Soziale Manie oder: Was macht Stress mit Männern?

Eine Studie von der Universität Freiburg hat einen breiten Widerhall in der Öffentlichkeit gefunden und dies obwohl die Studie etwas über Männer aussagt, Männer, d.h.: Studenten bzw. letztlich “64 healthy males” aus Zürich. Dass die Studie, obwohl sie Männer zum Gegenstand hat, mediale Verbreitung gefunden hat, liegt vermutlich daran, dass die Studie einen Hinweis darauf gibt, wie als negativ warhgenommene Eigenschaften von Männern beseitigt werden können. Stress macht Männer sozialer, heißt es dann auch im Wissensmagazin von Springer. Identisch findet sich die Überschrift bei heilpraxisnet.de. Stress macht Männer freundlich, weiß Blick.ch der Freiburger Studie zu entnehmen und ergänzt: “Bisher galten Männer als aggressiv und unausstehlich. Eine neue Studie beweist das Gegenteil.” Praktische Tipps leitet Elke von Rekowski von den Computer Reseller News aus den Ergebnissen der Studie (, von denen sie allerdings keine Ahnung hat) ab:  “Stress” macht, wie sie meint, “Männer zahm” und sie empfiehlt: “Wer sich mehr Sozialverhalten von einem Mann wünscht, sollte ihn einfach ein wenig unter Stress setzen.” Der Sächsischen Zeitung ist “sozialer” nicht genug, deshalb Titelt das Dresdener SPD-Blatt: “Stress macht Männer <b>viel </b>sozialer”, und das Hamburger Abendblatt mag gar nicht erst einen Text veröffentlichen, in dem nur Männer vorkommen. Entsprechend wird der Studie, in der nun wirklich keine Frauen als Versuchspersonen vorkommen, auch noch ein Ergebnis mit Blick auf Frauen angedichtet: “Stress macht Männer sozialer – und Frauen freundlicher”. Na dann!

Sozial ist ein Wort, das F.A. von Hayek als Wieselwort bezeichnen würde. Es mag einmal einen Sinn gehabt haben, von “sozial” zu reden. Dieser Sinn ist aber seit langer Zeit und dadurch, dass “sozial” im Sinne von gut den verschiedensten Nomen als Attribut beigegeben wird, verschwunden: “soziale Gerechtigkeit”, “soziale Integration”, “soziale Sicherheit”, “soziale Demokratie”, “soziale Grundrechte”, “soziale Verantwortung”, “soziale Entwicklung”, “soziale Bedürfnisse”, “soziale Nachhaltigkeit”, “soziale Wertegemeinschaft”… Die Beispiele entstammen alle dem Hamburger Programm der SPD, in dem “sozial” in den unterschiedlichsten Verbindungen 254 Mal vorkommt, ohne dass auch nur an einer Stelle der Versuch unternommen würde, zu definieren, was unter “sozial” verstanden werden soll. Das wäre auch ein Versuch, der zum Scheitern verurteilt ist, wie man schnell merkt, wenn man versucht, eine gemeinsame Definition von “sozial” zu bewerkstelligen, die sich gleichermaßen mit Bedürfnissen, Nachhaltigkeit, Wertegemeinschaft, Integration, Grundrechte, Sicherheit, Verantwortung oder Entwicklung verbinden lässt.

Sozial, so weiß der Duden knapp und bündig, heißt: “Die menschliche Gesellschaft, Gemeinschaft betreffend” [was das wohl für die “soziale Nachhaltigkeit” bzw. die “soziale Wertegemeinschaft” bedeutet?]. Das philosophische Wörterbuch ist nicht gar so sparsam in seiner Bestimmung des Begriffs “sozial”: “sozial (von lat. socialis, ‘kameradschaftlich’, ‘gemeinschaftlich’), bezeichnet das Zwischenmenschliche, d.h. alles, was mit dem Zusammenleben von Menschen zusammenhängt, bes. also in den Bedeutungen: gesellschaftsbetreffend, gesellschafts- und gemeinschaftsbildend; Gegensatz: asozial (= gemeinschaftsschädigend)”. [Soziale Nachhaltigkeit wäre also: kameradschaftliche Nachhaltigkeit, soziale Integration kameradschaftliche Integration oder Nachhaltigkeit, die sich auf alles bezieht, das mit dem Zusammenleben von Menschen zusammenhängt oder Integration, die sich auf alles bezieht, das mit dem Zusammenleben von Menschen zusammenhängt]. Die Bedeutung von sozial ist durch die Definitionen zwar nicht viel klarer geworden, klar geworden ist dagegen, dass “sozial” etwas bezeichnet, was keiner so genau benennen, keiner so genau zu bezeichnen weiß, und von dem die meisten annehmen, dass es in irgendeiner Weise gut ist. Wer will sich schon als asozial bezeichnen lassen?

