Das große Nachsehen: Ein Nachruf auf Annette Schavan

Ein Kommentar von Dr. habil. Heike Diefenbach und Michael Klein

Nun ist die ent-titelte Annette Schavan doch tatsächlich zurückgetreten – nicht, weil sie eingesehen hat, dass es auch vor 30 Jahren schon Zitierregeln gab, die lautere Wissenschaftler von Plagiateuren unterschieden haben. Nicht weil Sie eingesehen hat, dass der Versuch, sich mit fremder Autoren Text zu schmücken, zu offensichtlich war und deshalb scheitern musste. Nein, Annette Schavan sieht sich als Opfer und will Schaden vom “Amt” abwenden. Wie soll man diese Haltung bezeichnen? Starrsinnig? Uneinsichtig? Frech?

Es ist an dieser Stelle sinnvoll, den Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Düsseldorf, Prof. Dr. Bruno Bleckmann und seine Begründung für den Entzug des Doktortitels im Wortlaut zu zitieren (schon damit Herr Bleckmann seine Presseerklärung nicht völlig umsonst so ausführlich gestaltet hat, wie er sie gestaltet hat):

Bleckmann
Quelle: HHU-Video

“Der Fakultätsrat hat sich nach dieser grundsätzlichen Klärung in seinen Betrachtungen nach gründlicher Prüfung und Diskussion abschließend die Bewertung des Promotionsausschusses zu eigen gemacht, dass in der Dissertation von Frau Schavan in bedeutendem Umfang nicht gekennzeichnete wörtliche Übernahmen fremder Texte zu finden sind. Die Häufung und Konstruktion dieser wörtlichen Übernahmen, auch die Nichterwähnung von Literaturtiteln in Fußnoten oder sogar im Literaturverzeichnis ergeben der Überzeugung des Fakultätsrats nach das Gesamtbild, dass die damalige Doktorandin systematisch und vorsätzlich über die gesamte Dissertation verteilt gedankliche Leistungen vorgab, die sie in Wirklichkeit nicht selbst erbracht hatte.” [Hervorhebungen von uns]

Der Diebstahl geistigen Eigentums, den Annette Schavan in ihrer Dissertation betrieben zu haben scheint, ist demnach und nach Einschätzung des Promotionsausschusses der Universität Düsseldorf systematisch erfolgt. Im Gegensatz dazu hat Frau Schavan immer von Flüchtigkeitsfehlern gesprochen. Kann man systematisch Flüchtigkeitsfehler machen?

Wer jemals wissenschaftlich gearbeitet hat, der weiß, dass er dann, wenn er seine Arbeit letztendlich schreibt, mit einer Vielzahl von Exzerpten, ausgedruckten Texten und Büchern konfrontiert ist, die für sein Thema relevant sind. Er bearbeitet in seiner Dissertation eine Fragestellung, die neu und seine eigene Idee ist. Schon deshalb benutzt er die Texte anderer ausschließlich um einen Überblick über den Forschungsstand zu seinem Thema zu geben oder um Argumente, die er machen will und die andere auch schon gemacht haben, mit diesen anderen zu belegen. Andere Gründe für die Berücksichtigung fremder Texte in eigenen Arbeiten gibt es nicht.

schavanStellt man sich nun einen Wissenschaftler vor, der am Computer oder wie Frau Schavan vor der Schreibmaschine sitzt und an seiner Arbeit schreibt, dann muss man sich jemanden vorstellen, der entlang seiner eigenen Fragestellung schreibt und an bestimmten Punkten seines Gedankengangs Texte zitiert, die von anderen stammen. Dazu nimmt er seine Exzerpte zur Hand. Er nimmt Texte zur Hand oder Monographien und überträgt den Text des anderen in den eigenen Text. Weil es kein eigener Text ist, fängt der Fremdtext mit Anführungszeichen an und endet mit denselben. Weil es kein eigener Text ist, wird der Fremdtext nach den Anführungszeichen mit einer Fußnote oder einem Beleg in z.B. Harvard-Zitierweise versehen. Dies alles geht in einem Guss, und jeder, der jemals wissenschaftliche gearbeitet hat, weiß, dass es gerade dieser eine Guss ist, der in den ersten Semestern eingeübt wird, an dem wissenschaftliche Arbeiten vom ersten Tag eines Studentenlebens an gemessen werden. Wer nicht zitieren kann, der hat im Wissenschaftsbetrieb keine Zukunft, und deshalb können es die meisten Studenten früher oder später im Schlaf. Textübernahme: Anführungszeichen, Text, Anführungszeichen, Beleg.

Frau Schavan will diese Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens nicht im Schlaf beherrschen. Sie will Flüchtigkeitsfehler gemacht haben. Systematisch vergessen haben, den Autor, von dem Sie gerade Text abgeschrieben hat, zu zitieren. Wer den Ablauf wissenschaftlichen Arbeitens kennt, weiß, dass das nicht möglich ist. Wer einen Fremdtext übernimmt, ohne ihn zu belegen, handelt nicht flüchtig, sondern weiß genau was er tut oder er hat überhaupt keine Ahnung vom wissenschaftlichen Arbeiten. Egal, welche Alternative zutrifft, derjenige hat sich als unfähig erwiesen, einen Doktortitel zu erwerben, geschweige denn zu führen.

