Fünf Jahre wegen Joggen! Offizielle Erklärung für das “Gender Life-Expectancy Gap”

Bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat man die Männer entdeckt. Und mit der Entdeckung der Männer ging eine weitere Entdeckung einher: Männer leben gut 5 Jahre kürzer als Frauen. Während ein heute geborener Junge eine Lebenserwartung von 77 Jahren hat, hat ein heute geborenes Mädchen eine Lebenserwartung von 82 Jahren. Nicht nur hat die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung die unterschiedliche Lebenserwartung entdeckt, nein, die Bundeszentrale hat auch gleich einen Hauptgrund für das unterschiedlich lange Leben gefunden: Männer bewegen sich weniger als Frauen:

“Männer bewegen sich auch zu wenig. Laut einer Umfrage des Robert-Koch-Instituts folgen nur knapp ein Viertel (23%) der Männer in Deutschland der Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und sind fünfmal in der Woche 30 Minuten sportlich aktiv. Zur Förderung der Gesundheit bei Männern stellt das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) die Broschüre “Männer in Bewegung! Auswirkungen von körperlicher Aktivität auf die psychische (!sic) Gesundheit bei Männern” und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) das Informationsportal http://www.männergesundheitsportal.de vor.

Zu lernen gibt es bei dieser Vorstellung für Männer – wie man sieht – eine ganze Menge: Sie treiben nicht regelmäßig Sport, obwohl Sport und Bewegung, wie Thomas Ilka weiß, wichtige Bestandteile einer gesunden Lebensweise sind und zudem Spaß bringen und die Stimmung heben. Männer, so geht es weiter mit erhobenem Zeigefinger, trinken mehr Alkohol als Frauen, rauchen mehr als Frauen und ernähren sich auch ungesünder, das weiß Prof. Dr. Elisabeth Poth beizusteuern (ohne Beleg übrigens), und deshalb und in aller Kürze, sind sie selbst schuld an ihrer im Vergleich zu Frauen kürzeren Lebenserwartung. (Die Broschüre bezieht sich übrigens wirklich auf die “psychische Gesundheit” von Männern und das scheint mir dann ein Indiz dafür zu sein, dass hier Zynismus oder Unsinn betrieben wird, denn ich glaube nicht, dass Tod unter die psychischen Erkrankungen fällt…)

Diese Rabulistik ist mir doch etwas zu krude, um die unterschiedliche Höhe der Lebenserwartung von Männern und Frauen zu erklären, zumal das hohe Lied des Kollektivismus immer dann in Misstönen endet, wenn man es konkret anwendet, z.B. auf Erwin Horstkemper, der sein Geld bei der Müllabfuhr verdient. Fast täglich und mindestens fünf Mal in der Woche läuft Erwin mehrere Kilometer von Tonne zu Tonne, stemmt mehrere Kilo und nun soll er, weil er sich zu wenig bewegt und vermutlich zuviel trinkt, abends noch 30 Minuten im “schicken Dress” aufs Mountain bike steigen und sich mit seinen 45 Jahren aufführen wie ein Jugendlicher? Und das soll gesund sein, soll ihm Spaß und eine gehobene Stimmung bringen? Oder wie wäre es mit Karl Weber. Karl Weber arbeitet auf dem Bau und trägt täglich etliche Kilo Steine, die er der Einfachheit halber auch gleich einmauert. Auch für Karl wäre es demnach gesund, abends noch ein paar Runden um seine Stammkneipe zu rennen, am besten in kurzen Hosen, damit die Kollegen in der Kneipe beim Bier auch was zum Lästern haben.

Die Beispiele zeigen zum einen, wie hanebüchen die Idee ist, die fünf Jahre längere Lebenserwartung von Frauen im Vergleich zu Männern hätte auch nur entfernt etwas mit “Bewegung” zu tun, sie zeigt den Unsinn von Versuchen, kollektive Allheilmittel auf Individuen zu übertragen, und sie macht den sozialen Hintergrund derjenigen deutlich, denen der besagte kollektive Unsinn einfällt. Nur so viel: Sie arbeiten weder auf dem Bau noch bei der Müllabfuhr.

Ich habe die Bewegungsinitiative der Bundeszentrale zum Anlaß genommen, um die Todesursachenstatistik (die sinnvoller Weise der Gesundheitsberichterstattung des Bundes zugeordnet ist) ein wenig genauer anzusehen. Dabei bin ich auf das ein oder andere Indiz dafür gestoßen, dass die unterschiedliche Lebenserwartung von Männern eher dadurch erklärt wird, dass mehr Männer öfter und mehr arbeiten als Frauen. Wenn man das Gender Life-Expectancy Gap schließen will, dann kann man dass entsprechend nur dadurch, dass man Männer weniger und andere Arbeit und mehr zu Hause bleiben verordnet.

