Die Gegner der Meinungsfreiheit: autoritär, emotional, kollektivistisch und weiblich

Es gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen der US-Verfassung und dem deutschen Grundgesetz, nicht nur dann, wenn es um die Meinungsfreiheit geht, aber dann insbesondere. Amendment 1 der US-Constitution lautet kurz und bündig:

“Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof, or abridging the freedom of speech, or of the press; or the right of the people peaceably to assemble, and to petition the Government for a redress of grievances”.

Dem US-amerikanischen Gesetzgeber ist es somit untersagt, die Religions-, die Meinungsfreiheit, die Pressefreiheit oder die Versammlungsfreiheit einzuschränken. Die Meinungsfreiheit und alle anderen genannten Freiheiten sind in den USA sakrosankt, kein Gesetzgeber kann sie einschränken, hat über sie zu befinden, zu entscheiden, welche Meinungen ihm gerade passen bzw. welche er lieber nicht zulassen will. Auf diese Weise haben die Väter der US Constitution versucht, das aus ihrer Sicht höchste Gut der individuellen Freiheit, wie es sich in u.a. der Meinungsfreiheit ausdrückt, vor staatlicher Einflussnahme und Gängelung zu schützen. Damit nimmt die US-Constitution explizit in Kauf, dass so genannte Hassredner, Holocaust-Leugner, Rassisten, Abtreibungsgegener oder religiöse Eiferer in der Öffentlichkeit ihre Inhalte verbreiten. Das Gut der Meinungsfreiheit, so hat z.B. Bollinger (1986) argumentiert, sei wichtiger als der individuelle Schutz derer, die von Hassreden betroffen sind. Toleranz für z.B. Verbal-Extremisten, religiöse Eiferer und Holocaust-Leugner mache eine Gesellschaft stark, und Meiklejohn hat bereits 1948 (und somit im Angesicht des aufkommenden McCarthyism) festgestellt, dass es ohne Meinungsfreiheit für alle keine freie Gesellschaft geben kann.

Wie anders die Welt doch in Deutschland ist, zeigt bereits ein Blick auf Artikel 5 des Grundgesetzes, der lautet:

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film sind gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

Meinungsfreiheit gibt es in Deutschland also nicht unbedingt, sondern nur unter Bedingungen. Gesetze regeln, was als Meinungsfreiheit zu gelten hat, die Zensur von Film und Rundfunkt findet als freiwillige Selbstkontrolle statt, die Presse unterhält ihren Presserat zur Durchsetzung der richtigen Berichterstattung, und Gesetze verbieten die Verbreitung bestimmter Inhalte in “allgemein zugängliche Quellen”. Kurz: Meinungsfreiheit und die anderen in Artikel 5 genannten Freiheiten, sind keine Freiheiten, die das Individuum in Deutschland hat, es sind Freiheiten, die dem Individuum von seinem Staat gewährt werden und die jederzeit eingeschränkt werden können.

Das ist ein erheblicher Unterschied zur Verfassung der USA, der sich u.a. darin niederschlägt, dass in Deutschland politische Kontroversen häufig mit dem Ruf nach einer Zensur der missliebigen Meinung geführt werden. Rechte wollen “Linksextremisten” die Meinungsfreiheit untersagen, Linke wollen “Rechtsextremisten” die Meinungsfreiheit untersagen, Feministen versuchen, die Meinungsfreiheit für Mitglieder der Männerbewegung einzuschränken, in dem sie die Männerbewegung in die rechte Ecke rücken usw. Kurz: Die Meinungsfreiheit ist zum Einsatz geworden, um den sich Interessenvertreter balgen. Jeder versucht, sich einen Vorteil zu verschaffen, in dem er dem anderen den Mund verbietet. Es ist passiert, was die Väter der US Constitution vorhergesehen haben und was, wie Daniel M. Downs und Gloria Cowan (2012) schreiben, jeder vernünftige Mensch vorhersehen muss, nämlich dass dann, wenn man die Meinungsfreiheit einschränkt, langfristig gesellschaftlicher Schaden entsteht, dass langfristig eine frei Gesellschaft nicht möglich ist, schon weil diejenigen, die heute z.B. X den Mund verbieten, morgen nicht mehr an der Macht sein können und sich ihrerseits einem Meinungsverbot ausgesetzt sehen können. Dieser einfache Zusammenhang sollte z.B. Sozialdemokraten, deren Meinung im Dritten Reicht nicht die Freiheit öffentlicher Äußerung gewährt wurde, bekannt sein.

