“Wie sinnvoll sind eigentlich derartige Regierungsberichte? Also Berichte, die einen Sachverhalt kritisch darstellen sollen. Wie etwa der Armuts- und Reichtumsbericht, aber auch der Kinder- und Jugendbericht, der Familien oder der Altenbericht. Die eigentliche Frage lautet: Sollten solche Berichte und sachlichen Bestandsaufnahmen nicht besser von unabhängigen Konmissionen oder Sachverständigenräten erstellt werden als von der Regierung selbst, die definitionsgemäß politisch nicht unabhängig ist, und bestimmten Zwängen … unterliegt”.
An dem Zitat ist einiges bemerkenswert, einiges enttäuschend. Bemerkenswert ist, dass sich jemand, der zum Dunstkreis der Bundestagsparteien zu zählen ist und entsprechend in der Enquete Kommission “Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität” (klingt wie ein Faschingshit) ständiges und erhoffter Maßen sachverständiges Mitglied ist, die Erkenntnis hat und äußert, dass Berichte, die als Auftragsarbeit von der Regierung vergeben und für diese erstellt werden, nicht unbedingt die Realität widerspiegeln müssen, dass sie in Interessen gefärbt sind und entsprechend, je nach Interesse ein verzerrtes Bild der Realität geben. Bemerkenswert ist auch, dass jemand wie Gert G. Wagner von Zwängen spricht, in denen sich z.B. die Regierung befindet und die, wie man dem Absatz entnehmen kann (denn das ist die implizite Prämisse), die die Regierung dazu veranlassen, die Realität zu verzerren (Wenn Sie das nächste Mal lügen, dann sagen Sie einfach, sie unterliegen bestimmten (Sach-)Zwängen, die eine vollumfängliche Darstellung der Wirklichkeit nicht zulassen würden). Das alles, wie gesagt, ist bemerkenswert.
Aber das Zitat ist gleichzeitig enttäuschend, denn es ist erstens ein alter Hut und zweitens eine Verharmlosung. Dass wir Realität vor dem Hintergrund unserer Erfahrungen wahrnehmen und dass jede Beobachtung, und sei sie noch so penibel und genau gemacht, aufgrund der Forschungsinteressen, die uns zum Beobachten bringen, notwendig gefärbt ist, ist bekannt. Es zeigt sich z.B. darin, dass wir untersuchen, wie der Ruf des Ochsenfroschs von seinem Auditorium aufgenommen wird, und nicht wie die Darbietungen der Wildecker Herzbuben vom Auditorium aufgenommen werden. Offensichtlich sind wir an Ochsenfröschen und nicht an den Wildecker Herzbuben interessiert. Konsequenter Weise kann man daher nicht behaupten, irgendein Bericht, von wem auch immer erstellt, sei frei von Interessen, sei objektiv. Auch der Bericht eines Sachverständigenrats ist nicht objektiv und von Interessen getragen, aber dazu später.
Enttäuschend ist die Passage aus dem kurzen Text von Wagner auch, weil er antippt und vorsichtig formuliert, wo festes Zugreifen und deutliche Worte vonnöten sind. Hier ist Wagner massiv am verharmlosen. Warum sind Regierungen, politische Parteien, ihre Ableger in den Stiftungen und Organisationen, die im öffentlichen Diskurs etwas gelten wollen, so erpicht darauf, Berichte zu erstellen? Die Antwort liegt auf der Hand: Eben wegen ihrer Interessen und weil es in Deutschland immer noch wichtig ist (wie lange noch, bleibt abzuwarten), sich mit dem Schein der Objektivität zu umgeben und seine Interessen hinter scheinbar objektiven Ergebnissen zu verstecken.
Deshalb ist es, entgegen der Ansicht von Gerd Wagner, eine Manipulation, wenn man die Bewertung von Daten verändert, so dass sie den eigenen Interessen genehm ist, aber nicht unbedingt dem, was in den Daten zu finden ist, entspricht. Zu behaupten, dass eine Manipulation nur da vorliege, wo Daten gefälscht werden, wie Gerd Wagner dies zum Anfang seines Textes tut, ist naiv und fahrlässig, denn der Kampf um die öffentliche Meinung ist ein Kampf um die Bewertung von Daten, kein Kampf um die Daten. Dies zeigt sich deutlich daran, dass die Tatsache, dass Jungen im Hinblick auf ihre erreichten Bildungsabschlüsse Nachteile gegenüber Mädchen haben, von kaum mehr jemandem, der nicht als irre gelten will, bestritten wird. Der Kampf tobt nun um die Bewertung der Nachteile: Sind sie das Ergebnis einer Benachteiligung von Jungen durch Lehrerinnen oder sind Jungen selbst schuld, weil sie machohaft auftreten? Vor diesem Hintergrund zu behaupten, eine interessegeleitete Bewertung von Fakten sei keine Manipulation ist sträflich und eines Wissenschaftlers nicht würdig. Doch zurück zum allseitigen Bemühen all der politischen Akteure, die einen “Bericht” in Auftrag geben, die Ergebnisse des Berichts mit ihren Interessen konform zu gestalten und dennoch eine Objektivität des Berichts vorzugaukeln.
