Sciencefiles-Kriterien zur richtigen Universitätswahl (für Sozialwissenschaftler)
von Dr. habil. Heike Diefenbach und Michael Klein
In letzter Zeit häufen sich die Anfragen, in denen uns Studenten und Abiturienten, die sich mit dem Gedanken tragen, ihre Universität zu wechseln bzw. die ein Studium aufzunehmen wollen, fragen, nach welchen Kriterien sie die Universität auswählen sollen, an der sie ihr jeweiliges Fach (weiter)studieren wollen. Wir nehmen diese Fragen zum Anlass, um eine zehn Punkte Liste mit Kriterien aufzustellen (und dadurch den Aufwand, der mit der Beantwortung individueller Anfragen einher geht, zu reduzieren), mit denen es zumindest möglich ist, die Universität und den Fachbereich auszuschließen, an der/dem mit geringer Wahrscheinlichkeit eine wissenschaftliche Ausbildung angeboten wird.
Sciencefiles-Kriterien zur richtigen Universitätswahl (für Sozialwissenschaftler)
Die folgenden Kriterien funktionieren als Ausschlusskriterien: je mehr der genannten Kriterien erfüllt sind, um so wahrscheinlicher ist es, dass Sie an einer Kaderschmiede und nicht an einer Universität landen würden, würden sie ein Studium an der entsprechenden Hochschule aufnehmen. Letzten Endes hängt die Qualität der Ausbildung an einer Universität nicht nur von der Ausstattung und der “Politik” der entsprechenden Universität, sondern vor allem von der Kompetenz und dem beruflichen Selbstverständnis des Lehrkörpers ab. Deshalb finden sich unter den folgenden Kriterien solche, die sich auf die Universität oder den Fachbereich im Allgemeinen anwenden lassen und solche, die sich auf den/die Lehrstuhlinhaber an einem bestimmten Fachbereich anwenden lassen.
- Nimmt die Universität/der Fachbereich an einem Ranking teil oder wird ein Ranking mit fadenscheiniger Begründung, wie z.B. man wolle sich nicht gegen andere Universitäten/Fachbereiche ausspielen lassen, abgelehnt?
Wissenschaft lebt von Ideenkonkurrenz und Kritik durch andere, d.h. Wissenschaft lebt vom Vergleich. Wer den Vergleich seiner Leistungen mit den Leistungen anderer scheut, hat die Grundlagen von Wissenschaft nicht verstanden und kann sie entsprechend auch nicht vermitteln. - Gibt es an der Universität/dem Fachbereich eine Methodenausbildung?
Wissenschaft besteht weitgehend im Anwenden einer wissenschaftlichen Methode, deren Ziel wiederum darin besteht, die erzielten Ergebnisse für andere nachvollziehbar und überprüfbar zu machen. Wer keine systematische und umfassende Ausbildung in quantitativen und qualitativen Methoden anbietet, unterbindet Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit und hat die Grundlagen des wissenschaftlichen Arbeitens nicht verstanden. - Hat die Universität oder Hochschule, an der Sie studieren wollen, erklärt, dass sie nur Forschung zulassen werde, die dem Frieden verpflichtet sei und dass sie sich auf zivile Zwecke konzentrieren wolle? Nähere Informationen zur sogenannten “Zivilklausel”.
Wenn ja, dann meiden Sie diese Universität. Den allermeisten Forschungen ist ihre zukünftige militärische Nutzung nicht anzusehen. Wer denkt, er könne in die Zukunft blicken oder erkennen, dass ein bestimmtes Forschungsvorhaben in militärischer Anwendung resultiert, überschätzt damit seine eigenen Fähigkeiten in geradezu monströser Weise und signalisiert damit, dass er nicht intelligent genug ist, um Wissenschaft zu betreiben bzw. wissenschaftlich zu arbeiten. An solchen Universitäten oder Hochschulen gibt es keine Erkenntnis zu gewinnen. - Geben Lehrstuhlinhaber auf ihren privaten Seiten oder in ihrem Lebenslauf eine Verbindung zu politischen Parteien oder Gruppierungen an (sitzen Sie z.B. im wissenschaftlichen Beirat von Attac oder verlinken auf ideologische Vereiningungen z.B. unter der Überschrift “Links zu äußerst lesenswerten Web-Seiten” auf entsprechende Gruppierungen)?
