Gewalt-Computerspiele machen hilfsbereit!
Es ist an der Zeit, dem Chor der Besorgten, die sich um die Folgen des Spielens von Gewalt-Computerspielen wie Ego-Shooter Spielen, von Call of Duty, Black Ops und wie sie alle heißen, sorgen, etwas entgegen zu setzen. Der Chor der Besorgten geht z.B. so:
“Laut Spitzer vermindert das Spielen die Fähigkeit zum Mitgefühl. Und er weist außerdem auf die zahlreichen gesundheitlichen Nebenwirkungen des Computerspiels hin, wie Fettleibigkeit, Diabetes, Schmerzen im Spielerarm und Rückenbeschwerden. Hinzu träten, und dies ist für die Schulzeit bedeutsam, Störungen der Aufmerksamkeit, Lese- und Rechtschreibschwächen sowie verminderte Leistungen in der Schule. [zu Kausalität und Korrelation schreibe ich heute nichts…]”
Zu finden ist dieses Zitat auf einer Seite des Schulministeriums Nordrhein-Westfalen, und angereichert ist der Text, in dem die negativen Folgen von Gewalt-Computerspielen beschrieben werden, mit einer Herzschmerz-Geschichte von Sven, der vom abhängigen Killerspieler zum korrekten Mitglied der Gesellschaft geworden ist, wie man es sich beim Schulministerium NRW wünnscht:
“Sven hat das Killerspiel zwar nicht aus der Bahn geworfen. Er hat seinen Schulabschluss in der Tasche und lernt nun Bürokaufmann. Süchtig ist er nur nach Zigaretten. Doch nicht alle, die Glücksgefühle beim virtuellen Töten suchen, haben so viel Glück im Leben wie er. ‘Ich kenne Kollegen, die ein Jahr in der Schule wiederholen mussten, weil sie so intensiv gespielt haben’, sagt er.”
Na, wenn das kein Beleg für die schädliche Wirkung von “Gewalt”-Computerspielen ist, dass “Sven” Kollegen kennt! Der vom Schulministerium NRW zitierte Manfred Spitzer, der Zeuge für die schädliche Wirkung von u.a. Gewalt-Computerspielen sein soll, hat ein Buch namens “Vorsicht Bildschirm” geschrieben, in dem er – übrigens nicht auf Basis von entsprechenden Experimenten – die Folgen von Computerspielen, Werbung im Fernsehen und all den anderen Dingen beschreibt (wie sie ihm vorkommen), vor denen zu warnen sich der Chor der Besorgten vorgenommen hat, vor allem im Hinblick auf Kinder (vermutlich, weil viele oder doch zumindest manche Erwachsene sich wehren, wenn man ihnen sagt, was sie nicht mehr machen sollen/dürfen). Und das Warnen an sich ist schon wichtig, egal, ob es eine empirische Fundierung hat. Wer warnt, ist gut. Und hat es nicht den Todesschützen von Erfurt gegeben, der ein Ego-Shooter-Spieler war, weiß das Schulministerium in NRW festzustellen. Na, wenn das kein Beleg ist!
Dagegen erscheint die Seite der Bundesprüfstelle Computer & Konsolenspiele richtig wissenschaftlich informiert. Nicht nur ein Buch von einem Warner wird hier zitiert, sondern das Ergebnis von Studien, von denen die Bundesprüfstelle freilich nicht verrät, wie sie ausgewählt wurden. Richtig differenziert berichtet die Bundesprüfstelle, dass die Forschung zur Frage, wie Gewalt-Computerspiele wirken, wenn sie denn überhaupt wirken, uneinheitlich ist, um es vorsichtig auszudrücken.
“Die Untersuchungen, die sich gezielt mit der kurzfristigen Wirkung gewalthaltiger Computerspiele befassen, zeigen relativ eindeutige Ergebnisse. In der wissenschaftlichen Fachwelt anerkannte Studien, die die Ergebnisse methodisch überzeugender und seriöser Forschungsprojekte ausgewertet haben, belegen: Gewalthaltige Computerspiele fördern kurzfristig aggressives Verhalten, aggressive Wahrnehmung und aggressive Gemütszustände.”
