Unsinn der Woche: Die Wahrscheinlichkeit, im Statistischen Bundesamt an Gehirn-Krebs zu sterben

Das Statistische Bundesamt hat am 31. Mai eine Pressmeldung  veröffentlicht, die die gewöhnliche, unhinterfragte Verbreitung in deutschen Medien, wie z.B. der Rheinischen Post und der Berliner Zeitung gefunden hat. Dem genderistisch, politisch-korrekten Betroffenheitskanon entsprechend, ist die Meldung des Statistischen Bundesamts mit “Immer mehr Frauen sterben an den Folgen des Rauchens” überschrieben. Aus Mangel an Manpower und Zeit hat man bei der Rheinischen Post den ersten Absatz der Pressemeldung des Statistischen Bundesamtes weitgehend komplett übernommen (mit einer interessanten Nuance, die ich der aufmerksamen Lektüre der Leser überlasse), während die Eigenleistung der Berliner Zeitungsjournalisten in der Feststellung besteht: “Besonders betroffen sind Frauen”. Die nun folgende Analyse wird zeigen, dass die ursprüngliche Pressemeldung des Statistischen Bundesamtes hart an einer Verfälschung von Daten entlangschrammt, dass die politisch korrekte Erweiterung der Berliner Zeitung “besonders betroffen sind Frauen” ein ausgemachter Unsinn ist und dass das Fälschen von Statistiken doch nicht so einfach ist, wie manche gerne behaupten.

Hier der erste Absatz der Pressemeldung des Statistischen Bundesamtes:

“Im Jahr 2010 starben 13 815 Frauen an Krebserkrankungen, die in einem engen Zusammenhang mit dem Konsum von Tabakprodukten gebracht werden können. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) zum Weltnichtrauchertag am 31. Mai 2012 mitteilt, waren dies rund 36% mehr als zehn Jahre zuvor. Der Frauenanteil an den insgesamt durch Erkrankungen wie Lungen-, Bronchial-, Kehlkopf- und Luftröhrenkrebs verursachten Todesfällen (44 457) des Jahres 2010 betrug rund 31%. Im Jahr 2001 lag der Anteil noch bei 25% von insgesamt 40 053 Gestorbenen. Im Vergleich zu Männern verlieren Frauen durch die genannten Krebsarten mehr Lebensjahre: Während Männer im Durchschnitt 2,9 Jahre früher starben, verkürzte sich das Leben der Frauen im Durchschnitt sogar um 10,5 Jahre.

Vorab ist festzustellen, dass das Leben von Frauen offensichtlich höher zu gewichten ist, als das Leben von Männern, denn Frauen verlieren sogar 10,5 Jahre an Lebenszeit, während Männer, wie man schließen muss: nur 2,9 Jahre verlieren. Allerdings muss man diese verkürzte Lebenszeit, die auf Aggregatebene berechnet wurde, mit ihrer Ausgangsbasis in Verbindung bringen: der durchschnittlichen Lebenserwartung. Die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt im Jahre 2010 77,51 Jahre für Männer und 82,59 Jahre für Frauen. Zieht man von beiden die verlorenen Lebensjahre ab, dann werden männliche Raucher durchschnittlich 74,61 Jahre und weibliche Raucher durchschnittlich 72,09 Jahre alt. Die Differenz beträgt entsprechend 2,52 Jahre und nicht 7,6 Jahre wie vom Statistischen Bundesamt suggieriert. Diese Differenz ist jedoch nur dann aussagekräftig, wenn man bereit ist, den Fehlschluss der Bejahung des Konsequens, den das Statistische Bundesamt in seiner Pressemeldung macht, mitzugehen. Zu Beginn der Pressemeldung ist sich der Verfasser der Meldung noch darüber im Klaren, dass die von ihm genannten Krebsarten nur in einem Zusammenhang mit Rauchen gebracht werden können, im Verlauf der Pressemeldung vergisst er dies und behauptet, einen direkten und kausalen Zusammenhang zwischen z.B. Lungenkrebs und dem Rauchen. Da es aber Patienten gibt, die an Lungenkrebs versterben ohne jemals eine Zigarette geraucht zu haben (aber dafür z.B. unter Tage gearbeitet haben) besteht die behauptete Äquivalenz zwischen Rauchen und Lungenkrebs nicht: Nicht jeder, der an Lungenkrebs verstorben ist, war ein Raucher.

Nun zu dem Zahlenwerk. Die Angaben des Statistischen Bundesamts sind recht bruchstückhaft. Der Pressemeldung kann man entnehmen, dass 2010 13 815 Frauen an Krebserkrankungen verstorben sind, die vom Statistischen Bundesamt mit Rauchen in Zusammenhang gebracht werden, dass 2010 insgesamt 44 457 Todesfälle durch die entsprechenden Krebserkrankungen zu verzeichnen waren, während es in 2001 noch 40 053 Todesfälle durch die entsprechenden Krebserkrankungen  waren. Die Anteile von Frauen an den Verstorbenen betrugen im Jahre 2010 31% und 2001 25%. In der folgenden Tabelle habe ich auf Grundlage dieser Angaben, die fehlenden Werte ergänzt und ein paar kleine Berechnungen durchgeführt, um die berichteten Zahlen in einen Zusammenhang zu stellen und natürlich um der z.B. im Gleichstellungsgesetz für Bundesverwaltungen geforderten Gleichbehandlung der Geschlechter zum Durchbruch zu verhelfen und gegen die Diskriminierung von Männern in Pressemitteilungen des Statistischen Bundesamtes vorzugehen. Die fettgesetzten Werte sind die Werte, die in der Pressemeldung des Statistischen Bundesamtes angegeben wurden, den Rest habe ich auf der Basis der genannten Zahlen berechnet.