Exzellente Lehre Wer auf ideologische Gruppierungen verlinkt oder seine Nähe zu den entsprechenden Gruppierungen so wichtig findet, dass er sie auf seiner professionellen Seite publik macht, kann keine wissenschaftliche Ausbildung vermitteln, denn Wissenschaft ist das Gegenteil von Ideologie. Wissenschaft erfordert es, regelmäßig genau die Grundlagen in Frage zu stellen, die Ideologien als ihr innerstes Heiligtum ansehen und daher nicht anrühren werden. Lehrstuhlinhaber mit erklärter Nähe zu ideologischen Gruppierungen sind entsprechend mit hoher Wahrscheinlichkeit ungeeignet, um wissenschaftliches Arbeiten zu vermitteln.
- Besteht die Selbstdarstellung des Lehrstuhlinhabers aus viel Privatem? Inszeniert er sich als Musiker, Kumpel von Studenten, verweist er auf die Anzahl seiner Kinder, sein privates Lebensarrangement oder seine sonstigen privaten Aktivitäten?
Wenn ja, dann meiden Sie diesen Lehrstuhlinhaber, denn er ist nicht in der Lage oder nicht willens, sein Privatleben von seinem Beruf zu trennen. Ihm fehlt der Berufsethos. Ihm fehlt die Erkenntnis, dass Wissenschaft mit Erkenntnis zu tun hat und dass die Suche nach Antworten auf wissenschaftliche Fragestellungen völlig unabhängig von dem ist, was er in seinem Privatleben wichtig findet. Zudem zeigt ein solcher Lehrstuhlinhaber, dass er ganz offensichtlich “Leistungen”, die im Privaten erbracht wurden, für sein Berufsleben relevant findet. Dies sind keine guten Voraussetzungen für die Vermittlung wissenschaftlicher Inhalte. - Besteht eine Ähnlichkeit zwischen den Themen, die ein Lehrstuhlinhaber mit seinen Publikationen abdeckt und den Themen, die er in der Lehre anbietet oder anbieten muss? Hat z.B. ein Lehrstuhlinhaber einen Lehrstuhl für soziale Ungleichheit und Geschlecht, auf seiner Publikationsliste finden sich aber fast ausschließlich Arbeiten, die sich mit Gender, Frauenbewegung und dergleichen befassen?
Wenn ja, dann meiden Sie den entsprechenden Lehrstuhl, denn er dient als Feigenblatt für die Vermittlung der ideologischen Inhalte, die den Lehrstuhlinhaber eigentlich interessieren und die nichts oder nur am Rande etwas mit z.B. sozialer Ungleichheit zu tun haben. - Gibt es einen Lehrstuhl, ein An-Institut oder ein Modul, das sich mit “Gender” oder entsprechenden Themen des Feminismus befasst?
Wenn ja, dann meiden Sie diese Universität/diesen Fachbereich, denn Feminismus und Gender hat nichts mit Wissenschaft zu tun, es handelt sich in der Regel um Ideologien, und Personen, die sich zu diesen Ideologien bekennen, sind mit hoher Wahrscheinlichkeit ungeeignet, wissenschaftliche Grundlagen zu vermitteln. - Welche Qualifikationsarbeit hat ein Lehrstuhlinhaber erstellt, um seine Zulassung als potentieller Lehrstuhlinhaber sicher zu stellen? Hat die Qualifikationsarbeit etwas mit den Themen zu tun, die er in der Lehre anbieten muss? Ist der Lehrstuhlinhaber ein ehemaliger Praktiker, der den Lehrstuhl als Seiteneinsteiger errungen hat?
Letzteres ist kein alleinstehendes Ausschlusskriterium, aber in der Regel ein guter Näherungswert im Hinblick auf die Qualifikation des Lehrstuhlinhabers. Um sicher zu gehen, dass man dem Lehrstuhlinhaber nicht unrecht tut, sollte es mit Kriterium 2 kombiniert werden, d.h. es sollte überprüft werden, ob der Lehrstuhlinhaber eine Methodenausbildung hat oder anbietet, denn, wie gesagt, nur wer wissenschafliche Methoden kennt und beherrscht, kann anderen vermitteln, worin wissenschaftliches Arbeiten besteht. Ansonsten gilt, dass das Thema der Qualifikationsarbeit zumindest in einem entfernten Zusammenhang mit dem stehen sollte, was der Lehrstuhlinhaber in der Lehre abzudecken hat. - Wie lang ist die Liste der Kandidaten, die bei einem Lehrstuhlinhaber promovieren, und finden sich Indizien dafür, dass der Lehrstuhlinhaber eine “Gefälligkeitsbetreuung” anbietet?