Selbst wenn man der Bundesprüfstelle diese Aussage durchgehen lässt, wenngleich ich so meine Zweifel habe, dass die Studien, die von der Bundesprüfstelle als seriös und methodisch überzeugend betrachtet werden, in jedem Fall einer Kritik standhalten würden, dann gibt es doch ein kleines Problem: Um eine kausale Verbindung zwischen dem Spielen von “Call of Duty” und der Körperverletzung, die ein Call of Duty Spieler am nächsten Mittag in der Schule begeht, herzustellen, müsste man das Konzept einer kurzfristigen Wirkung doch massiv ausdehnen, was die Frage aufwerfen würde, was dann unter einer langfristigen Wirkung zu verstehen ist.
Ah, die langfristige Wirkung. Mit der langfristigen Wirkung, also der Wirkung von Gewalt-Computerspielen, die auch noch eine halbe Stunde nach der Beendigung des Spiels vorhanden ist, gibt es ein Problem:
“Ob und wie der eindeutig nachgewiesene kurzfristige Effekt von Computerspielgewalt auch bei häufiger Nutzung von gewalthaltigen Computerspielen eine langfristige Änderung des Verhaltens nach sich zieht, ist sicher noch nicht abschließend untersucht. Es sind noch Fragen offen, wie nachhaltig die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit durch gewalthaltige Computerspiele beeinflusst werden. Aufgrund der derzeit vorzufindende Forschungslage ist jedoch davon auszugehen, dass tatsächlich ein langfristiger, durch die Nutzung gewalthaltiger Computerspiele hervorgerufener negativer Effekt zu beobachten ist.”
Das ist so ungefähr die Art und Weise, in der sich das Gros derer, die sich im Chor der Warner vor Gewalt-Computerspielen befinden, über die Tatsache hinwegsetzen, dass es keine eindeutigen oder gar verlässlichen Befunde darüber gibt, ob das Spielen von “Call of Duty” auch noch eine halbe Stunde nach Beendigung irgendeinen Effekt hat. Aber, wenn man als Warner mit so einem Problem konfrontiert ist, dann macht man eben den Wunsch zum Vater des Gedankens: Wir wissen zwar nichts, aber wir nehmen an, dass wir alles wissen, also: Computer-Gewaltspiele machen, was auch immer, in jedem Fall haben sie einen negative Wirkung, und deshalb sind sie zu bekämpfen.
Dass in manchen Studien ein negativer Effekt von Gewalt-Computerspielen gefunden wurde und in anderen Studien nicht, also der Zustand, in dem sich die Forschung zu negativen Effekten von Gewalt-Computerspielen derzeit präsentiert, mag darin begründet sein, dass die entsprechende Forschung doch sehr begrenzt, sehr engstirnig und vor allem darauf ausgerichtet ist, negative Effekte zu finden.
Mit diesem Manko hat eine Untersuchung von Morgan J. Tear und Mark Nielsen nun aufgeräumt. Sie haben untersucht, wie sich das Spielen von “Gewalt”-Computerspielen auf prosoziales Handeln auswirkt. Und sie haben gleich noch ein Problem bisheriger Forschung ausgeräumt und in ihrer Untersuchung nicht nur Gewalt-Computerspiele, sondern auch prosoziale, antisoziale und nicht-Gewalt-Computerspiele berücksichtigt.
Das pfiffige Design, dem 64 Studenten unterzogen wurden, sah vor, in vier Gruppen Computerspiele zu spielen (Gewalt-, pro-sozial, anti-sozial und nicht-Gewalt) und in verschiedenen Experimentalsituationen die folgende Episode einzustreuen:
Der Leiter der Experiments teilt dem Teilnehmer, der gerade dem Experiment unterzogen wird mit, dass er vergessen hat, dass er am anderen Ende des Campus eine Prüfung abnehmen muss. In aller Eile und Hektik packt er seine Papiere und Stifte zusammen und eilt zur Tür. Auf dem Weg zur Tür lässt er Papier und Stifte fallen und wartet fünf Sekunden, fünf entscheidende Sekunden, wie Greitemeyer und Osswald (2010), die dieses Design ausgetüftelt haben, meinen, denn wer helfen will, dem reichen diese fünf Sekunden, um zu helfen. Dem armen Leiter des Experiments dabei zu helfen, seiner Habschaften Herr werden, gilt im Experiment als pro-soziales Verhalten.
