Wird Sachsen-Anhalt zum Armenhaus in Deutschland?

DemographietypenDer demographische Wandel ist in vollem Gange: Die Bevölkerung Deutschlands wird nach einer Schätzung des Statistischen Bundesamts (allerdings auf Basis veralteter Zahlen) bis zum Jahr 2030 auf rund 77,4 Millionen von derzeit rund 82 Millionen sinken (Da der neue Zensus gezeigt hat, dass in Deutschland schon heute rund 1,5 Millionen weniger Einwohner klumpen als angenommen, muss diese Prognose entsprechend angepasst werden.). Dabei zeigen sich regional durchaus unterschiedliche Entwicklungen, die die Bertelsmann-Stiftung dazu veranlasst haben, Kommunen in neun Demographietypen einzuordnen, die unterschiedlichen Schwächen und Stärken der jeweiligen Kommunen Rechnung tragen. Es ist sattsam bekannt, dass der demographische Wandel als Folge des Rückgangs bei Geburten und der steigenden Lebenserwartung eine immer älter werdende deutsche Bevölkerung produziert: “Die Hälfe der Bevölkerung wird im Jahre 2025 älter als 47 Jahre alt sein – in den ostdeutschen Bundesländern sogar älter als 53 Jahre. Im Jahr 2006 war noch jeder … Zweite jünger als 42 Jahre” (Große Starmann & Klug, 2009, S.5).

Mit diesem demographischen Wandel kommen eine ganze Reihe von Veränderungen auf Deutschland und vor allem auf Länder und Kommunen zu. Der Bevölkerungsrückgang lässt Systeme der Wasserver- und entsorgung, des öffentlichen Personennahverkehrs, lässt Kinder- und Jugendhilfe, Sozialamt und Schulen überdimensioniert werden. Und während immer weniger Beitragszahler die Kosten für Straßen, Wasserversorgung und ÖPNV zu tragen haben, streiten sich immer mehr Jugendhelfer und Sozialarbeiter um immer weniger Kinder, Jugendliche und ihre Eltern. Während vor allem ländliche Gebiete und eine Reihe von Städten wie Halle, Magdeburg, aber auch Gelsenkirchen oder Hagen die Konsequenzen einer sinkenden Bevölkerung in ihren Haushalten zu spüren bekommen werden, und wohl oder übel Mitarbeiter entlassen und kommunale Serviceleistungen der sinkenden Nachfrage werden anpassen müssen, profitieren einige Städte wie Dresden, Leipzig, München oder Hamburg vom demographischen Wandel. Sie können sich quasi als Arbeitszentren etablieren, die einen positiven Wanderungssaldo aufzuweisen haben.

Ghost townDas generelle Bild für Deutschland weist jedoch einen Bevölkerungsrückgang und damit verbunden die Notwendigkeit für Kommunen auf, sich an den Wandel anzupassen und ihre Ausgaben und Leistungen entsprechend zu dimensionieren. Dabei zeichnen sich jedoch bereits heute für manche Bundesländer Entwicklungen ab, die darauf hindeuten, dass sie mit den Anpassungsnotwendigkeiten, die der demographischen Wandels mit sich bringt, besonders stark  konfrontiert sind, und  weil sie bereits heute über eine Vielzahl ungelöster struktureller Probleme verfügen in Gefahr stehen, den Anschluss zu verlieren, ja zum Armenhaus der Republik zu werden. Diese Gefahr besteht z.B. für Sachsen-Anhalt, das mit folgenden Randbedingungen konfrontiert ist:

  • Bis zum Jahr 2030, so zeigt eine Modellrechnung des Statistischen Bundesamts (2011, S.21) wird Sachsen-Anhalt im Vergleich zu heute rund 21,2% weniger Bevölkerung aufzuweisen haben. Damit liegt Sachsen-Anhalt deutlich über dem Bundesdurchschnitt, der einen Bevölkerungsrückgang von 3,5% sieht.
  • Die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (20 bis 64 Jahre) wird in Sachsen-Anhalt bis zum Jahr 2030 um rund 40% sinken. Als Folge werden auf 100 Personen im erwerbsfähigen Alter 71 Personen im Alter von mehr als 64 Jahren kommen. Zum Vergleich: Baden-Württemberg wird ein Rückgang des Anteils der erwerbsfähigen Bevölkerung um rund 25% vorhergesagt, der Altenquotient soll 2030 51 Personen über 64 Jahre auf 100 Personen im Alter von 20 bis 64 Jahren ausweisen.