Dennoch kehren die Rufe danach, dem politischen Gegner den Mund zu verbieten, regelmäßig wieder, zuletzt im Zusammenhang mit Anders Breivig. Fast scheint es, als herrschte Angst vor der Meinung anderer, als siegte die Emotion, dass etwas gesagt wird, was einem nicht passt, über die Vernunft, die zu der Einsicht führt, dass wenn ich A den Mund verbiete, weil er etwas sagt, was mir nicht passt, es passieren kann, dass mir A den Mund verbietet, weil ich etwas sage, was ihm nicht passt. Dieses Grunddilemma beschreibt das Problem, das Daniel M. Downs und Gloria Cowan zum Ausgangspunkt einer Untersuchung genommen haben, die demnächst im Journal of Applied Social Psychology erscheinen wird. Wer ist bereit, eine Einschränkung der Meinungsfreiheit hinzunehmen? Wem ist es wichtiger, Hassreden zu unterbinden? Wer opfert die Meinungsfreiheit, weil ihm die eigenen Emotionen, angesichts von Hassreden wichtiger sind, als eine vernünftige Erwägung des Schadens, den ein Verbot von Hassreden dem Gut der Meinungsfreiheit zufügt? Diese Fragen finden bei Downs und Cowan und auf Basis einer quantitativen Untersuchung, an der 210 Studenten der California State University im Alter von 18 bis 58 Jahren teilgenommen haben.

Auf der Suche nach den Antworten auf die gestellten Fragen, haben die Autoren die theoretische Landschaft minutiös durchsucht und eine Reihe aussichstreicher Kandidaten zu Tage befördert, von denen angenommen werden kann, dass sie einen Hinweis auf die Beantwortung der untersuchten Fragen geben. Die meisten der Kandidaten wurden über Messinstrumente erhoben, die in der Sozialpsychologie über eine lange Tradition verfügen, darunter z.B. die Individualism-Collectivism-Scale, das Revised NEO Personality Inventory, die Attitudes Towards Thinking and Learning Scale oder die Right-Wing Authoritarianism Scale. Für alle Skalen ergeben Relibilitätstests einen guten bzw. sehr guten Wert für Cronbach’s Alpha, so dass davon ausgegangen werden kann, dass die einzelnen Skalen nicht nur das messen, was sie messen sollen, sondern dass die entsprechende Messungen auch wiederholbar sind. Die im Folgenden berichteten Ergebnisse basieren auf Korrelations- und Regressionsanalysen, denen ein recht klares Bild darüber, wer nicht bereit ist, Meinungsfreiheit zu opfern und wer dazu bereit ist, entnommen werden kann:

  • Personen, die unter keinen Umständen bereit sind, die Meinungsfreiheit einzuschränken, können wie folgt beschrieben werden:
    • Sie sind Individualisten, d.h. sie gewichten die eigene Person höher als die Zugehörigkeit zu einem Kollektiv;
    • Sie sind in der Lage, analytisch zu denken, separate knowing, wie Downs und Cowan das nennen: “Separate knowing, a form of intellect (i.e., critical thinking), requires one to be impersonal and to void feelings and emotions in the service of objectivity. … separate thinkers may be able to perceive the long-term benefits of freedom of speech and separate themselves from an emotional approach that emphasizes the immediate harm to an individual” (1357);
    • Sie ordnen sich keiner Autorität unter, grenzen sich nicht aggressiv gegen andere Gruppen (Migranten oder Männer) ab und hängen keinen traditionellen Normen an
    • Sie sind mehrheitlich männlich;
  • Personen, die bereit sind, die Meinungsfreiheit zu opfern, um Hassreden, die ihnen nicht gefallen, zu unterbinden, können darüber hinaus wie folgt beschrieben werden:
    • Sie bezeichnen sich selbst als eher liberal;
    • Sie sind mehrheitlich weiblich, und Gleichheit ist ihnen wichtiger als Freiheit;