Tatsächlich zeigten Probanden, die mit dem Spielen von Gewalt-Computerspielen beschäftigt waren, die größte Bereitschaft aller vier Spielergruppen (pro-sozial, anti-sozial, Gewalt-, nicht-Gewalt), dem armen Experimentator zu helfen. Dieser Befund ergab sich unter verschiedenen Bedingungen, er ergab sich während und einige Zeit nach dem Spielen der entsprechenden Spiele, so dass man konservativ mit Tear und Nielsen formulieren kann:
“Three experiments failed to find a detrimental effect of violent video games on prosocial behavior, despite using contemporary and classic games, delayed and immediate test-phases, and short and long exposure” (Tear & Nielsen, 2013, S.5)
Man kann auch offensiv formulieren und sagen: Das Spielen von Gewalt-Computerspielen wirkt sich positiv auf soziales Verhalten aus.
Und als Effekt kann man den Chor der Warner hören: Nur 64 Befragte, Studie in den USA, nur eine Studie, und alles, was sie sagen, stimmt, aber erstens, sind es dieselben Warner, die Ergebnisse, die nicht vorhanden sind, einfach einmal erfinden, wie z.B. die Bundesprüfstelle, zum anderen verbreiten Sie “Erkenntnisse” aus genau einem Buch als Stein der Weisen, wie die Schulbehörde in NRW, so dass auf das Glashaus verwiesen werden muss, aus dem heraus besser keine Steine geworfen werden.
Aber, wir sind ja kritische Rationalisten, und deshalb muss konstatiert werden: Nach der Untersuchung von Tear und Nielsen ist die Welt nicht mehr, wie sie vorher war: Dass Gewalt-Computerspiele nur oder überhaupt zu anti-sozialem oder gewalttätigem Verhalten führen, ist falsifiziert, dass vorhergehende Untersuchungen durch ihre Versuchsanlage Ergebnisse vorherbestimmt haben und entsprechend Artefakte produziert haben, ist eine naheliegende Schlussfolgerung, die nunmehr und zur Prüfung u.a. einer Meta-Analyse bedarf, und dass man sich nicht mehr hinstellen kann und sagen “Gewalt-Computerspiele sind schädlich”, das ist nach der Studie von Tear und Nielsen ein Faktum, und am Ende erweisen sich die Spieler von Gewalt-Computerspielen noch als die besseren Menschen?
Greitemeyer, Tobias & Osswald, Silvia (2010). Effects of Prosocial Video Games on Prosocial Behavior. Journal of Personality and Social Psychology 98(2): 211-221.
Tear, Morgan J. & Nielsen, Mark (2013). Failure to Demonstrate That Playing Violent Video Games Diminishes Prosocial Behavior. Plos One.
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Zitiat: “‘[…]Nebenwirkungen des Computerspiels hin, wie Fettleibigkeit, Diabetes, Schmerzen im Spielerarm und Rückenbeschwerden.[…]'”
Meine Güte. Dann ist Computerspielen ja genauso gefährlich wie Selbstbefriedigung. 😉
Ganz zu schweigen, von all den Bürokrate, die nichts anders tun, als am Schreibtisch sitzen und mit Bleistift (rechte Hand) in Formularen rumzumalen…
Irgendwelche Studien zum Schönreden heranzuziehen halte ich für ziemlich lächerlich.
Kenne einige welche diese primitiven (grafisch sehr ansehnlichen) Ballerspiele regelmässig spielen. Das Problem ist nicht Aggressivität sondern die Verblödung … Continue ? Yes 🙂
Was soll ich mit einem solchen Kommentar? Ich habe heute meinen netten Tag, also schalte ich ihn frei, allerdings nicht ohne darauf hinzuweisen, dass die Studie immerhin auf empirischen Daten beruht, während Sie sich einfach etwas aus den Fingern saugen, weil Ihnen das Ergebnis nicht passt und wenn ich Ihren Kommentar so lese, dann verdichtet sich bei mir der Eindruck, dass man keine Gewalt-Computerspiele braucht, um zu verblöden – oder spielen Sie etwa den ganzen Tag, Ballerspiele, dann hätten Sie Recht.