Je länger die Liste von Doktoranden, je enger der Themenbereich, der von den entsprechenden Doktoranden bearbeitet wird und je größer die Anzahl von außer-universitären Doktoranden, also z.B. Politiker, Ministerinnen oder Gewerkschaftsfunktionäre, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass der entsprechende Lehrstuhlinhaber ideologisch motivierte Gefälligkeitsbetreuungen anbietet. Die Betreuung einer Dissertation ist, wenn sie richtig gemacht wird, aufwändig, was die Anzahl der zugleich zu betreuenden Doktoranden auf nur sehr wenige begrenzt. Die Erstellung einer Dissertation ist eine aufwändige Arbeit für den Doktoranden, was es ausschließt, dass Personen, die eine öffentliche Position z.B. als Funktionär oder als Ministerin bekleiden, sich ausreichend mit ihrer Dissertation befassen können. Beides zusammen sowie ein sehr enger Themenbereich, den die verschiedensten Doktoranden abdecken, sind Indizien dafür, dass der entsprechende Lehrstuhlinhaber Gefälligkeitsbetreuung ausführt und entsprechend nicht die wissenschaftliche Leistung, die im Zuge einer Dissertation erbracht wurde, sondern z.B. die ideologische Nähe zu seiner eigenen Position bewertet. - Fertigt der Lehrstuhlinhaber so genannte Expertisen für politische Verbände, politische Vereinigungen, politische Stiftungen oder Gewerkschaften an oder betreut er die Anfertigung solcher “Expertisen”?
Wenn ja, dann meiden Sie diesen Lehrstuhl, denn man kann nicht zwei Herren gleichzeitig dienen: Politische Vereinigungen haben eine bestimmte Sicht auf die Welt, eine Ideologie. Expertisen für die Inhaber einer bestimmten Ideologie werden entsprechend deren Ideologie nicht hinterfragen – im Gegenteil. Wissenschaftliches Arbeiten erfordert es aber, die eigenen Grundlagen zu hinterfragen, es erfordert Fragestellungen, die neue Einsichten bringen und die notwendig, zu Ergebnissen führen, die der Ideologie bestimmter politischer Vereinigungen widersprechen. Lehrstuhlinhaber, die Expertisen für politische Vereinigungen erstellen, verzichten normalerweise bewusst darauf, Grundlagen zu hinterfragen und Fragen zu stellen, die zu neuen Erkenntnissen führen. Sie willigen ein, eine bestimmte Sicht auf die Welt zu kolportieren und mit einem wissenschaftlichen Stempel zu versehen und sind entsprechend keine Wissenschaftler, sondern Ideologen, von denen nicht zu erwarten ist, dass sie die Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens an ihre Studenten weitergeben.
Ausgerüstet mit diesen Kriterien, sollte es Ihnen nun möglich sein, die Universität/die Hochschule/den Fachbereich zu identifizieren, an der/dem Sie mit Ihrer Absicht, wissenschaftliche Grundlagen, wissenschaftliche Methoden und wissenschaftliches Arbeiten zu lernen, am besten aufgehoben sind, oder es sollte doch zumindest möglich sein, das Schlimmste zu verhindern.
Unsere Kriterien basieren natürlich auf der Prämisse, dass Sie die wissenschaftliche Methode erlernen wollen und dass Sie nicht nach einer Möglichkeit suchen, sich in ein bestehendes ideologisches Netzwerk einzukaufen. Wir haben also eine langfristige Perspektive, denn wie die Erfahrung zeigt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die schlimmsten ideologischen Auswüchse aus dem universitären Raum ausgeschieden werden und sei es nur, um durch andere ersetzt zu werden. In jedem Fall ist die Investition in Zugehörigkeit zu einem ideologischen Netzwerk kein zukunftsträchtiges Unterfangen. Dagegen ist eine angebbare Qualifikation langfristig und in vielen Bereichen ein kulturelles Kapital, auf das man (auf)bauen kann.
©Sciencefiles, 2012
Bildnachweis:
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Sie nehmen ja in jüngster Zeit viele sinnvolle Kritikpunkte vorweg, aber diesmal habe ich was…
Erstens basiert der gesamte Artikel nicht nur auf der Prämisse, “Wissenschaft” lernen zu wollen, sondern auch darauf, dass Bildung ein mehr-oder-weniger produktiver Selbstzweck ist. Wenngleich ich der letzte bin, der da (würde man das vertiefen) widersprechen würde (das ist positiv für die Wissenschaft gemeint), gibt es doch mittlerweile eine Vielzahl von Studenten, die nicht drumrumkommen, zu studieren, auch wenn sie das gar nicht können (oder nicht wollen), sondern weil sie “müssen” – wohl eine Konsequenz der Bildungsgeilheit der modernen Gesellschaft, bei der jeder Sachbearbeiter einen Bachelor “braucht”.
