Getroffene Hunde bellen – aber beißen Sie auch?
Vor einiger Zeit habe ich einen Beitrag zum Thema “Soziologie als Grundrecht” veröffentlicht, in dem ich die Entscheidung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) kritisert habe, den Fachbereichen der Soziologie zu empfehlen, nicht mehr am CHE-Ranking der ZEIT teilzunehmen. Ich habe dies anlässlich eines Beitrags von Dr. Stefan Lessenich, getan, den der Jenaer “Professor” im Namen der DGS und in der ZEIT veröffentlicht hat und in dem er die Entscheidung der DGS, nun ja, sagen wir: zu begründen versucht. Wie ich in meinem Beitrag gezeigt habe, ist diese Begründung hilflos, die Prämissen, auf denen sie aufbaut, sind unbegründete ideologische Überzeugungen.
Der Beitrag ist nun schon einige Tage alt und ich hatte ihn fast vergessen, wäre ich nicht heute auf eine Reihe von Zugriffen auf sciecnefiles aufmerksam geworden, die www.stephan-lessenich.de zum Ausgangspunkt haben. Da ich ein neugieriger Mensch bin, habe ich mich auf der Homepage von Stephan Lessenich, die unter den Fittichen und somit in rechtlicher Verantwortung der Universität Jena geführt wird, eingefunden, um zu lesen, was dort über sciencefiles geschrieben steht. Und: Es ist tatsächlich noch möglich, mich zu schockieren, wie ich seit heute weiß. Nochmals vorweg: Der Mann gibt vor Wissenschaftler zu sein. Er besetzt einen Lehrstuhl. Er lehrt Studenten, vermutlich behauptet er, er vermittelt Wissen, das seinen Studenten in deren weiteren Leben hilft. Und dieser Vertreter der Deutschen Soziologie, der, man möge sich erinnern, im Namen der DGS spricht und dies auch auf seiner eigenen Homepage für sich in Anspruch nimmt, hat nun das folgende zu sagen:
“Und dass die DGS hier einen Nerv getroffen hat, zeigt die Suada der antikritischen Hetzseite namens “Kritische Wissenschaft”. Sprich: Es geht voran.”
Soviel wissenschaftliche Fairness, soviel Abstand von den Dingen, soviel Anstand und soviel wohlgesetzte Worte muss man erst einmal verkraften. Ich will Herrn Lessenich nicht auf demselben Niveau begegnen, auf dem er sich scheinbar bewegt, schon weil ich dann zu weit nach unten steigen müsste, aber es dürfte klar sein, dass sich gerade der Betreiber eines blogs, das sich der Kritischen Wissenschaft verschrieben hat, derartige Auswürfe eines “Lehrstuhlbesetzers” nicht gefallen lässt. Deshalb habe ich heute eine Email an Stephan Lessenich geschrieben, in der ich ihn auffordere, seine Behauptung zu begründen. Explizit erwarte ich von Herrn Lessenich, dass er belegt, wo der Tatbestand der “Hetze” auf Sciencefiles erfüllt ist. Ich erwarte, dass er sich mit den Argumenten, die ich in meinem Beitrag gemacht habe, auseinandersetzt, wenn er dazu fähig ist und ich erwarte, dass er seine Behauptung begründet, sofern er dazu in der Lage ist, und zwar entlang der Argumente, die ich vorgetragen habe. Darüber hinaus habe ich die Mitglieder des DGS Vorstandes angeschrieben und um Aufklärung darüber gebeten, ob sie die Meinung ihre Vorstandskollegen teilen, dass es sich bei sciencefiles.org um eine “Hetzseite” handelt. In dieser Hinsicht würde mich auch die Meinung all derer interessieren, die dieses blog verfolgen. Kommt Ihr Euch verhetzt vor?
