Geförderte Ungleichheit
Das Bafög (Bundesausbildungsförderungsgesetz) wird regelmäßig als Errungenschaft, mit deren Hilfe Chancengleichheit bei der Bildung hergestellt werden soll, gefeiert. Die “Chancengleichheit” wurde 2007 von der Bundesregierung beschworen, um die Novelle des Bafög zu legitimieren. Die “Chancengleichheit” ist es , die Bundesbildungsministerin Schavan durch die Bafögförderung weiter ausbauen will, denn, so Schavan anlässlich der Präsentation der Bafög-Statistik am Dienstag, den 19. Juli: “Mit dem BAFöG investieren wir in die Zukunft”.
Generell, so lautet der Grundsatz des Bafög, hat jeder Anspruch auf eine Förderung, der die Kosten seiner Ausbildung nicht “anderweitig” decken kann. Das steht im §1 des Bafög, und das liest man auf den entsprechenden Seiten des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft: “Eine gute Ausbildung ist die Basis für beruflichen Erfolg. Jede Ausbildung bringt aber auch finanzielle Belastungen mit sich. Eine qualifizierte Ausbildung soll nicht an den fehlenden finanziellen Mitteln scheitern. Ziel des BAFöG ist es daher, allen jungen Menschen die Möglichkeit zu geben, unabhängig von ihrer sozialen und wirtschaftlichen Situation eine Ausbildung zu absolvieren, die ihren Fähigkeiten und Interessen entspricht”.
Das hehre Ziel wäre somit formuliert, und die Kriterien der Förderung scheinen auch klar: Wer eine Ausbildung absolvieren will, die entsprechene Ausbildung aber nicht finanzieren kann, erhält Bafög. Demgemäß gibt es Bafög u.a. für Schüler in allgemeinbildenden Schulen, für Berufsfachschüler und für Studenten. Und das Bafög-Angebot wird auch gut nachgefragt: “Ausbildungsförderung hat Hochkonjunktur” verkündet das Bundesministerium für Bildung und Forschung und berichtet von einer steigenden Zahl der Geförderten, davon, dass sich Schüler über durchschnittlich 357 Euro im Monat freuen dürfen und davon, dass der durchschnittliche Bafög-Satz für Studenten im Jahr 2010 um zwei Euro auf 436 Euro gestiegen ist. Misst man Erfolg als Anzahl der Geförderten, dann hat die Bundesbildungsministerin Schavan vermutlich Recht, wenn sie die Steigerung der Anzahl der Geförderten als Erfolg feiert. Blickt man jedoch etwas hinter die Fassade der Pressemitteilung und analysiert die Daten der “Bafög-Statistik” etwas genauer, dann ergibt sich unerwartetes.
Mädchen werden deutlich häufiger mit Bafög gefördert als Jungen.
497.149 der Schüler oder Studenten, die im Jahr 2009 Bafög erhielten, waren weiblich, 375.933 männlich. Das ist ein satter Unterschied von 32%. Und wie die folgende Abbildung zeigt, ergibt sich der Unterschied, wenn man nach dem Alter der Geförderten kontrolliert, fast durchgängig.
Nur bei den Gruppen der 26-30jährigen und der über 30jährigen ist die Anzahl der männlichen und weiblichen Bafög-Empfänger ungefähr gleich. Ansonsten dominieren weibliche Bafög-Empfänger unter Studenten und Schülern. Dies wird besonders deutlich, wenn man die Analyse erweitert und die Bildungsinstitutionen, an denen sich die Bafög-Empfänger befinden, berücksichtigt.
Das oben dargestellte Ergebnis ist, wenn man es mit der Chancengleichheit ernst nimmt, erklärungsbedürftig. Die Abbildung stellt den Anteil von Bafög-Empfängern nach Geschlecht dem jeweiligen Geschlechts-Anteil für Schüler im Sekundarschulbereich, Schüler an Berufsfachschulen und Studenten gegenüber. Das Ergebnis ist eindeutig. Unabhängig von der Bildungsinstitution liegt der Anteil weiblicher Bafög-Empfänger konstant und deutlich über ihrem Anteil an den entsprechenden Schülern oder an Studenten. So sind 51.5% aller Studenten an Universitäten weiblich, der Anteil der weiblichen Studenten an Universitäten, die Bafög erhalten, ist mit 58,1% um 6,6% höher. An allgemeinbildenden Schulen ist der Anteil weiblicher Schüler mit 49.2% geringer als der männlicher Schüler, unter den mit Bafög gefördertern Schülern sind weibliche Schüler mit 58,9 deutlich überrepräsentiert. Das selbe Bild ergibt sich für Berufsfachschüler. Hier übersteigt der Anteil der weiblichen Bafög-Empfänger den Anteil der weiblichen Berufsfachschüler um satte 10.9%, der Anteil der männlichen Bafög-Empfänger bleibt um eben diese 10.9% hinter dem Anteil männlicher Berufsfachschüler zurück.
