Alles beim Alten – Entscheidet wirklich Herkunft über Lebenschancen?
In Deutschland gibt es u.a. das folgende Ritual: In regelmäßigen Abständen kehren Themen in der öffentlichen Diskussion wieder, werden dort mehr oder weniger breit getreten und verschwinden nach kurzer oder weniger kurzer Zeit wieder in der Versenkung, aus der sie nach einer gewissen Auszeit wieder auftauchen, um abermals breitgetreten zu werden. Übertragen auf Probleme bedeutet dies die regelmäßige “Sensibilisierung” für bestimmte Probleme und wenn genug sensibilisiert wurde, werden die Probleme wieder ad-acta gelegt (bis zum nächsten Mal) nur eines werden sie nicht: angegangen.
Ein solches “Problem” ist die soziale Ungleichheit im deutschen Bildungssystem. Diese ist sattsam bekannt, wird seit Jahrzehnten diskutiert, regelmäßig von der OECD, der Bundesregierung, der Kultusministerkonferenz, der GEW und vielen anderen beklagt, meist mit der Forderung, mehr Geld in die Bildung zu stecken oder mehr Lehrer einzustellen, aber angegangen wird die soziale Schiefverteilung im deutschen Bildungssystem nicht. Dazu müsste man nach den Ursachen suchen, und wären diese gefunden, man könnte die Probleme nicht mehr dazu nutzen, um sich zu produzieren oder selbst zu bereichern: Was würde z.B. aus der GEW-Forderung nach mehr Lehrern, wenn die Ursachenforschung zu Tage brächte, dass es nicht die Quantität von Lehrern, sondern die Qualität der Lehrer ist, die den Bildungserfolg von Kindern (u.a. aus der Arbeiterschicht) beeinflusst. Das wäre schlecht für die GEW, und entsprechend ist sie so wenig wie all die anderen Genannten an der Suche nach den Ursachen interessiert.
Zwei neue Untersuchungen haben in trauter Eintracht und erneut gezeigt, dass das deutsche Bildungssystem nach sozialer Herkunft siebt und sich der langen Reihe entsprechender Untersuchungen angefügt. Beide bestätigen scheinbar, was alle wissen, nämlich das bereits die Herkunft über den Bildungserfolg entscheidet.
Über die erste Untersuchung berichtet Daniel D. Schnitzlein im DIW Wochenbericht 4/2013. Ziel seiner Untersuchung ist eine Bestandsaufnahme zur sozialen Ungleichheit in Deutschland. Neu an seiner Studie ist, dass er versucht, soziale Ungleichheit als Transmissionseffekt zwischen Generation und über Geschwisterkorrelationen zu erfassen. Letztlich sind Geschwisterkorrelationen nichts anderes als eine gemessene Ähnlichkeit von Geschwistern im Hinblick auf Bildung, Einkommen, sozialen Status usw. Je stärker die familiäre Herkunft die entsprechenden Lebenschancen beeinflusst, so die damit einhergehende Annahme, desto größer die Geschwisterähnlichkeiten bzw. -korrelationen. Warum dies so sein sollte, das erklärt Herr Schnitzlein leider nicht, aber er berechnet Geschwisterkorrelationen für eine Reihe von Bereichen. Die mit Abstand stärkste Korrelation findet sich für die Schulbildung:
“Für Männer und Frauen liegt der Wert hier deutlich über 0,5 (Männer 0,66, Frauen 0,55), das heißt, über die Hälfte der Variation im formalen Bildungserfolg lässt sich mit familiärem Hintergrund erklären. Um diese Zahlen einzuordnen und bewerten zu können, ist … die Geschwisterkorrelation für die Körpergröße [berechnet worden]… Diese ist mit 0,5 für Brüder und 0,47 für Schwestern klar niedriger als der entsprechende Wert für die Bildung. Bildungserfolg hängt in Deustchland also stärker mit dem Familienhintergrund zusammen als ein weitgehend genetisch determiniertes Merkmal wie die Körpergröße”. (6)
Damit ist nach Ansicht von Schnitzlein einmal mehr belegt, dass das Elternhaus oder besser: die soziale Schicht, der die Eltern angehören, über den Bildungserfolg in Deutschland bestimmt, und zwar in einem Ausmaß, das kaum anders wäre, würde man Kinder gleich entsprechend ihrer sozialen Schicht verteilen, also Arbeiterkinder auf Hauptschulen und Mittelschichtskinder auf Realschulen und Gymnasien. Wie immer folgt einem solchen Ergebnis die Frage auf dem Fuss, wie man eine solche Determination, die selbst genetische Veranlagung in den Schatten stellt (Körpergröße), erklärt. Leider hat Schnitzlein hier keine Antwort: “Diese Frage ist mit unseren Daten sehr schwer zu beantworten”, so sagt er und verweist auf das “institutionelle Setting” als einen Hauptfaktor. Eine sehr ausweichende Antwort. Warum man also annehmen soll, dass mit dem einen Elternhaus etwas einhergeht, das Kinder dazu befähigt, höhere schulische Weihen zu erreichen, während der Stallgeruch des anderen Elternhauses offensichtlich alle Bildungsbemühungen im Keim erstickt, wird aus der Untersuchung von Schnitzlein nicht deutlich.