Noch zur Klarstellung: Die von Lessenich, vermutlich aus einem Agitationsschub heraus benutzte Formulierung “Hetzseite” verweist auf den Tatbestand der Volksverhetzung, der in §130 StGB wie folgt umschrieben ist:
(1) Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,
1. gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert oder 2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.(2) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
1. Schriften (§ 11 Absatz 3), die zum Hass gegen eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung aufstacheln, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordern oder ihre Menschenwürde dadurch angreifen, dass sie beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet werden,
a) verbreitet,
b) öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht,
c) einer Person unter achtzehn Jahren anbietet, überlässt oder zugänglich macht oder
d) herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, ankündigt, anpreist, einzuführen oder auszuführen unternimmt, um sie oder aus ihnen gewonnene Stücke im Sinne der Buchstaben a bis c zu verwenden oder einem anderen eine solche Verwendung zu ermöglichen, oder
2. eine Darbietung des in Nummer 1 bezeichneten Inhalts durch Rundfunk, Medien- oder Teledienste verbreitet.
(3) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost.
(4) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt.
Nun denn, Herr Lessenich, ich erwarte eine Darlegung, die eines Wissenschaftlers, der Sie ja sein wollen, würdig ist und die die folgenden Fragen beantwortet:
- Wo auf Sciencefiles wird zum Hass gegen andere aufgestachelt?
- Wo auf Sciencefiles wird die Menschenwürde anderer angegriffen?
- Wo auf Sciencefiles werden Menschen z.B. aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Gruppe beschimpft?
Da mich angesichts ihrer Reaktion Zweifel überkommen haben, ob sie (1) Format genug besitzen, um ihre Position an der Universität Jena auszufüllen und (2) auf menschlicher Ebene besehen, den Mut oder die Fähigkeit aufbringen, nicht nur zu behaupten, sondern auch zu begründen, wenn Sie dazu aufgefordert werden, sehe ich Ihrer Antwort mit Spannung entgegen.
Noch zur Erklärung: Suada ist typischer elitistischer Mittelschichtssprech, mit dem versucht werden soll, die eigene “Überlegenheit” zu dokumentieren. Suada meint nach Duden: eine wortreiche Rede, einen Redeschwall oder auch Beredtsamkeit, Suada ist darüber hinaus der Name der römischen Göttin der sanften Überredung. Welche Bedeutung Herr Lessenich mit Suada verbindet, kann er an dieser Stelle vielleicht auch gleich darlegen.
Im Übrigen behalte ich mir rechtliche Schritte gegen Herrn Lessenich vor.
Es geht voran!
Die Antwort auf die Frage, ob getroffene Hunde nicht nur bellen, sondern auch beißen, ist zwischenzeitlich eingetroffen: NEIN.
Nur rund eine Stunde, nachdem mich die Abwesenheitsnotiz von Dr. Stephan Lessenich erreicht hat, ist die folgende Email eingegangen:
Sehr geehrter Herr Klein,
Ihre Drohung nehme ich zur Kenntnis. Ich habe den Satz von meiner –
privaten und privat gehosteten (meine Homepageadresse der Universität
Jena lautet http://www.soziologie.uni-jena.de/StephanLessenich.html) –
gelöscht.
Dies auch um Ihrer Seite nun doch keine weitere Popularität zukommen
zu lassen – darüber hatte ich in der Tat schon vorab nachgedacht, war
dann aber zu dem Schluss gekommen, dass es sich für informierte Dritte
lohnt, Ihren Beitrag zu lesen, weil er nicht nur Fehlaussagen enthält,
sondern durch seinen Stil sich auch selbst disqualifiziert. Ihre
Reaktion, wenige Stunden nach der Veröffentlichung mit dem Anwalt zu
drohen, zeigt mir aber, dass die Überlegung, auch polemische Kritik
publik zu machen, falsch war. Ich hatte im Netz schon Einiges über
Ihre Methoden gelesen, was ich nun leider vollauf bestätigt sehe.
