Unsinn der Woche: Bubble Tea

Kulturelle Diffusion ist schon etwas Seltsames. So lange die kulturelle Diffussion in der von John W. Meyer (2005) und seinen Kollegen beschriebenen Weise funktioniert, solange “westliche Prinzipien die Welt” durchdringen, ist alles in Ordnung. Niemand findet etwas dabei, wenn z.B. Entwicklungshilfe mit kulturellem Imperialismus gekoppelt wird, wenn Entwicklungshilfe genutzt wird, um “demokratisches Wohlverhalten” in den Nehmerländern einzufordern. Entsprechendes hat seinen Niederschlag in einer Reihe von Standards und Verlautbarungen gefunden, die die Geschäftsordnung des Klubs der Geberländer, des DAC, darstellen[1]: Entsprechend ist es das Mantra von DAC-Ländern, Entwicklungshilfe konditional zu vergeben, d.h. die Hilfe wird mit Anforderungen an den Empfänger gekoppelt, die sich vornehmlich auf die Schaffung der Voraussetzungen für und die Einhaltung von Good Governance richten. Was unter der konditionalen Good Governance zu verstehen ist, wurde z.B. und unmissverstänlich in derAccra Agenda for Action bestimmt:

“Developing countries will systematically identify areas where there is a need to strengthen the capacity to perform and deliver services at all levels – national, sub-national, sectoral, and thematic – and design strategies to address them. Donors will strengthen their own capacity and skills to be more responsive to developing countries’ needs” (Accra Agenda, 2005, Art.14a). Wenig überraschend sind diese Aufgaben sowohl in der Accra Agenda als auch in der Paris Declaration der DAC-LÄnder in den Kontext der Prinzipien von Good Governance eingebettet, die die OECD (2005a) formuliert hat und als Voraussetzung für die Zuteilung von Mitteln der Entwicklungshilfe sieht. Dabei handelt es sich um:

  • Rule of law; gleiche und konsequente Anwendung des Rechts;
  • Accountability; Alle Entscheidungen und Handlungen einer Regierung müssen überprüfbar sein;
  • Transparency; Regierungen müssen Informationen zur Verfügung stellen, die es erlauben, ihre Entscheidungen und Handlungen zu bewerten;
  • Efficiency and effectiveness; Regierungen müssen kosteneffiziente Lösungen für ihre Bürger bereitstellen;
  • Responsiveness; Regierungen müssen in der Lage sein, sich schnell auf ein wechselndes Umfeld einzustellen;
  • Forward-vision; Regierungen müssen zukünftige Probleme antizipieren;

Vermutlich hätte so manche europäische Regierung Probleme, die hehren Grundsätze der Good Governance, die auf Entwicklungsländer übertragen werden, einzuhalten und wie es um die  Europäische Union im Hinblick auf z.B. Transparenz, Effizienz oder Responsivität steht, soll hier besser nicht untersucht werden. Wie dem auch sei: Die Richtung kultureller Diffusion ist eindeutig: Sie geht von Nord nach Süd, von West nach Ost und von entwickelten in weniger entwickelte Länder. Die Ideologie, die dahinter steht, ist auch eindeutig: Wir im Norden und Westen, wir entwickelten Länder haben den anderen etwas zu geben, von uns können sie etwas lernen. Umgekehrt ist das eher nicht der Fall.

Und weil man nicht vorsichtig genug sein kann, mit allem, was an kulturellen Erzeugnissen aus inferioren Ländern kommt, von esoterischen Spinnereien einmal abgesehen, wird jeder Kleinigkeit, die eine kulturelle Fremdheit in deutschen Landen darstellt, mit Argwohn, Misstrauen und mit dem Verdacht begegnet, dass es sich hier um einen Versuch fremder Ursurpation, fremder Infiltration des deutschen Volkskörpers oder, noch schlimmer Schädigung des deutschen Volkskörpers handele. Neuestes Beispiel einer fremdländischen Bedrohung: Bubble Tea.

Bubble Tea wird scheinbar in Deutschland gemocht, von (großen) Teilen der Bevölkerung und, schlimmer noch: von Kindern, und Bubble Tea wird von (großen) Teilen der Bevölkerung einfach so und bislang aus Behältnissen ohne Warnhinweis getrunken. Das kann so nicht bleiben, denn: “Trendgetränk Bubble Tea: Gesundheitsrisiko für Kleinkinder”, weiß das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), und die Grünen im Bundestag betrachten das “Modegetränk aus dem asiatischen Raum” mit Argwohn. Bubble Tea, d.h. grüner oder schwarzer Tee, dem Kügelchen aus Tapioka, so genannte popping bobas zugesetzt sind, die platzen, wenn man auf sie beißt, enthält Zucker! Und Zucker macht bekanntlich dick, jedenfalls ab einer bestimmten Menge. Entsprechend sehen die Grünen im Bundestag Bubble Tea als Ausgangspunkt einer Adipositas-Well ungeahnten Ausmasses, die uns die Chinesen schicken, um die deutsche Wirtschaftskraft zu untergraben, quasi durch Vermehrung individuellen Fettgewebes. Und: Gipfel der Infamie: Bubble Tea kommt gleich noch mit einer “Erstickungsgefahr für Kleinkinder, die die Stärkekügelchen einatmen können” oder wie das Bundesinstitut für Risikobewertung schreibt: “Insbesondere bei Kindern bis zum Alter von vier Jahren besteht die Gefahr, dass sie versehentlich Fremdkörper in die Lunge verschlucken … Und genau das kann passieren, wenn Bubbles mit einem Strohhalm eingesaugt werden. Nach Einschätzung des BfR sind solche Fälle vorhersehbar”. Nur dumm, dass es sie bislang noch nicht gibt, denn: “Bislang sind dem BfR keine Apsirationsunfälle [Verschlucken von Bubbles in die Lunge] durch Bubble Tea gemeldet worden”. Aber man kann ja schon einmal Hysterie verbreiten, darin sind das Bundesamt und die Grünen offensichtlich Meister. Und wie immer wenn es um Hysterie geht, geht es um das Wohl von Kleinkindern, dann macht die Hysterie erst richtig Spass.

