Kompetenz”signalling”: Nicht nur Kunden geben mehr vor als da ist

Viele Untersuchungen, die derzeit im Bereich von Marketing, Management Science oder Consumer Psychology veröffentlicht werden, kommen zu Ergebnissen, die die großen Alten der Psychologie oder Sozialpsychologie, z.B. ein George C. Homans oder ein Gordon W. Allport oder ein Stanley Milgram vorhergesagt hätten bzw. in ihren Untersuchungen und Experimenten vorhergesagt  und gezeigt haben. Viele dieser Ergebnisse haben etwas mit dem Selbstwert von Menschen zu tun und mit der Diskrepanz, die manche oder viele von uns zwischen einem Zustand, den sie für sich als Ideal ansehen und ihrem momentanen Zustand ansehen (so wollen sich manche partout mit wissenschaftlichen Kleidern schmücken, die ihnen viel zu groß sind).

FestingerDiskrepanzen zwischen Wunsch und Wirklichkeit haben Sozialpsychologen immer interessiert, die besten Beispiele finden sich bei Leon Festinger und in seiner Theorie der kognitiven Dissonanz. Diskrepanzen zwischen Wunsch und Wirklichkeit sind zwischenzeitlich auch für manche Ökonomen zum Erklärungsgegenstand geworden, und zwar aus der Not geboren:

Sie wurden bestimmt auch schon einmal gefragt: “Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie Unternehmen X an Bekannte/Freunde/wen-auch-immer weiterempfehlen?” Die entsprechende Frage, so simpel sie auch ist, hat einen ganzen Forschungsstrang ausgelöst, der sich zunächst als “Customer Loyalty Forschung” etabliert und zum “Word-of-Mouth”-Mantra weiterentwickelt hat. Die – wie so oft – mit diesem Mantra verbundene Hoffnung, der heilige Gral des Marketing, wenn man so will, besteht darin, dass ein zufriedener Kunde, der beste Werbeträger für ein Unternehmen/Produkt ist und dem Unternehmen/Produkt nicht nur als Kunde treu bleibt, sondern beides an bis zu 10 oder 20 oder, … viele Bekannte/Freunde und wen-auch-immer in seinem Dunstkreis weiterempfiehlt.

Das Internet ist voll von mehr oder weniger unsinnigen Wundermitteln, von denen ihre Macher behaupten, sie wären dabei behilflich, Kunden für immer und ewig oder doch zumindest für Zeit oder, wenn schon nicht die jeweiligen Kunden, dann doch die Bekannten und Freunde der Kunden an ein Unternehmen zu binden. Das Problem mit all dem ist nur: Es klappt hinten und vorne nicht. Vermeintlich loyale Kunden laufen zur Konkurrenz über, obwohl sie behaupten, sie seien mit dem Produkt von Firma X zufrieden und würden es in jedem Fall an Bekannte weiterempfehlen, Kunden, die von sich sagen, sie seien unzufrieden mit einem Produkt von Firma X und würden es auch nicht weiterempfehlen, kaufen dennoch und völlig überraschend für die Marketeers wieder ein Produkt von Firma X.

Word of mouthFür einen Beobachter, der sich mit Marketing für mehr als 20 Jahre beschäftigt hat, wirkt die ganze Veranstaltung wie ein kollektiver Versuch, Wundermittel und -elixiere herzustellen, und mit jeder Salbe, die verspricht, ewige Jugend bei null Aufwand herzustellen, finden sich Scharen von Marketing-Spezialisten in Unternehmen zusammen, um im kollektiven Versuch, die Ressourcen ihres Unternehmens aus dem Fenster zu werfen. Stellen Sie dann fest, dass alles nicht oder wieder nicht wie versprochen klappt, dann fängt die hektische Suche nach den Ursachen an, eine hektische Suche, die man mit einem Blick in die sozialpsychologische Forschung aus z.B. den 1940er oder 1950er Jahren leicht hätte vermeiden können.

Maße, wie das oben angegebene, finden regelmäßig, dass zwei Drittel bis 90% der Kunden, das Produkt an andere Kunden weiterempfehlen werden. Wie so oft im Leben, besteht eine Diskrepanz zwischen dem, was Befrage als Absicht in einer Befragung erklären und dem, was sie dann als Verhalten auch zeigen, eine Diskrepanz, die die Einstellungsforschung seit mehr als 50 Jahren beschäftigt und Teile aus dem Lebenswerk von Icek Ajzen und Martin Fischbein, Russell Fazio oder Gordon W. Allport beinhaltet. Nun, für Marketeers ist es oftmals verblüffend, dass Menschen X angeben und nicht-X tun, und daher sind sie von den entsprechenden Abweichungen regelmäßig wie vom Blitz gerührt.

Warum also geben so viele an, sie würden ein Produkt/Unternehmen weiterempfehlen, und so wenige verhalten sich entsprechend? Oder – noch eloquenter: Wer ist das überhaupt, der Produkte/Unternehmen an wen weiterempfiehlt und Produktkritiken schreibt? Und, ganz eloquent, warum tut er das? Diese neuen Forschungsfragen haben für viele Marketeers eine Bewusstseinserweiterung zur Folge, die in etwa der Bewusstseinserweiterung entspricht, die Medienwissenschaftler hatten, als sie Befragte, die sie bestimmte Fernsehprogramme bewerten ließen, in den 1970er Jahren zu fragen anfingen, ob sie überhaupt ein Fernsehgerät zu Hause haben.