Aber Schnitzlein ist nicht der einzige, der im Dunkeln stochert. Auch Eltern und Lehrer stochern im Dunkeln, wenn es darum geht, diese vermeintliche “soziale Vererbung” von Bildungserfolg zu erklären. Das macht eine Umfrage unter Schülern, Eltern und Lehrern deutlich, die das Institut für Demoskopie in Allensbach im Auftrag der Vodafone Stiftung Deutschland durchgeführt hat. Die Ergebnisse stehen unter der Überschrift “Hindernis Herkunft”, womit einmal mehr gesagt wäre, was alle zu wissen meinen. Um so überraschender ist, dass sich unter dem Mantel der Einigkeit und bei näherem Hinsehen erhebliche Differenzen und Widersprüche verbergen. Zunächst die Einigkeit:
“Lehrer wie Eltern sind sich weitgehend darin einig, dass die Ursache für die schlechteren Chancen mancher Kinder weit überwiegend im Elternhaus liegen. 84 Prozent der Lehrer, 79 Prozent der Eltern weisen auf das mangelnde Interesse mancher Eltern hin, sich überhaupt mit ihren Kindern zu beschäftigen. Ähnlich viele sehen die Ursache darin, dass manche Kinder von ihren Eltern nicht gelernt haben, gründlich zu arbeiten …”(4)
Das Elternhaus ist also schuld. Diese Zuweisung ist insofern seltsam, als Kinder eigentlich in die Schule gehen, um Lesen und Schreiben und Rechnen zu lernen. Wo hier das Elternhaus ins Spiel kommt, ist mir nicht nachvollziehbar. Wenn Lehrer der Ansicht sind, damit Kinder etwas lernen sei Unterstützung im Elternhaus notwendig, ein parentaler Schreib-, Lese- und Rechendienst, dann sollten sie als Konsequenz Hausunterricht propagieren und öffentliche Schulen schließen. Aber das wäre eine Frage der Übernahme eigener Verantwortlichkeit durch Lehrer, und mit der Übernahme von Verantwortung haben es Lehrer offensichtlich nicht so:
“Lediglich 15 Prozent der Lehrer, aber 48 Prozent der Eltern sind der Ansicht, dass manche Kinder auch deswegen schlechtere Chancen haben, weil sie in der Schule … benachteiligt werden”.(4)
Der Einigkeit von oben, folgt somit Uneinigkeit und Widerspruch, denn wenn 79% der Eltern die Ursache für schlechtere Bildungschancen in Elternhäusern (natürlich in anderen, nicht dem eigenen) suchen, aber 48% der Eltern der Meinung sind, mache Kinder würden auch benachteiligt, dann widersprechen sich beide Antworten, es sei denn, man löst den Widerspruch dahingehend, dass man sagt, Kinder aus bestimmten Elternhäusern werden in der Schule benachteiligt. Offensichtlich konfundiert hier die mediale Berieselung, der ja auch Eltern ausgesetzt sind und die gemeinhin die Schuld für schlechtes schulisches Abschneiden im Elternhaus sucht, mit den eigenen Erfahrungen von Benachteiligung der eigenen oder anderer Eltern Kinder in der Schule.
