Partnerschaft macht dick

Während im Vereinigten Königreich noch über die Einführung einer “fat tax” diskutiert wird, hat Thomas Klein, Professor für Soziologie an der Universität Heidelberg, in Deutschland die Erforschung der Ursachen von Übergewicht und Adipositas in eine neue Richtung gelenkt: Partnerschaft macht dick, so lautet ein Ergebnis seiner gerade veröffentlichten Forschung (Klein, 2011). Aber warum macht Partnerschaft dick?, so fragt Klein in seinem Artikel weiter und benennt zwei mögliche Wege, auf denen die Gewichtszunahme in und durch Partnerschaften erklärt werden kann:

  • Eine Partnerschaft, mit ihrem geregelten Leben, regelmäßiger Tagesablauf, regelmäßiges und gemeinsames Essen, gemeinsame Tätigkeiten, hat nicht nur eine erhöhte Kalorienaufnahme zur Folge, sondern auch eine Abnahme von sportlicher Betätigung. Beides macht dick. Partnerschaften hätten, so Klein, quasi einen “negativen Protektionseffekt” (Klein, 2011, S.463).
  • Die Chancen, auf dem Partnermarkt einen Partner zu finden, sind für nicht-Übergewichtige oder nicht-Adipöse höher. Entsprechend versuchen Personen, die  auf Partnersuche sind, dem gesellschaftlichen Stereotyp des “optimalen Gewichts” nahezukommen. Sobald sie einen Partner gefunden haben, stellen oder schränken sie die entsprechenden Bemühungen ein.

Welche der beiden Hypothesen ist richtig? Macht eine Partnerschaft dick, weil man quasi in einer protektiven Atmosphäre an gemeinsamer Gewichtszunahme arbeitet, oder macht eine Partnerschaft dick, weil man nach erfolgreicher Partnerwahl den Marktgesetzen quasi durch gemeinsame Partnerplanwirtschaft entgehen kann und sich nicht mehr in Form halten muss?

Klein prüft die beiden konkurrierenden Hypothesen mit den Daten des Partnermarktsurveys 2009, einer “für Deutschland repräsentativen Telefonbefragung mit 2002 Interviews” (Klein, 2011, S.467) und kommt zu den folgenden Ergebnissen:

  • Partnerschaft ist eindeutig mit einer Gewichtszunahme verbunden;
  • Die Auswahl von Partnern erfolgt u.a. anhand von Gewicht: Nicht-Übergewichtige und nicht-Adipöse haben auf dem Partnermarkt eine höhere Erfolgswahrscheinlichkeit;
  • Die Gewichtsunterschiede zwischen Personen in Partnerschaft und solchen ohne Partner variieren mit der Konkurrenzsituation auf dem Partnermarkt: Je mehr Konkurrenz, desto größer ist der Gewichtsunterschied zwischen denen in einer Partnerschaft und denen, die sich auf dem Partnermarkt befinden;
  • Wer in einer Partnerschaft lebt, in der er sich nicht wohlfühlt, hat eine hohe Wahrscheinlichkeit, sein Gewicht zu reduzieren, um auf diese Weise seine Chancen auf dem Partnermarkt zu erhöhen: “Das geringere Gewicht in Problempartnerschaften ist … als Bemühen um körperliche Attraktivität in einer durch Probleme unsicher gewordenen Beziehung, d.h. als ‘Vorbereitung auf den Partnermarkt’ … interpretierbar” (Klein, 2011, S.474-475).

Damit kann man festhalten: Partnerschaft macht dick, Partnersuche intensiviert das eigene Streben nach körperlicher Attraktivität. Im Normalfall treffen sich also zwei Gleichgewichtige, um in einer Partnerschaft gemeinsam dick bzw. noch dicker zu werden. Trägt sich ein oder tragen sich beide Partner mit dem Gedanken, die Partnerschaft zu beenden, so ist eine Gewichtsabnahme die Folge.

Angesichts der gesetzlichen Verpflichtung der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) durch Gesundheitsprävention ihre Kosten zu reduzieren, ergeben sich aus der Forschung von Thomas Klein eine ganze Reihe heikler Fragen: Sollen GKV eine Trennungsprämie einführen und denen, die eine Partnerschaft beenden oder sich scheiden lassen, einen Teil des Beitrags ob der damit einhergehenden Gewichtsabnahme zurückerstatten? Sollen Standesämter und Kirchen, die zu großen Teilen an der Schaffung von Partnerschaften beteiligt sind, in die Produkthaftung genommen werden und in Zukunft einen Beitrag in den Gesundheitsfonds bezahlen, der in etwa die Kosten der Gesundheitsbehandlungen deckt, wie sie durch eine in der Partnerschaft erfolgt Gewichtszunahme verursacht werden? Oder soll die Zuzahlung zum Kassenbeitrag für Personen, die in einer Partnerschaft leben, einen Partnerschafts-und-gemeinsame-Gewichtszunahmenzuschlag enthalten? Dies sind nur einige der Fragen, die sich die Verantwortlichen der GKV und im Bundesgesundheitsministerium vielleicht stellen werden, wenn sie gezwungen sind, in den nächsten Jahren das nächste Loch in der Finanzierung der GKV zu stopfen.

Literatur:

Klein, Thomas (2011). ‘Durch Dick und Dünn.’ Zum Einfluss von Partnerschaft und Partnermarkt auf das Körpergewicht. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 63(3): 459-479.

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