marketing_Grant Packard und David B. Wooten haben die zuletzt genannte der drei Fragen untersucht: Wer empfiehlt wem warum Produkte und Unternehmen? Die beiden Ökonomen aus Kanada und den USA gehen zunächst davon aus, dass diejenigen, die etwas weiterempfehlen, damit einen Zweck verbinden. Das ist erfreulich. Man findet selten einen Marketeer, der sich daran erinnert, dass in der Ökonomie der homo oeconomicus verbreitet ist. Die Überlegung, dass diejenigen, die ein Produkt an einen Bekannten weiterempfehlen, damit einen Nutzen verbinden, führt logisch zur nächsten Überlegung: Welchen Nutzen verbinden sie damit? Abweichend vom Zeitgeist, in dessen Mainstream man behaupten würde, das Weiterempfehlen finde statt, um das positive Produkterlebnis anderen, Bekannten, Freunden, netten Menschen aus purer Menschenliebe darzubieten, sind Packard und Wooten offensichtlich mit dem Virus der egoistischen Motive infiziert. Kunden empfehlen Produkte weiter, weil sie durch die Empfehlung Selbstwert als Nutzen gewinnen, so nehmen sie an.

Das ist nun eine Annahme, die man begründen muss, denn sie liegt nicht auf der Hand. Wer kommt auf die Idee, er könne mit Produktempfehlungen Selbstwert gewinnen? Ich meine, welcher Selbstwert entsteht mir daraus, dass ich kundtue, der Rasierschaum, den Tesco unter Eigenlabel vertreibt, ist der beste, den ich je benutzt habe? Oder: der 5star Ballpen, mit dem ich heute schon geschrieben habe, liegt so gut in der Hand, den würde ich kaufen, wenn ich Sie wäre? Irgendwie hat man das Gefühl, hier werde mit Kanonen auf Spatzen geschoßen, und man müsste zumindest differenzieren, was die Empfehlung zum Gegenstand habe. Aber es wird vorhersehbar noch etwas dauern, bis Marketeers auf diese Überlegung kommen.

3977bwDerzeit wird untersucht, wer warum an wen weiterempfiehlt, und die Begründung dafür, dass Weiterempfehlen den Selbstwert hebt, besteht darin, dass manche von uns, weniger über das Produkt, das sie gerade benutzen, also den Rasierschaum (nicht gerade, aber vorhin), wissen, als sie gerne wüssten (Warum ist der Rasierschaum weiß und nicht blau?). Aus dieser Diskrepanz zwischen idealem Wissen (Farbe) und tatsächlichem Wissen (keine Ahnung) entsteht ein Mangelgefühl (Ich weiß weniger über meinen Rasierschaum als ich wissen sollte), das, weil es den Selbstwert belastet (was, wenn jemand merkt, dass ich weniger über meinen Rasierschaum weiß, als ich wissen sollte), durch einen pre-emptive strike behoben werden soll (am besten ich stelle mich als wissend dar und zeige allen, wie gut ich über Rasierschaum Bescheid weiß, indem ich den Rasierschaum an Bekannte und Freunde weiterempfehle).

Tatsächlich finden Packard und Wooten einen entsprechenden Zusammenhang, Probanden, für die eine Diskrepanz zwischen ihrer Selbsteinschätung ihres generellen Wissens über Musik und dem Wunschniveau ihres Wissens über Musik ermittelt werden konnte, hatten eine höhere Wahrscheinlichkeit (konkrete) Musik, die sie zuvor bewertet hatten, an Freunde und Bekannte zu empfehlen, wobei sich zeigte, dass mit einer zunehmenden Diskrepanz zwischen generellem Wunsch und konkreter Wirklichkeit Probanden ihre Bewertung mehr Bekannten und Freunden aber weniger Unbekannten weiterempfahlen.

Und deshalb müssen Marketing-Mitarbeiter, wenn sie in Zukunft fragen: “Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie X an Y weiterempfehlen?” auch fragen: “Was wissen Sie von X?” und “Was wüssten Sie gerne von X?”. Weiterempfehler mit großer Diskrepanz zwischen Wissen und Wunsch, sind nämlich unglaubwürdige und nicht brauchbare Weiterempfehler. Warum? Vermutlich, weil ihnen die Bekannten nicht glauben.

Es ist leicht vorherzusehen, dass die undifferenzierte Vermengung eines generellen Stimulus (hier: Wunsch und Wirklichkeit von Musikkenntnissen insgesamt) mit einem konkreten Stimulus (konkrete Musikbesprechung) und das damit gewonnene Ergebnis eine neue Welle von Forschungsaktivitäten nach sich ziehen wird, an deren Ende die Fragen stehen werden: Wie viele Bekannte lassen sich überhaupt bei ihrer Kaufentscheidung von Dritten leiten? Und sind Empfehlungen Dritter für die Kaufentscheidung überhaupt ausschlaggebend und wenn ja, in welchem Ausmaß? Aber bis dahin ist es noch ein langer Weg und, wie gesagt, Medienwirkungsforscher mussten auch erst auf die Idee kommen, nach dem Vorhandensein eines Fernsehers zu fragen, bevor Sie irritierende Ergebnisse in den Bewertungen von Fernsehsendungen erklären konnten.

P.S. Ich erhebe ein Copyright auf die beiden Fragen “Was wissen Sie von X?” und “Was würden Sie gerne von X wissen?” Nichts ist zu trivial, als dass man darauf kein Copyright anmelden könnte, schon gar nicht im Bereich des Marketing.

Packard, Grant & Wooten, David B. (2013). Compensatory Knowledge Signalling in Consumer Word-of-Mouth. Journal of Consumer Psychology (online first).

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