Zweitens, und das sehe ich sehr kritisch, ist ein solches – ich nenne es mal Leibnitz’sches – Wissenschaftsverständnis zwar sinnvoll, aber (leider) nicht mehr das, was in der Realität passiert. Es geht durch die “Verschulung” der Hoch”schulen” immer mehr um Lernen und immer weniger um Verstehen, was zwar nach Ansicht von mir (und offenbar Ihnen) problematisch ist, aber das muss nicht für jeden gelten. Es gibt genügend Opportunisten, die Ihre Liste gerne benutzen, um möglichst einfach an einen Abschluss zu kommen.
Drittens, und da muss ich eine weitere Prämisse (“für Sozialwissenschaftler”) wegnehmen, da ich – neben Pädagogen – mehr Ahnung von Wirtschaftswissenschaftlern habe: Ihr Punkt 6, die Themengleichheit zwischen Publikationen und Lehrinhalten, muss bei Fehlen nicht zwangsweise schlecht sein – ich nenne hier mal Prof. David Seidl (UZH), der zu eher abstrakten, grundlegenden Themen forscht und einen Lehrstuhl für Organisation & Management hat. Es geht Ihnen (glaube ich) aber gar nicht um eine inhaltliche Übereinstimmung, sondern um eine Abwesenheit von Ideologien. Ich denke jedenfalls, dass es schwer wird, jemanden zu finden, der wissenschaftlich korrekter und ideologiefreier arbeitet als Seidl, und das macht ihn auch als Dozenten für O&M eher anspruchsvoll.
Viertens, gleiche Prämisse, zu 8tens: Grundsätzlich mag es stimmen, dass ein Praktiker weniger wissenschaftlich arbeitet als ein reiner Theoretiker, aber zumindest an FH’s wird das komplex. Da gibt es solche, die gar nichts können, und solche, die Ihr Wissen nicht weitergeben können, weil das die Studenten – mangels Grundstudiums-Methodenkenntnissen – einfach überfordern würde. Das sehe ich aber als grundsätzliches Problem der FH’s.
Fünftens, dito, zu 9tens, und das gilt nun nur speziell für Wirtschaftswissenschaftler: Prof. Homburg, nach Meinung seiner selbst und vieler anderer der tollste Mensch und Professor für Marketing der Welt, hat mehr Doktoranden als drei Durchschnitts-BWL-Professoren zusammen. Das heißt nun aber nicht, dass das Niveau niedrig ist, sondern vielmehr, dass die Betreuung mäßig ausfallen muss. Aber man sollte sich das ja eh selbst erarbeiten, oder? Bezüglich der Gefälligkeitsdissertationen stimme ich zu.
Zum Abschluss noch eine kleine Anmerkung “von der Seite”: Wie viele Erstsemester, ganz ehrlich, denken Sie, wissen wirklich, was Wissenschaft eigentlich ist/war/sein sollte? Das Problem ist, dass – was ja hier mehrmals die Woche deutlich dargestellt wird – das Meiste, was als “wissenschaftliche Forschung” in den Medien präsentiert wird, das Papier nicht wert ist, auf dem es gedruckt wird. Oder die Bytes für den Datentransfer. Und das führt zum eigentlichen Problem: Das ist zu vielen Leuten egal (oder nicht bekannt), sodass die Ideologen (mit einem Ziel) dominant werden, und die machen alles “kaputt” – also Wirtschaftsprofessoren, die “nebenbei” man Millionen mit Unternehmensberatung dazuverdienen, Pädagogen, die ihre eigene Meinung als Apodiktum ansehen und Soziologen, die finden, dass “Gender” ein Forschungsobjekt ist (und ebenfalls Millionen damit verdienen, nur halt nicht “dazu”).
Hallo jck5000,
Zu ihren interessanten Ausführungen habe ich eine Reihe von Fragen:
1) An was machen Sie die Behauptung fest, der gesamte Artikel basiere auf der Prämisse “Wissenschaft” sei Selbstzweck?