Mit freundlichen Grüßen
Stephan Lessenich
*************
Ich bin aber auch wirklich gaaaanz schlimm, dass ich sciencefiles.org nicht als “antikritische Hetzseite” bezeichnen lasse und ganz offensichtlich, ist sich unser Doktor aus Jena nicht im Klaren darüber, dass er durch seinen Rückzieher gerade die Unhaltbarkeit seiner entsprechenden Aussage zugegeben hat und somit eingesteht keinerlei Gründe, außer seiner affektiven Aufgeregtheit für seine Behauptung gehabt zu haben. Für die Zukunft sei ihm geraten, bevor er seinen Ärger verewigt, Anstand und Ratio, sofern verfügbar, zu Rate zu ziehen. Ich meinerseits, über dessen Methoden man offensichtlich bereits im Netz lesen kann und dessen blog nicht noch populärer werden darf, wie Herr Lessenich (warum nur?) schreibt, lehne mich jetzt erst einmal zurück und genieße den Blick auf die offene Landschaft von Hampshire und frage mich dabei, wie die Seite von Stephan Lessenich, die wenn doch angeblich privat so gar nicht an Insignien der Universität Jena spart, mit einem Alexa Traffic Rank von “no data”, einem blog, mit einem Traffic Rank von 70.565 in Deutschland Popularität verschaffen will, ich meine Popularität außerhalb der eigenen Kultgemeinde des versprengten Häufleins von Lesern, die sich auf die Seite von Lessenich nach allen Informationen, die der Bewertung des Netztraffic zu entnehmen sind, verirren. Ich habe übrigens Herrn Lessenich nicht angedroht, ihn zu verprügeln, sondern ihn informiert, dass mein Anwalt gerade prüft, ob das, was Herr Lessenich da behauptet hat, ungestraft behauptet werden kann. Offensichtlich ist sich Herr Lessenich sicher, dass er seinen “antikritische Hetzseite”-Ausfall weder begründen noch aufrechterhalten kann. Leider hat er nicht die Größe, sich zu entschuldigen, was mich wieder zurück bringt, zum fehlenden Anstand …
Wunschkonzert
Wer sich etwas von Stephan Lessenich wünschen will, jetzt ist der richtige Zeitpunkt. Auf die Email von Stephan Lessenich, die oben veröffentlicht ist, habe ich ihm geschrieben, dass ich so einfach nicht zu besänftigen bin und auf einer öffentlichen Entschuldigung beharre. Das ist kein Wunsch, wie jeder, der des Deutschen mächtig ist, mir sicher bestätigen wird, aber in Teilen der Soziologie ist man offensichtlich mit einer ganz eigenen Sprache unterwegs. Wie auch immer, Herr Lessenich hat mir meinen “Wunsch” erfüllt:
***********
Sehr geehrter Herr Klein,
üble Nachrede klingt doch schon anders als Volksverhetzung. So oder so
dürfte die Zuschreibung “Corpus delicti” freilich nicht zu halten
sein. Gleichwohl erfülle ich Ihnen Ihren Wunsch und entschuldige mich
bei Ihnen persönlich, falls Sie sich getroffen gefühlt haben sollte.
Ich wäre bei der Schärfe der Kritik, die Sie auf Ihrer Seite üben,
nicht davon ausgegangen, dass Sie selbst auf Gegenkritik so reagieren.
Aber man wird immer wieder eines Besseren belehrt. Für eine
öffentliche Entschuldigung sehe ich jedenfalls keinen Anlass.
Damit ist die Sache für mich erledigt.
Mit freundlichen Grüßen
Stephan Lessenich
**********
Nur nochmal zur Verdeutlichung, Herr Lessenich hat mir vorgeworfen eine “antikritische Hetzseite” zu betreiben, der Vorwurf der Volksverhetzung ist also seiner, die Ansicht, dass dieser Vorwurf den Straftatbestand der üblen Nachrede erfüllt, wiederum ist meine. Und so bleibt mir nur, die Sache für mich mit der Bemerkung abzuschließen, dass ich in der Beschimpfung “antikritische Hetzseite” keinerlei Kritik erkennen kann, ebenso wenig wie ich den kritischen Gehalt von “Arschloch” zu finden im Stande bin. Entsprechend sei Herr Lessenich auf unser Grundsatzprogramm verwiesen, damit er sich im Hinblick darauf, was Kritik, was kritische Wissenschaft ist, weiterbilden kann. Und ganz zum Schluss: Herr Lessenich, bislang ist meine Kritik nicht scharf, warum Sie die in diesem blog geäußerte Kritik als “scharf” empfinden, kann ich nich nachvollziehen und will daher Milde walten lassen und den Vorgang abschließen.