Worte wie sozial eignen sich perfekt dazu, die öffentliche Meinung zu manipulieren. Das Rezept dazu ist einfach: Man wirft das Adjektiv “sozial” in den Ring und lässt die affektiven Konnotationen, die sich bei den Zuhörern, Lesern oder wem auch immer bilden, sprießen und gedeihen. Alle sind glücklich, alle zufrieden, alle reden über etwas “Soziales” und alle eint die Illusion der geteilten Sprache und damit einhergehend die Illusion einer geteilten Wortbedeutung, die aufrecht erhalten werden kann, weil niemand kommt und fragt: Was meinst Du eigentlich mit “sozial”?

Supplement zum Beitrag von van Dawans et al. (2012).

Was meinen eigentlich die Forscher aus Freiburg, wenn sie von sozial sprechen? Ein Blick in ihre Studie zeigt, sie meinen damit “Vertrauen”, “Vertrauenswürdigkeit” und “Teilen”. Genauer haben die Forscher ihre 64 Probanden mit einem sequentiellen Spiel konfrontiert. Darin wurden die Probanden in eine Entscheidungssituation versetzt: Sie mussten sich entscheiden, ob sie einem Spielpartner, den sie nicht kennen, vertrauen oder nicht. Die Spielanordnung für das “Vetrauensspiel” ist in der Abbildung dargestellt. Für jede der vier angegebenen Varianten des Spiels musste sich der Proband entscheiden, ob er einem ihm nicht bekannten Spielpartner vertraut oder nicht. Wie die Abbildung zeigt, verbinden sich mit unterschiedlichen Entscheidungen unterschiedliche Gewinne. Entscheidet sich der Proband dafür, dem Spielpartner nicht zu vertrauen, hat er 14 (Euro oder was auch immer) sicher. Entscheidet er sich, dem Spielpartner zu vertrauen, dann läuft er Gefahr, leer auszugehen, nämlich dann, wenn sich der Spielpartner entscheidet, sich nicht vertrauenswürdig zu zeigen, ansonsten winken dem Probanden 30 (Euro oder was auch immer). Dagegen winken dem Spielpartner regelmäßig 60 Euro (oder was auch immer), wenn er den vertrauensseligen Mitspieler auflaufen lässt. Wie die Abbildung zeigt, unterscheiden sich die Varianten lediglich in der Höhe, nicht jedoch im Ablauf. Hinzu kommt, dass der Proband seine vier Entscheidungen darüber, ob er vertraut oder nicht, nacheinander treffen muss und erst nachdem er seine vier Entscheidungen getroffen hat, eine Rückmeldung von seinem Spielpartner erhält.

Was noch fehlt, ist der Stress. 34 Probanden wurden dadurch gestresst, dass sie einen 12 minütigen Vortrag vor Publikum und möglichst frei halten mussten. Im direkten Anschluss an diesen “Stress”, mussten sie die oben beschriebenen Spiele absolvieren. 33 Probanden spielten die Spiele ohne “Stress” und bilden entsprechend die Kontrollgruppe. Im Ergebnis zeigt sich, dass Probanden, die unter Stress gesetzt wurden, eine etwas höhere Wahrscheinlichkeit haben, zu vertrauen und zu teilen. Macht sie das nun sozialer? Zeigt das, dass Männer sich unter Stress sozialer verhalten als wenn sie nicht unter Stress gesetzt werden oder zeigt dieses Ergebnis, dass Stress die Fähigkeit, rational zu denken, reduziert bzw. beeinträchtigt?

