Marktwirtschaft ist Moral

Die Marktwirtschaft ist ins Gerede gekommen. Die Finanzkrise, so scheint es, verschafft den Kritikern der Marktwirtschaft Flügel: Von Raubtierkapitalismus redet ausgerechnet Helmut Schmidt, und begründet dies damit, dass “manche Topmanager” [so wie manche Politiker] allen Anstand vergessen haben. Wolfgang Schäuble, oberster Hüter des wirtschaftlichen Wachstums in Deutschland, der er eigentlich sein sollte, will nicht mehr wachsen, d.h. nicht mehr “maßlos” wachsen. Und die Globalisierungsgegner, die mehr einem Reiseunternehmen als einer kritischen Organisation gleichen, treffen sich derzeit im sonnigen Brasilien, um Armut, Hunger und vor allem den Kapitalismus anzuprangern.

Alle genannten “Kritiker” haben eines gemeinsam, sie stellen Moral und Wirtschaftsordnung gegeneinander, reklamieren das Wissen um erste für sich und deklarieren das Fehlen derselben in der derzeitigen Wirtschaftsordnung. Deshalb, so die einhellige Meinung, müsse Marktwirtschaft geregelt , müsse die Moral in die Amoral des Marktes getrieben werden. In einem mutigen Beitrag für die Schriftenreihe des Walter Eucken Instituts in Freiburg (ausgerechnet), hat Viktor Vanberg die Marktwirtschaft gegen ihre Kritiker verteidigt und gezeigt, dass es keine Alternative zur Marktwirtschaft, zur freien Marktwirtschaft, gibt.

Hier die Gründe:

Maddison (2006), S.43

Ich will die Arbeit von Vanberg von zwei Punkten aus beschreiben, zum einen von der Feststellung, dass die klassische Ökonomie, die Adam Smith begründet hat, als Modell zur optimalen Allokation von Ressourcen und als Mittel gegen die Monopolisierung von Ressourcen durch organisierte (staatliche, feudale oder ständische) Akteure erdacht wurde. Zum anderen ist die Entwicklung der Marktwirtschaft, des Kapitalismus, wie sie z.B. von Maddison (2006) über die Jahrhunderte dargestellt wird, eine einzigartige Erfolgsgeschichte. Dass sich die Weltbank heute Sorgen um Armut und Gleichberechtigung machen kann und Hungersnöte die Ausnahme und nicht die Regel sind, ist nicht das Ergebnis der Umsetzung sozialistischer Pläne, sondern das Ergebnis einer marktwirtschaftlichen Ordnung, die in höchstem Maße erfolgreich war und weiterhin ist. (Dass Globalisierungsgegner eben einmal nach Brasilien jetten können (ohne Rücksicht auf Ihren Carbon-Imprint ürbigens und ohne Probleme an ihrem Arbeistplatz zu verursachen, an dem sie offensichtlich nicht vermisst werden) ist auch ein Erfolg des Kapitalismus, den sie, nach ihrer Landung und unter der Sonne Brasiliens, bekämpfen möchten.).

Es ist also aus meiner Sicht keine Frage, ob Marktwirtschaft oder Kapitalismus moralische Unterfangen sind, angesichts der Entwicklung des Wohlstands in freien Marktwirtschaften sollte diese Frage als beantwortet gelten. Somit stellt sich die Frage, die Vanberg als Gegenüberstellung von Moral und Wirtschaftsordnung beschreibt, in anderer Weise nämlich als Frage der Art von Moral, die man gerne hätte. Die Gegner von Marktwirtschaften hängen ganz offensichtlich dem an, was Vanberg eine deontische Moralbegründung nennt. In meinen Worten: sie sehen sich als Anhänger des Heils, das zu verbreiten, sie vom jeweiligen Heilsbegründer beauftragt wurden. Entsprechend besteht ihre erste Aufgabe nicht darin, die Überlegenheit der Resultate ihrer Moral zu belegen, sondern darin, die Überlegenheit der Prämissen ihrer Weltsicht zu behaupten. Damit ist jedoch nichts anderes als ein Glaubenssystem beschrieben, was vermutlich eine Erklärung dafür ist, dass so viele Theologen und so viel missionarischer Eifer unter den Globalisierungsgegnern zu finden sind.

