rettungsboote setzten, um dann selbst mit der Titanic unterzugehen” (S.247-248).

Mit diesem freiwilligen Opfertod könnte es jedoch bald sein Bewenden haben, nämlich dann, wenn der neue Mann, dem traditionelle Normen von Männlichkeit fremd sind, sich fragt, warum er sein Leben für das Leben anderer opfern sollte. Ob sich diejenigen, die so vehement gegen das traditionelle Bild von Männlichkeit streiten, überlegt haben, was mit dem traditionellen Bild von Männlichkeit noch alles untergeht?

Frey, Bruno S., Savage, David A., Schmidt, Sascha L. & Torgler, Benno (2011). Auswirkungen von Macht auf das Überleben in Extremsituationen: Ein Vergleich der Titanic und Lusitania Schiffskatastrophen. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 63(2): 237-254.

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