Das Ziel, durch Bafög Chancengleichheit herstellen zu wollen, lässt sich mit der geförderten Ungleichheit, die hier zu Tage tritt, nicht vereinbaren. Da nicht anzunehmen ist, dass Mädchen überwiegend aus ärmeren Familien kommen als Jungen und die im Bundesausbildungsförderungsgesetz festgeschriebenen Fördervoraussetzungen nicht nach Geschlecht differenzieren, stellt sich die Frage, wie diese erstaunliche Schieflage erklärt werden kann. Zwei Möglichkeiten der Erklärung drängen sich auf: Entweder Mädchen werden im Gegensatz zu Jungen dazu ermutigt, eine Ausbildungsförderung zu beantragen oder die Anträge von Mädchen werden durch die zuständigen Ämter bevorzugt behandelt und eher genehmigt als die entsprechenden Anträge von Jungen.
Es ist eigentlich egal, welche der beiden Erklärungen zutrifft, in jedem Fall ergibt sich eine Benachteiligung von Jungen.
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Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Ämter die Anträge von Mädchen bevorzugt behandeln. Gut, man kann sich viel vorstellen hierzulande, aber dieser Erklärungsansatz scheint mir dennoch sehr verwegen.
Dass Mädchen eher ermutigt werden als Jungen, ist für mich schon eher plausibel. Vielleicht weniger direkt durch Lehrerinnen und Eltern, durch Faltblätter und Broschüren, durch Mädchenförderprogramme. Eher unterschwellig, durch das “Empowerment”, das Schulen, Medien, Politik und Gewerkschaften unablässig betreiben.
Das fängt schon mit so etwas Banalem wie den Fotos in den Zeitungen und Zeitschriften an. Bilder aus einer Schulklasse: fast immer sind ein Mädchen oder mehrere im Vordergrund abgebildet, Jungen, wenn überhaupt, dezent im Hintergrund. Wird über Schulprojekte, Initiativen und Lernprogramme berichtet und werden dabei Schüler abgebildet, kann man davon ausgehen, dass Mädchen stets im Mittelpunkt stehen. Auch solche unter- und halbbewussten Manipulationen verfehlen ihr Ziel nicht.
Vielleicht, und das wäre ein dritter Erklärungsansatz, sind Mädchen und junge Frauen (in dieser Lebensphase) aber tatsächlich ehrgeiziger als Jungen, zielstrebiger, und nehmen von sich aus eher solche finanzielle Unterstützung in Anspruch, weil ihnen mehr an einer guten Ausbildung liegt. Später flaut das dann wieder ab (was die Entwicklung ab dem 26. Lebensjahr erklären könnte), das Engagement in Ausbildung und Beruf lässt nach, und es kommt zunehmend darauf an, einen finanziell potenten Partner zu finden. Spätestens dann braucht’s kein Bafög mehr…
@ Stephan
*Vielleicht, und das wäre ein dritter Erklärungsansatz, sind Mädchen und junge Frauen (in dieser Lebensphase) aber tatsächlich ehrgeiziger als Jungen, zielstrebiger, und nehmen von sich aus eher solche finanzielle Unterstützung in Anspruch, weil ihnen mehr an einer guten Ausbildung liegt. Später flaut das dann wieder ab (was die Entwicklung ab dem 26. Lebensjahr erklären könnte), das Engagement in Ausbildung und Beruf lässt nach, und es kommt zunehmend darauf an, einen finanziell potenten Partner zu finden. Spätestens dann braucht’s kein Bafög mehr…*
Das kann ja nicht zutreffen, wenn diese Unterschiede bei den Schülern/Studenten auftreten, die in den GLEICHEN Bildunsinstitutionen stecken.
Überall sind Mädchen/Frauen unter den Bafög-Beziehern überrepräsentiert verglichen mit ihrem Anteil an Schülern/Studenten in den entsprechenden Institutionen.
Bin auch einigermaßen ratlos, hätte ich nicht erwartet, dieses Ergebnis.
Wie es zustande kommt, ich weiß es nicht.
Bezeichnend, dass ein so krasser Unterschied zugunsten der Mädchen mal wieder verhehlt wird.
Dieser Frauenförder – und – begünstigungsstaat wird mehr und mehr zum Selbstbedieunugnsladen der holden Weiblichkeit und niemand soll es merken, um das Opfermonopol, Universalbegründung für das Recht der Frauen, kollektiv die Leistungen der Männer als Schützer und Versorger gegenleistungslos ausbeuten zu dürfen, nicht zu gefährden.