@Bambaataa
Sie illustrieren ein Problem, das ich in Deutschland seit einiger Zeit beobachte und das sich m.E. sehr negativ auf die öffentliche Diskussion auswirkt, egal, um welche konkrete Frage es gerade geht. Und dieses Problem ist, dass Leute ganz fest Überzeugungen haben, einfach zu WISSEN meinen, und wenn empirische Daten diesem “Wissen” dann widersprechen, dann ist die Studie eben falsch oder erlogen oder einfach nur irrelevant – einfach so; angeben, was an der Studie falsch ist oder warum sie am Punkt vorbeigeht, muss man nicht. Hauptsache, man kann an seinen irrationalen Überzeugungen, die man für Wissen hält, festhalten.
Ich frage mich wirklich, wofür sich eine Gesellschaft Wissenschaft leistet, wenn die Menschen, in dieser Gesellschaft ohnehin schon längst wissen, was gut und richtig ist und was welche Wirkungen hat, selbst dann, wenn sie von empirisch gewonnenen Daten falsifiziert werden. Der normale Weg wäre, dass man bereit ist, die eigene Anschauung wissenschaftlichen Erkenntnissen zu unterwerfen, und die Studie auf ihre Qualität hin zu überprüfen, wenn man diese Erkenntnisse (zunächst) nicht akzeptieren kann. Aber dazu ist der deutsche Mensch derzeit in der Regel nicht bereit. Vielmehr herrscht in Deutschland die Meinung:
Wenn Studien die eigene Meinung bestätigen, dann können sie “herangezogen werden”, wie Sie sagen, aber wenn nicht, dann eben nicht, und dann werden die entsprechenden Studien einfach ignoriert oder für irrelevant erklärt.
Leider ist das sogar unter unseren Kollegen in den Sozialwissenschaften zu beobachten. Von daher muss man sich nicht wundern, wenn alle Welt meint, das sei eine zulässige Vorgehensweise, und leider sind insofern auch viele Wissenschaftler am Ausverkauf von Wissenschaft beteiligt.
Der unten stehende Kommentar von T.R.E. Lentze illustriert, wie man es besser machen kann, denn er behauptet nicht einfach, das sei halt falsch oder ginge am Punkt vorbei, sondern macht alternative Vorschläge dazu, wie man das, was die Autoren beobachtet haben, erklären könnte. Insofern ist das ein inhaltlich weiterführender Beitrag zur Diskussion um die Wirkungen von “Gewalt”computerspielen (was immer das auch genau sein mag), Ihr Kommentar ist das aber nicht.
Also, wenn Sie “continuen” müssen, dann bitte in konstruktiver Weise; wenn Sie destruktiv tätig werden wollen, dann könnten Sie, statt hier zu kommentieren, Gewaltcomputerspiele spielen 🙂
Ich möchte nicht aus Prinzip meckern, aber ich möchte – ebenfalls aus Prinzip – meine Skepsis bewahren. Also habe ich versucht, auf dem Wege des Denkens eine Erklärung zu finden. Und der Versuch ergab, daß die Handlung der Probanden, die für den schauspielernden Versuchsleiter hilfreich war, seitens der Probanden nicht zweifelsfrei auf Hilfsbereitschaft beruhen muß.
Vielmehr könnte die für den Versuchsleiter im Ergebnis hilfreiche Handreichung der Gewaltspiel-Probanden u.a. folgende zwei Gründe haben:
Sie sind die relativ wachsten unter den Probanden, da gewaltlose Spiele eher einschläfern als solche, die Gewalt zum Thema haben. Darum springen die Gewaltspieler gleich auf, wenn was fällt, während die anderen noch dösen.
Sie sehen im Versuchsleiter, der “in aller Eile und Hektik” handelt, selbst eine Art Gewalttäter, einen “Kollegen”, dem sie daher gewogen sind. Gutmenschen stellt man sich nicht hektisch vor.