Am besten funktioniert diese Mimikry, wenn die entsprechenden Berichte mit dem Mantel der Wissenschaftlichkeit umgeben werden, dann, wenn ein bestimmter Bericht der Öffentlichkeit als Ergebnis der Arbeit von Experten, eines Expertengremiums oder von Sachverständigen präsentiert werden kann. Meistens weiß zwar niemand, warum die entsprechenden Experten gerade für den Gegenstand des Berichts, an dem sie geschrieben haben, Experten sein sollen, aber das macht nichts, bei Berichten aus dem Dunstkreis von Ministerien, politischen Parteien oder politischen Organisationen ist jeder, der daran mitwirkt, ein Great Pretender.
Jeder Regierungsbericht, jeder Bericht aus den Hallen politischer Parteien oder ihrer Satelliten, der von sich behauptet, er sei objektiv, sei von wissenschaftlichen Sachverständigen erstellt oder werde in welcher Weise auch immer, wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht, ist in der beschriebenen Weise Mimikry, denn wie Wagner zu Beginn seines Textes kurz und eher unfreiwillig preis gibt, ist der wichtigste Bestandteil der enstprechenden Berichte, die darin enthaltene Bewertung der vermeintlichen Ergebnisse aus der Realität. Hier spielt die Musik, hier sind die Interessen, die zur Erstellung des Berichts geführt haben, und hier wird versucht, zu manipulieren. Manipulationen nehmen die unterschiedlichsten Formen an: Teile der Realität werden gar nicht erst untersucht, Ergebnisse werden umgewertet, in einen anderen oder in keinen Zusammenhang gestellt, Ergebnisse werden gestrichen oder in einem Wust unnötiger Einzelheiten vergraben, die Möglichkeiten sind schier endlos. Und diese Möglichkeiten der Manipulation werden natürlich von den Auftraggebern der entsprechenden Berichte genutzt, oder ist hier wirklich jemand so naiv anzunehmen, die Bundesregierung würde das Ergebnis einer Untersuchung veröffentlichen, die zu dem Ergebnis kommt, dass die deutschen Universitäten nur noch Personal zweiter Wahl beschäftigen (Wer das wirklich glaubt, der möge versuchen, an die Datensätze der PISA-E Studie zu kommen, die es ihm erlauben, die gemessenen Leistungen der Schüler nach Bundesland aufzuschlüsseln)? Oder glaubt jemand, die Friedrich-Ebert-Stiftung würde eine Untersuchung veröffentlichen, die zeigt, dass sozialistische Eingriffe in den freien Markt regelmäßig und unausweichlich ins Fiasko führen? Eben!
Folglich muss man Berichte immer mit Blick auf den Auftraggeber und seine Interessen lesen, um zu wissen, in welche Richtung die Berichte einen bias haben, und welche Bereiche der Realität vermutlich unterschlagen werden. Dieses Interesse-Problem ist nicht zu lösen, auch nicht durch die von Wagner vorgeschlagene Auslagerung der entsprechenden Berichte in Sachverständigenräte, wie es sie derzeit in der Umwelt- und Wirtschaftspolitik gibt: Sachverständigenräte also, die die Bundesregierung oder das Parlament bestellt. Wie groß ist wohl das kritische Potential solcher Sachverständigenräte? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass die in die entsprechenden Sachverständigenräte berufenen “Experten” keine Zugeständnisse an die Interessen ihrer Auftraggeber machen? Und selbst wenn sich tatsächlich unabhängige Wissenschaftler in Sachverständigenräten finden, wie hoch ist wohl die Wahrscheinlichkeit, dass der Bericht des Sachverständigenrates nicht dennoch vor seiner Veröffentlichung editiert wird?
Was tun, wenn Sachverständigenräte auch nicht die Lösung sind? Nun, ich finde es überraschend, dass die naheliegende Idee, die einem Demokraten in diesem Zusammenhang eigentlich kommen müsste, nie kommt. Warum sollten die entsprechenden Berichte, die zumeist nichts anderes sind als ein Tätigkeitsnachweis und ein Erfolgsbericht für die entsprechenden Auftraggeber überhaupt im Auftrag von Regierung oder politischen Parteien und in jedem Fall auf Kosten der Steuerzahler erstellt werden? Verlangt es die demokratische Kontrolle nicht geradezu, dass die entsprechenden Berichte als Kontrollberichte über die Tätigkeit von Regierung und politischen Parteien deren Einfluss ganz und gar entzogen werden? Ist es nicht geradezu demokratisch gefordert, dass die entsprechenden Berichte von Experten erstellt werden, die im Gegenstandsbereich des Berichts ausgewiesen sind, die von Regierung und politischen Parteien vollkommen unabhängig sind und die im Wettbewerb mit anderen Experten darüber stehen, wer die Berichte über einen bestimmten Gegenstandsbereich verfassst, die dem Ziel objektiver Darstellung am nächsten kommen? Und ist es nicht erforderlich, dass die Qualität der entsprechenden Berichte an den Standards des wissenschaftlichen Arbeitens gemessen werden, damit Berichte wie der von Hinrich Rosenbrock oder der des Bundesjugendkuratoriums schnell als das ideologische Blendwerk identifiiziert und etikettiert werden können, das sie nun einmal sind?
