Reiz der Unfreiheit

Landgericht Köln

In den letzten Tagen hat ein Urteil des Landgerichts Köln, für das der stellvertretende Vorsitzende Richter am Landgericht Beenken verantwortlich zeichnet, einige Furore gemacht. Gegenstand des Urteils ist die Beschneidung eines vierjährigen Jungen “islamischen Glauben[s]” (4) wie es im Urteil heißt. Das Urteil wird von den einen, wie z.B. Arne Hoffmann, als Bestätigung ihrer Ansicht, dass die Beschneidung von Jungen den Straftatbestand der Körperverletzung erfüllt, angesehen, andere Männerrechtler wie Manndat sehen darin eine längst fällige Garantie der körperlichen Unversehrtheit von Jungen. Insgesamt sehen sich Vertreter der deutschen Männerbewegung durch das Urteil des Landgerichts Köln also bestätigt. Demgegenüber ist Michael Bongardt, katholischer Theologe und Philosoph an der FU Berlin, der Ansicht, das Kölner Urteil fördere mit Sicherheit nicht den gesellschaftlichen Frieden, der Präsident des Verbandes Europäischer Rabbiner, Pinchas Goldschmid, sieht in dem Urteil eine der schwersten Attacken auf das jüdische Leben in Europa und den Fortbestand des Judentums in Deutschland in Frage gestellt, und wie immer, wenn es etwas im Leben anderer zu regeln gibt, hat sich die Bundesregierung mit einem Gesetzesvorhaben, das die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen erlaubt, zu Wort gemeldet.

Es ist auf der einen Seite erstaunlich, dass es noch etwas gibt, was Männer in Deutschland zu erregen vermag, auf der anderen Seite ist es fraglich, ob die Vorhaut kleiner Jungen tatsächlich geeignet ist, um als Widerstandssymbol einer Männerbewegung und Fanal gegen den Staatsfeminismus zu taugen. Aus meiner Sicht ist das Kölner Urteil bedenklich, und zwar in dreierlei Hinsicht: (1) es hat den Weg frei gemacht, für eine weitere Beschneidung individueller Freiheit, (2) es hat deutlich gemacht, dass es zwischen dem Staatsfeminismus und der Männerbewegung eine Reihe von Überschneidungen gibt und (3) es hat davon abgelenkt, dass die Probleme, die Männer in der deutschen Gesellschaft haben, nichts mit dem Vorhandensein oder dem nicht-Vorhandensein einer Vorhaut zu tun haben.

Bevor ich die drei Punkte im Einzelnen bespreche, will ich das Urteil des Landgerichts Köln etwas genauer darstellen, denn  – wie bereits der von mir sehr geschätzte Thomas Hobbes festgestellt hat, es ist immer besser, sich ein eigenes Bild zu machen, als dem rosaroten (das ist von mir) Gemälde anderer zu vertrauen. Ich habe in meiner Zeit als Gerichtsreporter u.a. am Landgericht Leipzig viele Urteile gesehen und gelesen (eine wissenschaftliche Studie und ein wissenschaftlicher Artikel aus dieser Zeit stehen demnächst im Downloadbereich zur Verfügung). Ich nehme mir vor diesem Hintergrund das Recht, die Qualität des Urteils aus Köln zu beurteilen. Verglichen mit dem Standard, den ich aus den Urteilen eines VRiLG Viro Schultz oder eines VRilG Jens Kaden, beide nach wie vor am Landgericht Leipzig tätig, gewöhnt bin, ist das Urteil  aus Köln kein gutes Urteil, es ist, wie ich nunmehr zeigen werde ein widersprüchliches und in seiner rechtlichen Würdigung absurdes Urteil.