Hierbei ist zu beachten, daß “Gewalt” ein klärungsbedürftiger Begriff ist. So hat Erhard Eppler darauf hingewiesen, daß im englischen Gebrauch zwei verschiedene Worte vorkommen, die bei uns gleichartig übersetzt werden, nämlich “force” (legale Gewalt) und “violence” (illegale Gewalt).
Was die “Gewaltspiele” betrifft, so habe ich nie eins gespielt, kenne sie auch nicht. Daher frage ich: Sieht sich der Agierende eher als Polizist oder als Verbrecher? Beide wenden Gewalt an, wobei freilich auch viele Verbrecher sich als “Robin Hoods”, d.h. als Verteidiger einer gerechten Sache verstehen. Diese Fragen sollte alle berücksichtigt werden, sonst bleibt man an der Oberfläche, und die Untersuchungen haben nicht viel Aussagekraft.
@T.R.E. Lentze
Danke für diesen Kommentar! Er ist gut, und Sie haben Recht:
“Gewalt” ist tatsächlich ein sehr schwammiges Konstrukt, nicht zuletzt, weil es negativ konnotiert ist und immer denjenigen untergeschoben wird, die etwas tun, was die anderen nicht mögen. Es ist mehr ein Kampfebegriff als ein echtes psychologisches, sozialpsychologiches oder soziologisches Konstrukt.
Was die Computerspiele betrifft, wird das sehr deutlich: Kann man in einer virtuellen Welt überhaupt Gewalt ausüben, also kann man Gewalt ausüben, wenn es die Gewalt in der Realität überhaupt nicht gibt und entsprechend keinerlei negative Folgen für irgendjemanden oder irgendetwas hat? Und falls man diese Frage bejahen möchte (ich weiß allerdings nicht, auf welcher erkenntnistheoretischen Basis man das tun wollte), macht es dann einen Unterschied, ob man menschlich dargestellte Feinde niederschießt, Phantasie-Monster erschlägt (wie z.B. in Diablo) oder Tiere in einem Zoo einsperrt und zur Schau stellt, wie im angeblich prosozialen Zoo-Aufbauspiel (es gibt verschiedene von ihnen; ich weiß jetzt nicht genau, wie sie alle heißen).
Würde man “Gewalt” klar definieren, dann käme man schwerlich daran vorbei, ein Spiel, das die Bewegungsfreiheit einschränkt und Lebewesen zwangsmäßig aus ihrem natürlichen Lebensraum entfernt, um sie zur Schau zu stellen zur Unterhaltung einer anderen Spezies als gewalttätig zu bezeichnen (in den X-files empfinden es die Menschen als ultimative Bedrohung, von den Außerirdischen als sprachlose Arbeitsdronen gehalten und gezüchtet zu werden …). Also verzichtet man auf eine Definition oder wählt eine, die so eng ist, dass aus einer Betrachtung herauskommen muss, was man von Anfang an sagen wollte: dass man bestimmte Spiele nicht mag, aber nicht weiß, warum.
Sie verweisen zurecht auf die Frage, die all dem eigentlich zugrunde liegt: wann ist Gewalt legitim, und wann ist sie es nicht? Wann ist sie exzessiv und wann der Sache angemessen, oder kann sie überhaupt einer Sache angemessen sein? Diesbezüglich sind sehr verschiedene Antworten möglich, die allesamt nicht leichtfertig und einfach beantwortet werden können.
Das ist eine Frage, die gesellschaftlich verhandelt werden muss, aber derzeit leben wir in einer Gesellschaft, in der strukturelle und psychologische Gewalt dahingehend ausgeübt wird,”die Menschen” wissen zu lassen (ob sie wollen oder nicht), was gut und richtig ist und was falsch und böse, ohne zu begründen, warum das so sein sollte und ohne die eigene Überzeugung ernsthaft zur Diskussion zu stellen. Staatsfeminismus ist ein sehr gutes Beispiel hierfür. Offensichtlich meinen Leute, diese Form von Gewaltausübung sei legitim, weil sie einer Sache diene, die sie für gut halten. Aber das ist es eben: andere denken nicht, dass die Sache eine gute Sache sei, oder dass die Gewaltausübung angemessen sei. Also wäre eine offene Diskussion nötig, die aber gerade diejenigen vermeiden wollen, die in den 70ern Habermas Ausführungen über gewaltfreie Kommunikation unter’m Arm und im Munde (spazieren)führten. Das ist eine seltsame Blüte, die eine angeblich repräsentative Demokratie treibt!