Landkreise_Sachsen-Anhalt.svgDie beschriebenen Entwicklungen sind an sich schon erheblich, denn der überproportionale Rückgang erwerbsfähiger Personen in Sachsen-Anhalt macht das Land im Vergleich zu anderen Bundesländern als Standort unattraktiv und die Überalterung des Landes stellt die kommunalen Haushalte und den Landeshaushalt vor all die Probleme, die oben dargestellt wurden. Zu den beschriebenen Problemen kommen jedoch noch eine Reihe weiterer Probleme, die Sachsen-Anhalt zu einem dauerhaften Sorgenkind im deutschen Länderfinanzausgleich  machen können bzw. werden, z.B. (die im folgenden berichteten Daten entstammen dem Bundesland-Ranking von Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und Wirtschaftswoche):

  • Die Anzahl der Schüler, die in Sachsen-Anhalt die Schule ohne einen Abschluss verlassen, ist mit 12,3% sehr hoch. Der Anteil der abschlusslosen Schüler ist nur in Mecklenburg-Vorpommern, wo 13,7% der Schüler ohne Schulabschluss bleiben, höher.
  • Die Arbeitslosenquote in Sachsen-Anhalt beträgt 11,6%. Sie ist nur in Mecklenburg-Vorpommern (12,5%) und Berlin (13,3%) höher.
  • Der Anteil der Arbeitslosengeld II Empfänger beträgt in Sachsen-Anhalt 10,1%. Ledinglich in Bremen (10,2%) und Berlin (12,4%) sind die Anteile höher.
  • Die Anzahl der privaten Schuldner ist mit 11,5% in Sachsen-Anhalt sehr hoch und lediglich in Berlin (12,3%) und Bremen (13,5%) höher.
  • Das durchschnittlich verfübare Jahres-Einkommen beträgt in Sachsen-Anhalt 16.757 Euro. Lediglich Mecklenburg-Vorpommern hat mit 15.935 Euro ein geringeres durchschnittilches Jahreseinkommen vorzuweisen.
  • Die durchschnittliche Kaufkraft je Einwohner ist in Sachsen-Anhalt mit 16.606 Euro so gering wie in keinem anderen Bundesland.

Auch mit Blick auf die wirtschaftliche Dynamik rangiert Sachsen-Anhalt unter ferner liefen:

  • Die Anzahl der Patente, die in Sachsen-Anhalt angemeldet werden, ist mit 13 auf 100.000 Einwohner rund 10mal geringer als in Baden-Württemberg und nur in Mecklenburg-Vorpommern (10) noch geringer.
  • Im Hinblick auf die Produktivität rangiert Sachsen-Anhalt auf Platz vier vom Ende der Rangliste aus betrachtet und lässt nur Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen hinter sich.
  • Das gleiche Bild ergibt sich im Hinblick auf das Bruttoinlandsprodukt: Lediglich Brandenburg, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern bleiben dieses Mal hinter Sachsen-Anhalt.
  • Dagegen florieren in Sachsen-Anhalt die öffentlichen Investitionen, die offensichtlich und vornehmlich der öffentlichen Verwaltung zu Gute kommen. Kein anderes Bundesland hat so viele öffentliche Bedienstete vorzuweisen wie Sachsen-Anhalt. Mit 173 öffentlichen Bediensteten auf 5000 Einwohner ist das Land einsame Spitze.

Die berichteten Daten sind mehr als bedenklich. Sie zeigen einerseits, dass Wachstum in Sachsen-Anhalt vor allem als eine Funktion der Schaffung von Stellen in der öffentlichen Administration stattfindet, dass das Land andererseits jedoch im Hinblick auf die meisten Kriterien, die von Unternehmen bei der Standortwahl zu Rate gezogen werden, weit hinter den meisten anderen Bundesländern zurückbleibt.

nachhaltiges WachstumDabei kann das Wachstumsmodell “Sachsen-Anhalt”, das wirtschaftlichen Erfolg durch ein Aufblähen öffentlicher Verwaltungen anstrebt, angesichts eines Bevölkerungsrückgangs, der in Deutschland seines gleichen sucht, kaum als – wie heißt es doch so schön: nachhaltig bezeichnet werden, In Sachsen-Anhalt wird derzeit offensichtlich wider jeglichen ökonomischen Sachverstand versucht, den erwerbstätigen Teil der Bevölkerung fast ausschließlich in öffentlichen Verwaltungen anzusiedeln, was angesichts der Tatsache, dass öffentliche Verwaltungen finanzielle Mittel fressen und nicht produktiv sind, ein zum Scheitern bestimmtes Unterfangen ist, dessen finanzielle Folgen, dem Länderfinanzausgleich sei Dank, jedoch nicht von Sachsen-Anhalt getragen werden müssen, sondern von den Netto-Zahlern im Länderfinanzausgleich: Baden-Württemberg und Bayern.

Somit bleibt abschließend festzustellen, dass Sachsen-Anhalt alles andere als gut aufgestellt ist, um die Probleme zu bewältigen, die durch den demographischen Wandel auf das Land zukommen. Wäre ich Ministerpräsident des Landes, ich könnte nicht mehr ruhig schlafen.

Große Starmann, Carsten & Klug, Petra (2009). Blick in die Zukunft. Deutschland verändert sich. In: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.). Wer, wo, wie viele? – Bevölkerung in Deutschland 2025. Gütersloh: Bertelsmann-Stiftung.

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