Gefühlte Preise: Kurzschluss im Marketing-Gehirn

Heute bin ich über eine Pressemeldung zum Thema “Neuromarketing” gestoplert. Neuromarketing ist der neueste Schrei unter Teilen der Marketing-Gemeinde, eine neue Version der Suche nach dem Stein der Weisen, dem, was die KonsumentenWelt im Innersten zusammenhält.

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Gute Seite rund ums Gehirn: Gehirn-Atlas

Neuromarketing wäre ohne die neuen bildgebenden Verfahren, die das Gehirn in mehr oder weniger großen Farbflächen darstellen, ohne die älteren Elektroenzephalogramme (EEG) kaum möglich. Und Neuromarketing wäre ohne die angebliche Krise des Homo Oeconomicus nicht denkbar, in die Letzterer als Idealtypus der Ökonomie geraten sein soll, weil Tversky und Kahneman festgestellt haben, dass viele Entscheidungen, die Menschen treffen, nicht mit den Modellannahmen der klassischen Ökonomie in Einklang stehen:

Die klassische Ökonomie basiert auf dem Modell des rationalen Akteurs, der seine Präferenzen kennt, durch seine Handlungen versucht, seinen Nutzen zu maximieren, dabei Alternativen gegeneinander abwägt, über deren Kosten und Nutzen er ebenso vollständig informiert ist wie über ihre Eintrittswahrscheinlichkeiten.

Tversky und Kahneman haben insbesondere gezeigt, dass es möglich ist, Menschen auf zweierlei Wegen zu manipulieren, ihre Entscheidung zu beeinflussen:

  • Choice Values FramesSalience, Menschen tendieren dazu, Ereignisse, die prominent und herausgehoben sind, höher zu bewerten und länger zu erinnern als alltägliche Ereignisse (die Folgen von Contergan sind z.B. bekannter als die (quantitativ erheblicheren) Nebenwirkungen von Aspirin (Acetylsalicylsäure);
  • Framing, Menschen nehmen Bewertungen innerhalb eines vorgegebenen Rahmen vor. Sie übernehmen Vorgaben, die ihnen im Rahmen eines Informationsprozesses gemacht werden. Framing bedeutet die „passive acceptance of the formulation given“ (Kahneman, 2003, S.1458).

Das alles ist nicht neu, sondern zum Teil schon über 40 Jahre alt, aber es wird heute dazu missbraucht, um zum einen Paternalismus zu propagieren, damit man Menschen ihre “richtigen” Entscheidungen vorgeben kann, zum anderen dazu, neue Hypes, wie eben auch das Neuromarketing zu rechtfertigen. Letzteres ist mir wieder bewusst geworden, als ich die angesprochene Pressemitteilung im IDW gelesen habe: “Studie zum Neuro-Pricing: Dem Wohlfühlpreis auf der Spur”. Darin wird in Bezug auf Christian Chlupsa, einen Doktoranden der Hochschule München, Folgendes behauptet:

“Unbewusste Effekte und damit Kaufentscheidungen gibt es zahlreich im menschlichen Verhalten. So treffen Menschen auf harten Stühlen härtere Entscheidungen als auf weichen. Probanden, die einen warmen Kaffee in der Hand halten, bewerten ihr Gegenüber als sympathischer als solche mit kalten Getränken, und Investmentbanker schätzen die Zahl der Ärzte in einer Stadt in Abhängigkeit von den letzten Zahlen der Handynummer nach der man sie gerade gefragt hat. Mehr als 95 Prozent unserer Wahrnehmung ist unbewusst. Warum sollte das mit unseren Entscheidungen anders sein. [Nur am Rande und von hinten: Letzteres nennen Sozialpsychologen seit mehreren Jahrzehnten einen Ankereffekt. Der Ankereffekt ist nicht auf Investment-Banker begrenzt, und er hat nichts mit Unbewusstheit zu tun, sondern mit Framing. Der heiße Kaffee wirft die Frage auf, ob heißer Tee denselben Effekt hätte. Die harten Stühle führen zu der Frage, ob die Entscheidungen vielleicht neben den Stühlen auch von der Stellung der Rückenlehne beeinfusst werden. Schließlich fällt zu der Behauptung dass Kaufentscheidungen “[u]nbewusste Effekte” sind, nicht einmal mir etwas ein, aber wo ich so drüber nachdenke, wo kommt der Computer, wo der Drucker, wo das Handy her?]

