Wem nutzt Anonymität?

Der Nutzen der Anonymität war im Zusammenhang mit dem Offenen Brief, den Arne Hoffmann und ich an Jimmy Wales, den Gründer der Wikipedia geschrieben haben, in vielen Diskussionen Gegenstand der Auseinandersetzung. Letztlich ist Anonymität jedoch kein Selbstzweck, sondern ein Mittel zum Zweck, und entsprechend muss sich Anonymität am Ergebnis, das durch Anonymität produziert wird, messen lassen. Und dieses Ergebnis, so will ich hier darlegen, spricht eindeutig gegen eine Anonymität – zumindest eine Anonymität von Wikipedia-Autoren.

Das Folgende ist ein Auszug aus dem ganz alltäglichen Editier-Krieg auf Wikipedia. Ich habe den Auszug zufällig gewählt. Es wäre problemlos möglich andere, noch heftigere Schlachten darzustellen, den Kreis der Beteiligten auszuweiten usw., aber für die Zwecke des vorliegenden Beitrags reicht das Teilstück als Beispiel dafür, was auf den Seiten der Wikipedia vorgeht und mit welchen “Anstandsformen” sich die Kontrahenten gegenübertreten.

Kann nur empfehlen, die arbeit auch zu lesen – bei Hoffmann kam da einiges interessantes raus. Hier wäre das auch angebracht. Bei Sanfran ist das odeur etwas abgestanden, ich kenn das verhalten sonst nur von Konfliktsocken. Polentario Ruf! Mich! An! 23:08, 22. Jul. 2012 (CEST)

SanFran versucht eine einizige Studie – die von Rosenbrock – als Mehrfachquelle darzustellen. Klassische Verleumdung bzw Aufblähung eines Solospielers zu einem mehrstimmigen Chor. Deswegen die änderung. Bastein sollte noch gesetzt werdenPolentario Ruf! Mich! An! 23:14, 22. Jul. 2012 (CEST)

Lern ersteinma, was “Verleumdung” ist, Gold..oops, ich meine Polentario, und dann lerne, wie man Artikel schreibt. Dass du in der Studie von Risenbrock eine gaanz böse “Stasiquelle” siehst und unbedingt entfernen möchtest, ist inzwischen aller klar. Aber bitte entferne keine Belege. –SanFran Farmer (Diskussion) 23:17, 22. Jul. 2012 (CEST)

“Konfliksocken”, “Verleumdung”, ja, ja, Polentario. Hast du etwas zu deinen Bearbeitungen zu sagen? –SanFran Farmer (Diskussion) 23:26, 22. Jul. 2012 (CEST)

Wie auf der VM schion azsgeführt: Rosenbrok habe ich dutzendfach im Artikel Hoffmann eingebaut, Gesterkamp halte ich für nur bedingt zitierfähig, SanFran Farmer für verzichtbar. Polentario Ruf! Mich! An! 07:28, 23. Jul. 2012 (CEST)

“Konfliktsocken”, “halte ich …. SanFran Farmer für verzichtbar” – was soll dieser PA-Stil, Polentario, den du nach der Diskussion zum Arne-Hoffmann-Artikel hier fortführst? Dein Feldzug gegen Rosenbrock ist schon bedenklich. Schließlich hat er sich mit manndat, Arne Hoffmann und Co. beschäftigt. Die Dankbarkeit drückte sich in massenhaften Hetz-Kampagnen incl. verächtlicht-Machen und Gewaltandrohungen in den einschlägigen Blogs und Foren, in denen Michael Klein und Arne Hoffmann auch verkehren, gegen ihn aus. Daran kannst du lernen, was der Unterschied zwischen einer reputablen Quelle und Verleumdung ist.–Finn (Diskussion) 13:48, 23. Jul. 2012 (CEST)

Wie ist diese unanständige und aggressive Form der Auseinandersetzung zu erklären? Wie kommt es zu dieser Vielzahl der logischen Fehlschlüsse, ad hominems, unbelegten Behauptungen und persönlichen Nickligkeiten? Ich will an dieser Stelle ein paar Forschungsergebnisse zusammentragen, die einen kleinen Einblick in die Psyche mancher Wikipedia-Nutzer geben und einen Beitrag zur Beantwortung der Frage liefern, warum bei Wikipedia so viel Zeit für die Bearbeitung persönlicher Animositäten und so wenig Zeit für die Arbeit an Beiträgen bleibt.