Was Downs und Cowan in ihren Ergebnisse beschreiben, ist ein Persönlichkeitssyndrom, das man dahingehend zusammenfassen kann, dass die Gegner von Meinungsfreiheit autoritärer Führung bedürfen, um zu wissen, wo sie hingehören. Entsprechend fühlen sie sich in Kollektiven wohl, die Zugehörigkeit zu “etwas” ist ihnen wichtiger als die eigene Freiheit, die eigene Individualität, weshalb sie Freiheit auf dem Altar der Gleichheit zu opfern bereit sind. Sie sind des analytischen oder kritischen Denkens entweder nicht willens oder nicht dazu fähig und opfern die rationalen Erkenntnisse einer kurzfritigen Emotion, und sie sind in der Mehrzahl weiblich.

Dieses Syndrom ist nicht neu, es wurde bereits von Max Horkheimer in seinen theoretischen Entwürfen über die Autorität in der Familie beschrieben:„In doppelter Weise stärkt die familiale Rolle der Frau die Autorität des Bestehenden. Als abhängig von der Stellung und vom Verdienst des Mannes ist sie darauf angewiesen, dass der Hausvater sich den Verhältnissen fügt, unter keinen Umständen sich gegen die herrschende Gewalt auflehnt, sondern alles aufbietet, um in der Gegenwart vorwärts zu kommen. Ein tiefes ökonomisches, ja physiologisches Interesse verbindet die Frau mit dem Ehrgeiz des Mannes, vor allem ist es ihr jedoch um die eigene ökonomische Sicherheit und die ihrer Kinder zu tun. Die Einführung des Wahlrechts der Frau hat auch in den Staaten, wo eine Stärkung der Arbeitergruppen erwartet wurde, den konservativen Mächten Gewinn gebracht“ (Horkheimer, 1987, S.59).

Es ist eben dieses Syndrom, das sich im Staatsfeminismus wiederfindet, in dem durch schulische Indoktrination versucht wird, als falsch bewerteten Einstellungen und Verhaltensweisen wie z.B. einem Machogehabe entgegen zu wirken und in dem so großer Wert auf das politisch Korrekte und somit die Unterdrückung dessen, was als politisch nicht korrekt angesehen wird, also auf die Unterdrückung der Meinungsfreiheit gelegt wird. Es ist dieses Syndrom, das Dr. habil. Heike Diefenbach im dritten Teil ihrer Darstellung zum Patriarchat über den Staatsfeminismus beschrieben hat. Staatsfeminismus und die Unterdrückung von Meinungsfreiheit gehen derzeit Hand in Hand und wenn man sich die Unterschiede zwischen der US Constitution und der deutschen Verfassung, die oben berichtet wurden, in Erinnerung ruft, dann scheinen sich Staatsfeministen und Meinungsfreiheitseinschränker in Deutschland gesucht und gefunden zu haben.

Literatur

Downs, Daniel M. & Cowan, Gloria (2012). Predicting the Importance of Freedom of Speech and the Perceived Harm of Hate Speech. Journal of Applied Social Psychology 42(6): 1353-1375.

Bollinger, Lee C. (1986). The Tolerant Society: Freedom of Speech and Extremist Speech in America. New York: Oxford University Press.

Horkheimer, Max (1987 [1936]). Theoretische Entwürfe über Autorität und Familie. Allgemeiner Teil. In: Horkheimer, Max, Fromm, Erich & Marcuse, Herbert (Hrsg.): Studien über Autorität und Familie. Forschungsberichte aus dem Institut für Sozialforschung. Lüneburg: Dietrich zu Klampen Verlag, S. 3-76.

Meiklejohn, Alexander (1948). Free Speech and Its Relation to Self-Government. New York: Harper & Brothers.

Bildnachweis:
PI-News
ozpolitic
The Fireside Post

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