Die erste Hypothese, um zu belegen, dass Männer durch mehr Arbeit mehr Gelegenheit haben, ihr Leben zu verkürzen, lautet: Mehr Tote Männer durch Arbeitsunfälle. Die zugehörige Hilfshypothese lautet: Wer weniger zu Hause sitzt, hat mehr Gelegenheit, einen Unfall zu erleiden: Mehr Tote Männer durch Unfälle. Die folgende Abbildung zeigt, dass beide Hypothesen zutreffen. Wie man sieht, sind rund 97% aller durch einen Arbeitsunfall Getöteten männlich. Auch unter den Unfalltoten sind mehr Männer als Frauen, das Verhältnis lautet hier 55:45. Der Vergleich der Jahre 1998 und 2010 zeigt zudem, dass sich anteilig nicht viel verändert hat. Wenig verändert hat sich auch die Anzahl der Unfallopfer: Fielen 1998 11849 Männer und 8184 Frauen einem Unfall zum Opfer, waren es 2010 10956 Männer und 9287 Frauen. Die Menge der Arbeitsunfälle hat sich dagegen deutlich reduziert, von 601 toten Männern (33 tote Frauen) im Jahre 1998 auf 379 tote Männer (15 tote Frauen) im Jahre 2010. Ob es den bei Unfällen welcher Art auch immer Getöteten geholfen hätte, wenn Sie sich häufiger bewegt hätten, weniger getrunken und geraucht hätten?

Die zweite Hypothese lautet: eine höhere Belastung im Arbeitsleben schlägt sich in einer höheren vorzeitigen Mortalität nieder, d.h. in einem größeren Anteil von Männern, die versterben, bevor sie das Rentenalter erreichen. Dieser Hypothese unterliegt die Annahme, dass das Arbeitsleben mit seinen Anforderungen sich stärker auf die Gesundheit auswirkt als 30 Minuten Sport fünfmal in der Woche. Die nächste Tabelle zeigt vor diesem Hintergrund die Anzahl der vorzeitig (bevor sie das Alter von 65. Jahren erreicht haben) Verstorbenen auf die häufigsten Todesursachen für beide Geschlechter.

alle männlich weiblich
Vorzeitig Gestorbene 137431 90078 47353
Krebs 52099 29284 22815
Kreislauferkrankung 28453 21106 7347
Verletzung, Vergiftung 14368 10910 3458
Erkrankung Verdauungssystems 10774 7453 3321

Wie die Tabelle zeigt, sterben deutlich mehr Männer vorzeitig als Frauen: 90078 Männern stehen 47353 Frauen gegenüber. Die häufigsten Ursachen, die einen vorzeitigen Tod befördern, sind bei beiden Geschlechtern dieselben: Krebs, Kreislauferkrankungen, Verletzungen, Vergiftungen und Erkrankungen des Verdauungssystems. Könnte man diese größere Zahl vorzeitig sich aus dem Diesseits verabscheidender Männer dadurch reduzieren, dass man Männern mehr Bewegung, weniger Alkohol und Tabak und gesündere Ernährung verordnet oder sind die Ergebnisse nicht doch eher Folge davon, dass das Leben von vielen Männer um berufliche Aktivitäten und die Alleinernährerrolle zirkelt, während das Leben vieler Frauen von Kindern und Haushalt aufgefüllt wird? Wäre Ersteres der Fall, das Muster der Ursachen eines vorzeitigen Todes von Männern und Frauen müsste sich unterscheiden, wäre Letzteres der Fall, das Muster dürfte sich nicht unterscheiden. Wie die Abbildung zeigt, unterscheidet sich das Muster der Ursachen vorzeitigen Ablebens nicht: Männer wie Frauen sterben am häufigsten an Krebserkrankungen, an zweiter Stelle stehen für beide Geschlechter Kreislauferkrankungen als Todesursache, gefolgt von Verletzungen und Vergiftungen sowie Erkrankungen des Verdauungstrakts. Die Bedeutung der genannten Todesursachen für das vorzeitige Ableben ist also zwischen den Geschlechtern nicht unterschiedlich, was unterschiedlich ist, ist die Prävalenz, die Häufigkeit der Todesursachen. Und wenn eine Verteilung zu erklären ist, die zwischen zwei Gruppen im Muster identisch ist, sich nur in der Ausprägung unterscheidet, dann gilt es nach einer Variablen zu suchen, die sich systematisch zwischen beiden Gruppen unterscheidet, aber sich in gleicher Weise auf das Muster der Todesursachen auswirkt. Mir fällt dazu die höhere Erwerbsbeteiligung und die Beschäftigung von Männern in gefährlichen und körperlich fordernden Berufen ein – und nichts anderes.

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