Letztlich ist die Diskussion darüber, ob Frau Schavan absichtlich getäuscht hat oder weil sie es nicht besser wusste, müsig. Einen Doktortitel verdient sie in keinem Fall, entweder weil sie wissenschaftliche Kollegen um deren geistiges Eigentum bestohlen hat oder weil sie keine Idee davon hat, worin wissenschaftliches Arbeiten eigentlich besteht.

Der von uns beschriebene Ablauf des wissenschaftlichen Arbeitens sollte all denen, die ein Studium hinter sich gebracht haben, bekannt sein. Sie alle sollten wissen, dass es nicht möglich ist, systematisch den Beleg zu vergessen, der offenlegt, von wem der gerade abgeschriebene Text abgeschrieben wurde. Um so erstaunlicher ist die Form der Solidarität, die Frau Schavan derzeit genießt. Politiker aller Couleur finden sich hinter Frau Schavan ein, um ihr “Respekt [zu] zollen” oder “mit großem Bedauern und Respekt” ihren Rücktritt zu kommentieren. Und so tut es z.B. Sigmar Gabriel “außerordentlich leid”, eine “hoch anständige und kompetente Kollegin” zu verlieren und selbst Jürgen Trittin ist der Ansicht, Frau Schavan habe “Respekt vor dem Amt” bewiesen. Diese Form der Solidarität unter Politiker, ist nur insofern verwunderlich, als es weitgehend dieselben Politiker sind, die auf die Notwendigkeit von Rollen-Vorbildern, hinweisen, wenn sie es z.B. unerträglich finden, dass ein Trainer wie Christoph Daum, der eingestanden hat, Kokain konsumiert zu haben, Bundestrainer werden soll. Aber Heuchelei gehört zum Amt des Politikers wie Parmesan zu Spaghetti, und folglich ist es nicht weiter bemerkenswert.

BNN-PlagiatBemerkenswert ist indes die devote Form, in der Journalisten, von denen die Mehrzahl eine Universität besucht haben sollte, Verständnis für die Vergehen der jungen Annette Schavan, die mehr als 30 Jahre zurückliegen, haben. Da meint Roland Nelles im Spiegel, Frau Schavan sei halt etwas lax beim Zitieren vorgegangen und wenn Schavan “nur” Umweltminister wäre, wäre das verzeihlich. Ob Roland Nelles auch so verständig reagieren würde, fände er seine Texte unter fremdem Namen in, sagen wir, der Freien Welt? Katrin Brand überlegt öffentlich, ob man nicht eine Verjährungsregel für Plagiate in Doktorarbeiten einführen sollte, so vielleicht nach 33 Jahren und 2 Monaten, nicht für das Plagiat an sich, wie sie meint, “wohl aber für den Entzug des Doktortitels”. Man könnte, so unser Vorschlag, den Doktortitel ja in “Dr. fraude mala” oder abgekürzt “Dr. fraus.” (fraus = Lateinisch für Betrug) umwandeln. Und Roland Preuß von der Süddeutschen Zeitung ist gar der Ansicht, der Entzug des Doktortitels an sich sei nach mehr als 30 Jahren nicht mehr notwendig, denn die Zeit heilt bekanntlich alle Wunden. Man muss, so kann man diese Haltung zusammenfassen, halt nur lange genug aushalten, um die Früchte vergangener Betrüge voll auskosten zu können. Eine seltsame Moral ist das, die sich unter Journalisten findet.

Ist es nicht erstaunlich, wie bereitwillig Journalisten verzeihen, wenn es um den Diebstahl geistigen Eigentums geht. Was lässt sich aus dieser “laxen” Haltung gegenüber fremden Texten wohl für die eigene journalistische Praxis ableiten? Was sagt dies für die eigenen wissenschatflichen Anstrengungen während eines Studiums aus? Die können nicht besonders intensiv gewesen sein, denn wer ein Studium intensiv betrieben hat, für den ist es nicht hinnehmbar, dass ein Doktortitel für das Übernehmen der Arbeit anderer vergeben wird. Aber an diese Promovierten, deren Titel durch Personen wie Frau Schavan zur Lachplatte werden, denken die Kommentierenden öffentlicher Medien entweder nicht oder sie haben damit einfach kein Problem, so wenig wie sie ein Problem damit zu haben scheinen, dass Studenten bereits im ersten Semester ihre Hausarbeiten mit mangelhaft bewertet zurück erhalten, wenn sie denselben Stand an Unkenntnis im Hinblick auf wissenschaftliches und lauteres Arbeiten zeigen, für den Frau Schavan einst einen Doktortitel erhalten hat.

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