2001 2010 2010-2001
N % N % N %
Krebstote 40053 44457  4404  11
Männer 30040 75 30642 69 602 2
Frauen 10013 25 13815 31 3802 38

Vor dem Hintergrund der in der Tabelle zusammengestellten Daten müsste die Pressemeldung, wäre sie nicht durch eine Fixierung auf weibliche Geschlechtsteile und Lungen beeinträchtigt, lauten: Im Vergleich der Jahre 2010 und 2001 (warum eigentlich 2010 und 2001, warum nicht 2010 und 2005 oder 2009? Wäre beim entsprechenden Vergleich die “Opferrolle” von Frauen nicht in gleicher Weise herausmanipulierbar gewesen?), im Vergleich also der Jahre 2010 und 2001 ist die Anzahl der Krebstoten, deren Ableben mit “Rauchen” in Zusammenhang stehen könnte, um 11% (4.404) gestiegen. Die Steigerung bei weiblichen Krebstoten ist dabei mit 38% (3.802) höher ausgefallen als die Steigerung bei männlichen Krebstoten mit 2% (602). Nach wie vor ist die Anzahl der Männer, für die eine Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie aufgrund ihres Zigarettenkonsums vorzeitig sterben mit 30.642 Toten um das 2,2fache höher als die entsprechende Anzahl wahrscheinlich krebsbedingter Sterbefälle bei Frauen (13.815).

Nun zurück zur Pressemeldung und dem, was in der der Berliner Zeitung daraus geworden ist: “Noch immer greift knapp jeder dritte Erwachsene regelmäßig zur Zigarette. Besonders betroffen sind Frauen, seit 2001 steigt die Zahl der Todesfälle um 36% an”. Wie man der Tabelle entnehmen kann, ist es blanker Unsinn zu behaupten, Frauen seien besonders vom rauchenden Krebstod betroffen. Dies ist nicht der Fall, zum einen deshalb nicht, weil 30.642 tote Männer mehr sind als 13.815 tote Frauen, zum anderen weil es nach wie vor ein Fehlschluss ist, zu denken, dass jeder an z.B. Lungenkrebs Verstorbene ein Opfer seiner glimmenden Sargnägel geworden ist (,die er im übrigen freiwillig konsumiert). Zudem sind Frauen nicht “besonders betroffen”, weil die Krebsarten, die das Statistischen Bundesamt berücksichtigt hat, mit nichten die häufigsten Krebsarten darstellen, an denen Männer oder Frauen versterben, wie die folgende Abbildung zeigt.

Robert Koch Institut (2012), S.13

Wie man der Abbildung entnehmen kann, sind von Lungenkrebs, Kehlkopf- oder Luftröhrenkrebs nicht “vor allem” Frauen, sondern “vor allem” Männer betroffen. Nur bei Männern spielt Lungenkrebs, im Vergleich zu den anderen Varianten, an Krebs zu versterben, die herausragende Rolle, die in der Pressemeldung des Statistischen Bundesamtes behauptet wird. Wichtiger als Kehlkopfkrebs oder Krebs der Luft-/Speiseröhre sind indes Darmkrebs, Prostatakrebs, Krebs an der Bauchspeicheldrüse, Magenkrebs, Leberkrebs und Leukämien bei Männern. Für Frauen gilt, dass die häufigste Todesform durch Krebserkrankung Krebs der Brustdrüse ist, gefolgt von Darmkrebs und Lungenkrebs. Und nahezu alle sonstigen Krebserkrankungen sind als Todesursache für Frauen relevanter als Kehlkopfkrebs oder Krebs der Luft-/Speichelröhre.

Das Beispiel zeigt deutlich, was dabei herauskommt, wenn man anlässlich des Weltnichtrauchertages (wer erfindet eigentlich einen solchen Unsinn und wer profitiert davon finanziell?) eine politisch korrekte Pressemeldung veröffentlichen will, die an der richtigen Stelle den Zeigefinger hebt und zudem dem genderistisch, politisch-korrekten Betroffenheitskanon entspricht: Blanker Unsinn auf der einen Seite, und eine Verharmlosung der Krebsarten, die für Männer wie für Frauen mit erheblichen Mortalitäten verbunden sind, auf der anderen Seite. Wieder einmal zeigt sich, dass politische Korrektheit mit der Realität nicht viel zu tun hat, wieder zeigt sich, dass von politischer Korrektheit ein konkreter Schaden ausgeht, wieder zeigt sich, dass politische Korrektheit nur durchzuhalten ist, wenn man gewillt ist, logische Fehler zu machen, wieder zeigt sich, dass entgegen allen anders lautenden Überzeugungen, das Fälschen von Statistiken doch nicht so einfach ist, wie von manchen angenommen, und leider zeigt sich auch einmal mehr, dass Journalisten ihre Hauptaufgabe darin zu sehen scheinen, Pressemeldungen entweder unkritisch zu übernehmen oder durch eine politisch-korrekte Eigen”leistung” noch weiter von der Realität zu entfernen als sie es eh schon ist.

Robert Koch Institut (2012). Krebs in Deutschland 2007/2008. Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Berlin: Robert Koch Institut.

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