Unterste Schublade der Trickkiste: Wenn Feministen manipulieren wollen

Amos Tversky und Daniel Kahneman waren schon häufiger Gegenstand auf diesem Blog, d.h. nicht die beiden Sozialpsychologen als solche, sondern ihre Forschung. Ihre Forschung gehört zum Originellsten und Ergiebigsten, das die Sozialpsychologie zu bieten hat, und die Ergebnisse, die in Tverskys und Kahnemans “Prospect Theory” zusammengefasst wurden, haben nicht umsonst mit den behavioural economics eine ganz neue Richtung in der Verhaltensökonomie angestoßen.

Was aber haben Wissenschaftler wie Tversky und Kahneman mit Feministen zu tun? Auf den ersten Blick gibt es nichts, was zwischen Wissenschaftlern, wie Tversky und Kahneman und Feministen vermittelt. Auf den zweiten Blick gibt es die Forschungsergebnisse der beiden, die man nutzen kann, um einige der verbalen Tricks offenzulegen, die – bewusst oder unbewusst – von Feministen angewendet werden, um ihre Ideologie zu verbreiten. Einen dieser Tricks kann man vor dem Hintergrund der Ankerheuristik, wie sie Tversky und Kahneman beschrieben haben, enttarnen.

Die Ankerheuristik beschreibt, wie der Name sagt, einen Ausgangspunkt für Bewertungen und weil der Ausgangspunkt einer Bewertung letztlich die Bewertung oder Einschätzung eines Phänomens bestimmt, hat der, dem es gelingt, einen Anker zu setzen, bereits einen Manipulationserfolg zu verzeichnen. Beschrieben haben Tversky und Kahneman dieses Phänomen anhand eines Experiments, in dem Testpersonen gebeten wurden, das Produkt zweier Zahlenreihen zu schätzen, wobei sie nicht länger als drei Sekunden auf die Zahlenreihen blicken konnten. Zahlenreihe 1 war: 1*2*3*4*5*6*7*8; Zahlenreihe 2 war: 8*7*6*5*4*3*2*1. Hunderte von Testpersonen an den Universitäten Stanford, British Columbia und Tel Aviv, kamen durchschnittlich zu einem Ergebnis von 512 im ersten Fall und von 2.250 im zweiten Fall. Das richtige Ergebnis in beiden Fällen lautet: 40.320. Dass die Schätzung dann höher ausfiel, wenn die Zahlenreihe mit einer 8 beginnt als wenn sie mit einer 1 beginnt, demonstriert den Ankereffekt: höhere Zahlen als Anker haben höhere Schätzung zur Folge, niedrigere Zahlen, niedrigere Schätzungen.

Seit Tversky und Kahneman die Ankerheuristik beschrieben haben, wurde sie in einer Vielzahl von Anwendungen nachgewiesen. Das Ergebnis von Vertragsverhandlungen, von Vergleichen vor Gericht und von Preisverhandlungen unter Firmen hängt vom Erstgebot ab, je höher das Erstgebot, desto höher in jedem Fall das Verhandlungsergebnis. Dieses Ergebnis haben Schweinsberg et al. (2012) in einer neuen Untersuchung weiter auf die Spitze getrieben, in dem sie zeigen konnten, dass Testpersonen, die in einem Experiment mit einer weit übertriebenen Preisforderung konfrontiert wurden, nur in 30% der Fälle die Vertragsverhandlungen abbrachen, während die verbleibenden 70% obwohl sie angaben, über den hohen Preisvorschlag der Gegenseite verstimmt bis verärgert zu sein, zu einem Abschluss kamen, der weit über dem Abschluss lag, den eine Vergleichsgruppe, die mit keiner überhöhten Eingangsforderung konfrontiert war, erreichte: “Extreme offers resulted in higher counteroffers from people who stayed on to negotiate …” (Schweinsberg et al., 2012, S.229). Wem es gelingt, einen Anker zu setzen, der hat nicht nur einen first-mover Vorteil, wie die Ergebnisse zeigen und kann auf diese Weise den Ausgang einer Verhandlung zu seinen Gunsten beeinflussen, er hat auch eine moralische Verpflichtung zu einem höheren Gegenangebot an seinen Verhandlungspartner weitergegeben, der sich nur die wenigsten zu entziehen vermögen.