Anfügen möchte ich Ihrem Kommentar schließlich noch, dass Ihre alternative Interpretation der Beobachtungsdaten durchaus vorstellbar ist, aber bis auf Weiteres (bis jemand prüft, ob bestimmte Computerspiele Spieler “einschläfern” oder eher “einschläfern” als andere,) Spekulation bleiben müssen.
Dessen ungeachtet bleibt es aber eine sozial erwünschte und insofern positive Wirkung, wenn Spieler von “Gewalt”spielen eher Hilfebereitschaft zeigen als Spieler anderer Spiele oder Nicht-Spieler. Und DAS ist m.E. der wichtige Befund dieser Studie. Und was sie uns lehrt, ist, dass man schlicht nicht umstandslos und ohne Differenzierung behaupten kann, das Spielen von “Gewalt”spielen hätte nur negative Effekte (welcher Art auch immer). Das ist in dieser Form zu undifferenziert, greift einfach zu kurz und ist den Tatsachen insofern schlicht unangemessen.
In Ergänzung: In der Beschreibung der Experimente wird es leider nicht erwähnt: Man kann die genannten Gewalt-Spiele (Grand Theft, Black Ops) als Single-Player und im Team spielen. Beim Team-Spiel sowohl gegeneinander als auch miteinander. Nach meinen Beobachtungen (meine (Pflege-)Kinder halt) spielen Jugendliche heute eher Multiplayer.
Und beim Multiplayer-Spiel geht es eigentlich gar nicht um mehr um das Spiel an sich, sondern um den Spaß in der Gruppe. Damit ein Gruppenspiel Spaß macht, müssen sich die Teammitglieder absprechen, sich Kommandos geben, sich gegenseitig wahrnehmen und sich gegenseitig vertrauen. Und das gilt jetzt inbesondere bei Gewaltspielen, da diese Spiele meist schnell und Fehler ähm tödlich sind. Bei Multiplayer-Spielen wird übrigens nicht nur mit den eigenen Team-Mitgliedern kommunziert, sondern auch mit den Gegnern. Das spielen von solchen Kampfspielen ist daher IMO eher mit Fussball im Freundeskreis zu vergleichen. Man trifft sich und zum Spiel braucht man halt zwei Mannschaften. Weil das eigentliche Spielziel Spaß ist, achten selbst vorübergehende Gegner darauf, dass die Mannschaften ausgewogen sind, z.B. ein starker Spiele gleichzeitig gegen zwei schwächere Spiele spielen muss, oder das erfolgreiche Taktiken besprochen und gemeinsam gefeiert werden.
Bei Gewaltspielen ist es außerdem möglich kurz aus dem Spiel herauszugehen (ok, nicht gerade während eines Kampfes), da Pausen meist förderlich sind (Gegner verlieren die Gedult oder die Fährte).
Von daher: Zumindest für Multiplayer-Gewaltspiele würde ich sagen, dass die ganz besonders stark soziale Fähigkeiten trainieren.
Als gewaltloses Spiel wird Portal 2 gespielt. Das Spielprinzip kann man eher als Knobel- und Wartespiel bezeichnen. Ein Spieler muss physikalische Eigenschaften seiner Umgebung verändern (knobeln) und zum richtigen Zeitpunkt bestimmte Aktionen ausführen (konzentriertes Warten). Ein Multiplayer-Modus gibt es nur in soweit, dass man bestimmte Aktionen halt zu zweit macht. Bei Portal 2 ist es unter Umständen schwer das Spiel zu verlassen, da man auf ein bestimmtes Ereignis warten muss und handelt wenn dieses Ereignis eintritt.
Fazit: In der Beschreibung des Experiments wird IMO nicht erwähnt, ob die Spieler Single- oder Multiplayer gespielt haben. Der beobachtete Effekt liesse sich IMO völlig durch die Spielweise erklären, unabhängig davon welches Spiel gespielt wird.