Ich meine Letzteres. Wenn man mich oder Sie vor die Wahl stellt, wir können sicher 14 Euro einstecken, aus diesen 14 Euro können jedoch, wenn Sie und ich ein Risiko eingehen, 30 Euro werden, wie würden Sie und ich uns entscheiden, wären wir rationale Akteure? Rationale Akteure in der Spieltheorie finden sich regelmäßig im Nash-Equilibrium. Das ist der Punkt in einem Spiel, bei dem ich und Sie sich egal, wie sich unser Gegenspieler entscheidet, nicht verschlechtern können. Die einzige Entscheidung im oben dargestellten Spiel, bei der Sie und ich uns unabhängig davon, wie sich unser Gegenspieler entscheidet, nicht verschlechtern können, ist die Entscheidung nicht zu vertrauen und 14 Euro (oder was auch immer) einzustecken. Diese Entscheidung ist entsprechend die rationale Entscheidung, die Entscheidung, die man von einem rationalen und normalen Akteur erwarten würde. Jede andere Entscheidung ist irrational, denn die sichere Auszahlung von 14 Euro wird aufs Spiel gesetzt: wie im Roulette, wenn Sie oder ich alles auf “rot” setzen und es fällt “schwarz” bzw. unser Gegenspieler erweist sich als opportunistischer Schurke, nimmt seine 60 Euro und wir bleiben mit nichts zurück. Wir haben nicht einmal eine Chance, ihn dafür zu strafen, denn die Spiele, die wir spielen sind einmalige Spiele (one shot games), d.h. unser Gegenspieler kann uns in die Pfanne hauen, ohne dass es für ihn Konsequenzen hat und wenn Sie und ich uns in die Pfanne hauen lassen, dann kommen die Oberschlauen aus Freiburg, schlagen uns auf die Schulter und sagen, wir waren sozial.

Ich habe mich hier bewusst ein wenig von der wissenschaftlichen Sprache entfernt, um deutlich zu machen, dass die Freiburger Forscher nur dann “soziales Verhalten” gemessen haben, wenn sie “soziales Verhalten” als irrationales Verhalten definieren, das darin besteht, dass man sich auf Gedeih und Verderb in die Gewalt eines Gegenüber begibt. Was daran allerdings sozial sein soll, dass man sich zum bereitwilligen Opfer von Asozialität macht, ist mir nicht nachvollziehbar.

Was bedeutet das nun für die ganzen Feierlichkeiten, mit denen im Hamburger Abendblatt oder den Sächsischen Nachrichten die verspätete Aufnahme der Männer in den Club der Sozialen, also der Guten gefeiert wurde? Ich fürchte, die Feier muss verschoben werden, denn die Studie aus Freiburg hat nur gezeigt, dass Männer unter Stress eher irrationale Entscheidungen treffen, die nur dann etwas mit “sozial” zu tun haben, wenn man das sich auf Gedeih und Verderb einem anderen Ausliefern als sozial ansieht. Allerdings ist damit genau die (rechtliche) Situation beschrieben, in der sich die meisten Männer befinden, die irrational genug waren, ein Kind in die Welt zu setzen: Sie waren in dem Sinne “sozial” wie es die Forscher aus Freiburg und die politisch Korrekten von Ihnen erwarten, sie haben sich und ihr Einkommen auf Gedeih und Verderb ihrer Frau, dem Scheidungsrichter, dem Jugendamt und der Düsseldorfer Tabelle ausgeliefert. Soziales Verhalten ist – wie sich zeigt – in politisch korrekter Bestimmung  irrationales Verhalten.

Epilog

Dr. habil. Heike Diefenbach hat mich darauf hingewiesen, dass eine Stresssituation, die darin besteht, einen Vortrag vor Publikum zu halten, einen Frame des sich auf Andere Beziehens setzt, d.h. die entsprechenden Probanden sind im Gegensatz zu den nicht gestressten Probanden anderen gegenüber offener und begegnen Ihnen mit mehr Vertrauen. Entsprechend verwundert es nicht, wenn sie eher bereit sind, ihre 14 Euro (oder was auch immer) aufs Vertrauens-Spiel zu setzen. Dies hat jedoch immer noch nichts mit “sozialem Verhalten” zu tun, es ist und bleibt irrationales Verhalten.

van Dawans, Bernadette, Fischbacher, Urs, Krischbaum, Clemens, Fehr, Ernst & Heinrichs, Markus (2012). The Social Dimension of Stress Reactivity: Acute Stress Increases Prosocial Behavior in Humans.

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