GEW: Gewerkschaft für Erziehung zur „richtigen“ BeWertung

In den USA ist seit einigen Jahren eine Idee unter Ökonomen (Sunstein & Thaler, 2003) verbreitet, die zwischenzeitlich zur Legitimation staatlicher Eingriffe aller Art dient. Ausgehend von Forschungsergebnissen (u.a. Tverky & Kahneman, 1986), die gezeigt haben, dass sich Akteure in Handlungssituationen zumeist nicht für die beste, weil rationalste Handlungsalternative entscheiden, sondern ihre Entscheidungen in der Regel auf eine Reihe von Irrtümern und Fehleinschätzungen basieren, geht es den entsprechenden Vertretern eines „liberalen Paternalismus“ darum, die Handlungsentscheidungen der fehlgeleiteten Akteure nunmehr in die richtige Richtung zu kanalisieren.

Zu sehen ist diese Art der Kanalisation z.B. in der Ernährungsberatung, mit der Fettleibigkeit begegnet werden soll, im Hinweis, dass Rauchen Krebs zur Folge haben kann, der auf keiner Zigarettenpackung fehlen darf, oder in der Verpflichtung, beim Autofahren einen Gurt zu tragen. Die Idee eines „liberalen Paternalismus“ wird hier schon deutlicher, denn auf sich alleine gestellt, handeln Akteure unverantwortlich: Sie rauchen ohne Rücksicht auf ihre Gesundheit. Sie fahren Auto ohne Sicherheitsgurt. Sie essen, was ihnen in die Finger kommt. Dem soll auf Basis des „liberalen Paternalismus“ Einhalt geboten werden.

Wenn Sorge getragen werden soll, dass Akteure ihre Handlungsentscheidungen informiert treffen, so dass man – wenn man einen Dicken sieht – gleich weiß, dass man einen unverantwortlichen Mitbürger vor sich hat, dann ist es wichtig, die Bürger mit den „richtigen“ Informationen zu füttern, damit sie wissen, wenn sie übergewichtig werden, machen sie sich zum Outlaw. Dies lenkt die Aufmerksamkeit auf Institutionen, die am Markt für Informationen auftreten und für sich in Anspruch nehmen, richtige Informationen bereitzustellen. Die GEW ist eine solche Organisation. Sie hat Erziehung und Wissenschaft in ihrem Namen und entsprechend sollte man von der GEW die Verbreitung korrekter Informationen auf hohem wissenschaftlichen Standard erwarten können. Doch diese Annahme ist falsch, wie nicht nur ein Blick in den 13. Privatisierungsreport zeigt. Dieses Machwerk dient nicht der Information, es dient der Desinformation: Der Bericht enthält keine Fakten, sondern ausschließlich Behauptungen. Der Bericht stellt keine Informationen, sondern ausschließlich Wertungen bereit. Der Bericht will optisch u.a. durch Zitationen, einen wissenschaftlichen Eindruck erwecken, ist aber mit Wissenschaft nicht zu vereinbaren.

Bewertung statt Information

Von Anfang an sollen die Leser des Privatisierungs-Reports mit der richtigen Bewertung versorgt werden, sollen sie verstehen, dass Privatisierung schlecht ist und Privatisierung des Bildungswesens ganz schlecht. Letztere besonders verwerfliche Form der Privatisierung wird, so legt der Bericht nahe, von einer Verschwörerclique betrieben, die sich in Stiftungen sammelt, sich zu konspirativen Treffen an Orten trifft, an denen sonst nur Freimaurer, also Geheimbünde sich zu treffen wagen (S.58) und die eines sind: neoliberal.

Neoliberal fungiert im Privatisierungsbericht als Form der Beschimpfung etwa in der Weise, wie “Nazi” das tut. Neoliberale untergraben das öffentliche Bildungswesen. Neoliberale fordern eine Bezahlung von Lehrern nach Leistung. Neoliberale fördern den Übergang von Schülern in den Beruf. Neoliberale wollen, dass Schulleiter den Lehrplan selbst bestimmen, solange sie am Ende des Schuljahres gesteckte Bildungsziele erreichen. All das, so schreibt Matthias Holland-Letz, wollen Neoliberale über Stiftungen durchsetzen, und all das ist schlecht. Warum das schlecht ist, schreibt er nicht.

