Makro-Gerechtigkeit = Aggregierter Minderwertigkeitskomplex?

Wissen Sie, was Makro-Gerechtigkeit ist? Nein, das ist nicht fair (mikro-fair, wenn Sie so wollen), dass ich Sie gleich mit einer solchen Fragen überfalle. Zumal ich auch nicht so richtig weiß, was Makro-Gerechtigkeit sein soll. Es scheint etwas zu sein, bei dem Individuen auf etwas anderes vertröstet werden. So wie man die Individuen, die im Leben leiden, auf das Jenseits oder die klassenlose Gesellschaft vertröstet (je nach Ideologie), so scheint auch Makro-Gerechtigkeit vielleicht über sich, mit Sicherheit aber über Individuen hinauszuweisen.

Entsprechend definieren Brickman et al (1981, S.173) Makro-Gerechtigkeit als:

“the aggregate fairness of reward in a society”. [die aggregierte Verteilungsgerechtigkeit in einer Gesellschaft]

Na das kommt einem dann doch schon vertrauter vor. Makro-Gerechtigkeit ist etwas für Kollektivisten, solche, die kein Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit haben und sich lieber in Aggregaten verstecken, Kollektiven eben.

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“Look out your window, Agent Mulder. You see the lights? Imagine if one of them flickered off. You’d hardly notice, would you?”)

Im Verlauf der Geschichte hat sich eine ganze Reihe von Kollektiven gefunden, die für Makro-Gerechtigkeit eingetreten sind: Die katholische Kirche hat die Makro-Gerechtigkeit aller Katholiken verteidigt, wahlweise gegen Ketzer in den eigenen Reihen und solche von außerhalb der eigenen Reihen. Die französischen Revolutionäre haben sich gegen den Absolutismus gewendet, um Makro-Gerechtigkeit für den “citoyen” herzustellen, eine Form der Makro-Gerechtigkeit, dem zuerst die “Reichen” und dann die “citoyen” zum Opfer gefallen sind, die der Herstellung von Makro-Gerechtigkeit im Weg standen. Und so geht es weiter durch die Geschichte, Sozialisten und Kommunisten haben Makro-Gerechtigkeit durch Internierung der Gegner der Sowjets und ihrer Genossen in Gulags hergestellt, Nationalsozialisten haben Konzentrationslager und Unterwerfung mit kriegerischen Mitteln zur Herstellung von Makro-Gerechtigkeit für das Volk der Deutschen ohne Raum vorgezogen.

Und heute, in unserer aufgeklärten Zeit, dient Makro-Gerechtigkeit wiederum einem anderen Zweck. Makro-Gerechtigkeit ist der Gott, den alle anbeten, die ein Problem mit ihrer eigenen Person zu haben scheinen, ist das Ziel von Instrumenten zur Durchsetzung von Makro-Gerechtigkeit doch:

“[to] discourage considerations of individual attributes. Rather macrojustice is concerned with the fairness of the aggregate distribution of resources in society, such as guaranteed minimum outcome, or equality for all.” (Zdaniuk & Bobocel, 2011, S.344)

Ja. Makro-Gerechtigkeit, also die Herstellung einer “Gleichheit für alle” (klingt wie: Reichtum für alle), findet z.B. statt, wenn der Führer des Volkes ohne Raum zum kriegerischen Erwerb von Ostgebieten aufruft, um die Fairness der Landverteilung auf Aggregatebene herzustellen. An diesem Beispiel lässt sich bereits das Problem benennen, das sich mit Makro-Gerechtigkeit verbindet: Der Kampf des Volkes ohne Raum, ist bei seinen Nachbarn nicht unbedingt auf Gegenliebe gestoßen. Um genau zu sein, die Nachbarn haben sich gewehrt und das Volk ohne Raum im Ende auf noch weniger Raum begrenzt als vor dem Versuch, Makro-Gerechtigkeit durch den Erwerb von Ostgebieten herzustellen, vorhanden war.

