Regulationitis – Risiken und Nebenwirkungen verboten

Wann immer etwas nicht der Norm entspricht, Marktergebnisse unvorhergesehen und nicht erwartungsgemäß ausfallen, wenn Krisen entstehen, Bubbles platzen, wenn Chaos ausbricht und entsprechend chaotische Konsequenzen nach sich zieht, dann erfolgt unvermeidbar und mit schöner Regelmäßigkeit der Ruf nach dem Staat. Der Staat soll Banken, die sich verkalkuliert haben, aus der Patsche helfen. Der Staat soll seine Bürger vor allem was deren Gesundheit beeinträchtigen könnte, schützen. Der Staat muss die Industrie dazu verpflichten, die Umwelt nicht zu belasten, die Atomkraft nicht zu nutzen, Autos zu erfinden, die weniger Benzin brauchen, der Staat muss Innovationen fördern, ermöglichen und finanzieren und am besten ist es, wenn der Staat für das Paradies auf Erden sorgt. So könnte man die Staatsgläubigkeit, wie sie sich in Teilen Kontinentaleuropas ausgebreitet hat, auf den Punkt bringen. Der Staat ist die Übermutter, der Ersatz für den in arge Bedrängnis geratenen Pater familias, den hegemonialen Mann, den Schäfer, der seine Schäfchen beschützt und versorgt, dem Herrscher über das Paradies der Kinder, die  ihrer Verantwortung ledig sind und mit großen Augen nunmehr Mutter “Staat” anhimmeln. Mutter Staat soll es heute richten, gegen die Reste der bösen, männlichen Welt vorgehen, die sich in Märkten im Allgemeinen und in Finanzmärkten im Besonderen verschanzt haben.

Die Anhänger von Mutter Staat sind Gegner “männlicher” Lebensentwürfe. Sie sind Anhänger eines Lebens ohne Risiko und Gefahren, sie sind  Sucher nach dem ewig selben Trott, in dem das Bemerkenswerteste und einzig Unbekannte im  Wetter besteht: Für sie kam die Finanzkrise wie gerufen, hat sie doch gezeigt, wie hinfällig die “männliche” Organisation der Welt zu sein scheint, wie fehlerhaft, gierig und gefährlich. Märkte, so wurde frohlockt, haben sich als unfähig zur Selbsregulation erwiesen.Vom “profitablen Irrsinn” fabuliert Hermannus Pfeiffer,  “Der  Markt hat nicht immer Recht” freut sich Wilfried Stadler, und wie immer, wenn Krisen und Probleme auftauchen, die zu Risiken werden, die mit Kosten verbunden sind, schauen alle zu Mutter Staat und warten auf eine Regulation.

Regulationen sind der Lebensnerv von Institutionen wie der EU. Regulationen florieren. Die Finanzkrise hat aus dem Basel Committee of Banking Supervision, in dem sich fast unbemerkt von der Außenwelt die Bankenaufseher der G10 Staaten getroffen haben, einen Regulations-Moloch gemacht, in dem Vertreter aus zwischenzeitlich 27 Staaten in vier Unterausschüssen, denen wiederum 14 Komitees zugeordnet sind, darum streiten, welche Regulation für Finanzmärkte, Banken oder neuerdings auch Schattenbanken, die richtige ist. Gemeinsam weben sie an einem Netz, das auch noch das letzte Risiko im Finanzmarkt beseitigen und das letzte Stück Innovations- und unternehmerische Freiheit im Dienste von Sicherheit und Homogenisierung ersticken soll.

Und wer würde sich der Regulation von Schattenbanken wiedersetzen, ist doch bereits der Begriff “Schattenbank” mit einer negativen affektiven Assoziation verbunden, denn wer muss wohl im Schatten arbeiten, wenn er auch im Licht tätig sein könnte? Und so wird in Deutschland und in schönster Terminologie des tausend jährigen Reiches konstatiert, dass “Hedge Fonds, auch Heuschrecken genannt” immer bedeutender werden, es wird darauf hingewiesen, dass Experten vor den Risiken dieser Schattenbanken warnen, und es werden Regulierungen gefordert – von gemäßigten Stimmen. Andere, weniger gemäßigte, wie die Volkswirtschaftslehrerin Mechthild Schrooten fordern gleich vollmundig: “Schattenbanken gehören abgeschafft”, denn: “Unternehmerisches Ziel und Sinn von Schattenbanken ist die Erwirtschaftung von Renditen”. Welch urzeitliches Monster hat da nur sein Haupt erhoben? Welche Monster machen sich da in Form von Schattenbanken unbemerkt und vor allem “unreguliert” auf den Finanzmärkten breit? Was sind Schattenbanken?