Behauptungen statt Fakten

Der Bericht ist ein erstaunliches Beispiel dafür, dass man sich seitenweise über ein Thema ergießen kann, ohne dass man irgendeinen Bezug zur Realität herstellt, ohne dass man seine Behauptungen mit irgendeinem empirischen Fakt oder Forschungsergebnis belegt. Statt dessen gibt es Behauptungen en masse, unbelegte, versteht sich, z.B.: findet Holland-Lutz bei der Bertelsmann-Stiftung ein „Programm, das die Deregulierung vorantreibt“. Und er weiß zu berichten, dass „unabhängige Bildungsexperten“ vor diesem Programm „warnen“. (S.54-55) Freilich kennt er die Bildungsexperten scheinbar nicht beim Namen, wie man dem fehlenden Beleg entnehmen muss. Anstelle von Belegen bemüht der Autor Wortmagie. Nicht näher genannten US-Milliardären werden „märchenhafte Stiftungen“ angedichtet (S.6). „Bertelsmann-Patriarchen“ geben sich mit einem „liebevoll gepinselten Porträt“ ein Stelldichein (S.11). Ein spanischer Faschist, der einst eine Stiftung begründet hat, wird bemüht, um Stiftungen zu diskreditieren (S.12). Dass manche Stiftungen und der „Schraubenkönig“ „gar“ ihre Privatschule unterhalten, wird beklagt (S.56), dass Vodafon Stipendien vergibt, gerügt und dass vornehmlich Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik als Lehrfächer von privaten Stiftungen gefördert werden, als Unding gesehen (S.56). Und besonders verwerflich findet der Autor wissenschaftliche Untersuchungen, die prüfen, ob US-amerikanische Schulformen auf Deutschland übertragbar sind (S.62). Hätte Holland-Letz etwas zu sagen, er würde vermutlich Forschungsverbote verhängen. So aber muss er sich damit begnügen, u.a. Stiftungen zu diskreditieren und ebenso wie Stephanie Odenwald zwar „gar nichts“ von Stiftungen zu halten, aber nicht zu wissen warum.

Das ist vielleicht das Bemerkenswerte am „Privatisierungsreport“: Sein Autor kehrt zwar sein Innerstes nach außen und zeigt jedem, wie ihm private Stiftungen und alles, was nach Leistung, Wettbewerb, Markt und Unternehmung aussieht, zuwider sind, aber er sagt nicht warum: Es findet sich  kein Beleg für die schlimmen Verfehlungen privater Stiftungen, kein Beleg für die verheerenden Schäden durch private Stiftungen, kein Beleg für die „Unterwanderung des Bildungssystems“. Die Erklärung für diese Auslassungen liegt auf der Hand: Holland-Letz will Stiftungen zwar diskreditieren, hat aber nichts Empirisches vorzubringen. Folglich muss er sich mit verbalen Verrenkungen helfen. Und damit er mit seinen verbalen Klimmzügen nicht so alleine ist, hat sich Ulrich Thöne hinzugesellt und gesagt: „Stiftungen sind keine Repräsentanten der Bürgerinnen und Bürger. Sie können deren demokratische Teilhabe nicht ersetzen“ (S.58).

Dass dies ausgerechnet der GEW-Vorsitzende sagt, dessen Gewerkschaft sich seit Wochen weigert, Anfragen von mittlerweile 400 Bürgern zu beantworten, dessen Gewerkschaft zwar unter Federführung von Anne Jenter und Ulf Rödde Fehlinformationen über die Situation von Jungen im deutschen Bildungssystem in die Welt setzen kann, es aber dann, wenn sie dabei erwischt wird, vorzieht, auf Tauchstation zu gehen und zu hoffen, dass die Kritik an ihrem Machwerk von alleine verschwindet, dass dies ausgerechnet der GEW-Vorsitzende sagt, hat schon eine gewisse pikante oder unverfrohrene Note.

Literatur

Holland-Letz, Matthias (2011). Privatisierungsreport – 13: Private Stiftungen versus demokratischer Staat – wie der Neoliberalismus weltweit das öffentliche Bildungswesen untergräbt. Berlin: GEW.

Sunstein, Cass R. & Thaler, Richard H. (2003). Libertarian Paternalism Is Not an Oxymoron. University of Chicago Law Review 70(4): 1159-1202.

Tversky, Amos & Kahneman, Daniel (1986). Rational Choice and the Framing of Decisions. Journal of Business 59(4): S251-S.278.

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