Männer- und jungenfeindliches Klima
In den letzten beiden posts haben wir zunächst und auf Grundlage der Daten des Statistischen Bundesamts das Ausmaß der Feminisierung des deutschen Bildungssystem dargestellt und gezeigt, dass die Feminisierung des Bildungssystems mit einer Entprofessionalisierung einher geht. So dann haben wir, abermals auf Basis der Daten des Statistischen Bundesamts gezeigt, dass diese Entwicklung vor allem zu Lasten von Jungen geht: Die schulische Bewertung von Jungen in dem Maße schlechter, in dem der Anteil weiblicher Lehrer steigt. Mit den beiden nächsten posts wollen wir zeigen, dass beides Ausdruck eines gesellschaftlichen Klimas ist, das man nicht anders als männer- und jungenfeindlich beschreiben kann. Entsprechend handelt dieser post von sozial-emotionalen Störungen. Sozial-emotionale Störungen werden auf Grundlage unglaublich weicher Indikatoren vornehmlich Jungen an-diagnostiziert und man könnte fast geneigt sein festzustellen, dass sie einzig dazu ersonnen wurden, um bei der Einschulungsuntersuchung ein Mittel bei der Hand zu haben, das es erlaubt unpassende Jungen auszusortieren und im weiteren Verlauf der Primärbildung mit den selben sozial-emotionalen Störungen eine Handhabe zu haben, um unpassende Jungen auf die Sonderschule abzuschieben.
Dieses post handelt von Einschulungsuntersuchungen, einem, wenn die vielen Leser, die auf ScienceFiles landen, weil sie nach “Rückstellungsantrag … sozial-emotionale Störung” in welcher Kombination auch immer gesucht haben, zum Maß nimmt, heißen Thema.
Einschulungsrückstellung: sozial-emotionale Stigmatisierung von Jungen
Seit Jahren zeigen Einschulungsuntersuchungen, dass Jungen häufiger als Mädchen von einer altersgerechten Einschulung zurückgestellt werden. Bei vorzeitig eingeschulten Kindern ergibt sich eine ähnliche Divergenz zwischen den Geschlechtern: Mädchen werden häufiger vorzeitig eingeschult als Jungen. Z.B. wurden im Schuljahr 2009/2010 20.397 Mädchen vorzeitig eingeschult (5,62% der 2009/2010 zur Einschulung anstehenden Mädchen), aber nur 13.871 Jungen (3,52% der 2009/2010 zur Einschulung anstehenden Jungen). Gleichzeitig wurden 24.735 Jungen (6,28% der 2009/2010 zur Einschulung anstehenden Jungen) und 13.754 (3,79% der zur Einschulung anstehenden Mädchen) von einer Einschulung zurückgestellt. An dieser Ungleichverteilung hat sich über die letzten Jahre nur wenig verändert, wie die folgenden Abbildungen zeigen, in denen die Einschulungsjahre 2002/03 und 2009/10 miteinander verglichen werden.
Wie die beiden Abbildungen zeigen, ändern sich die Anteile zwischen den Vergleichsjahren geringfügig, die Differenzen zwischen Jungen und Mädchen bleiben davon jedoch unberührt. Angesichts dieser schiefen Verteilung stellt sich die Frage, wie die Ungleichverteilung nach Geschlecht erklärt werden kann. Sind, mit anderen Worten, Jungen Spätentwickler, für die häufig eine Einschulung zu früh kommt? Auf der Suche nach Antworten auf diese Frage sind wir auf einen Beitrag von Julia Horstschräer und Grit Muehler mit dem Titel “School Entrance Recommendation: A Question of Age or Development” gestoßen, in dem auf Grundlage von Daten des Landes Brandenburg, die Entscheidung am Ende der Einschulungsuntersuchung erklärt werden soll.
