Freie Urteilsbildung nicht erwünscht – Was man lesen darf und was nicht

Sind Sie fähig, sich eine eigene Meinung zu bilden oder muss man sie vor sich selbst, ihren Denkfehlern und ihrer leichten Beeinflussbarkeit (durch die Falschen) schützen? Diese Frage steht im Zentrum der meisten Debatten, die darum geführt werden, was “der Öffentlichkeit” zugemutet werden darf und was nicht. Und obwohl die Manipulation der öffentlichen Meinung in Deutschland an der Tagesordnung ist, gibt es doch bestimmte Tabus, deren Verbreitung sogar unter Strafe gestellt worden ist.

Eines dieser Tabus betrifft das tausendjährige Reich, dessen Bearbeitung nur unter Aufsicht und Begleitung erfolgen darf, fast so als hätte man Angst, eine eigenständige und unbeaufsichtigte Lektüre von z.B. Artikeln aus Julius Streichers “Stürmer” hätte sofort glühende Antisemiten zum Ergebnis. Nicht die eigenständige Urteilsbildung wird den meisten Deutschen anvertraut, nein, eine eigenständige Urteilsbildung wird unterbunden. So sehr sind Politiker in Deutschland von der Dummheit und Verfürbarkeit ihrer Bevölkerung überzeugt, dass sie tausenjährige Schriften (im Sinne des § 11 Abs. 3 des Strafgesetzbuches) nicht etwa unter den Ladentisch verbannt, sondern ganz aus dem öffentlichen Leben entfernt haben. Denn, so scheinen Politiker zu denken, liest ein Deutscher erst unbeaufsicht, z.B. “Mein Kampf”, dann lässt er sich, so er männlich ist, einen markanten Bart wachsen und läuft nur noch mit aufgerichtetem Arm durch die Gegend, während er, wenn er weiblich ist, nur noch im Dirndel und als Gebährmaschine, die nach dem Mutterverdienstkreuz strebt, unterwegs ist.

Eine andere Erklärung dafür, dass es im Strafgesetzbuch den § 130 “Volksverhetzung” gibt, fällt mir nicht ein. Denn damit jemand erfolgreich andere “zum Hass aufstacheln … zu Gewalt- und Willkürmaßnahmen auffordern kann”, die geeignet sind, den “öffentlichen Frieden” zu stören, muss derjenige gehört werden, seine Rede oder Schrift muss auf Empfänger treffen, denen die Inhalte etwas sagen, die die entsprechenden Inhalte schon kennen, nach ihnen suchen, sie für gut befinden. Indoktrination braucht immer zwei, einen der indoktriniert und einen der sich indoktrinieren lässt, weil ihm z.B. in der Schule nicht beigebracht wurde, wie er sich mit den Mitteln des kritischen Denkens davor schützt, vor anderer Leute Karren gespannt zu werden. Aber genau daran haben Politiker aller Couleur kein Interesse, denn Bürger, denen in der Schule nicht nachhaltiges Essen, sondern kritisches Denken beigebracht wurde, die wenden das erlernte Instrumentarium auch gegenüber Politikerreden an und hinterfragen die Politik, mit der sie traktiert werden.  Und so ist die Angst der Politiker davor, dass ihre Bevölkerung den falschen Inhalten ausgesetzt wird, nur die Kehrseite des eigenen Interesses daran, die eigene Bevölkerung nicht kritisch werden zu lassen.

Folglich ist es nur konsequent, dass man sich im Freistaat Bayern mittlerweile Sorgen darüber macht, dass das Copyright auf Adolf Hitlers “Mein Kampf”, das der Freistaat als “Erbe Hitlers” seit Jahrzehnten verwaltet und nutzt, um eine Publikation des Hitlerschen Kampfes zu verhinden, zum Ende des Jahres 2015 erlischt. Was tun?, so könnte man mit Lenin fragen, denn mit dem Ende des Copyrights drohen, so früchten die Hüter des Kampfgeheimnisses, wahre Veröffentlichungswellen: Buchmärkte und Verleger, so die Phantasie bei den Verantwortlichen, werden sich auf das einst Verbotene stürzen, es drucken, und die Massen werden es lesen, in sich hineinschlingen, nicht richtig verdauen und, nun, das Ergebnis ist klar: Ein Land voller armstreckender Schnauz-Bartträger und Amok laufender Gebährmaschinen. Angesichts dieser Drohung haben sich die Bayern zu einen mutigen Schritt entschieden, Sie und niemand sonst, werden “Mein Kampf” veröffentlichen, in einer Schulbuchversion, die mit verständlichen (!sic) Kommentaren von Wissenschaftlern bestückt ist und deren Ziel darin besteht, das Schreckenszenario, das sich in den Köpfen der Offiziellen eingenistet hat, zu verbannen.