Der erste Einblick in den Streit-Moloch “deutschsprachige Wikipedia” entstammt einem Vortrag, den Dr. Thomas Roessing von der Universität Mainz im Jahre 2011 auf einer Konferenz der International Association for the Development of the Information Society (IADIS) in Rom gehalten hat. In seinem Vortrag analyisert Thomas Roessing Vandalismus und Editier-Kriege in der Wikipedia. Dabei beschreibt er Editier-Kriege als regelmäßig vorkommende, ideologische Auseinandersetzungen, bei denen die jeweiligen Kontrahenten mit “instrumental editing” arbeiten, also damit, Quellen zusammen zu suchen, die die eigene ideologische Position unterstützen bzw. die ideologische Position der Kontrahenten unterminieren. Diese Praxis der willkürlichen Quellenauswahl, die Arne Hoffmann und ich in unserem Offenen Brief angesprochen und auf das Fehlen eindeutiger Kriterien darüber, was eine verlässliche, reliable oder brauchbare Quelle auszeichnet, wie man sie erkennt, zurückgeführt haben, ist nach Ansicht von Thomas Roessing eine Ursache dafür das heftige Konflikte “regularly escalate to intense argument and sometimes members of the community loose their temper” (Roessing, 2011).

Eine weitere Ursache dafür, dass Editier-Kriege ausbrechen, hat Roessing auf Basis einer empirischen Analyse, in die 500 Vandalismusmeldungen (darunter 69 Editier-Kriege) eingegangen sind, die innerhalb von 10 Tagen und im November 2009 auf Wikipedia-Deutschland erfolgt sind, identifizieren können. Die Ursache ist schnell benannt: Die Administratoren, die eigentlich dafür da sind, Editier-Kriege zu unterbinden bzw. angesichts eines Editier-Krieges eine Entscheidung für die eine oder andere der Konfliktparteien zu treffen, machen ihre Arbeit nicht: “Administrators play a key role in Wikipedia’s system for conflict resolution. They do their work properly in simple and undisputed cases but tend to leave a discussion alone when it comes to heavy conflicts among users”. Und: “Of the 69 cases that were archived without a decision by an administrator or another resolution, 14 were consensual discussions, 9 somewhat disputed and 46 heavily disputed discussions. It is plausible that administrators fear to anger other users by deciding a disputed argument and thus refrain from doing so” (Roessing, 2009).

Eine weitere, neben der von Roessing angesprochenen Ursache für die “Arbeitsverweigerung” der Administratoren ist besteht wohl darin, dass Administratoren durch das Fehlen der bereits angesprochenen Kriterien nicht wissen, wie sie entscheiden sollen bzw. keine Basis haben, auf die sie ihre Entscheidung für alle nachvollziehbar stützen können. Das System “Wikipedia” ist eine Zeitbombe, denn die nicht gelösten Konflikte gehen ja nicht weg, vielmehr steht zu vermuten – und die Tatsache, dass die Konfliktherde immer von den selben Autoren ausgehen, spricht dafür – das Konflikte, die in einem Bereich nicht gelöst wurden, in den nächsten Bereich getragen werden.

Neben dem Fehlen eindeutiger und verlässlicher Kriterien, die die Arbeit bei Wikipedia strukturieren, ist die Anonymität der Autoren eine weitere Ursache für Umgangston, schwelende Konflikte und die zuweilen vergiftete Atmosphäre. Dass dem so ist, zeigt eine Studie aus Süd-Korea. Im Jahre 2007 hat die Süd-Koreanische Regierung  Kommentatoren in Diskussionsforen mit mehr als 300.000 Besuchern pro Tag dazu verpflichtet, sich zu registieren und einen Identitätsnachweis zu führen. Im Jahre 2009 wurde die entsprechende Regelung auf Diskussionsforen mit mehr als 100.000 Besuchern pro Tag ausgedehnt. Wenn man die sprichwörtliche asiatische Freundlichkeit in Rechnung stellt, dann ist das Ergebnis dieser Untersuchung, die Daegon Cho durchgeführt hat, selbstredend: Die Anzahl der Beiträge in den Diskussionsforen ist nach kurzem Rückgang nach Einführung des Gesetzes wieder gestiegen, dagegen ist der Umgangston (noch) freundlicher geworden: Beleidigungen und ungezügelte verbale Einlassungen gingen deutlich zurück. Zieht man den Freundlichkeitsbonus, den man Asiaten gewähren muss, ab und transferiert dieses Ergebnis nach Deutschland, dann kann man sich ungefähr vorstellen, wie grundlegend eine Verpflichtung, sich als Wikipedia-Autor unter seinem richtigen Namen zu registrieren, sich auf den Umgangston, die Anzahl der Editier-Kriege und – letztlich – auf die Qualität der Wikipedia-Beiträge auswirken würde.