Wie die Analysen der beiden Autoren zeigen, sind es vermeintliche Alter und Entwicklungsrückstände, die eine Zurückstellung von der Einschulung erklären: “Impairments in cognitive, socio-emotional and motor[ic] development as well as health are negatively related to the probability to receive a school recommendation. Moreover, younger children are less likely to be recommended for school” (17). Was heißt das nun für die Erklärung der Geschlechtsunterschiede bei der Einschulung? Da kaum anzunehmen ist, dass Mädchen, die zur Einschulung anstehen, in Monaten gerechnet, deutlich älter sind als Jungen, also weiter vom Altersstichtag, der zur Einschulung qualifiziert, entfernt sind als Jungen, scheidet das Alter als Erklärung für die Unterschiede nach Geschlecht aus. Somit bleiben die kognitiven, sozio-emotionalen und motorischen Störungen sowie die Gesundheit als erklärende Variablen übrig. Ein Blick auf die Ergebnisse von Horstschräer und Muehler (Seite 11, Tabelle 2) zeigt, dass sozio-emotionale Störungen mit ziemlichen Abstand vor kognitiven Störungen für die Erklärung der Zurückstellung von einer Einschulung am wichtigsten sind.
Als sozio-emotional gestört gilt ein Kind, wenn es zu Hause oder im Kindergarten den Anweisungen von Eltern oder Kindergartenpersonal nicht Folge leistet oder sich häufig mit anderen Kindern “prügelt”. Oder ein Kind hat die Möglichkeit, sich als sozial oder emotional gestört zu qualifizieren, wenn es häufig von anderen Kindern gehänselt wird und vor anderen Kindern Angst hat (Horstschräer & Muehler, 2010, S.22). Eine weitere Möglichkeit, den psychiatrischen Tatbestand einer sozio-emotionalen Entwicklungsstörung zu erfüllen, besteht darin, sich leicht ablenken zu lassen und nervös oder zappelig zu sein. Geben Eltern oder Kindergärtnerinnen an, ein Kind lasse sich leicht ablenken und sei zappelig, dann haben sie ihm damit eine sozial-emotionale Störung attestiert – Grund genug, nicht eingeschult zu werden.
Wie sich zeigt, ist es ziemlich einfach, das Stigma “sozial-emotional gestört” angeheftet zu bekommen, und offensichtlich ist es für Jungen viel einfacher, die entsprechenden Stigmata zugeschrieben zu bekommen als für Mädchen. Was allerdings die Tatsache, dass sich ein Kind leicht ablenken lässt, zappelig ist, sich mit anderen balgt oder ungehorsam ist, mit seiner Fähigkeit, zu lernen zu tun haben soll, ist uns nicht nachvollziehbar – schon deshalb nicht, weil Schule eigentlich ein Ort sein soll, an dem Kinder u.a. Aufmerksamkeit und Disziplin erlernen.
Da eine verspätete Einschulung sich negativ auf die schulische Karriere des entsprechenden Kindes auswirkt, stellt sich abschließend die Frage ob derart weiche Indikatoren, wie die für die Messung von sozial-emotionaler Störung benutzten, es rechtfertigen, vornehmlich Jungen von einer Einschulung zurückzustellen, und eigentlich beantwortet sich diese Frage von selbst.
Das lässt die Frage danach, warum zappelige, lebhafte und sich balgende Kinder (übrigens alles Indikatoren, die von Jungen schon aufgrund der Rollenmuster, die an sie herangetragen werden, eher erfüllt werden als von Mädchen) unbedingt als sozial-emotional gestört gelten müssen. Die Antwort auf diese Frage ist nicht einfach, aber wir sind uns sicher, dass man sie im Kontext einer gesellschaftlichen Entwicklung sehen muss, die Eigenschaften und Attribute, die als männlich gelten, zunehmend pathologisiert.
Literatur
Horstschräer, Julia & Muehler, Grit (2010). School Entrance Recommendation: A Question of Age or Development?
http://ssrn.com/abstract=1649459
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“Das lässt die Frage danach, warum zappelige, lebhafte und sich balgende Kinder (übrigens alles Indikatoren, die von Jungen schon aufgrund der Rollenmuster, die an sie herangetragen werden, eher erfüllt werden als von Mädchen) unbedingt als sozial-emotional gestört gelten müssen.”