Die Bubblegefahr, soll laut BfR durch einen Warnhinweis auf dem Bubblebecher gebannt werden, Marke: “Bubble Einatmen in die Lunge verboten, Eltern haften für Ihre Kinder”. Und angesichts dieser neuesten Welle von Nachwuchs-Schädigungs-Vermeidungshysterie kann man sich ungefähr vorstellen, was als nächstes kommt.

  • Warnhinweise an Autotüren: Questschungsgefahr für Extremitäten – insbesondere von Kleinkindern
  • Warnhinweise auf Schwarzbrot: Erstickungsgefahr durch harte Krusten – insbesondere für Kleinkinder
  • Warnhinweise auf Handys: Strahlung und deshalb Krebsgefahr – insbesondere für Kleinkinder
  • Warnhinweise auf Alkohol: Gefahr des Verlusts von Hirnzellen – insbesondere für Kleinkinder
  • Warnhinweise auf Bällen: Gefahr von Prellungen und Verstauchungen – insbesondere für Kleinkinder
  • Warnhinweise auf Einzelkirschen: Enthält Steine – aktute Erstickungsgefahr – insbesondere für Kleinkinder
  • Warnhinweise auf Lutschern: Adipositas lauert – insbesondere für Kleinkinder
  • Warnhinweise an Grundschul- und Kindergartengebäuden: Hohe Lärmbelastung (Geschrei) und damit einhergehend,  Gefahr des Verlustes (eines Teils) der Hörfähigkeit – insbesondere für Kleinkinder
  • Warnhinweise auf Kinderbüchern: Quetschgefahr für Finger – insbesondere für Kleinkinder – aber das hatten wir schon

Die politischen Parteien und öffentlichen Ämter, in ihrem allumfassenden Ansinnen, ihre eigene Existenz zu legitimieren, indem sie das Leben anderer vor eingebildeten Gefahren schützen, sind zwar einen weiteren Schritt auf dem Weg in den Regulierungswahnsinn gegangen, aber die Warnbeispiele, die ich gegeben habe, werden dennoch nicht umgesetzt werden, denn: Die meisten der benannten Gegenstände werden zumindest auch in Deutschland produziert, sind Güter aus deutschen Landen und nicht importierte Moden “aus dem asiatischen Raum”. Nur wenn es darum geht, den deutschen Volkskörper vor fremden Einflüssen zu schützen, die sich schädlich auswirken, dann sind deutsche Politiker und Behörden hellwach und setzen den letzten der Punkte des Good Governance Kodex’ mit größtmöglichem Eifer um: “Forward-vision: Regierungen müssen zukünfige Probleme antizipieren”. Dass dabei regelmäßig eine Hysterie herauskommt, muss eben in Kauf genommen werden, und außerdem geht mit jeder neuen Schutzmaßnahme ein kleines Stück Kontrolle einher, Kontrolle des individuellen Lebens der Bürger und dafür nimmt man gerne in Kauf, etwas hysterisch zu sein.

Abschließend sei noch bemerkt, dass Bubble Tea nicht gleich Bubble Tea ist und dass entsprechend die Kalorien, die pro Tea aufgenommen werden, eine erhebliche Bandbreite aufweisen. Das mag für Grüne neu sein, dass Dinge variieren, aber es ist so, entsprechend gibt es Bubble Teas mit 75Kcal pro 0.33l und Bubble Teas mit deutlich mehr Kalorien. Das ist wie beim deutschen Apfelsaft, liebe Grüne, je nach Zuckerzusatz enthält er mehr oder weniger Kalorien. Aber natürlich kann ein Kleinkind an deutschem Apfelsaft nicht ersticken, wie an Bubble Tea, allerdings: Da dem Bundesamt keine Fälle des Erstickungstods durch Bubble Tea bekannt sind, ist die Wahrscheinlichkeit für Kleinkinder an Apfelsaft zu ersticken, ebenso hoch, wie die Wahrscheinlichkeit an Bubble Tea zu ersticken. Ein klarer Fall: Warnhinweis auf Apfelsaft!

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[1]             Das DAC [Development Assistance Committee] ist bei der OECD angesiedelt und bestimmt für rund 95% der Entwicklungshilfe, die Modalitäten unter denen die entsprechende Entwicklungshilfe erfolgt. Die Modalitäten sind z.B. der „Paris Declaration on Aid Effectiveness“ und der Accra Agenda for Action niedergelegt und fanden Eingang in die DAC Principles for Evaluation of Development Assistance; Dazu: OECD (2008a, 2008, 2005).

Literatur

Meyer, John W. (2005)(Hrsg). Weltkultur. Wie westliche Prinzipien die Welt durchdringen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

OECD [Organization for Economic Cooperation and Development] (2010). Perspectives on Global Development. Paris: OECD.

OECD [Organization for Economic Cooperation and Development] (2008). Accra Agenda for Action. Paris: OECD.

OECD [Organization for Economic Cooperation and Development] (2008a [1991]). DAC Principles for Evaluation of Development Assistance. Paris: OECD.

OECD [Organization for Economic Cooperation and Development] (2005). The Paris Declaration on Aid Effectiveness. Paris: OECD.

OECD [Organization for Economic Cooperation and Development] (2005a): Governance in China: China in the Global Economy. Paris: OECD.

Bildnachweis:
Bubble Tea
Rotwanglabs

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