Skurril werden die Antworten auf die Fragevorgaben dann, wenn man eine weitere Frage und die Antworten darauf, berücksichtigt. Nachdem große Einigkeit dahingehend berichtet wurde, dass die Qualifikation von Lehrern und Eltern (!sic) für den Schulerfolg von Kindern von großer Bedeutung ist, folgt:
“Eine vergleichbar wichtige Rolle wie … die Qualifikation der Lehrer, spielt aus Sicht von Lehrern und Eltern die individuelle Begabung der Kinder. Große Teile der Lehrer wie der Elternschaft sind aber überzeugt, dass fehlende Begabung durchaus ausgeglichen werden kann. 52 Prozent der Lehrer und 54 Prozent der Eltern sind der Ansicht, dass jeder Schüler, wenn er sich nur genügend anstrengt und gezielt gefördert wird, erfolgreich sein kann”. (7)
Ich finde es immer wieder erstaunlich wie viel kollektive Einigkeit darüber besteht, dass die soziale Ungleichheit, die das deutsche Bildungssystem produziert, darauf zurückzuführen sei, dass individuelle Schüler nicht begabt genug sind oder sich nicht gebührend anstrengen oder im falschen Elternhaus aufwachsen. Schule kann daran offensichtlich nichts ändern, wie die Vielzahl von Kindern zeigt, die z.B. ohne Schulabschluss bleiben und von denen man annehmen muss, dass sie nicht gezielt gefördert wurden. Allerdings unterliegt dieser Vorstellung eine seltsame Sicht auf Schule, die zur interesselosen Anstalt wird, an der Kinder mit mehr oder weniger Befähigung von interesselosen Lehrern auf die für sie vom Schicksal vorgesehenen Karrierewege gebracht werden. Eigentlich hätte ich gedacht, eine solche religiöse Schicksalsgläubigkeit, wäre durch Säkularisierung weitgehend beseitigt worden – aber offensichtlich ist dem nicht so.
Die Behauptung, dass Kinder aus der Arbeiterschicht entweder zu faul oder wenn nicht zu faul, dann doch zu wenig begabt oder wenn nicht zu faul und nicht zu wenig begabt, so doch von ihren Eltern beim Lernen alleingelassen sind oder wenn nicht zu faul, zu wenig begabt und alleingelassen, so doch zu wenig oder zu ungezielt in der Schule gefördert werden, als dass sie Erfolg in deutschen Bildungsinstitutionen haben könnten, scheint mir daher die Bearbeitung eines Schuldkomplexes zu sein, eines Schuldkomplexes, der sich daraus speist, dass Schulen Institutionen der Mittelschicht sind, in den Lehrer aus der Mittelschicht, Kinder und Eltern an ihren Mittelschichtsmaßstäben messen. Diese Maßstäbe sehen es vor, dass Eltern als Hilfslehrer fungieren, Kinder ihre Begabung dadurch zeigen, dass sie bereits bevor sie in der Schule lesen lernen, lesen können, die Maßstäbe sehen es weiter vor, dass Kinder ihr Interesse an der Schule, ihre Lernwut durch eine Vielzahl Vereins- und sonstiger Aktivitäten, die ein Mittelschichtsleben so ausmachen (z.B. das Erlenen eines Instruments) unter Beweis stellen und zur Belohnung ihrer Konformität erhalten sie dann eine Empfehlung zum Besuch weiterführender Schulen.