Ich fühle ich spontan an die Jungs vom FC Bayern erinnert, die sich mit allergrößtem Vergnügen schubsen, rumzappeln und sehr lebhaft sind.
Die erfolgreichsten und fittesten jungen Männer, die wir in Deutschland haben, oder?
Im Zuge der Gleichmacherei sollte das verboten werden….. Die Entwicklungen sind so krank und so fatal, dass einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Ich behaupte, dass das Gegenteil der oben zitierten Sichtweise richtig ist: Gesunde Jungen MÜSSEN miteinander raufen und lebhaft sein, tun Sie dies nicht, werden sie zappelig und kontaktgestört. So einfach ist das.
Ich nehme eure Seite immer wieder mit Interesse zur Kenntnis. Auch hier zeigt ihr Dinge auf, die einfach nur noch schrecklich sind. Mein Sohn ist 3 Jahre alt, und ihm steht der ganze Kram noch bevor. Unter der Voraussetzung, dass man eurer Interpretation zustimmt, was ist zu tun? Wenn man sein Leben in Kindern fortsetzt, genügt es nicht, recht zu haben.
Wenn ich es richtig sehe, war die traditionelle Rollenzuteilung dadurch geprägt, dass man den Aktionsradius von Jungen und Mädchen in der Lebensplanung eingeschränkt hat. Selbst im ärgsten Patriarchat wird aber einem Mädchen eine Perspektive gegeben innerhalb einer Gesellschaft. Für Jungen ist das, wenn ich euch richtig verstehe, heute nicht mehr durchwegs der Fall. Vom psychischen Schaden einer mangelnden Akzeptanz durch wichtige Bezugspersonen zu schweigen.
Was lernen wir daraus? Das Leben ist kein Nachhilfe-Kurs in rationalem Denken. Wie wirken sich solche Erkenntnisse politisch aus? Ich muss ehrlich sagen, dass für meine Person der Schluss in Richtung rechtsradikaler Haltung sehr nahe liegt.
Der Schluss ist sicher nicht der richtige. Wir sind nun schon zehn Jahre weiter und ich kann aus meiner Erfahrung heraus nur sagen, dass es nicht nur die LehrerInnen sind, die zu dieser Entwicklung mit ihrer Sicht der Welt beitragen, sondern in erschreckender Weise auch die Eltern, die heutzutage mehrheitlich danach streben, “stromlinienförmige” Kinder ohne Makel und ohen Fehl und Tadel zu “haben”. Denn der “Makel” des Kindes färbt ja umgehend auf das Ansehen der Eltern ab. Da waren unsere Eltern oder Großeltern noch wesentlich souveräner, wahrscheinlich auch, weil sie mehrere Kinder hatten und dadurch erkannten, dass Ausnahmen vom Musterkind die Regel sind.
Was zu tun ist? Das ist sehr einfach. Das Kind in jeder Hinsicht stärken, in seiner Individualität, in seinen Eigenheiten, in seiner Persönlichkeit. Ihm zeigen, dass es richtig ist, wie es ist. Fehltritte und Ausrutscher zulassen und nicht auf sich selbst beziehen, es zulassen, dass das Kind aus Fehlern lernen kann. Ihm immer wieder den Rücken stärken und dennoch auch Rücksichtnahme und soziales Verhalten vermitteln und vor allem: VORLEBEN. Auch Freiheit und Individualität, Eigenverantwortung und Vernunft vorleben, Stärke und Klarheit. Ich denke, das sind die richtigen Schlüsse.
Und das ist nicht radikal, das ist liberal.
“Angesichts dieser schiefen Verteilung stellt sich die Frage, wie die Ungleichverteilung nach Geschlecht erklärt werden kann”
Aus biologischer Sicht ist es häufig so, dass das Geschlecht, welches einer starken intrasexuellen Selektion unterliegt, sich langsamer entwickelt, damit man es etwas länger aus dem Konkurrenzkampf raushalten kann und es noch als Kind akzeptiert wird.
Bei Menschen wäre der Mann evolutionär einer stärkeren intrasexuellen Konkurrenz ausgesetzt gewesen.
Vielleicht kann das ja auch dazu beitragen.