Die Logik hinter dem eiligst auf den Markt zu bringenden kommentierten Schulbuch “Mein Kampf” ist wenig rühmlich: Man muss den Deutschen sagen, was sie zu denken haben, denn sonst denken sie das Falsche. Sie ist ein Schlag ins Gesicht des mündigen Bürgers, der von seinen Politikern gesagt bekommen muss, was richtig und was falsch ist. Diese Form der Entmündigung hat den Vorteil, dass die Deutungshoheit kollektiviert werden kann und sie hat den Vorteil, dass die individuelle Meinungsbildung weiter in Diskredit gebracht werden kann. Und ganz davon abgesehen hat sie den Vorteil, dass man geschichtliche Kontinuitäten unterschlagen kann, die manche derzeitige Politiken in einem doch sehr seltsamen Licht erscheinen lassen.

[1]Der deutsche Sonderweg ist nicht nur deshalb bedauerlich, weil Mehrkindfamilien so wie alle anderen Familien auch ein Garant für eine sozial und wirtschaftlich inakte Gesellschaft sind.

[2]Er [der Staat] hat mit jener faulen, ja verbrecherischen Gleichgültigkeit, mit der man heute die sozialen Voraussetzungen einer kinderreichen Familie behandelt, aufzuräumen und muss sich an Stelle dessen als oberster Schirmherr dieses köstlichen Segens eines Volkes fühlen. Seine Sorge gehört mehr dem Kinde als dem Erwachsenen.

[3]Deutschland braucht mehr Kinder in den Familien und mehr Familien in der Gesellschaft.

[4]Umgekehrt muss es als verwerflich gelten: gesunde Kinder der Nation vorzuenthalten. Der Staat muss als Wahrer einer … Zukunft auftreten, der gegenüber der Wunsch und die Eigensucht des einzelnen als nichts erscheinen und sich zu beugen haben.

[5]Insbesondere eine familienfreundliche Unternehmenskultur und der Ausbau der Kinderbetreuung spielen eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, die Rahmenbedingungen für Familien zu verbessern.

Zwei der fünf Zitate stammen aus “Mein Kampf” von Adolf Hitler, die restlichen drei Zitate entstammen bundesministerialen Veröffentlichungen aus den letzten fünf Jahren. Ich überlasse es den Lesern dieses Blogs, die  Zitate zuzuordnen.

Jenseits der Frage, welche beiden Zitate Adolf Hitler zu verantworten hat, ist die Feststellung interessant, dass Systeme oder Staaten, egal, welche ideologische Ausrichtung sie haben, ein gemeinsames Interesse daran zu haben scheinen, dass Individuen Nachwuchs produzieren – entweder zur Aufrechterhaltung der Sozialsysteme, wie es im Online Handbuch “Lokale Bündnisse für Familie”, das von der Universität Hannover im Auftrag des BMFSFJ zusammengestellt wurde, heißt oder als Kanonenfutter wie man nach Ende des tausend jährigen Reiches feststellen konnte. In jedem Fall richtet sich die Kinder-Rhetorik darauf, Kinder zum wichtigsten oder höchsten Gut zu stilisieren, das jeder sich zu wünschen hat (kaum eine Veröffentlichung des BMFSFJ zur Geburtenrate in Deutschland vergisst den Verweis darauf, dass eigentlich alle einen Kinderwunsch haben, sich den Wunsch aber, aufgrund ökonomischer oder sonstiger Widrigkeiten nicht erfüllen können). Und in jedem Fall ist der eigentliche Zweck, den “der Staat” mit dem Mehr an Bürgern verbindet, nicht der Zweck, den Kinderbesitzer mit ihren Kindern verbinden. In beiden Fällen ist es indes ein Verstoß gegen die Menschenwürde, wie sie z.B. Immanuel Kant beschrieben hat, denn beide Male werden Kinder als Zwecke missbraucht – ob im Krieg oder als Beitragszahler für die Sozialversicherung spielt hier keine Rolle.

Analogien wie die gerade hergestellte, zeigen wie wichtig es gewesen wäre, sich mit den Grundlagen dessen zu befassen, was den Nationalsozialismus ausgemacht hat, die Elemente offen zu legen, die als kulturelle Elemente die Zeiten überdauert haben und im Rahmen der Beziehung zwischen Staat und Bürger wiederkehren. Die Unterschiede sind marginal: Aus Volk wurde Gesellschaft, aus dem Volkskörper, der nach Nachwuchs ruft, sind die Sozialsysteme geworden, was unberührt geblieben ist, ist der Mythos, das Tabu, die Antwort auf die Frage, warum ist es schlecht, wenn Deutschlands Bevölkerung schrumpft? Wer diese Antwort sucht, wird kaum umhin können festzustellen, dass der alte Gedanke des gemeinsamen Blut-Bandes der Deutschen auch heute fortbesteht – oder: “Der Staatsbürger ist gegenüber dem Ausländer bevorrechtigt. Er ist der Herr des Reiches” – Auszug aus “Mein Kampf” oder nicht?

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