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Der Prof hat recht. Sciencefiles ist eine anti-kritische Hetzseite. Begründung:
Der Duden definiert ‘hetzen’ als ein vor sich hertreiben. Wissenschaft ist für mich im Gegenzug ein ganzheitlicher, also Körper, Geist und Seele umfassender, Weg der Erleuchtung. Schnöde ausgedrückt: wissenschaftlicher Erkenntnisprozess.
Dr. Lessenich befindet sich in einem Zustand des glückseeligen Friedens, eines Zustandes in dem ein Mensch mit seinen kritischen Geist schlafen gelegt hat, aber gleichzeitig glaubt noch immer kritisch zu sein, sich noch immer auf dem Weg der Erleuchtung zu befinden.
Aufgeweckt aus einem solchen Zustand wird ein Mensch, in dem man den vorgeblich kritischen Geist mit der Realität konfrontiert. Man arbeitet also anti-(ego)-kritisch.
Für die betroffene Person ist die Konfrontation mit der Realität eine nachvollziehbar unangenehme Situation. Wir kennen alle(?) die schreckliche Erfahrung und unser gehetzes Emotionalsystem, wenn wir aus schönen Träumen mit einem kalten Waschlappen geweckt werden.
Für den Scienceblog kann ich daher kein ehrenrühriges Verhalten von Dr. Lessenich erkennen. Allerdings sollten die Studenten (so denn Dr. Lessenich eine Lehrtätigkeit hat) möglicherweise ähm anti-kritisch agieren. Denn ein geistig schlafender Wissenschaftler ist IMO das schlimmste was einem Studenten passieren kann.
In diesem Sinn: Weiter so. 🙂
Also,
das ist ja mal interessant. Ich halte von den meisten Hochschul-Rankings nicht viel, dass kann man aber begründen. Zu dem CHE-Rankings kann ich nicht viel sagen. Normaler weise überprüfe ich bei den Ratings die Veränderungen zwischen aufeinander folgenden Jahren, wenn diese zu stark ausfallen, misst das Ranking wahrscheinlich nicht zuverlässig, da sich in der Regel die Struktur in Forschung und Lehre nicht von einem auf das nächste Jahr massiv ändert.
Die Zu-ordnung dieses Blogs als “anti-kritisch” finde ich schon interessant, dass ist ja schon fast ein “verkaufsargument”. Es erinnert mich an das Büchlein “Unkritische Theorie – Gegen Habermas” ( http://www.amazon.de/Unkritische-Theorie-Gegen-Habermas-Sonnemann/dp/3924245118/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1343912719&sr=8-1 ) dass ich mal allein aufgrund seines Titels gekauft habe.
Auch wenn ich im Detail oft nicht der gleichen Ansicht bin wie Herr Klein, ist die Bezeichnung als Anti-Kritisch hier vielleicht auch ein Lob, es kommt darauf an, was darunter verstanden wird. Wenn er das Blog als Libertär bezeichnet hätte, könnte ich das noch eher nachvollziehen, aber dann müsste man sich ja tatsächlich mit den Argumenten dafür und dagegen auseinander setzen.
Als Soziologin finde ich diese Angelegenheit überaus bedauerlich, und zwar in mehrerer Hinsicht:
Natürlich kann man über Operationalisierungen und Messungen streiten; das ist aber nun wirklich weder etwas Neues noch etwas, was besonders mit Hochschulrankings zu tun hat. Es lässt sich immer und überall und in Bezug auf alles tun, vorausgesetzt, man will überhaupt etwas messen, um zu einer mitteilbaren und für andere nachvollziehbaren Realitätsbeschreibung zu kommen. Mir scheint, dass es dem Kollegen Lessenich aber nicht darum ging, durch bessere Operationalisierungen zu einer besseren Realitätsbeschreibung zu kommen und dadurch konstruktiv zu wirken, sondern die Messung als solche diskreditieren, ignorieren oder schlicht nicht mehr zulassen zu wollen, was rein destruktiv ist.