Schattenbanken sind Finanzintermediäre. Sie bringen Vertragspartner zusammen, die Geld gegen Sicherheit tauschen. Dies tun sie z.B. am Repo-Markt, auf dem (sehr) kurzfristige repurchasing agreements (repos) getauscht werden. Die Sicherheit besteht z.B. in so genannten Asset-Backed Securities (ABS), also in Bündeln von Hypotheken-Krediten, die Banken an Schattenbanken verkauft haben, die von Schattenbanken gebündelt wurden, von Ratingagenturen bewertet und nun am Markt angeboten werden. Auf den Wert der Sicherheit (z.B.: ABS) nimmt der Käufer einen Abschlag von 10% vor, übergibt die 90% Wert der Sicherheit in Geld als Darlehen an den Verkäufer und behält die Sicherheit. Zahlt der Verkäufer das Darlehen zurück, wechselt die Sicherheit wieder den Besitzer, zahlt er sein Darlehen nicht zurück, dann verkauft der Käufer die Sicherheit und erhält auf diese Weise sein eingesetztes Kapital zurück.

Der Handel an Repo-Märkten basiert somit auf einer klar definierten Geschäftsbeziehung. Problematisch wurde der Handel im Rahmen der Subprime-Mortgage-Krise einmal durch die Nutzung derselben Sicherheit in mehreren Transaktionen (Hypothecation – der Käufer nimmt die “gekaufte” Sicherheit und setzt sie seinerseits als Sicherheit ein) und einmal als deutlich wurde, dass die Werte der realen ABS, die am Markt waren,  den nominalen Werten, zu denen sie gehandelt wurden, nicht annähernd entsprachen. Damit wurden die ABS als Sicherheit suspekt und hinfällig, der Handel mit Ihnen kam zu erliegen. Dass die ABS, bei denen es sich vornehmlich um so genannte Residential Mortgage-backed Securities (RMBS) handelte, einen Wertverlust erlitten haben, hat viele Ursachen, die wichtigste davon findet sich darin, dass Mortgages (Hypotheken) zur Finanzierung eines Hauskaufs an Personen vermittelt wurden, die nicht über das Einkommen verfügten, die notwendigen Zinsen und die Tilgung zu bezahlen. Das Kartenhaus auf Pump hat sich über die von Banken und so genannte “Mortgage Lenders” an (ihre eigenen) Schattenbanken (sogenannte Special Purpose Vehicles, SPVs oder SIVs, Special Investment Vehicles) verkauften Mortgages und über die dort vorgenommene Securization (also die Bündelung der einzelnen Kredite) auf u.a. den Repo-Markt übertragen und den Handel zeitweise zum Erliegen gebracht. Die Folgen sind bekannt: So manche Bank, die es gewohnt ist, ihren kurzfristigen Kreditbedarf über den Repo-Markt zu finanzieren, hatte Probleme, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Die prominentesten Opfer unter den Banken sind die Lehman-Brothers und Bear Stearns zwei US-Amerikanische Investmentbanken.

Die beiden Banken sind auch die einzigen high-profile Opfer, denn die Regierungen aller Länder, in denen Banken beheimatet sind, die in  ABS investiert hatten, kamen den angeknacksten Banken zur Hilfe. In Deutschland wurde dafür extra der Sonderfonds für Finanzmarktstabilisierung gegründet, der klammen Banken mit liquiden Mitteln wieder auf die Beine geholfen hat, darunter ein stattlicher Anteil von Landesbanken (z.B. WestLB, SachsenLB). Dieser Eingriff in den Markt, der verhindert hat, dass Banken, deren Geschäftsmodell sich als untauglich erwiesen hat, vom Markt verschwunden sind, wurde damit begründet, dass die entsprechenden Banken Systembanken seien, deren Insolvenz das gesamte Finanzsystem in Schieflage bringen würde.

Und da die Rettung der Banken viel Geld aus Steuerzahlers Taschen gekostet hat, musste natürlich Aktivität durch Politiker entfaltet werden: Regulierungsaktivität versteht sich. Entsprechend wurde das gerade erst verabschiedete Basel II Abkommen, das Banken u.a. erhebliche Auflagen im Hinblick auf die Höhe von Eigenkapital, das sie für ausgereichte Kredite vorhalten müssen, macht (und in dem man einen Grund dafür sehen kann, dass Banken versucht haben, Hypotheken, die ihre Bilanzen belastet haben, aus der Bilanz heraus zu verkaufen), durch das schnell an die neuen Umstände angepasste Basel III Abkommen ergänzt. Und weil die Regulierer schon einmal dabei sind und sich das Regulieren als Wachstumsmarkt erwiesen hat, wie oben anhand das Basel Committee of Banking Supervision gezeigt wurde, suchen sich die Regulierungswütigen weitere Pfründe, und bei ihrer Suche sind sie jetzt bei Schattenbanken angekommen. Die EU hat bereits ein Grünbuch “Schattenbankenwesen” erstellt, Basel III widmet sich ausgiebig den Schattenbanken und EU Kommissar Michel Barnier hat sein Überwachungsauge in Richtung “Schattenbanken” gelenkt.