Der Tatbestand, den der stellvertretende VRiLG Beenken und seine beiden Schöffen aus dem Postdienst zu beurteilen hatten, ist schnell erzählt. Ein Arzt hat eine Beschneidung an einem Vierjährigen durchgeführt. Er hat dies mit dem Einverständnis der Eltern gemacht und ist vom Amtsgericht Köln vom Vorwurf der Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs freigesprochen worden. Am Landgericht  Köln hat dieses Urteil des Amtsgerichts Bestand, denn: “Der Angeklagte war aus rechtlichen Gründen freizusprechen”. Die rechtlichen Gründe, die nunmehr angeführt werden, lassen unbedarfte Leser an der geistigen Verfassung von Juristen zweifeln und können wie folgt zusammengefasst werden. Bevor VRiLG Beenken in seiner Urteilsbegründung festgestellt hat, dass die Beschneidung von Jungen eine Körperverletzung darstellt (worum ihn übrigens niemand gebeten hat), war die Rechtslage nicht eindeutig. Weil die Rechtslage vor dem Urteil nicht eindeutig war, konnte der angeklagte Arzt nicht wissen, dass er sich strafbar macht, wenn er eine Beschneidung durchführt. Da er zudem keinen Behandlungsfehler gemacht hat und im Einverständnis der Eltern gehandelt hat, befand er sich in einem “unvermeidbaren Verbotsirrtum und damit ohne Schuld” (8). Es ist immer gut zu wissen, dass man sich nicht strafbar macht, wenn man gegen Gesetze verstößt, die es noch nicht gibt – oder? Nun gut, seit dem Urteil von VRilG Beenken soll nun also die Beschneidung von Jungen strafbar sein. Warum? Hier die Gründe:

Dem Recht der Eltern, die die Beschneidung aus religiösen Gründen gewünscht haben, kommt nach Ansicht von Richter Beenken kein Vorrang vor dem Recht des Kindes auf körperliche Unversertheit und Selbstbestimmung zu (5), wenngleich VRiLG Beenken trotz aller Rechte auf Selbstbestimmung von Kindern einräumen muss, dass ein Vierjähriger “mangels hinreichender Verstandesreife” keine Einwilligung zu seiner eigenen Beschneidung geben könne. Gar so weit ist es mit der Selbstbestimmung also doch nicht her.

Der zentrale Satz zur Begründung findet sich jedoch auf Seite 7 des Urteils. Dort heißt es: “Zudem wird der Körper des Kindes durch die Beschneidung dauerhaft und irreparabel verändert. Diese Veränderung läuft dem Interesse des Kindes später selbst über seine Religionszugehörigkeit entscheiden zu können zuwider”. Einmal beschnitten, immer muslimisch oder jüdisch?

Mir scheint, VRiLG Beenken ist mit dem letzten Satz  über das Ziel hinausgeschossen, und nicht nur mit diesem. Einmal davon abgesehen, dass die Beschneidung von Jungen z.B. im Koran überhaupt nicht vorkommt, ist es eine eher fragwürdige Ansicht, dass eine fehlende Vorhaut Jungen dauerhaft an eine Religion binden würde. Ich wette, auch beschnittene Jungen haben sich bereits von ihrer Zugehörigkeit zum Judentum oder zum Islam gelöst. Warum auch nicht? Die Ansicht, durch den Verlust der Vorhaut seien Jungen auf Gedeih und Verderb an die beschneidende Religion gekettet, ist einfach und schlicht blanker Unsinn. Und wie soll man ein Urteil ernstnehmen, das auf derartigem Unsinn aufbaut? Wie soll man einen Richter ernstnehmen, der auf Seite 5 die Selbstbestimmung von Kindern über die Grundrechte der Eltern stellt und eine Seite weiter feststellt, dass vierjährige noch keine “hinreichende Verstandesreife” haben, um selbstbestimmt zu handeln? Ist diese Urteil ein Witz oder ein Versuch, das “stellvertretend” vor dem VRiLG entfernt zu bekommen?