Immerhin darf man das, glaube ich, als eine echte Minderheitenposition, selbst in der Soziologie, bezeichnen, und insofern hoffe ich, dass der Soziologie damit in der öffentlichen Wahrnehmung nicht noch mehr geschadet wurde als ihr ohnehin schon geschadet ist (u.a. durch das Gutachterunwesen, das dünkelhafte Die-Öffentlichkeit-Aufklären-Aber-Sich-Ihr-Nicht-Ausgesetzt-Sehen-Wollen etc.)
Besonders unerfreulich und für’s Fach bedenklich ist m.E., dass dadurch, wie Herr Lessenich das Fach präsentiert, einmal mehr suggeriert wird, Soziologen hätten sehr wenig an Argumenten vorzubringen, wenn man sie danach fragt, und würden statt dessen indigniert und mit pauschalen Beschimpfungen reagieren, wenn man kritisch zu ihren Aussagen Stellung nimmt, anstatt sich “zu Herzen zu nehmen”, was sie verkünden. Und zu allem Überfluss wird dabei, indem Herr Lessenich sich selbst für “kritisch” erklärt, suggeriert, Kritikfähigkeit sei eine Frage der inhaltlichen Position, die man vertritt, so dass nicht “kritisch” sein könne, wer nicht dieselbe Auffassung vertritt wie er selbst. “Kritisch” zu sein ist aber nichts, was man einfach für sich beanspruchen kann, so, als sei dies eine persönliche Eigenschaft in Sinn einer essentialistischen Eigenschaft. Kritikfähigkeit muss man doch üben, kultivieren, demonstrieren, und Kritik muss man praktizieren, indem man Argumente (die eigenen oder die anderer Personen) einer Prüfung unterzieht. Und dabei können auch Fehler passieren, die man eingestehen kann – wo liegt das Problem? Es gibt immer Aspekte einer Sache, die man nicht (hinreichend) in Rechnung gestellt hat, Dinge, die man nicht wusste…. Jedenfalls ist, jemanden, der Gegenargumente liefert oder das Vorgebrachte hinterfragt, als “Hetze(r)” zu verunglimpfen, sicherlich das Letzte, was als “kritisch” durchgehen kann, und es ist sicherlich das Letzte, was der ohnhin schwer beschädigten deutschen Sozialwissenschaft hilft.
Wie kann ich als Dozentin von der Studentenschaft denn erwarten, ernstgenommen zu werden, wenn ich ihr die Vorzüge des vernünftigen Argumentierens und die Notwendigkeit des wissenschaftlichen Arbeitens, zu dem bekanntermaßen das Belegen von Aussagen mit Argumenten und, wenn’s geht, Daten gehört, nahebringen will, wenn Dozenten dies selbst nicht praktizieren können oder wollen und statt dessen auf die Verleumdungsebene wechseln? Wie soll ich erklären, dass und warum sie an Maßstäben gemessen werden, die für Dozenten nicht (mehr) gelten? Können wir erwarten, dass eine Studentenschaft, der dies signalisiert wird, ihr Fach oder ihr Studium ernst nimmt? Dürfen wir uns darüber wundern, wenn in den Augen von Studenten das Studium einfach nur eine Art fortgesetzter Schule ist, die man absolvieren muss, um am Ende ein Zertifikat in Händen zu halten, das dummerweise für bestimmte berufliche Karrieren notwendig ist?