Die  namentliche Registrierung der Wikipedia-Autoren hätte einen weiteren Effekt: Die politische Einflussnahme durch Parteien, Organisationen, Stiftungen und Verbände würde erkennbar. Ich habe auf diesem blog schon vom Sozialdemokratischen Pressekonzern Deutschland berichtet. Die Versuche der Heinrich-Böll-Stiftung, die öffentliche Meinung durch angebliche “Expertisen” zu beeinflussen, waren auch schon Gegenstand auf diesem blog. Wer vor diesem Hintergrund denkt, poltische Parteien, Stiftungen, Verbände, Interessenvertretungen welcher Art auch immer, würden davor zurückschrecken, bezahlte Autoren in die Wikipedia einzuschleusen, um vor Ort Meinungsbildung zu betreiben, ist aus meiner Sicht grenzenlos naiv.

Bleibt abschließend noch die Frage zu klären, was an Anonymität insgesamt so schön ist. Warum will ein Autor in Wikipedia nicht namentlich für sein Werk einstehen? Warum will er nicht stolz auf seine namentlichen Beiträge verweisen? Diese Fragen können mit Reicher, Spears und Postmes (1995) beantwortet werden, die davon ausgehen, dass von Anonymität eine Verstärkung der eigenen sozialen Identität ausgeht. Deutlich formuliert: Wer sich als Individuum zu einsam in der Welt fühlt, wird durch seine Zuordnung zu einer Gruppe sicherer und zieht aus der Zuordnung Status (jedenfalls in seiner Einbildung). Ein Autor, der zwar nicht namentlich, dafür aber als Vertreter von XY bekannt ist, erzielt in seinen eigenen Augen somit einen Zugewinn an Wichtigkeit. Dass dieser Zugewinn an Wichtigkeit sowohl positive als auch negative Effekte zeitigen kann, haben Robert Johnson und Leslie Downing bereits 1979 gezeigt als sie eine Reihe weiblicher Studenten zur Hälfte in die Montur des Ku Klux Klan, zur Hälfte in die Arbeitskleidung einer Krankenschwester gesteckt haben. Die “Krankenschwestern” waren, vor allem dann, wenn sie anonym blieben, also kein Namensschild tragen mussten, in aller Regel bereit, einen Stromstoß, den sie einem unbekannten Delinquenten verpassen sollten, in seiner Stärke zu reduzieren, während die anonymen Ku Klux Klanler bereit waren, die Stärke der Stromstöße zu erhöhen. Anders formuliert: Die Frage, wozu Anomymität genutzt wird, ist eine Frage der sozialen Zuordnung: Wer sich einer “netten” oder “höflichen” Gruppe zuordnet, wird sich in der Anonymität nett und höflich verhalten, wer sich einer aggressiven und ideologischen Gruppe zuordnet und noch dazu die Last der Unfehlbarkeit mit sich trägt, wird sich entsprechend verhalten und wie es Cohen 1996 festgestellt hat, und die Anonymität dazu nutzen, Andersdenkende mit Hass, Beleidigung, Drohungen und Verächtlichmackung zu verfolgen.

Die Frage, welcher Gruppe sich bestimmte Wikipedia-Autoren zuordnen, kann vor diesem Hintergrund und am konkreten Beispiel von jedem Leser selbst beantwortet werden. Die Erfahrung zeigt hier, dass diejenigen, die sich aggressiven und ideologischen Gruppen zuordnen, zu viele sind, als dass eine Anonymität der Autorenschaft weiterhin aufrecht erhalten werden könnte. Abgesehen davon, will ein mit einer personalen Identität ausgestatteter Autor unter normalen Umständen namentlich bekannt sein und nicht hinter einem “Gemeinschaftswerk” stehen, d.h. eine Pflicht zur Offenlegung der Identität für Wikipedia-Autoren würde als positiver Anreiz zur Mitabreit auf all diejenigen wirken, die sich nicht vorstellen können, ihr Wissen einem anonymenEditier-Mob vorzuwerfen.

Literatur

Cho, Daegon (2012). Real Name Verification Law on the Internet: A Poison or Cure for Privacy? University of Pittsburgh: School of Information Systems and Management.

Cohen, Julie .E. (1996). The Right to Read Anonymously: A Closer Look at ‘Copyright Management in Cyberspace. Connecticut Law Review 28(981).

Johnson, Robert & Downing, Leslie (1979). Deindividuation and Valance of Cues: Effects on Prosocial and Antisocial Behavior. Journal of Persoanlity and Social Psychology 37(9): 1532-1538.

Reicher, Stephen D., Spears, Russel & Postmes, Tom (1995). A Social Identity Model of Deindividuation Phenomena. European Review of Social Psychology 6(1): 161-198.

Roessing, Thoma (2011). Vandalism and Conflict Resolution in Wikipedia. An Empirical Analysis on How a Large-scale Web-based Community Deals with Breaches of the Online Peace. Paper for the IADIS International Conference “Web-based Communities and Social Media 2011”.

Bildnachweis:
Roger Freberg
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