Wie dem auch sei, dieses Urteil ist kaum geeignet, um darauf die Hoffnungen der Männerbewegung zu bauen. Und dies bringt mich zu den drei Punkten, um deren Willen ich die Rezeption dieses Urteils in der Männerbewegung für bedenklich halte:

Beschneidung individueller Freiheit

Es ist nicht allzulange her, dass Nigel Farage auf diesem Blog die Strategie beklagt hat, negative Rechte (alles, was nicht verboten ist, ist erlaubt) durch positive Rechte zu ersetzen (alles, was nicht erlaubt ist, ist verboten). Er hat dies im Hinblick auf die EU und die sich ausbreitende totale europäische Bürokratie getan. Tenor dieser Aussage ist die Einschränkung individueller Freiheiten durch Bürokratien und der damit einhergehende regelnde Eingriff von Bürokratien in private Leben. Und wie einfach es ist, individuelle Freiheiten zu entziehen, zeigt sich am Beispiel des Beschneidungsurteils. Etwas wird als schädlich deklariert und unter einen hehren Wert, z.B. die körperliche Unversertheit gestellt. Dann wird ein Präzendensfall geschaffen, z.B. durch das Landgericht, und dann wird geregelt. Und die einstig vorhandene religiöse Freiheit gibt es ab sofort nur noch auf Gnaden der Regierung. Religiöse Freiheit ist bedingte Freiheit geworden, von Staatsgnaden. Bedrückend dabei ist, dass die Einschränkung individueller Rechte von vielen so willig mitgetragen wird. So finden die selben Männerrechtler, die zu Recht auf die Barrikaden gehen, wenn der Staatsfeminsimus neue Rechte für Frauen, z.B. durch Quoten festsetzen und dabei eben einmal die unternehmerische Freiheit einschränken will, nichts dabei, den selben Staat, der für den Staatsfeminismus verantwortlich ist, zu bemühen, um das “Unrecht” der Beschneidung von kleinen Jungen mit seiner Hilfe und unter dem Kollateralschaden religiöser Freiheit zu beseitigen und damit dem regulierenden Eingriff, auch wenn er letztlich dem eigenen Ansinnen zuwider läuft den Weg zu bereiten.

Scheinbar hat Unfreiheit einen Reiz. Scheinbar macht es unglaublich zufrieden, wenn man das Verhalten anderer regulieren, beschränken, unfrei machen kann, und alles wegen ein paar Zentimetern Vorhaut. Wegen diesen wenigen Zentimetern wird eben einmal die Selbstbestimmung von Kindern über die Selbstbestimmung von Eltern gestellt und weil Kinder noch “keine hinreichende Verstandesreife” haben, wird ihre Selbstbestimmung eben einmal vom Staat wahr genommen. Wie wollen diejenigen, die so bereitwillig über individuelle Freiheiten hinweggehen, die gierige Hand des Staates stoppen, wenn irgend ein Gutmensch bedindet, dass das Füttern von Kindern mit Schokoladenriegeln ob der drohenden adipösen körperlichen Entwicklung einen langfristigen, wenn nicht irreparablen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit von Kindern darstellt? Wie wollen die entsprechenden Gutmenschen es verhindert, dass Mama Staat sich daran macht, allen Eltern, die nicht nach Schema F erziehen und ihre Kinder z.B. in der Schule an keinem anti-Vergewaltigungskurs teilnehmen lassen wollen, unter der Behauptung, die Selbstbestimmung der Kinder gehe über die Grundrechte der Eltern, das Sorgerecht entzieht? Warum sind es immer diejenigen, die das “wehret den Anfängen” als tägliche Litanei mit sich herumtragen, die die Anfänge erst erkennen, wenn sie im Endstadium angekommen sind?

Überschneidungen zwischen Staatsfeminismus und Männerbewegung

Das wichtigste Mittel zur Durchsetzung ihrer Interessen, dessen sich Staatsfeministen bedienen, ist die moralische Hoheit, die an bestimmten “Werten” ausgerichtet ist, wobei sich die Werte alle dadurch auszeichnen, dass sie Eingriffe in die Freiheiten anderer rechtfertigen. Wenn Staatsfeministen Unternehmen untersagen, ausschließlich Männer einzustellen, wenn sie in Schulen dafür streiten, dass Jungen, die den Ruch traditioneller Männlichkeit verbreiten, ausgesonderschult werden und wenn sie ganz offen versuchen, die Gesellschaft nach ihren Interessen umzugestalten und alles Männliche aus dem öffentlichen Leben zu entfernen, dann haben sie offensichtlich dieselbe Lust am Eingriff in das Leben anderer, das nunmehr die Männerbewegung im Hinblick auf die Beschneidung von Jungen gepackt zu haben scheint. Das ist mehr als bedauerlich. Es ist besonders bedauerlich, weil religiöse Minderheiten für die Männerbewegung offensichtlich dieselbe Rolle zur Befriedigung spielen, die Männern im Staatsfeminismus zugedacht ist, ihnen darf ohne weiteres Selbstbestimmung und religiöse Freiheit abgesprochen werden und nicht einmal der grundrechtliche Schutz von Ehe und Familie macht hier einen Unterschied.