Dies alles scheint viel Aufwand, wenn man bedenkt, dass einzig die maroden ABS das gesamte Schattenbankensystem in Misskredit gebracht haben. Es scheint, alles wolle man das Kind mit dem Bade auskippen bzw. als wolle man die Gelegenheit beim Schopfe packen und die staatliche Regulierungsgewalt, den staatlichen Durchgriff auf weitere Bereiche des Marktes ausdehnen. Daher verwundert es auch nicht, wenn Schattenbanken nicht nur die Organisationen umfasst, die vornehmlich von Banken gegründet wurden, um ihre Kreditbündel als ABS auf den Markt zu bringen, sondern dass der Begriff der Schattenbank und damit der Misskredit, der damit verbunden ist, auf Finanzintermediäre aller Art, auf Investmentfonds, Hedge Fonds, Versicherer, Rückversicherer und viele andere mehr ausgeweitet wird. Sie alle, so will es die Regulierungsgemeinde, bedürfen einer Regulierung, denn sie betreiben ihr Geschäft im unregulierten Schatten der Gesetze.

Investmentfonds gelten als Schattenbanken, die es zu regulieren gilt. Investmentfonds sind vermeintlich unreguliert und arbeiten im Schatten. Ein Mythos, wie ein Blick auf die Vielzahl der Regulationen, denen Investmentfonds bereits jetzt unterworfen sind, zeigt:

  • Investmentgesetz
  • Wertpapierhandelsgesetz
  • Kreditwesengesetz
  • Alterseinkünftegesetz
  • Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz
  • Derivateverordnung
  • Fondsnamensrichtlinie
  • Anteilsklassenverordnung
  • Markets and Financial Instruments Directive
  • usw.

Wer angesichts dieser Liste weiterhin behauptet, Investmentfonds (als Schattenbanken) arbeiteten im nicht regulierten Schatten, dem kann nicht mehr geholfen werden. Dass staatliche Regulationen bereits ein Netz gewoben haben, das unternehmerische Freiheit in einem Maße einschränkt, das kaum mehr normal zu nennen ist, dass dessen ungeachtet, aber dennoch einer weiteren Regulierung das Wort geredet wird, bedarf vor diesem Hintergrund der Erklärung. Mir fallen zwei Erklärungen ein: (1) Sind Regulierer erst einmal eingesetzt, dann suchen sie sich ihre Spielwiese, schon um die eigene Existenz zu rechtfertigen; (2) Regulierung vor allem männlich konnotierter Märkte liegt im Trend einer Gesellschaft, die sich Mutter Staat anvertraut hat in der Hoffnung, Mutter Staat schaffe das Care-Paradies auf Erden und beseitige alle Lebensrisiken.

Dummerweise ist diese Illusion keine unschuldige, weil folgenlose Illusion: denn Regulierung hat Nebenwirkungen: Stark regulierte Arbeitsmärkte haben eine unnötig hohe Arbeitslosigkeit zur Folge, Verbote von Forschungen mit Stammzellen oder im Kontext der Gentechnik führen zur Abwanderung von Wissenschaftlern. Die Abwanderung von Wissenschaftlern führt dazu, dass Innovationen in anderen Ländern stattfinden und Arbeitsplätze in anderen Ländern geschaffen werden, was dazu führt, dass die Wirtschaftskraft am Standort Deutschland sinkt. Man gelangt also über kurz oder lang zu der  Erkenntnis, dass man in Kindertagesstätten und Plfegeheimen keinen wirtschaftlichen Fortschritt erzielen kann.

Literatur:

zu Schattenbanken:

Poszar, Zoltan, Adrian, Tobias, Ashcraft, Adam & Boesky, Hayley (2012). Shadow Banking. New York: Federal Reserve Bank of New York Staff Report Nr. 458.

zu Finanzkrise und Repo-Märkten:

Gorton, Gary & Metrick, Andrew (2012). Securitized Banking and the Run on repo. Journal of Financial Economics 104(3): 425-451.

sonstige

Pfeiffer, Hermannus (2012). Der profitable Irrsinn. Was auf Finanzmärkten geschieht und wer dabei gewinnt. Berlin: Ch. Links.

Schrooten, Mechthild (2012). Schattenbanken gehören abgeschafft. Wirtschaftsdienst 92(4): 214-215.

Stadler, Wilfried (2011). Der Markt hat nicht immer Recht. Über die wirklichen Ursachen der Finanzmarktkrise und wie wir die nächste vermeiden können. Wien: Linde.

Bildnachweis:
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