Ich finde es ja mal entsetzlich, wie die Autoren sich winden, der Mainstreammeinung nicht “wirklich” zu widersprechen: “Failure tu demonstrate”, “not definitive evidence”, “reported null findings” etc. – aber ich halte die Plos-Reihen auch nicht gerade für die ideologiefreiesten Publikationen.
@jck5000
Ja, es ist entsetzlich. Aber Sie werden derzeit schwerlich Arbeiten finden, die klar und deutlich aussprechen, dass mainstream-Überzeugungen durch empirische Daten falsifiziert werden (außer in Publikationen, die an entsprechenden “Querulanten”-Institutionen, also kritischen oder liberalen Institutionen, angesiedelt sind).
Ich glaube, das hat verschiedene Gründe. Der harmloseste liegt im wissenschaftlichen “guten Ton”, dem entsprechend man ein wenig understatement betreibt und die eigenen Ergebnisse mit hinreichendem Abstand darstellt bzw. die Beschränkungen der eigenen Studie aufzeigt. Das ist wissenschaftlich besehen ja auch eigentlich sinnvoll, wendet sich aber letztlich dann gegen die Wissenschaft, wenn pseudo-wissenschaftliche “Studien” den “guten Ton” nicht pflegen und ihre “Erkenntnisse” als Tatsachen ausgeben; dann geht sozusagen der Schuss nach hinten los. Oder anders gesagt: die reine Magd findet sich in der Rolle eines Aschenputtels wieder, das nie Prinzessin wird, denn diese Rolle besetzen schon die Pseudowissenschaftler, die weniger rein geblieben sind.
Und dann gibt es natürlich die ganz konkreten Zwänge, die sich entweder unausgesprochen daraus ergeben, dass eine bestimmte Institution mit einem bestimmten Image die Forschung finanziert hat, dass es gleich ganz offen Auftragsforschung ist, oder dass eine Uni versucht, ihre Drittmittelförderung zu erhöhen, indem sie staatsdienlich auftritt.
Und auf der persönlichen Ebene gibt es viele Kollegen, die einfach nicht wissen, was sie mit Sozialwissenschaften im “richtigen” Leben anfangen können und dementsprechend keine Alternativen zu ihren Jobs an bestimmten Institutionen sehen, so dass sie versuchen, möglichst unauffällig oder zumindest nicht provokant zu agieren, um ihre Karriere in diesen Institutionen nicht zu gefähreden.
Und wenn das alles nicht zutrifft/hilft, dann greift die von mir so “geliebte” Team-Arbeit: Ein Mitarbeiter einer Institution verfasst etwas, und im Zuge der wissenschaftlichen Kooperation mit den Kollegen lesen zunächst die Kollegen auf derselben Hierarchieebene das Werk, die (ebenfalls) ein Interesse haben, nicht allzu sehr als skeptisch aufzufallen. Ihre Kommentare zum Werk werden häufig entsprechend ausfallen, Und wenn auch das nicht hilft, dann liest der Vorgesetzte, ähm, natürlich: Team- oder Projektleiter, das Werk mit Blick darauf, ob es das richtige Licht auf ihn wirft oder – wenn das dem Bild von der eigenen Persönlichkeit zuträglicher erscheint – auf die Institution, für deren Image die Mitarbeiter auf allen Ebenen natürlich stehen, weshalb sie nicht (gänzlich?) frei sind, zu schreiben, was sie für richtig halten.
Kurz: mehrere derzeit verbreitete Mechanismen führen dazu, dass kaum jemand seine Forschungsergebnisse einfach so präsentieren kann oder möchte, wie sie sind, bzw. ohne Rücksicht auf derzeit politisch Erwünschtes zu nehmen.
P.S. Ich weiß, dass Sie all das wissen; aber es kann nicht schaden, es den interessierten Lesern hier darzustellen … 🙂
… und dann doch noch was inhaltliches, weil mich Herr Lentze zum Nachdenken gebracht hat: Ich kenne kein “Ballerspiel”, bei dem man im Einzelspielermodus nicht “der Gute” ist – auch wenn “morally defensible” natürlich ambivalent ist. Bei Genre-Mixes wie GTA ist das wieder was anderes – bei Grand Theft Auto ist der Protagonist ein Verbrecher, und aus der Perspektive ist es – anders als es bei Tear/Nielsen steht – durchaus diskutabel, das Töten von Polizisten als “morally defensible” zu sehen (um seine Freiheit zu erhalten, aber ich verstehe den Punkt: es geht um Mainstream-Moral).