Männer haben erhebliche Probleme in Deutschland, die Vorhaut gehört meist nicht dazu

Männer leben kürzer als Frauen. Männer zahlen mehr Beiträge in die Rentenversicherung als Frauen, aber entnehmen deutlich weniger Beiträge. Männer sind in der Werbung Freiwild, der Beleidigung und Entwürdigung sind keine Grenzen gesetzt. Männer als Scheidungsopfer sind die neuen sozialen Outlaws. Obdachlosigkeit ist ein männliches Problem. Männer begehen deutlich häufiger Suizid als Frauen. Jungen werden in deutschen Schulen benachteiligt und und und. Will mir wirklich jemand weiß machen, die Männerbewegung müsse sich intensiv um die Beschneidung von Jungen kümmern? Für mich ist diese Fixierung auf Geschlechtsteile, deren Inszenierung anhand eines Eingriffs, der weitgehend harmlos ist und über dessen negative Folgen es so wichtige Sätze wie die folgenden zu formulieren gibt, einfach nur unsäglich: “Es gibt zahlreiche Untersuchungen, die belegen, dass auch Jungenbeschneidung negative Auswirkungen auf die Sexualität hat. Eine [ungenannte] Studie aus dem Jahr 2007 belegt, dass bei einer Beschneidung die fünf sensitivsten Stellen des männlichen Penis entfernt und damit das Empfindungsvermögen wesentlich eingeschränkt wird”. Aber: “Männer, die bereits als Kinder beschnitten wurden und ihre Sexualität nie anders kennengelernt haben – und dies ist die überwältigende Mehrheit der Beschnittenen – können dies selbstverständlich kaum beurteilen”. Wie besser als mit diesem Beleg eines entfesselten und irrationalen Paternalismus könnte dieser Beitrag enden: Wir wissen besser, was für dich gut ist als du selbst. Zu schade, dass derartige Belege die Männerbewegung auf die Ebene stellen, auf der sich der Staatsfeminismus bereits befindet.

Manchmal ist es schwierig konstruktiv zu sein, um aber dennoch diesen Beitrag konstruktiv zu beenden, hier zwei abschließende Ideen um die aufgestaute Spannung abzulassen: Frau Dr. habil. Heike Diefenbach schlägt vor, eine beliebige Stiftung mit der Durchführung einer Expertise zu beauftragen, deren Ziel darin besteht, Erfahrungsberichte von Frauen aus binationalen Ehen und Partnerschaften mit Arabern oder Afrikanern zu sammeln und auf Basis dieser Erfahrungsberichte die “Qualität der Sexualität” zu bestimmen. In einem zweiten Schritt könnte zudem ein Vergleich mit deutschen Partnerschaften erfolgen, um Richtung und Ausmaß im Qualitätsgefälle zu erfassen. Ich schlage vor, Beschneidungsopfer auf einer Skala von 0 bis 100 die Intensität ihrer sexuellen Erfahrung bestimmen zu lassen und mit nicht-Beschneidungsopfern zu vergleichen. Wenn meine Erfahrung als (aus medizinischen Gründen) Beschnittener verallgemeinerungsfähig ist, wird das Ergebnis aus der  Skala fallen, und auch wenn mir Meike Beier und Mario Lichtenheldt in ihrer Stellungnahme für Manndat bestätigen, (a) ein eingeschränktes Empfindungsvermögen zu haben und (b) mein Empfindungsvermögen gar nicht beurteilen zu können, so muss ich hier feststellen: 100: I couldn’t stand more ….

Bildnachweis:
Examiner
In Defense of the Constitution

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