2) Selbst wenn Punkt “Zweitens” richtig ist, was den Kriterien in keiner Weise widersprechen würde, frage ich mich ob es sinnvoll ist, den entsprechenden Hochschulen die Illusion zu lassen, sie würden Wissenschaft betreiben. Das Wissenschaftsverständnis, das den Kriterien zu Grunde liegt, ist übrigens kein Leibnitzsches, sondern bestenfalls ein kritisch-rationales, das davon ausgeht, dass Wissenschaft dem Erkenntnisfortschritt dient. Die von Ihnen beschriebenen Zustände sind an bestimmten Universitäten sicher prävalent, sonst hätten wir unsere Kriterien ja auch gar nicht aufstellen müssen, aber das heißt nicht, dass man sie zur Normalität erklären darf/muss.
3) Ich wette, dass es eine inhaltliche Übereinstimmung der Arbeit, die Herrn Seidl interessiert und seiner Publikationsliste und seinem Lehrangebot gibt…
…
Generell: Mir scheint, Ihre Ausführungen basieren auf der Annahme, dass unsere Kriterien “endgültige” Kriterien sein sollen. Wie wir aber geschrieben haben, geht es darum, das Schlimmste zu verhindern und dies geschieht, in dem man ALLE Kriterien zusammen gewichtet (deshalt die Checkliste). Letztlich muss jeder Student selbst zu einer Entscheidung kommen, was er nachfragen will, aber ich würde, auch wenn ich tendenziell der Ansicht bin, dass die Verschulung des Studiums und die systematische Auslagerung von Lehrinhalten aus dem schulischen Unterricht dazu führt, dass weniger autonome und mehr lenkbare und abhängige Studenten an Universitäten kommen, nicht unterschreiben, dass die meisten keine Idee oder Vorstellung davon haben, was Wissenschaft ist und in jedem Fall ist es aus meiner Sicht sinnvoll, denen, die sich für Wissenschaft interessieren, was ja das ist, was man eigentlich an Universitäten sucht, Kriterien an die Hand zu geben, an denen Sie sich orientieren können, um, wie gesagt, das Schlimmste zu verhindern. Und wie mit allen Kriterien, so ist es auch bei diesen Kriterien so, dass Ausnahmen die Regel bestätigen – some noise in the dataset…
Hallo Herr Klein,
ich sehe schon, das war nicht gut formuliert… und Leibniz’sches Wissenschaftsverständnis geht auch zu weit. Sie legen ja in Ihrem Grundsatzprogramm da, was Sie unter Wissenschaft verstehen, und das teile ich auch; mein Punkt hier ist, dass Ihre Liste “nur” dann sinnvoll ist, wenn man – und der Punkt fehlt mir eben – Wissenschaft als Mittel zum Erkenntnisfortschritt (und nichts sonst) versteht – das meinte ich auch mit Selbstzweck; auch das war nicht gut gewählt.
Ihr Punkt 2 ist dann der Kern meiner Gegenargumentation: Will man den Fachhochschulen, also der “angewandten Wissenschaft” in der Form, wie sie dort praktiziert wird, eine wissenschaftliche Existenzberechtigung lassen, dann ist Ihre Liste ab Punkt 6 wenig nützlich für diejenigen, die sich für eine solche Ausbildung entscheiden. Wenngleich (auch) ich der Meinung bin, dass Wissenschaft und FH’s zwei sehr unterschiedliche paar Schuhe sind, sollte man das zumindest erwähnen – umgekehrt kann man aber natürlich durch diese Punkte erkennen, inwiefern eine Universität eben keine solche mehr ist, sondern eher eine Hoch-Schule.
Ansonsten stimme ich ja weitestgehend zu (da die “Ausnahmen” ein gutes Gegenargument sind). Und wenn sich die Liste jetzt rein auf Universitäten beziehen soll, habe ich nur noch das kleine Problem mit Punkt 9, dass die Anzahl von Doktoranden per se m.E. keine Aussage hat.