Da Kinder aus Arbeiterfamilien in der Regel bei ihren Eltern wenig Verständnis dafür finden, dass sie sich als Hilfslehrer engagieren sollen, was schon daran scheitert, dass die entsprechenden Eltern entweder arbeiten (die Volltagsmama ist eine Erfindung der Mittelschicht) oder selbst nicht über die Bildung verfügen, von der sie hoffen, dass ihre Kinder sie erreichen, fallen sie bereits durch den ersten Filter ihrer Mittelschichtslehrer. Entsprechend wird ein Minus auf ihrem Konto verbucht, das sie nur dadurch wettmachen können, dass sie alle anderen Kinder im Hinblick auf Lerneifer und Begabung in den Schatten stellen, eine Leistung, die die wenigsten von ihnen zu erbringen im Stande sind. Und deshalb enden die meisten Kinder aus der Arbeiterschicht mit Hauptschulabschlüssen, während die Mittelschichtslehrer für die Kinder ihrer Klasse (Fach-)Hochschulreifen reservieren.
Also: Nicht Herkunft entscheidet also über Lebenschancen, vielmehr sprechen die vorliegenden Ergebnisse dafür, dass Lehrer auf Basis der Herkunft der Kinder und den Assoziationen, die dies bei ihnen auslöst, über die Lebenschancen dieser Kindern entscheiden.
Beim Verfassen dieses Beitrags habe ich von einer Diskussion mit Dr. habil. Heike Diefenbach profitiert und natürlich davon, dass ihre wohlgezielten Bemerkungen dazu geführt haben, den Text stringenter zu machen.
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Die Argumentation oben ist nicht sonderlich überzeugend. Zu beachten ist u.a., dass es sehr starke Belege für Korrelationen zwischen IQ (und anderen Tetsts von kognitiven “Rohfähigkeiten”) unter nahen Verwandten und zwischen IQ und Lebens- und Schulerfolg gibt. Ebenso, dass ein starker genetischer Komponent hat.
Die Einwirkung des Elternhauses ist wiederum kaum zu bestreiten. Z.B. kann ich von meiner eigenen Zeit in Schweden und in der schwedischen Schule (die nebenbei extrem egalitär ausgerichtet ist) bezeugen, dass die Einstellung zu Ausbildung sich (im Durchschnitt!) deutlich in unterschiedlichen Gruppen unterschieden hat. Im Zweifelsfall muss bedacht werden, dass eine positive Einstellung zu Ausbildung eben tendenziell zu mehr Ausbildung führt, hierdurch (auch indirekt über höhere Gehälter) ein höherer “SES” erreicht wird. Zugleich aber diese positive Einstellung an die Kinder übertragen wird.
Nicht zu vergessen: Der Erfolg oder Misserfolg eines Kindes in der Schule kann mit grober Approximation (aber viel besser als z.B. durch Würfelwerfung) schon in der ersten Klasse vorgesehen werden—wo die Schule noch weit weniger Einfluss als die Eltern gehabt hat.
Der Artikel schleicht um das Thema “Begabung” herum wie die Katze um den heissen Brei. Dass man damit dem Problem nicht gerecht werden kann, zeigt schon eine ganz simple Frage: wie, bitte, ist es zu erklären, dass es nicht nur (möglicherweise zu wenige) Bildungs-Aufsteiger, sondern auch (und zwar kaum weniger) Bildungs-Absteiger gibt? Die haben doch – folgt man der These des Artikels – alle nur erdenklichen Chancen seitens der Unterstützung durch die Eltern und der Einstufung durch die Lehrer. Trotzdem schafft da die Akademikerstochter “nur” die mittlere Reife oder der Beamtensohn nur den Quali – oder nicht mal den. Das sind nicht bloß schief gegangene Einzelfälle, das ist ein erklecklicher Prozentsatz; ich könnte allein aus meinem persönlichen Umfeld zig Beispiele nennen. So herum wird es nur publizistisch nicht problematisiert: wenn’s bei der Arzttochter nicht zum Abitur langt, scheint das irgendwie weniger ein gesellschaftliches Problem zu sein als dasselbe beim ach so benachteiligten Arbeiterkind.