Es wäre ein Leichtes für Herrn Lessenich gewesen, einzugestehen, dass er aufgrund einer persönlichen Betroffenheit oder aus irgendwelchen anderen Gründen weit über das Ziel hinausgeschossen ist mit seinen Äußerungen über diesen blog bzw. Herrn Klein, und dies hätte er im Interesse der Fachkollegen, der Universtität Jena und der DGS, für die er ja sprechen will, m.E. auch tun müssen – das hätte einfach seine Position erfordert. Ich kann nicht verstehen, warum er das nicht getan hat und seine persönlichen Befindlichkeiten über seine fachlichen Funktionen gestellt hat. Man muss sich fragen, was die Voraussetzungen sind dafür, dass jemand bestimmte Positionen und Funktionen ausfüllen kann.
Aber über zweierlei bin ich mir sicher: (1) durch die Äußerung von Herrn Lessenich wird sich die Nachfrage von Studenten nach einem Studienplatz im Fach Soziologie in Jena nicht erhöht haben und (2) wir Soziologen können uns nicht darüber beschweren, dass wir nicht recht ernstgenommen werden oder – schlimmer – als willige Instrumente zur “Multiplikation” bestimmter Ideen bestimmter Leute oder Kreise wahrgenommen werden, solange man sich in unseren Kreisen so geriert.
Ach, es ist traurig; ich bedauere das sehr; frustrierenderweise ist dies aber kein Einzelfall….
Ich finde, dass die Auseinandersetzung mit Lessenich übers Ziel hinausschießt. In dem Ausgangsbeitrag “Soziologie als Grundrecht?” hatten Sie, Herr Klein, einige Fragen aufgeworfen, die wesentlich wichtiger sind. Sie haben nach der Arbeitsmarktrelevanz der Soziologenausbildung gefragt und Sie haben den häufig umständlichen Fachjargon kritisiert.
Ich finde, dass eine Diskussion über die deutsche Soziologie sich darauf auch konzentrieren sollte. Das wäre ein konstruktiver Weg. Die Rankings des CHE sind demgegenüber zweitrangig. Jeder und jede Lehrende müsste sich auch ohne Rankings fragen, zu was er seine/ihre Studierenden befähigen will.
Üblich ist eine Ausbildung zum Wissenschaftler. Der Abschluss befähigt zur Forschung. Aber nur die wenigsten Absolventen gehen am Ende in die Forschung. Da darf man fragen, ob diese Ausrichtung auf die Wissenschaft als Beruf noch zeitgemäß ist. Falls man zu dem Schluss kommt, mit Soziologie eher die Persönlichkeit zu bilden, müsste man überlegen, wie das geschehen solle und welches Wissen diesem Ziel dient. Damit steckte man mitten in der Debatte, ob und wie die Soziologie einer aufgeklärten Persönlichkeit nützt.
Der Fachjargon wiederum ist Teil einer Kultur. Es fehlt eine systematische Lehre eines besseren Schreibstils. Leicht und allgemeinverständlich zu schreiben ist Arbeit. Diese Arbeit muss man sich machen. Man muss das Handwerk dafür besitzen. Ebenso muss man sich die Zeit dafür nehmen.
Das hieße auch: Mehr Qualität als Quantität. Nur würde heute im Zeitalter der seitenlangen Publikationslisten ein guter Schreiber wie Heinrich Popitz als Versager gelten. Der Fehler liegt im System. Manch einem Vielschreiber unter den Kollegen möchte man gerne an seinen Schreibtisch schicken und dazu verdonnern, seine vielfältigen unzusammenhängenden und fragmentarischen Aufsätze bitte als ein systematisch geordnetes Buch auszuarbeiten. Für den Leser ist diese Publikationsschwemme eine echte Hürde.
Allgemeinverständlich zu schreiben kann man lehren und lernen. Die Soziologie würde sicher ihre öffentliche Wahrnehmung erhöhen, wenn sie mehr Autoren hätte, die kurz und leserfreundlich ihre Einsichten vermitteln könnten. Die Studierenden würden es ihnen ohnehin danken.
Das alles hängt aber nicht an einzelnen Personen wie Lessenich, sondern ist Teil einer Fach- und Organisationskultur.