@jck5000
Ich kann mich der Antwort von Michael Klein vollkommen anschliessen, würde aber gerne noch betonen, dass Ihre Punkte 1 und 2 m.E. unsere Kriterien, die wir vorgeschlagen haben, eigentlich unterstützen, denn gerade dann, wenn “mittlerweile eine Vielzahl von Studenten, die nicht drumrumkommen, zu studieren, auch wenn sie das gar nicht können (oder nicht wollen), sondern weil sie “müssen””, ist es doch umso wichtiger, dass sie im mehr oder weniger erzwungenen bzw. notwendigen Studium zumindest etwas vermittelt bekommen, was als “Handwerkszeug” in möglichst vielen späteren Tätigkeitsbereichen verwertbar ist, und ich meine, dass Grundkenntnisse, wie Wissenschaft funktioniert, diesbezüglich sehr sinnvoll sind, und sei es nur, weil sie Kritikfähigkeit (z.B. im Hinblick darauf, wie gut bestimmte Aussagen oder Forderungen begründet sind), entwickelt und Rechercheroutinen vermittelt. Aber das ist es eben: Das Studium muss dies dann eben auch vermitteln (und das kann ja durchaus auch in Form von ‘Lernen’, wie Sie es unter Ihrem Punkt 2 angesprochen haben, wenn es nicht anders geht, passieren), und unsere Kriterien tragen, glaube ich, dazu bei, die Chancen dafür zu erhöhen, dass eine Universität/ein Fachbereich gefunden werden kann, der ein solches Studium ermöglicht.
Zum Punkt “Übereinstimmung von Inhalten von Lehre und Forschung”: Ja, vor allem geht es uns um die Abwesenheit von Ideologien, aber darüber hinaus ist aus Sicht von Studierenden, und die haben wir ja versucht einzunehmen, um Kriterien formulieren zu können, die eben im Interesse von Studierenden sind, von Vorteil, wenn die Inhalte in Lehre und Forschung eines Dozenten einander entsprechen, denn dann kann das, was der Dozent in der Forschung betreibt, in die Lehre mit einfließen, und ich weiß aus eigener Erfahrung, dass das für beide, Studierende und Dozenten, von großem Nutzen sein kann: Studierende lernen den neuesten Stand der Forschung, u.U. können sie am Beispiel des Dozenten lernen, wie und warum man bestimmte Forschungsfragen mit Bezug auf Theorie entwickelt, und sie können auch die Schwierigkeiten der Forschung kennenlernen, mit denen sich der Dozent gerade herumschlägt, und der Dozent erhält ein feedback von den Studenten, wird sozusagen “geerdet”, wird an Dinge erinnert, die erklärungsbedürftig sind, die ihm aber vielleicht aus dem Blick geraten sind, weil er sozusagen schon etwas “betriebsblind” mit Bezug auf seine Forschung geworden ist.
Und zur Anzahl der durch einen Dozenten betreuten Qualifikationsarbeiten: Gerade Dozenten, die gut betreuen, “erfreuen” sich hoher Betreuungsnachfrage. Ihre Standards können sie aber nicht halten, wenn sie versuchen, der hohen Nachfrage zu entsprechen. Ich darf sagen, dass ich das selbst erlebt habe und insofern sehr gut weiß, dass es nun einmal einfach zeitliche Grenzen der Betreuungsarbeit gibt, und daran ist nichts zu ändern: entweder man betreut weniger Studenten gut oder man macht Abstriche an der Betreuungsqualität einzelner oder aller Studenten. M.E. ist es im Interesse von Studenten, wenn ein Dozent die erste Möglichkeit wählt. Das erhöht zwar die Chance, dass sie selbst später nicht in den Genuss der Betreuung durch diesen Dozenten kommen werden, aber eben auch die Chance, gut betreut zu werden, WENN sie (später) von ihm betreut werden. Wenn sie das später nicht schaffen, haben sie sich durch Verwendung dieses Kriteriums bei der Auswahl eines Studienortes zumindest nicht verschlechtert.
Ich denke, es ist wichtig, dass man bei der Durchsicht unserer Kriterien in Rechnung stellt, dass es hier um die Interessen der Studierenden geht, es uns also hier überhaupt nicht darum ging, z.B. zu behaupten, dass Dozenten, die viele Abschlussarbeiten betreuen, notwendigerweise nicht gut betreuen könnten, d.h. weil es ihnen an Qualifikationen dazu fehlt; viele werden das einfach unter dem Druck der “Massenuni” tun, aber das ändert nichts daran, dass es für Studenten wünschenswert ist, dass ihr Dozent gut betreut, und das ist eben umso besser möglich, je mehr Zeit er auf die Betreuung einzelner (weniger) Studenten verwendet.
Und ich denke auch nicht, dass die Forderung, Qualifikationsarbeiten selbst zu erstellen, bedeutet, dass die Betreuungszeit minimiert werden kann – im Gegenteil: je stärker sie die Studenten in Eigenverwantwortung agieren lassen (wollen), umso mehr müssen Sie als Dozent sicherstellen, dass sie das können und dabei nicht “in die falsche Richtung” laufen. Gerade zu Beginn einer Qualifikationsarbeit bzw. bei ihrer Vorbereitung ist die Betreuungsleistung daher idealerweise intensiv.