Die Probleme, die sich mit Makro-Gerechtigkeit verbinden sind entsprechend leicht benannt:

  • reichtum fuer alleEs gibt keine Makro-Gerechtigkeit, sondern nur willkürliche Verteilungen auf Aggregatebene, z.B. von Land oder von Aufsichtsratsposten;
  • Diese willkürlichen Verteilungen auf Aggregatebene bieten sich zur willkürlichen Benutzung an, wenn man z.B. Verteilungen auf bestimmte soziale Merkmale herunterbricht, dabei Verteilungsungleichheit feststellt und dies zum Anlass nimmt, um die betroffenen Gruppen durch die Herstellung von Verteilungsgleichheit gleichzustellen, z.B. Frauen in Aufsichtsräten oder Arbeiter in Aufsichtsräten (nein, natürlich will niemand Arbeiter gleichstellen…, das war mein willkürliches Beispiel).
  • Die Herstellung von Verteilungsgleichheit (= Makro-Gerechtigkeit) ist immer auf Kollektive und nie auf Individuen bezogen. Gleichgestellt im Hinblick auf Verteilung werden z.B: Frauen, nie Isolde M. Tatsächlich kann es sein, dass Isolde M., obwohl sie kraft Geschlecht zur Gruppe derer gehört, die in Aufsichtsräte berufen werden sollen, nie in einen Aufsichtsrat gelangt, weil sie kein Gewerkschaftsfunktonär, sondern Mitglied einer Putzkolonne ist.
  • Makro-Gerechtigkeit hat darüber hinaus das Manko, dass die Herstellung von “Verteilungsgleichheit” nicht anders zu machen ist als durch Diskriminierung der Gruppe, für die auf der Makroebene ein Verteilungsvorteil ausgemacht wurde: also z.B. Männer, wenn die Gruppe der Frauen bevorzugt werden soll oder Mittelschichtsangehörige, wenn die Gruppe der Arbeiter bevorzugt werden soll (Letzteres ist wieder mein Beispiel, das abermals unrealistisch ist, denn wenn es an die eigene Haut geht, hört bei Mittelschichts-Funktionären alles Gerede von Makro-Gerechtigkeit schnell auf).
  • Makro-Gerechtigkeit ist keine Form von Gerechtigkeit, sondern Legitimation, um mit den Prinzipien von Fairness zu brechen und offen Angehörige bestimmter Gruppen zu diskriminieren. Offene Diskriminierung klingt nicht gut, deshalb reden die entsprechenden Aktivisten lieber von Makro-Gerechtigkeit.

Kurz: Makro-Gerechtigkeit wird immer da ins Feld geführt, wo es darum geht, einen gesellschaftlichen Fetisch zu schaffen, mit dessen Hilfe Individuen benachteiligt werden können. Quoten für Frauen sind ein solcher Fetisch, bei dem individuelle Fertigkeiten und Fähigkeiten keine Rolle spielen und die Diskriminierung von Frauen mit Fertigkeiten und Fähigkeiten und von Männern explizites Ziel der Herstellung von Makro-Gerechtigkeit ist.

MacroJusticeIch bin mir nicht sicher, ob die Jünger der “Makro-Gerechtigkeit” verstehen, dass man einen Verteilungszustand auf Makroebene nur dann durch Sozialtechnologie ändern kann, wenn man bereit ist, Gerechtigkeit und Fairness zu opfern (beides gibt es nur für Individuen und deshalb nicht als Makro-Gerechtigkeit) und Bevorzugung aufgrund von Gruppenzugehörigkeit ebenso wie Diskriminierung aufgrund von Gruppenzugehörigkeit explizit in Kauf zu nehmen, aber ich tendiere dazu, zu denken, dass die meisten Makro-Gerechtigkeits-Apostel genau wissen, was sie tun. Ich tendiere umso mehr dazu, seit ich eine Untersuchung kenne, die Agnes Zdaniuk und D. Ramona Bobocel (2011) zu verantworten haben.