Da merkt man dann erst, dass Greitemeyer/Osswald die Spieler “Lemmings” als prosoziales Spiel spielen lassen – wohlgemerkt ein Spiel, wo man durchaus mal einen Lemming explodieren lässt. Aber wenn es um so viele andere geht, scheint das in Ordnung zu sein.
Ich halte also die Spieleauswahl für eine enorm schlechte Idee; zumal irgendein (nach kurzer Recherche offenbar) unbeliebter Modus von Call of Duty kaum repräsentativ ist – das wird doch eher online als Multiplayer-Spiel gespielt, also als kooperatives Strategiespiel inklusive Teamspeak etc…
Das macht Herrn Lentzes Frage wieder interessant: Wenn man die Probanden, sagen wir Counterstrike Multiplayer spielen lässt, die einen als (morally defensible) Einsatzteam, die anderen als (morally indefensible) Terroristen – dann müsste das doch das Verhalten genauso beeinflussen, oder?
Aber ganz allgemein: mit welcher Begründung soll es aggressives oder antisoziales Verhalten fördern, wenn sich jemand mit einem Headset auf dem Kopf mit einem halben Dutzend Menschen auf der ganzen Welt zusammentut, um mit einem strategisch guten Plan ein Spiel zu gewinnen?
Zugleich frage ich mich, wie man bei Portal 2 (wenn das auch nur ähnlich schwer ist wie Portal) _nicht_ aggresiv werden kann. Oder wie man sich bei “World of Zoo” nicht zu Tode langweilt.
Die Autoren versuchen sich da ja, mit “controls” rauszuwinden, auch wenn ich nicht erkenne, wie die berücksichtigt werden. Aber das Problem ist wohl, dass sie sich damit nicht auskennen. Insofern hier meine Spieleliste für die drei (!) Kategorien, die wohl wichtig sind:
Mortal Kombat (violent, anti-social, morally indefensible)
[Das Spiel hat keinen relevanten Inhalt außer Töten. Inklusive brutalem Zerstückeln am Boden liegender Gegner.]
Assassins Creed II (violent, anti-social, morally defensible)
[Als Mitglied einer Geheimorganisation (nicht sozial) bringt der Protagonist “politische” Gegner um.]
Prince of Persia (violent, pro-social, morally defensible)
[Der Protagonist rettet die Prinzessin aus den Fängen des bösen Wesirs und befreit das Land von einem Tyrannen.]
The Godfather (violent, pro-social, morally indefensible)
[Der Protagonist steigt in der Mafia auf, indem er geplagten Geschäftsleuten hilft (durch Töten der Gegner).]
SimCity (non-violent, pro-social, morally defensible)
[An “Bürgermeister sein” kann ich nichts negatives sehen.]
Leisure Suit Larry (non-violent, pro-social, morally indefensible)
[Der Protagonist hat nur das Ziel, Frauen “flachzulegen”. Die fehlende Moral macht das Spiel erst lustig.]
Harry Potter (non-violent, anti-social, morally defensible)
[Ohne Rücksprache mit Aufsichtspersonen (nicht sozial) rettet der Protagonist… irgendwas.]
Need for Speed (non-violent, anti-social, morally indefensible)
[Einfach durch die Straßen rasen.]
Könnte ich jetzt bitte ein Forschungsbudget haben?
“… und dann doch noch was inhaltliches, weil mich Herr Lentze zum Nachdenken gebracht hat: Ich kenne kein “Ballerspiel”, bei dem man im Einzelspielermodus nicht “der Gute” ist”
Seien wir doch mal ehrlich, im Leben kämpfen immer nur gute gegen gute.
Carsten
—
“Die Gender-Ideologie ist die schmutzige Phantasie von einer kleinen Clique von Extremistinnen, die von der Frauenweltherrschaft, gemeint ist ihre persönliche Weltherrschaft, träumen.”
Bettina Röhl