Last, but not least: Wir sind immer offen für Vorschläge, was denn zusätzliche oder bessere Kriterien sein könnten. Wenn ich Sie richtig verstehe, würden Sie einige unserer Kriterien relativieren wollen, aber was würden Sie dann den Studenten, die uns anfragen, mit auf den Weg geben? Dass alles relativ ist, und es deswegen mehr oder weniger egal ist, wo sie studieren? Das hielte ich für faktisch falsch und für wenig hilfreich für die Studenten.
Hallo Frau Diefenbach,
Sie haben in den beiden wichtigen Punkten natürlich Recht: Ich halte Ihre zehn Punkte grundsätzlich für richtig (mit Ausnahme der Anzahl der Betreuten, weiterhin – ich kenne da fast nur Gegenbeispiele). Und ich würde einige davon relativieren – denn die “richtige” Universität ist subjektiv vom Ziel des jeweiligen Studenten abhängig, und wenngleich Sie die Liste für Menschen, die nach einer “wissenschaftlichen Ausbildung” streben, schreiben (und sie dafür auch gut geeignet ist), taugt sie nicht unbedingt für jeden – sondern nur für diejenigen, die “Ihr” Verständnis von wissenschaftlicher Ausbildung haben. Ich will da jetzt nicht sagen, dass ich “Ihr” Verständnis irgendwie nicht 100%ig teile, aber die Vielzahl von Studienformen erlaubt es ja doch, für so ziemlich jeden das “Richtige” zu finden.
Für diejenigen, die “echte” wissenschaftliche Forschung kennen lernen wollen (und das Ziel haben, selbst Wissenschaftler zu werden) – also ein kritisch-rationales Erkenntnisinteresse zugrundelegen, ist Ihre Liste super. Hier würde ich Punkt 2 noch um “Wissenschaftstheorie” ergänzen, (und ggf. erwähnen, dass “Poststrukturalismus” und “Dekonstruktivismus” keine solche ist).
Für solche, die das Studium für einen späteren Job brauchen, eher weniger. Die Punkte 1, 2 und 5 kann man sicher in Stein meißeln; 3, 4, 7 und 10 für all diejenigen, die keine politiknahen Posten (Gleichstellungsbeauftragte oder so) anstreben sicher auch. Und meine Argumente zu den verbleibenden 6, 8 und 9 kennen sie schon – das ist subjektiv unterschiedlich zu bewerten und muss eben nicht von Bedeutung sein.
Für diejenigen, die das Studium brauchen, um im Job weiterzukommen, wird das mit 6, 8 und 9 noch kritischer – und das von Ihnen erwähnte “Recherche lernen” auch: Natürlich ist es gut, zu wissen, wie man sich mehr Wissen aneignet, aber es gibt sicher eine Vielzahl von Karrieren, wo eine solche Fähigkeit kaum entfaltet werden kann. Nimmt man da nicht lieber das praxisorientierteste und lernt was konkretes (auch wenn das dann keine Wissenschaft mehr ist)?
Um Ihre abschließende Frage zu beantworten: Ihre Liste ist schon gut, wenn klar ist, an welche Art von Studenten sich die Liste richtet. Und wenn Sie noch ein Kriterium wollen: Ich würde ergänzen, dass Stiftungslehrstühle mit Vorsicht zu genießen sind (wobei die durch 4 und 10 wohl abgedeckt sind).
@jck5000
es tut mir leid, aber es ist mir unnachvollziehbar, warum ein “kritisch-rationales Erkenntnisinteresse” nur etwas für Leute sein soll, die Wissenschaftler werden wollen.
Kritisches und rationales Denken ist für jede/n wichtig und nützlich und ist sowohl im eigenen Interesse dessen, der so denkt, als auch im Interesse der Gesellschaft, in dem er/sie lebt; man stelle sich nur vor, Leute könnten durch kritisch-rationales Denken zur einer realistischen Schätzung darüber kommen, in welchem Verhältnis ihre Sozialabgaben zu der Wahrscheinlichkeit stehen, mit der sie etwas aus den Sozialkassen herausnehmen werden (und wie viel das dann sein wird), oder Journalisten in Deutschland würden sich durch kritisch-rationales Denken auszeichnen….. Das ist für mich gerade einer der Mißstände, dass in Deutschland kritisch-rationales Denken als eine Art Luxus behandelt wird oder als besondere Fähigkeit einer “Avantgarde” oder schlicht als überflüssig. Ich glaube, das ist einer der Hauptgründe dafür, dass sich in Deutschland keine “civic society” entwickelt.