Der Zeitschriftenbeitrag, auf den mich Dr. habil. Heike Diefenbach aufmerksam gemacht hat, in dem die beiden Autoren von ihrer Untersuchung berichten, ist einer der Beiträge, bei denen man bereits nach der ersten Zeile ärgerlich ist: “Women and visible minorities have long suffered injustice due to discrimination” (2011, S.341). Eigentlich reicht so ein Satz, denn Wissenschaftler, die homogene Gruppen annehmen, diese homogenen Gruppen auch noch über Jahrhunderte hinweg als homogene Gruppen annehmen und zudem noch andeuten, dass diese homogenen Gruppen von einer anderen homogenen Gruppe benachteiligt worden sei, denn wie sonst sollte eine homogene Gruppe diskriminiert werden als durch eine andere homogene Gruppe, haben sich bereits mit wenigen Worten als, wie man in England sagt, nutty, nicht ganz dicht, in sinngemäßer Übersetzung bloßgestellt.

Aber, wer seine Leser so schnell auf seine eigene Unzulänglichkeit stößt, der weiß vielleicht auch ansonsten nicht, was er tut und produziert mit seinen Forschungen unbeabsichtigte Ergebnisse, die wiederum einer sinnvollen Verwendung zugeführt werden können. So auch im vorliegenden Fall, denn die Autoren kommen in einer Reihe von Experimenten, deren Ziel darin besteht, die Hindernisse für die Durchsetzung von affirmative action zu bestimmen bzw. die beste Möglichkeit zur Durchsetzung zu finden, zu dem folgenden Ergebnis:

“Together, our findings suggest that when a policy violates microjustice to ensure macrojustice, individuals with a strong independent self-construal are more opposed than individuals with a weak self-construal”. (358).

Self-construal ist ein sozialpsychologisches Konzept, mit dem Unabhängkeit (oder Abhängigkeit) von sozialen Gruppen und Vorgaben und letztlich Autonomie gemessen werden soll. Eine unabhängige Selbst-Wahrnehmung steht in engem Zusammenhang mit kognitiver Leistungskraft und einem Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass Personen, die sich selbst als leistungsfähig und damit wettbewerbsfähig sehen und die darüber hinaus Vertrauen in ihre Leistungskraft haben, sich massiv gegen das Aushölen von Fairness zur Wehr setzen. Im Umkehrschluss kann man daraus schließen, dass die Anhänger von Konzepten wie “Makro-Gerechtigkeit”, deren Ziel darin besteht, individuelle Leistungsunterschiede zu ignorieren und Verteilungsgleichheit aufgrund willkürlich zugewiesener Merkmale wie Geschlecht herzustellen, sich als nicht sonderlich leistungsfähig, in keinem Fall wettbewerbsfähig sehen und vor allem wenig Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit haben. Man könnte sagen, sie haben einen Minderwertigkeitskomplex, ob berechtigterweise oder nicht, kann hier offen gelassen werden, und diesen Minderwertigkeitskomplex versuchen sie zu bearbeiten, in dem sie sich mit Makro-Gerechtigkeit ein Konzept zimmern, das es erlaubt, andere, leistungsfähigere zu diskriminieren und den eigenen Minderwertigkeitskomplex im Schutz der Gruppeneigenschaft zu überwinden.

Brickman, Philip, Folger, Robert, Goode, Erica & Schul, Yaakov (1981). Microjustice and Macrojustice. In: Lerner, Melvin J. & Lerner, Sally C. (eds.). The Justice Motive in Social Behavior. New York: Plenum, pp.173-202.

Zdaniuk, Agnes & Bobocel, D. Ramona (2011). Independent Self-Construal and Opposition to Affirmative Action: The Role of Microjustice and Macrojustice Preferences. Social Justice Research 24: 241-364.

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