Sciencefiles macht Schule!

Die wissenschaftliche Rezeption unserer Arbeit auf sciencefiles kommt bei uns in letzter Zeit immer häufiger an. Im Negativen finden wir uns als “Hetzblog” von vermeintlichen Wissenschaftlern bezeichnet, denen es nicht passt, dass wir die negative Haltung des DGS-Vorstands (hoffentlich das letzte absolutistisch herrschende Zentralkommittee auf Erden) zur Beteiligung soziologischer Institute am CHE-Hochschulranking kritisieren. Im Positiven finden wir uns immer häufiger in wissenschatlichen Texten zitert. Letzte Beispiele sind der Beitrag von Sylke Nissen in Quality and Quantity mit dem Titel “The Eurobarometer and the process of European integration. Methodological foundations and weaknesses of the largest European survey” und nunmehr die zweite Auflage des Handbuchs “Jungen-Pädagogik”, das Michael Matzner und Wolfgang Tischner herausgeben und dessen Einleitung in einem erfreulich deutlichen Stil geschrieben ist und uns mit stolz geschwellter Brust sagen lässt: Wir machen Schule! Wir wollen unseren Lesern nicht nur das Handbuch Jungen-Pädagogik ans Herz legen, sondern auch die wichtigsten Teile der Einleitung von Wolfgang Tischner und Michael Matzner nicht vorenthalten.

Der zitierte Teil beschäftigt sich mit den Reaktionen auf die erste Auflage des Handbuches “Jungen-Pädagogik” – mit den Rezensionen des Buches und mit Gegenmaßnahmen, die eingeleitet wurden, um der im Handbuch Jungen-Pädagogik beschriebenen Wirklichkeit, ideologische Wolkenkuckucksheime gegenüber zu stellen.

Der weitaus größte Teil der Besprechungen fiel positiv aus. Wie erwartet war jedoch auch massive Kritik zu vernehmen, die in der Regel von feministischer Seite … kam. Diese richtet sich vornehmlich dagegen, dass im Grundlagenteil des Buches nicht sozial-, sondern auch naturwissenschaftichen Argumentationen Raum gegeben wurde. Durch Zahlen und Fakten belegten Hinweisen darauf, dass die Jungen als Gesamtpopulation im Vergleich zu ihren Mitschülerinnen in den vergangenen Jahrzehnten zu Bildungsverlierern geworden sind, wurden von Seiten einer Rezensentin erstaunlicherweise ‘die Zahlen zur schlechteren Bezahlung von Frauen und ihre enorme Unterrepräsentation in Führungspositionen’ entgegengehalten (Balluseck 2009) – ein Umstand, an welchem die schulisch ins Abseits geratenen Jungen allerdings völlig unschuldig sind und den zu ändern außerhalb ihrer Möglichkeiten liegt.

Die zitierte Argumentationsfigur macht deutlich, dass sich die Diskussion um die Bildungsbenachteiligung der Jungen keineswegs auf die Erörterung ausschließlich pädagogischer Gesichtspunkte beschränkt. Vielmehr ist die pädagogische Debatte eingebettet in eine umfassendere geschlechter- und gesellschaftspolitische Auseinandersetzung …, in welcher es zentral um die Frage geht, ob prinzipiell nur Mädchen und Frauen oder auch Jungen und Männer in unserer Gesellschaft benachteiligt werden können. Sollte der Nachweis erbracht werden, dass auch das männliche Geschlecht ‘benachteiligungsfähig’ ist, so wäre das Monopol der Frauen auf Benachteiligungsfähigkeit und Opferstatus gebrochen und der seit mehr als zwei Jahrzehnten florierenden Feminismusindustrie die Legitimationsgrundlage entzogen. Dies mag einer der Gründe dafür sein, dass die empirisch solide und fundiert gesicherte These der Bildungsbenachteiligung von Jungen … oftmals mit ungewöhnlicher Vehemenz zu leugnen, zu relativieren oder zu verharmlosen versucht wird.

Als Vorreiter erwies sich hier, abgesehen von einigen Artikeln in der Tagespresse, das Bundesjugendkuratorium mit seiner Stellungnahme ‘Schlaue Mädchen – Dumme Jungen? (2009), welche sich gegen angebliche ‘Verkürzungen in der Debatte über eine vermeintliche Benachteiligung von Jungen’ wendet. [Die sciencefile-Besprechung dieser Stellungnahme gibt es unter dem Titel Bestellte Gutachten] Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (‘Frauen in der GEW’,’Arbeitsbereich Frauenpolitik’) tat sich schwer mit der Anerkennung der Tatsache, dass die Jungen im statistischen Vergleich zu ihren Mitschülerninnen die Schule mit deutlich minderqualifizierten Abschlüssen verlassen, und gab eine Studie in Auftrag [Es handelt sich um die unsägliche “Studie” von Thomas Viola Rieske, die auf sciencefiles unter dem Titel Gewerkschaftliche Irreführung oder wie die GEW versucht, die Realität zu verbiegen analysiert wurde], die dies widerlegen sollte, von namhaften Wissenschaftlern wie Klaus Hurrelmann, Walter Hollstein, Rainer Geißler und Heike Diefenbach allerdings scharf kritisiert wurde (Kritische Wissenschaft 2011).