Davon abgesehen verdient eine Universität, die Leute mit akademischen Titeln ausstatten soll, damit die Inhaber “politiknaher Posten” akademisch gebildet erscheinen können, nicht die Bezeichnung “Universität”. In politiknahe Posten sollten m.E. ohnehin besser Leute kommen, die bereits über eine eigenständige berufliche (und vielleicht akademische) Identität verfügen, von der aus sie ihren politiknahen Posten überhaupt erst verantwortlich wahrnehmen können (und die sie im Übrigen weniger erpressbar, um nicht zu sagen: bestechlich, macht).
Zu Ihrem vorletzten Punkt wegen der “Vielzahl von Karrieren, wo eine solche Fähigkeit kaum entfaltet werden kann”: Sie sagen es selbst; das ist weder Wissenschaft noch ist es Aufgabe der Universität, auf solche Karrieren vorzubereiten.
Wenn Sie also unsere Liste für all diejenigen gut finden, die kritisch-rationales Denken erlernen oder in einem bestimmten Fachgebiet anwenden wollen, dann freue ich mich sehr, denn dann ist sie ja auch Ihrer Meinung nach für alle geeignet, für die die Unis da sind oder sein sollten.
Zur Anzahl der von einem Dozenten Betreuten:
Sie schreiben, Sie kennen “da fast nur Gegenbeispiele” – wozu? Es ist ja ein logisch notwendigerweise korrektes Argument, dass mit der Anzahl der Betreuten die Zeit weniger wird, die man für die Betreuung jedes einzelnen Studierenden erübrigen kann; ich vermute nicht, dass die “Gegenbeispiele”, die Sie kennen, Menschen mit Tagen sind, die mehr als 24 Stunden umfassen 🙂 Davon abgesehen habe ich 15 Jahre als Dozentin an der Uni verbracht, selbst jede Menge Qualifikationsarbeiten betreut und sehr viele Gespräche hierüber mit Studierenden wie mit Kollegen geführt, und die Dilemmata, die damit verbunden sind, sind uns allen gut bekannt. Aber ich habe in all der Zeit noch nie einen Kollegen getroffen, der mir gesagt hätte, er hätte neben Lehre, Forschung, akademischer Selbstverwaltung und den bereits betreuten Studierenden noch zeitliche Spielräume, die er gerne mit der Betreuung zusätzlicher Studierender anfüllen würde, und ich habe nur sehr selten Studierende gesprochen, die mit der Betreuung, die sie erfahren haben, wirklich zufrieden waren, wenn neben ihnen noch zehn bis zwanzig andere Studierende betreut wurden. Insofern kenne ich sozusagen eigentlich nur Gegenbeispiele zu Ihren Gegenbeispielen – und das angesichts meiner Lehrerfahrungen an verschiedenen Universtitäten und in verschiedenen Fachbereichen.
Ja, man kann Abläufe optimieren, aber das stößt sehr schnell auf Grenzen, die nicht “technologisch” auszudehnen sind; es sind nicht nur zeitliche Grenzen, sondern auch kognitive Grenzen, und außerdem erfordert Betreuung sehr viel Einfühlungsvermögen, häufig praktische Unterstützung, z.B. in Form von Telefonaten (um z.B. irgendwo Daten loszueisen), dem Geben von Beispielen (die man sich erst einmal selbst ausdenken muss), dem Nachholen oder Auffrischen von “vergessenem” Wissen auf der Seite der Studierenden, dem Knüpfen von Zusammenhängen, deren Relevanz für die eigene Arbeit die Studierenden nicht auf Anhieb sehen, und zwar auf eine Weise, die sie die Zusammenhänge selbst entdecken lässt, statt sie “zu diktieren”, etc. etc. Dies alles erfordert notwendigerweise Zeit und Empathie und Konzentration, die auch der allerbeste und allermotivierteste Dozent nicht unbegrenzt zur Verfügung hat oder maximieren kann – es ist einfach ein praktisches Problem und keine Willensfrage. Und insofern bleibt es dabei: Es ist im Interesse von Studierenden, wenn ein Dozent sie betreut, der (klar, natürlich kompetent ist, aber auch) sich ein Limit hinsichtlich der Zahl der von ihm Betreuten setzt.