Haften Gastwirte für ihre Gäste?

SSQAls Betreiber eines Wissenschaftsblogs will man sich zuweilen auch mit “leichterer Kost” beschäftigen. Das heißt, eigentlich wollte ich über einen neuen Beitrag von Rodrigo Praino, Daniel Stockemer und Vincent G. Moscardelli schreiben, in dem die drei Autoren die Halbwertszeit von Skandalen untersuchen und sich fragen, wie lange muss ein Politiker auf Tauchstation gehen, ehe die Folgen eines Skandals, in den er verwickelt ist/war, abgeebt sind und er sich wieder Aussicht auf Wählerstimmen in nennenswertem Umfang machen kann. Und obwohl diese Fragestellung für all die Politiker relevant ist, die sich mit Plagiaten erst zum Doktortitel und dann aus der Politik befördert haben, müssen die Schavans, von Guttenbergs und wie sie alle heißen, noch etwas auf die Auflösung warten. Nur soviel: Es dauert einige Zeit, die kurze Verzögerung, die daraus entsteht, dass ich erst demnächst über den Beitrag von Praino et al. schreiben werde, fällt entsprechend nicht ins Gewicht.

Leichte Kost findet man in den unterschiedlichsten Quellen. Mich verschlägt es zuweilen zu openpr. Dort findet man die vielfältigsten Pressemeldungen und, was wichtiger ist, man findet Pressemeldungen von Institutionen, Organisationen, Unternehmen und Privatleuten, die man bei Agenturen wie DPA mit Sicherheit nicht findet. Und man findet bei openpr eine neue Gattung von Pressemitteilung, man könnte sie die Pressemitteilungs-Werbeanzeigen von Anwaltskanzleien nennen. Anwaltskanzleien dürfen ja bekanntlich nicht für sich werben, und deshalb werben sie auch nicht, sondern verbreiten Pressemitteilungen, z.B. auf openpr.

Besonders agil im Verbreiten von Pressemitteilungen sind die Rechtsanwälte Schutt und Waetke, und einen wahren Nugget an Pressemitteilung, erstellt von Thomas Waetke, Rechtsanwalt, habe ich für die Leser von ScienceFiles ausgewählt. Die Pressemitteilung trägt die Überschrift:

Straftaten durch Alkoholmissbrauch – die Verantwortung des Gastwirts?

wirtIst das nicht eine interessante Frage? Wenn ich in das Pub bei mir um die Ecke gehe, mich mit Felingfoel abfülle bis ich kaum mehr stehen kann und dann mit meinem Nachbarn in Streit darüber gerate, ob Gareth Bale oder Jürgen Klinsmann der beste Spieler ist, den Tottenham je hatte (alles rein hypothetisch), und im Verlauf des Streits beginnen wir damit, das Pub zu zerlegen und uns gegenseitig zu bearbeiten – ist dann der Wirt haftbar? Immerhin hat uns der Wirt mit Ale versorgt, bis wir den Zustand erreicht haben, den wir erreicht haben. Haftet also ein Wirt für seine Gäste, etwa in der Weise, wie Eltern für ihre Kinder haften? Diese Frage fragt sich Thomas Waetke, und er beantwortet sie zunächst mit einem “grundsätzlich”.

“Grundsätzlich”, so schreibt er, “kann der Gastwirt nicht dafür verantwortlich gemacht werden, wenn sein Gast sich bei ihm betrinkt, dann das Haus verlässt und irgendwo eine Straftat begeht”. Es ist dies ein juristisches “grundsätzlich”, und grundsätzlich bei Juristen heißt, es gibt Ausnahmen. Z.B., so erkennt Waetke, könnte man dem Gastwirt einen Strick daraus drehen, dass er an “erkennbar Betrunkene” Alkohol ausgeschenkt habe, was ihm nach § 20 Nr. 2 des Gaststättengesetzes nicht erlaubt sei.

Wohlgemerkt, so fährt Waetke fort, es ist dem Gastwirt nicht erlaubt. Wenn also Schankhilfe Peter ausschenkt, dann ist der Wirt fein raus. Denkt man. Aber nein, sinniert Waetke weiter: Wenn der Wirt aus Gründen des Umsatzes seine Schankhilfe angewiesen hat, auch an Betrunkene auszuschenken, dann ist er wieder dran. Gibt es also eine entsprechende Schankpolitik, oder hängt an der Wand ein Plakat “Wir versorgen auch Besoffene mit Alkohol bis zum Abwinken”, dann ist der Wirt wieder in der Haftung.