Bei aller politischer Korrektheit kommt man nicht um die Tatsache herum, dass Bildungserfolg nun mal AUCH mit – großenteils vererbter – Begabung zu tun hat. Ein gutes Schulsystem kann mangelnde Begabung teilweise durch besondere Bemühungen wettmachen; aber das hat Grenzen. Aus jemandem, der schon in der Grundschule durch eklatante Schreib- und Leseschwäche auffällt, macht nun mal auch die beste Förderung keinen Germanistik-Professor. Und wo ein Arztsohn (ich spreche hier mal exemplarisch von meinem eigenen Bruder) trotz aller familiären wie schulischen Bemühungen nicht mal den Quali schafft, kann man schwerlich beim daneben sitzenden Arbeitersohn mit vergleichbaren Anlagen die bösen “Mittelstands”-Lehrer dafür verantwortlich machen, dass der kein Abitur schafft.
Bevor man über Sarrazin (“Deutschland schafft sich ab”) schimpft, sollte man vielleicht doch erst mal sein Buch gelesen haben. Gerade zu dieser Thematik bringt er nämlich sehr gute, überzeugende und nachvollziehbar belegte Argumente. Unter anderem weist er mit Recht darauf hin, dass man aus der – in Deutschland im internationalen Vergleich nur im Mittelfeld liegenden -“sozialen Durchlässigkeit” des Schulsystems eben NICHT schlüssig auf soziale Barrieren schließen kann, die Unterschicht-Kinder trotz Begabung vom Bildungserfolg fernhalten würden. Man kann die einschlägigen Zahlen auch mit dem genauen Gegenteil erklären: gerade weil in Deutschland das Bildungssystem schon länger und konsequenter sozial durchlässig ist als in vielen anderen Ländern, sind bei uns die meisten Menschen mit entsprechender Begabung längst in die “Mittelschicht” aufgestiegen; Kinder aus unteren Schichten haben somit bei uns einfach weniger durchschnittliches Potential als in Ländern, in denen ihre Eltern und Großeltern tatsächlich noch an soziale Bildungsbarrieren stießen.
Das ganze Thema ist sehr komplex und wenig dazu geeignet, linkssoziale Neidreflexe daran abzuarbeiten.
Ich möchte hier als Anregung auf die empirischen Arbeiten von Pierre Bourdieu verweisen: Ein Klassen- und milieuspezifischer Habitus bildet sich – ich hoffe, dass ich Bourdieu hier richtig wiedergebe – schon in der frühesten Kindheit über die milieuspezifischen Alltagspraxen in den Familien aus: Frühkundliches Lernen in Interaktion (und durch Nachahmung) der ersten Bezugspersonen. Dabei wird “inkorporiertes kulturelles Kapital” sozial vererbt. Dafür müssen die ersten Bezugspersonen und die Kinder sich gemeinsam einbringen. Da spielt Zeit, (mentale) Präsenz und das wie selbstverständlich vorgelebte milieuspezifische kulturelle Kapital eine wichtige Rolle.
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Die Argumentation oben ist nicht sonderlich überzeugend. Zu beachten ist u.a., dass es sehr starke Belege für Korrelationen zwischen IQ (und anderen Tetsts von kognitiven “Rohfähigkeiten”) unter nahen Verwandten und zwischen IQ und Lebens- und Schulerfolg gibt. Ebenso, dass ein starker genetischer Komponent hat.
Die Einwirkung des Elternhauses ist wiederum kaum zu bestreiten. Z.B. kann ich von meiner eigenen Zeit in Schweden und in der schwedischen Schule (die nebenbei extrem egalitär ausgerichtet ist) bezeugen, dass die Einstellung zu Ausbildung sich (im Durchschnitt!) deutlich in unterschiedlichen Gruppen unterschieden hat. Im Zweifelsfall muss bedacht werden, dass eine positive Einstellung zu Ausbildung eben tendenziell zu mehr Ausbildung führt, hierdurch (auch indirekt über höhere Gehälter) ein höherer “SES” erreicht wird. Zugleich aber diese positive Einstellung an die Kinder übertragen wird.
Nicht zu vergessen: Der Erfolg oder Misserfolg eines Kindes in der Schule kann mit grober Approximation (aber viel besser als z.B. durch Würfelwerfung) schon in der ersten Klasse vorgesehen werden—wo die Schule noch weit weniger Einfluss als die Eltern gehabt hat.