Anker haben somit zwei Charakteristika: Sie fokussieren das Denken des Gegenüber auf eine Größe oder einen Gegenstand, und sie stellen dem Gegenüber ein moralisches Dilemma dahingehend, dass er – um als kompetenter Verhandlungspartner zu erscheinen – auf die völlig überzogene Forderung mit einem entsprechenden Gegenvorschlag eingehen muss. Die wenigsten haben in dieser Situation den Mut, sich der Verhandlungssituation zu entziehen, wie die Ergebnisse von Schweinsberg et al. (2012) zeigen. Wenn diese Mutlosigkeit zur Gegenwehr bereits in Verhandlungssituationen besteht, die mit relativ wenig normativem Ballast belastet sind, wie stark muss diese Mutlosigkeit dann in Situationen ausgeprägt sein, die durch einen hohen normativen Druck ausgezeichnet sind: z.B. wenn man sich in einer Diskussion befindet (man läuft nicht einfach davon), wenn sich diese Diskussion mit Themen beschäftigt, die im gesellschaftlichen Mainstream schwimmen (man hat keine radikalen Ideen, die vom Mainstream abweichen, jedenfalls nicht öffentlich) und wenn es in der entsprechenden Situation darum geht, einen “Gegenstandpunkt” gegen eine Behauptung zu beziehen, die im Brustton der Überzeugung und mit entsprechendem Tamtam vorgebracht wird (wer am lautesten schreit, hat bekanntlich Recht)? Diese normative Strukturierung von Gesprächssituationen machen sich Feministen zu Nutze: Wenn sie sich der gesellschaftlichen Mehrheit hinter sich wähnen, dann greifen Sie in die unterste Schublade der Trickkiste, wie das folgende Beispiel eines “Streitgesprächs” zwischen Hannelore Faulstich-Wieland und Klaus Hurrelmann in der ZEIT zeigt:

“DIE ZEIT: Seit Jahren wissen wir: Jungen sind die neuen Sorgenkinder des Bildungssystems. Warum passiert so wenig, um ihnen zu helfen?”

Hannelore Faulstich-Wieland: “Einspruch! Wer die Jungen als Sorgenkinder bezeichnet, verkennt die Realität und vermittelt Eltern wie Lehrern ein gefährliches Zerrbild. Richtig ist: Im Durchschnitt lesen Jungen schlechter als Mädchen. …”

Auf wenigen Zeilen setzt Faulstich-Wieland hier gleich mehrere Anker: Der Ausruf “Einspruch” reklamiert moralische Superiorität und Besitz der Wahrheit und stellt eine Verbindung zu einer Gerichtsverhandlung her, der Anspruch, die Weisheit und Wahrheit mit Löffeln gefressen zu haben, wird durch den Anker “verkennt die Realität” bestärkt, und wer diesem Anspruch widerspricht, wird gleich als “gefährlich” eingeordnet. Schließlich kommt das Primitivste des gesamten Absatzes und die einzige Aussage, die nicht wertend ist: “Jungen lesen schlechter als Mädchen”.

Damit gelingt es Faulstich-Wieland das komplette Streitgespräch mit Klaus Hurrelmann auf der Grundlage einer Trivialität zu führen, denn Klaus Hurrelmann übernimmt alle gesetzten Anker, widerspricht in keiner Weise und reagiert gleich beschwichtigend indem er einlenkt: “Selbstverständlich befindet sich nicht jeder Junge in einer Krise.” Weil Hurrelmann nicht widerspricht, stehen alle oben beschriebenen Anker als richtig im Raum und alles, was er nun noch sagen kann, wird von Lesern nicht als Widerspruch gegen den “Einspruch” gewertet werden. Mit einem wirklich primitiven Trick hat es Faulstich-Wieland geschafft, das Problem der Nachteile, die Jungen im Schulsystem nachweislich haben, wegzuwischen und auf Leseschwierigkeiten zu reduzieren. In ähnlicher Weise könnte man die Internierung von Juden im KZ damit trivialisieren, dass es eine Lagerkapelle gegeben hat, die zwar nicht wie dies für deutsche Musikkapellen üblich ist, dreimal die Woche üben konnte, aber dennoch zur kulturellen Untermalung des Lageraufenthalts beigetragen hat. Aber das wäre natürlich nicht politisch korrekt und hätte entsprechend geringe Chancen als Anker zu dienen.

Dass Hannelore Faulstich-Wieland als “Bildungsexperte” in der Überschrift des Streitgesprächs in der ZEIT bezeichnet wird, ist der letzte Anker, der in diesem Beitrag erwähnt werden soll und dass  Etikettierung noch keinen Bildungsexperten macht, sollte nach der Darstellung hier deutlich geworden sein. Bleibt zu hoffen, dass sich nicht zu viele Leser des ZEIT-Beitrags durch den Anker in der Überschrift haben täuschen lassen.

 

Schweinsberg, Martin, Ku, Gillian, Wang, Cynthia S. & Pillutla, Madan M. (2012). Starting High and Ending with Nothing: The Role of Anchors and Power in Negotiations. Journal of Experimental and Social Psychology 48(1): 226-231.
Tversky, Amos & Kahneman, Daniel (1974). Judgements Under Uncertainty. Heuristics and Biases. Science 185: 1124-1131.

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