Dieser zitierte Absatz muss im Zusammenhang mit den Behauptungen aus derselben Pressemitteilung gelesen werden, nach denen nicht mehr Qualität und Preis für eine Kaufentscheidung relevant sind, denn

“beide Informationen [Qualität und Preis] lassen sich aufgrund der Informationsflut nicht mehr rational erfassen. Vielmehr verfügen wir über ein eher unbewusstes Marken- und Preisempfinden.”

In kurz: Wir sind nicht rational, aber empfinden etwas (Marken), was wir nicht rational erfassen können, was zwar voraussetzt, das wir mindestens einmal eine kognitive Information “Das ist ein Boss-Shirt” rational aufgenommen und prozessiert haben, aber lassen wir das hier einmal außen vor, denn: Neuromarketing verspricht alle Probleme zu lösen, nein nicht alle, die Probleme, für die man nach wie vor Krötenelixir bei Vollmond und von oben nach unten auf eine Warze auftragen muss, bleiben vom Neuromarketing unberührt. Aber: Neuromarketing hilft dabei “Preis zu erfühlen”, denn: ”

“Mit einem neuen Forschungsansatz sind Wissenschaftler der Hochschule München auf der Suche nach dem idealen Preis. Durch Neuro Pricing – einem neuartigen Verfahren basierend auf EEG-Hirnscandaten und Reaktionszeitmessung – nähern sich die Wissesnchaftler dem Preis, den das menschliche Gehirn als fair beurteilt”.

-unwittingly-flying-with-explosivesWir lernen, nicht Sie oder ich beurteilen einen Preis als fair, nein, das menschliche Gehirn beurteilt einen Preis als fair. Und wann tut es das, das menschliche Gehirn? Dann, wenn eine bestimmte Gehirnregion in einer lustigen Farbe dargestellt ist, die vom jeweiligen Techniker als Indiz dafür gewertet wird, dass eine bestimmte Gehirnregion angesprochen wurde. Und wenn wir dann die richtige Gehirnregion in, sagen wir lila, gesehen haben, dann wissen wir den richtigen Preis für Milka-Schokolade. Erscheint eine andere Region in braun, dann wissen wir, der Kaffeetrinker fühlt sich bei 5,98 Euro pro Pfund am wohlsten – oder so.

Klingt klasse! Aber leider ist die Anzahl der Kritiker der neuen Neuro-Welle ziemlich lang. Sie verweisen darauf, dass eine Latte von Annahmen und Prämissen notwendig ist, um eine funktionale Relevanz für das schöne farbige Hirnbild mit z.B. kognitiven Prozessen wie Entscheidungen anzunehmen. Sie verweisen darauf, dass erst ein Algorithmus, der wiederum aus den Messdaten die Darstellung (die lustigen Farbbilder) errechnet, aus dem Gemessenen etwas Dargestelltes macht und dass dieser Algorithmus die Darstellung durch Abgleich mit einer Normdatenbank erstellt. Manche wenden gar ein, dass die Zeit, die zwischen der Messung und dem Stimuli der Messung vergeht, zu lange ist, um sicher zu sein, dass die aktive Hirnregion tatsächlich die Hirnregion ist, die angesprochen wurden. Wieder andere sehen keinerlei Möglichkeit, um von Messpunkten am Kopf, wie dies beim EEG der Fall ist, auf Hirnregionen schließen zu können, und insgesamt entsteht der Eindruck, dass manche Neurologen eher sanft lächelnd auf die Adaption ihrer Forschung durch z.B. das Neuro-Marketing blicken, eher wie ein Erwachsener, der einem Kleinkind dabei zusieht, wie es mit einer Gabel versucht, Suppe zu essen.