Mögliche Erklärungen wären:
a) Wie von Feministen behauptet (und nicht wirklich belegt), gebe es bei gut situierten Elternhäusern keine oder nur sehr geringe Unterschiede, was die Abiturquoten betrifft. Deshalb stammten männliche Gymnasiasten und Studenten aus wohlhabenderen Schichten als die weibliche Gegenstücke; das kann die Unterschiede bei Abiturienten und Studenten erklären. Zur Berufsfachschule sagt sie nichts.
b) (Ich nehme an, dass “Universität” oben auch Fachhochschulen und Berufsakademien umfasst.) Männer erhielten im Rahmen ihrer Ausbildung ein besseres Gehalt (z.B. weil sie häufiger bei Berufsakademien, die auch noch nebenbei bezahlt sind, studieren).
c) Männer jobben mehr nebenher.
d) Vielleicht sind Männer auch sparsamer und benötigen deshalb weniger Geld.
e) Männer werden (aus welchen Gründen auch immer) mehr von ihren Familien unterstützt.
f) Männer sind effektiver im Einwerben anderweitiger Geldmittel (z.B. Stipendien).
Die von dir vermuteten Gründe erschöpfen also die Möglichkeiten nicht (so wie meine Liste auch nicht). Will irgendjemand einmal beim Ministerium nachfragen, was es in Zeiten von Gender Budgeting zu tun gedenkt?
Lieber Andreas,
alle von Die genannten Gründe provozieren die Frage, und warum sind Männer z.B. im Einwerben anderweitiger Geldmittel besser? Weil man sie vielleicht nicht so deutlich auf die Möglichkeit Bafög zu beziehen, hingewiesen hat, wie das bei Frauen/Mädchen der Fall war? So we’re back to square one.
Zudem frage ich mich regelmäßig ob man strukturelle Unterschiede, wie den im Bafög-Bezug, der auf Aggregatebene vorhanden ist, durch individuelle Unterschiede erklären kann, denn damit geht notwenigerweise die Annahme einher, dass diese individuellen “Unterschiede” zumindest hinlänglich gleich oder einheitlich z.B. unter Männern gegeben sind, was abermals zu der Frage führt, warum bestimmte individuelle “Unterschiede” so einheitlich unter den Mitgliedern
einer Grupe verteilt sind, dass sie einen strukturellen Unterschied generieren können.
Vielleicht haben Männer eher den Drang auf eigenen Füßen zu stehen und vermeiden es, (staatliche) Hilfe anzunehmen bzw. zu beantragen.
Ich denke, dass vor allem b) eine starke Erklärung für die Unterschiede in der Berufsschülergruppe ist. Die Berufswahl der Jugendlichen in D wird noch immer stark geschlechtlich bestimmt. Ich vermute, dass ein erheblich höherer Anteil der typischerweise von Mädchen absolvierten Ausbildungen schulisch (also ohne Ausbildungsvergütung) sind, wohingegen ein größerer Anteil der Jungen Ausbildungsvergütungen durch duale Ausbildungen erzielen.
Ich würde auf (c) tippen: Ich habe in sehr vielen Bereichen gesehen, dass Frauen eher zu der “Wer bezahlt mir das” Einstellung neigen. Das fängt beim Bier in der Kneipe an und hört bei Ehegattenunterhalt auf. Interessant wäre der Vergleich zwischen den beantragten und den genemigten BAfög. Denn wenn Männer sich besser fühlen, wenn sie das Studium aus eigener Kraft stemmen, wäre das keine Benachteiligung.
Ein weiterer Erklärungsversuch wäre eine Jungendiskriminierung in der Schulzeit. Es könnte sein (Belege habe ich dafür nicht!), dass durch die – etwa durch die Studie “Bildungs-miss-erfolge” des Bundesbildungsministeriums belegte – Benachteiligung von Jungs in der Schule diesen tatsächlich einen härteren “sozialen Numerus Clausus” auferlegt, mit der Konsequenz, dass in den oberen Klassen der Sekundarstufe sowie im akademischen Ausbildungsbetrieb die jungen Männer im Durchschnitt tatsächlich betuchter sind als ihre Kommillitoninnen.
Jungs, die auf Bafög angewiesen sind, würden nach diesem Erklärungsmodell bereits in jüngeren Jahren ausgesiebt.
Das ist sicher eine Möglichkeit. Dagegen spricht, dass auch auf Haupt- und Realschulen, die Zahl der Mädchen, die Bafög empfangen, höher ist als die Zahl der Jungen; Hauptschulen: 295 Jungen – 323 Mädchen; Realschulen: 385 Jungen – 552 Mädchen … Die ungleiche Förderung zieht sich durch alle Schulformen, Einrichtungen der tertiären Bildung selbst auf Abendgymnasien werden 1653 Männer, aber 1849 Frauen gefördert…
Richtig rund würde dieses Bafög-Thema wenn man mal die “Rückzahlungs-Quoten” ansehen würde bzw. dazu nach Männern und Frauen spezifizierte Daten erhielte.
Es sei die These gewagt, dass ein Großteil der jungen Frauen ihr erhaltenes Bafög nimals zurückzahlen müssen – ganz im Gegensatz zu den jungen Männern. Es gibt nämlich shr viele Rückzahlungs-Ausnahmetatbestände die letztlich explizit weibliche Biographien bevorzugen.