Der Artikel schleicht um das Thema “Begabung” herum wie die Katze um den heissen Brei. Dass man damit dem Problem nicht gerecht werden kann, zeigt schon eine ganz simple Frage: wie, bitte, ist es zu erklären, dass es nicht nur (möglicherweise zu wenige) Bildungs-Aufsteiger, sondern auch (und zwar kaum weniger) Bildungs-Absteiger gibt? Die haben doch – folgt man der These des Artikels – alle nur erdenklichen Chancen seitens der Unterstützung durch die Eltern und der Einstufung durch die Lehrer. Trotzdem schafft da die Akademikerstochter “nur” die mittlere Reife oder der Beamtensohn nur den Quali – oder nicht mal den. Das sind nicht bloß schief gegangene Einzelfälle, das ist ein erklecklicher Prozentsatz; ich könnte allein aus meinem persönlichen Umfeld zig Beispiele nennen. So herum wird es nur publizistisch nicht problematisiert: wenn’s bei der Arzttochter nicht zum Abitur langt, scheint das irgendwie weniger ein gesellschaftliches Problem zu sein als dasselbe beim ach so benachteiligten Arbeiterkind.
Bei aller politischer Korrektheit kommt man nicht um die Tatsache herum, dass Bildungserfolg nun mal AUCH mit – großenteils vererbter – Begabung zu tun hat. Ein gutes Schulsystem kann mangelnde Begabung teilweise durch besondere Bemühungen wettmachen; aber das hat Grenzen. Aus jemandem, der schon in der Grundschule durch eklatante Schreib- und Leseschwäche auffällt, macht nun mal auch die beste Förderung keinen Germanistik-Professor. Und wo ein Arztsohn (ich spreche hier mal exemplarisch von meinem eigenen Bruder) trotz aller familiären wie schulischen Bemühungen nicht mal den Quali schafft, kann man schwerlich beim daneben sitzenden Arbeitersohn mit vergleichbaren Anlagen die bösen “Mittelstands”-Lehrer dafür verantwortlich machen, dass der kein Abitur schafft.
Bevor man über Sarrazin (“Deutschland schafft sich ab”) schimpft, sollte man vielleicht doch erst mal sein Buch gelesen haben. Gerade zu dieser Thematik bringt er nämlich sehr gute, überzeugende und nachvollziehbar belegte Argumente. Unter anderem weist er mit Recht darauf hin, dass man aus der – in Deutschland im internationalen Vergleich nur im Mittelfeld liegenden -“sozialen Durchlässigkeit” des Schulsystems eben NICHT schlüssig auf soziale Barrieren schließen kann, die Unterschicht-Kinder trotz Begabung vom Bildungserfolg fernhalten würden. Man kann die einschlägigen Zahlen auch mit dem genauen Gegenteil erklären: gerade weil in Deutschland das Bildungssystem schon länger und konsequenter sozial durchlässig ist als in vielen anderen Ländern, sind bei uns die meisten Menschen mit entsprechender Begabung längst in die “Mittelschicht” aufgestiegen; Kinder aus unteren Schichten haben somit bei uns einfach weniger durchschnittliches Potential als in Ländern, in denen ihre Eltern und Großeltern tatsächlich noch an soziale Bildungsbarrieren stießen.
Das ganze Thema ist sehr komplex und wenig dazu geeignet, linkssoziale Neidreflexe daran abzuarbeiten.
Ich möchte hier als Anregung auf die empirischen Arbeiten von Pierre Bourdieu verweisen: Ein Klassen- und milieuspezifischer Habitus bildet sich – ich hoffe, dass ich Bourdieu hier richtig wiedergebe – schon in der frühesten Kindheit über die milieuspezifischen Alltagspraxen in den Familien aus: Frühkundliches Lernen in Interaktion (und durch Nachahmung) der ersten Bezugspersonen. Dabei wird “inkorporiertes kulturelles Kapital” sozial vererbt. Dafür müssen die ersten Bezugspersonen und die Kinder sich gemeinsam einbringen. Da spielt Zeit, (mentale) Präsenz und das wie selbstverständlich vorgelebte milieuspezifische kulturelle Kapital eine wichtige Rolle.