neuroimagingAber lassen wir auch diese krude Form von: so geht das nicht, außen vor und tun für einen Moment so, als könnte man tatsächlich die Hirnregion bestimmen, die angesprochen wird, wenn ich Karl V. einen Tintenklecks vor die Nase halte. Welche Ergebnisse präsentiert die phantastische Welt des Neuro-Marketings?

  • Ambler, Ioannides und Rose (2000) finden kognitive Werbung (das ist ein Milka-Riegel) in Verbindung zum Vorderhirn, aber in anderen Bereichen des Vorderhirns, als affektive Werbung (hm, der ist gut…).
  • Knutson et al. (2007) können nach ihrer Ansicht zeigen, dass der “Belohnungsbereich des Gehirns”, der nucleus accumbens angesprochen wird, wenn Versuchspersonen ein Objekt vor die Nase gehalten wird, das sie präferieren. Dagegen wird ein Gehirnbereich angesprochen, der mit Ängsten in Verbindung gebracht wird [insula], wenn die Versuchsperson übersteigerten Preisen ausgesetzt ist.
  • Logos von Marken, die den Versuchspersonen bekannt waren, aktivieren die Großhirnrinde, wie Schaefer et al. (2005) herausgefunden haben. Gleiches haben Erk et al. (2002) für Sportwagen gezeigt.

Ja. Was macht man nun mit solchen Erkenntnissen? Diese Frage führt zurück zum Neuro-Pricing, denn mit Neuro-Pricing soll der “faire Preis erfühlt” werden. Wie nach den oben zitierten Stellen aus der Pressemitteilung bekannt ist, sind Sie und ich zu unbewusst, um den “fairen Preis” erkennen zu können. Man muss uns quasi ausschalten und unser Gehirn direkt befragen, mit EEG, Gehirnscan und Reaktionsmessung. Und wenn der Preis nicht fair ist, sagen wir, zu hoch, dann flammt in unserem Gehirn ein Bereich auf, der der Einfachheit halber “rot” dargestellt ist. Ist der Preis zu tief, dann flammt nichts auf, während ein fairer Preis sich in einer Messung im, sagen wir, Limbischen System und in lila mit Ausrufezeichen niederschlägt.

Wetten, das war Ihnen nicht bewusst? Sehen Sie!
Wetten, das war Ihnen nicht bewusst? Sehen Sie!

Haben wir diesen fairen Preis bei, sagen wir, Klaus F. ermittelt, dann sagt uns ein weiteres Zitat aus der Pressemeldung, dass es damit sein Bewenden haben kann, denn es geht darum, den Preis zu finden, den das menschliche Gehirn als fair beurteilt. Und da Klaus F. als Mensch durchgeht, muss sein Gehirn zwar nicht das, aber doch ein menschliches Gehirn sein, und das reicht. Unternehmen soll durch “Neuro-Pricing” eine “Win-Win-Situation” entstehen, denn Sie wissen durch Befragung von dem menschlichen Gehirn, welcher Preis von “dem menschlichen Gehirn” als fair angesehen wird. Wenn sie nun von dem menschlichen Gehirn noch eine Auskunft darüber einholen, ob es bereit ist, den Organismus, der an ihm dranhängt, zur Entnahme von, sagen wir, einer Tafel Milka-Schokolade aus dem Regal zu bewegen, dann ist alles in Butter. [Es gibt auch hier wieder Nörgler und Spielverderber, wie Basilie et al. (2007), die zeigen, dass es “das” menschliche Gehirn nicht gibt, dass vielmehr die Vielfalt zwischen menschlichen Gehirnen so groß ist, dass es aufgrund der Streuung auch keinen Sinn mach, einen Mittelwert über “die” menschlichen Gehirne zu bilden und diesen zum Ausgangspunkt für was auch immer zu nehmen…]