Und weil es noch nicht reicht, überlegt unser Rechtsanwalt weiter, ob man nicht, angenommen ein Gastwirt hat eine entsprechende Schankpolitik und das entsprechende Plakat hängt an der Wand, dem entsprechenden Gastwirt gleich ganz das Handwerk legen könne, denn bei wiederholten Verstößen, so weiß er, “könnte … die zuständige Behörde ansetzen und dem Treiben Einhalt gebieten”. Das müsse allerdings auch politisch gewollt sein, ergänzt Waetke und endet mit der Feststellung, dass ein Ansatzpunkt die Unzuverlässigkeit des Gastwirtes sein könnte, die er durch hohe Steuerschulden oder wiederholte Verstösse gegen das Jugendschutzgesetz unter Beweis gestellt hat.

Wohlgemerkt (das ist jetzt mein wohlgemerkt), die Ausgangsfrage war: Haften Wirte für ihre betrunkenen Gäste, und zwar dann, wenn die betrunkenen Gäste eine Straftat begehen? Von dieser Ausgangsfrage hat es Rechtsanwalt Waetke in seiner Pressemitteilung doch weit getragen, so dass man fast den Eindruck haben könnte, er hat ein Problem mit Wirten, mag sie am Ende nicht. Aber das steht hier nicht zur Debatte, vielmehr ist die Pressemitteilung von Thomas Waetke aus mehreren Gründen sehr interessant.

modern drunkardZum einen zeigt sie, wie unstrukturiertes Denken, bei dem sich der vermeintliche Denker von einer Assoziation zur nächsten hangelt, von einer eng umrissenen Frage zu einer vollumfänglichen Abrechnung mit Gastwirten wird. Zum anderen zeigt sie, wie unstrukturiertes Denken, das scheinbar unter manchen Anwälten endemisch ist, dazu führt, dass die eigentlich interessante Frage, überhaupt nicht behandelt wird, denn Stratftaten sind als willentliche Akte definiert. Eine (nicht fahrlässige) Körperverletzung liegt doch wohl dann vor, wenn ich mit voller Absicht einem Kritiker an meinen Texten hier im Blog auf die Nase haue und ihm dabei das Nasenbein breche. Damit der Wirt zum Mittäter wird, müsste er entsprechend  ein fieses Kalkül verfolgen, denn er muss mich in der Intention mit Alkohol bewirten, dass ich, bin ich erst einmal betrunken, einem Dritten das Nasenbein breche. (Ob man aus Fahrlässigkeit als Wirt Beihilfe zu einer Körperverletzung leisten kann, will ich mir jetzt nicht überlegen, würde es doch bedeuten, dass Wirte gegenüber ihren Gästen einen Generalverdacht haben müssten, was dem Gasthausklima eher nicht förderlich wäre.)

Das ist eine doch sehr abstruse Konstruktion und zudem eine Konstruktion, die vermutlich auch den engagiertesten Staatsanwalt davor zurückschrecken lässt, eine Anklage wegen Beihilfe zur Körperverletzung gegen einen Wirt zu erheben. Es ist schon verwunderlich, dass Rechtsanwalt Waetke nicht auf diese doch naheliegende Antwort auf seine gestellte Frage gekommen ist. Es hat ihn wohl doch zu sehr weggetragen, so sehr, dass man sich fragt, ob die Pressemitteilungs-Werbeanzeige ihren Zweck der Vermittlung von Kompetenz und der Werbung von Klienten auch wirklich erfüllt.

Endlich bleibt mir noch festzustellen, dass die Tendenz, individuelle Verantwortung für individuelle Handlungen auf Dritte abzuwälzen, sich langsam in einer Weise auswächst, die erschreckend ist. Also: Wenn Rechtsanwalt Waetke mein Text nicht gefällt, dann muss er sich an die eigene Nase fassen, denn ohne seinen Text, hätte ich meinen Text nie geschrieben, kur: er ist für meinen Text verantwortlich, nicht ich – Juristen”logik”!

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