Eine moralische Perspektive brachte insbesondere der Berliner Sozialwissenschaftler Marcel Helbig (2010) mit seiner Arbeit ‘Lehrerinnen trifft keine Schuld an der Schulkrise der Jungen’ in die Diskussion [Die sciencefile-Besprechung des Werks von Helbig findet sich hier]. Angesichts eines solchen Titels stellt sich zunächst die Frage, warum der Autor glaubt, ‘den Lehrerinnen’ Absolution erteilen zu müssen, nachdem empirische Erhebungen lediglich festgestellt haben, dass die Jungen in puncto Schulerfolg in den letzten Jahren statistisch ungewöhnlich deutlich von ihren Mitschülerinnen abgehängt wurden, während sie – mit zunehmender Tendenz und je jünger, umso häufiger – derzeit weit überwiegende von Frauen erzogen werden. Es ist jedoch alles andere als zwingend, den Lehrerinnen aufgrund der bloßen Tatsache, dass sie sich gegenüber ihren männlichen Kollegen unverhältnismäßig in der Überzahl befinden eine Schuld zuzusprechen, wo in Wahrheit ein offensichtliches Versagen der Politik vorliegt.

Helbigs galante Eilfertigkeit wirft jedoch ein bezeichnendes Schlaglicht auf die Dynamik der gegenwärtigen Debatte um die Bildungsbenachteiligung von Jungen: Ginge diese nämlich tatsächlich auf das Konto der Lehrerinnen, so setzen sie sich sogleich dem Vorwurf aus, dass sie jungen Menschen wissentlich oder gar vorsätzlich massiv schadeten – eine Befürchtung, die manch gereizte und überschießende Reaktion auf dieses Thema erklären würde, allerdings völlig unbegründet ist.

Auf feministischer Seite versucht man nicht selten Jungen selbst die Schuld für ihr Scheitern anzulasten. Während beispielsweise, Forster, Rendtorff und Mahs, die von einer ‘grundlegenden Krise der Männlichkeit’ sprechen, den Mädchen ein ‘schuladäquatere[s] Verhalten’ attestieren, werfen sie den Jungen vor, dass sie demgegenüber eine ‘geringere Anpassungs- und Anstrengungsbereitschaft’ an den Tag legten (2010, S.8). Die Gründe dafür sind schnell gefunden: Dies liege, so ein verbreitetes Erklärungsmuster, an einem ‘antiquierten Männlichkeitsbild’ der Härte, Macht, Unnahbarkeit, Coolness und Dominanz, welchem viele Jungen nicht abzuschwören bereit seien.

Dabei wird allerdings oftmals übersehen, dass sich die Randbedingungen schulischen Lernens für die Jungen in den letzten vier Jahrzehnten grundlegend gewandelt, zum überwiegenden Teil erheblich verschlechtert haben. Ein Ausblenden oder Außerachtlassen dieser Randbedingungen käme einer Entkontextualisierung ihres Verhaltens gleich, wodurch dieses weitestgehend unverständlich würde. Jungen werden nur dann die erwartete Anpassungs- und Anstrengungsbereitschaft erbringen können, wenn die Schule ihnen und ihrer noch sehr unsicheren und verletztlichen Männlichkeit den nötigen Respekt nicht dadurch verweigert, dass sie ihre geschlechtsspezifischen Bedürfnisse, Interessen und Verhaltensweisen abwertet, sanktioniert (oftmals über eine leitsungsinadäquate Benotung) oder gar pathologisiert” (8-10).

Dies also ist ein Teil einer wirklich bemerkenswerten Einleitung zu einem Buch, das den Lesern dieses blogs hiermit abermals “ans Herz gelegt sei” (ein Euphemismus für die Aufforderung, das Buch zu kaufen). Aber: sciencefiles wären nicht sciencefiles, wenn dem Lob nicht auch Kritik folgen würde. Wir sind nicht der Ansicht, dass es Schulen ansteht, Anpassungsleistungen von ihren Schülern zu verlangen, die über das zum bloßen Stofferwerb notwendige Maß hinausgehen. Schulen dienen der Vermittlung von Wissen, und alles andere als die Leistungswilligkeit und die Leistungsfähigkeit von Schülern hat Schulen und die darin beschäftigten Lehrer nicht zu interessieren. Schulen sind keine Anstalten zur Überwindung von Rollenmustern einer bestimmten Männlichkeit, die den herrschenden Staatsfeministen gerade nicht in den Kram passen, und Schulen sind keine Umerziehungsanstalten, die man nutzen kann, um den “demokratischen”, den “faschistischen”, den “sozialen”, den “unterwürfigen” oder den “feminen” Bürger heranzubilden.

Insofern wäre die Einleitung noch besser, wenn man den in Schulen Beschäftigten deutlich gesagt hätte, worin ihre Aufgabe besteht und vor allem worin nicht, aber – abgesehen von dieser kritischen Anmerkung, “passt’s scho”. Es tut sich was, in der deutschen Wissenschaft. Vielleicht kommt so etwas wie ein emprischer Frühling, in dem der komplette staatsfeministische Unsinn hinweggeschwemmt und dem Wissen und seiner Vermittlung wieder Priorität eingeräumt wird, ganz so, wie das auch in Schulen sein sollte. Schließlich ist einzig empirische Forschung, sind nicht vorgefasste Meinungen dazu geeignet, um den Ursachen für die Bildungsnachteile von Jungen auf den Grund zu gehen.

Matzner, Michael & Tischner, Wolfgang (Hrsg.)(2012). Handbuch Jungen-Pädagogik. Weinheim: Beltz.

Bildnachweis:
Sarah Bundy

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