Ich bin schon gespannt, wie viele Unternehmen auf den Karren des Neuro-Pricing aufspringen und sich in der vermeintlichen Wissenschaftlichkeit des damit betriebenen Kaffeesatzlesens suhlen. Wie heißt es so schön in der Pressemitteilung: 95% “unserer Wahrnehmung ist unbewusst. Warum sollte es mit unseren Entscheidungen also anders sein?” Und wo wir gerade dabei sind, alle willentlichen Entscheidungen über den Jordan zu schicken, warum sollten dann wir annehmen, dass in Marketing Abteilungen von Unternehmen oder in Neuro-Pricing “Labs” Menschen unterwegs sind, die willentliche Entscheidungen treffen. 95% der Entscheidungen sind unbewusst, das haben wir gerade gelernt.

brain-lightning-300pxWir alle treiben dahin im Meer des Unbewussten, unbemerkt von uns gesteuert von unserem Gehirn. Heißer Kaffee macht uns andere sympatisch, harte Stühle machen uns hart, und Unsinn, wie das Neuro-Pricing macht uns derart ärgerlich, dass im bildgebenden Verfahren eine Schwellung des Hypothalamus angezeigt wird.

Ich weiß nicht wie es Ihnen geht, aber ich habe es ein für alle Mal satt, von Neuro-Einfallspinseln als unbewusster Depp abgestempelt zu werden, der zu willentlichen Entscheidungen nicht in der Lage ist und sich abends und regelmäßig fragt, wie es dazu kommen konnte, dass ein Porsche in seiner Einfahrt steht.

Der Beitrag hat von einem Austausch zwischen dem Gehirn von Dr. habil. Heike Diefenbach und dem meinen profitiert. Beteiligte Bereiche (vermutlich in grün):

  • Subgenualer Cortex
  • Hypothalamus
  • Temporaler Lappen
  • und ein paar Transmitter

Und wie Dr. habil. Heike Diefenbach gerade anmerkt, wäre dieser Austausch gar nicht notwendig gewesen, denn mein Gehirn ist auch “das Gehirn”. Somit hätte ein Gespräch von meinem Gehirn mit sich selbst ausgereicht.

Literatur:

Ambler, Tim, Ioannides, Andreas & Rose, Steven (2000).Brands on the Brain: Neuro-Images of Advertising. Business Strategy Review 11 (3): 17-30.

Basilie, L. F. H., Anghinah, R., Ribeiro, P., Ramos, R. T., Piedade, R., Ballester, G. & Brunetti, E. P. (2007). Interindividual Variability in EEG Correlates of Attention and Limits of Functional Mapping. International Journal of Psychophysiology 65(3): 238-251.

Erk, Susanne, Spitzer, Manfred, Wunderlich, Arthur P., Galley, Lars & Walter, Henrik (2002). Cultural Objects Modulate Reward Circuitry. NeuroReport 13 (18): 2499-2503.

Kahneman, Daniel (2003). Maps of Bounded Rationality: Psychology for Behavioural Economics. American Economic Review 93(5): 1449-1475.

Knutson, Brian, Rick, Scott, Wimmer, G. Elliot Prelec, Drazen & Loewenstein, George (2007). Neural Predictors of Purchases. Neuron 53 (January): 147-156.

Schaefer, Michael, Berens, Harald, Heinze, Hans-Jochen und Rotte, Michael (2006). Neural Correlates of Culturally Familiar Brands of Car Manufacturers. NeuroImage 31: 861-865.

Tversky, Amos, Kahneman, Daniel (1986). Rational Choice and the Framing of Decisions. Journal of Business 59 (4):  S251- S278.

Tversky, Amos & Kahneman, Daniel (1974). Judgements Under Uncertainty: Heuristics and Biases. Science 185: 1124-1131.

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