Die Antworten auf diese Fragen weisen alle in die selbe Richtung: In die Richtung eines wissenschaftlichen Gremiums, das z.B. bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft angesiedelt ist und das Mittel zur Erstellung von Berichten über die Wirkung der Politik der Regierung und der politischen Parteien bereithält, um die sich Wissenschaftler und private Unternehmen bewerben können. Über die Vergabe der Mittel wiederum entscheiden Wissenschaftler anhand der Kriterien wissenschaftlichen Arbeitens, wie wir sie z.B. in unserem Grundsatzprogramm dargelegt haben. Um die Mittel findet Wettbewerb statt und die Ergebnisse werden nach Erstellung der Berichte von einem anderen Gremium, das sich aus Wissenschaftlern zusammensetzt, die nicht über die Vergabe der Mittel entschieden haben und abermals vor dem Hintergrund der Kriterien wissenschaftlichen Arbeitens geprüft und bewertet. Es ist dies eine formale, keine inhaltliche Prüfung. So wird zum einen verhindert, dass Regierung, politische Parteien und ihre Satelliten Steuergelder zum Fenster hinaus werfen, um damit Berichte zu erstellen, die ihren eigenen Interessen dienen, zum anderen wird gewährleistet, dass die Steuergelder, mit denen z.B. politische Stiftungen ihre Polit-Agitation betreiben, nicht mehr eingesetzt werden, um damit vermeintlich wissenschaftliche Berichte zu erstellen.
Meine Lösung ist eine Marktlösung, und es ist eine Lösung, die ich noch nicht in jeder Hinsicht auf ihre Folgen untersucht habe. In jedem Fall stellt die Lösung jedoch sicher, dass die Frage, ob Berichte von Regierungen, politischen Parteien oder den Satelliten von politischen Parteien die Realität angemessen beschreiben und bewerten, nicht mehr diskutiert werden muss, denn die Regierung ist von der Erstellung entsprechender Berichte ausgeschlossen und die politischen Parteien und ihre Satelliten erstellen Berichte, die eindeutig als Abbild von ihren Interessen identifziert werden und eben mit keinem wissenschaftlichen Anspruch auftreten können.
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Wieso glaubst du, die DFG sei unabhängig? Auf massiven Druck der Politik hat sich die DFG “forschungsorientierte Gleichstellungsstandards” gegeben (bedeutet: keine Frau im Team, also kein Geld); niemand von denen hat gegen das Professorinnenprogramm protestiert. Außerdem erachte ich dieses DFG-Gremium als einen weiteren Sachverständigenrat. Es ist keine Marktlösung, denn dieses DFG-Gremium würde immer als das richtige Prüfgremium angesehen, während andere Akteure dagegen automatisch einen Makel hätten (gerade in einem autoritätshörigen Land wie D). Damit wird also eine Marktlösung verhindert.
die DFG-Lösung ist ein Kompromiss zwischen einer öffentlichen Finanzierung und einem unabhängigen Institut, insofern ist es keine “richtige” Marktlösung, sondern der Tatsache geschuldet, dass das “Berichtswesen” von Parteien und ihren Ablegern monopolisiert wurde … Die DFG scheinbar auch. Ich werde mich einmal etwas näher mit den forschungsorientierten Gleichstellungsstandards befassen – danke für den Tipp. Ansonsten bin ich für jede andere Lösung offen, die einen Wettbewerb garantiert und Parteien aus allem, was mit Wissenschaft zu tun hat, heraushält.
Wieso glaubst du, die DFG sei unabhängig? Auf massiven Druck der Politik hat sich die DFG “forschungsorientierte Gleichstellungsstandards” gegeben (bedeutet: keine Frau im Team, also kein Geld); niemand von denen hat gegen das Professorinnenprogramm protestiert. Außerdem erachte ich dieses DFG-Gremium als einen weiteren Sachverständigenrat. Es ist keine Marktlösung, denn dieses DFG-Gremium würde immer als das richtige Prüfgremium angesehen, während andere Akteure dagegen automatisch einen Makel hätten (gerade in einem autoritätshörigen Land wie D). Damit wird also eine Marktlösung verhindert.
Guter Punkt,
die DFG-Lösung ist ein Kompromiss zwischen einer öffentlichen Finanzierung und einem unabhängigen Institut, insofern ist es keine “richtige” Marktlösung, sondern der Tatsache geschuldet, dass das “Berichtswesen” von Parteien und ihren Ablegern monopolisiert wurde … Die DFG scheinbar auch. Ich werde mich einmal etwas näher mit den forschungsorientierten Gleichstellungsstandards befassen – danke für den Tipp. Ansonsten bin ich für jede andere Lösung offen, die einen Wettbewerb garantiert und Parteien aus allem, was mit Wissenschaft zu tun hat, heraushält.