Gegen die deontische Moralbegründung steht die teleologische Moralbegründung, die Begründung über deren Wirksamkeit, für die man dadurch werben kann, dass man auf die empirischen Folgen der Moral hinweist: z.B. den Erfolg der Marktwirtschaft, wie er sich im Lebensstandard auch oder gerade der Globalisierungs- und Wachstumsgegner zeigt. Dieser Erfolg ist das Ergebnis der inhärenten Logik, auf der eine Marktwirtschaft basiert. Schon Adam Smith hat darauf hingewiesen, dass sympathie, wie er es nannte, die treibende Kraft einer Marktwirtschaft sein muss, denn ein egoistischer oder rationaler Akteur, der seinen Nutzen maximieren will, ist auf den Austausch mit anderen angewiesen. Ein Bäcker ist darauf angewiesen, dass er gute Beziehungen zum Müller und zu seinen Kunden hat. Er muss mit Kunden wie Lieferanten kooperieren, will er dauerhaft Nutzen für sich schaffen. Entsprechend wird er sich an die Spielregeln, die auf einem Markt gelten und die Rawls mit “Gerechtigkeit und Fairness” benannt hat, halten, wenn er dauerhaft mit anderen kooperieren will. Dieses Ergebnis, das Smith in philosophischer Deduktion erreicht hat, hat Robert Axelrod (1997) in einer Reihe von Experimenten und Studien mehr als deutlich belegt. Wenn sich ein Marktteilnehmer von Moral und Anstand verabschiedet, dann wird ihm dies, wie Axelrods Studien zeigen, nur kurzfristig einen Gewinn erbringen. Langfristig gilt, was Vanberg wie folgt beschreibt: “Auch wenn derjenige, der sich in der Verfolgung seiner Interessen an moralische Beschränkungen hält, dadurch unzweifelhaft gelegentlich Nachteile in Kauf nehmen muss, so werden doch die Nettovorteile aus den Kooperationschancen, die ihm seine moralische Disposition eröffnet, größer sein als die Ausbeutungsgewinne … denn [er wird] von anderen als Kooperationspartner gemieden werden” (Vanberg, 2011, S.11).

Das Meiden von Marktteilnehmern, denen nichts an Reziprozität und der Einhaltung von Fairness in Austauschbeziehungen gelegen ist, setzt jedoch voraus, dass die entsprechenden Marktteilnehmer auch als solche erkannt und sanktioniert werden können, setzt z.B. voraus, dass Banken, die sich mit ihren Anlagen verspekuliert haben nicht darauf vertrauen können, von ihrer Regierung aus dem finanziellen Morast, in den sie sich begeben haben, gerettet zu werden. Es setzt voraus, dass die evolutionären Kräfte eines Marktes, wie Hayek sie genannt hat, intakt sind und die entsprechenden Spieler bestraft werden. Nur auf diese Weise, ist es Wettbewerb möglich, die besten Wettbewerber zu prämieren. Nur ein Markt, der gute Wettbewerber prämiert, schafft Anreize für Entdeckung und Schaffung von Innovationen. Und ein so funktionierender Wettbewerb ist – wie Franz Böhm geschrieben hat – das Entmachtungsinstrument schlecht hin: “Macht – so sein Argument – hat mit Abhängigkeit zu tun und Wettbewerb, der das Vorhandensein von Wahlmöglichkeiten bedeutet, wirkt Abhängigkeit entgegen; er verhindert die Bildung von Macht und damit den Missbrauch von Macht” (Vanberg, 2011, S.17). Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass jede Einschränkung von Wettbewerb, jeder Eingriff in den Marktmechanismus eine Agglomeration von Macht schafft, die einzelne Marktteilnehmer mit Privilegien versorgt, die sie vom Wettbewerb freistellen und zu amoralischen, weil der Anstandsregel des Marktes, nämlich der Fairness, nicht mehr verantwortlichen Spielern macht: zu Bankern, die nicht mehr um die Folgen von Missmanagement bangen müssen, zu Landwirten, die nicht mehr produzieren müssen, was auch nachgefragt wird, zu Herstellern von grüner Energie, die ohne Risiko und Rücksicht auf Abnehmer produzieren können,  zu Anwälten, die gesetzlich vor Konkurrenz geschützt werden, und zu parteinahen Stiftungen, die steuerlich begünstigt werden, um propagandistisch Fehlinformationen – am besten unter dem Siegel der Wissenschaftlichkeit zu verbreiten.

Aus den hier zusammengefassten Gründen würde ich das Fazit des Beitrags von Vanberg schärfer formulieren als er selbst es tut und feststellen, dass eine Marktwirtschaft ein hochmoralisches Unterfangen ist, dessen Moral regelmässig durch staatliche Eingriffe gestört, wenn nicht zerstört wird.

Axelrod, Robert (1997). Evolution der Kooperation. München: Oldenbourg.

Maddison, Angus (2006). The World Economy: A Millennial Perspective.Paris: Organisation for Economic Co-operation and Development.

Vanberg, Viktor J. (2011). Moral und Wirtschaftsordnung: Zu den ethischen Grundlagen einer freien Gesellschaft. Freiburg: Walter Eucken Institut, Freiburger Diskussionspapiere zur Ordnungsökonomik.

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