Neue Forschungsergebnisse zeigen: Entweder Kinder oder Karriere

Gerade hat Dr. habil. Heike Diefenbach die Begriffe der “Vereinbarkeitsweiblichkeit” und der “Vereinbarkeitsmännlichkeit” getting-your-work-life-balancegeprägt. Vereinbarkeitsmännlichkeit bzw. Vereinbarkeitsweiblichkeit stehen für die Ansprüche, die der hegemoniale Staatsfeminsmus als Normalität an Männer und Frauen heranträgt, also den neuen Mann, der sich gefälligst mit einer Halbtagsstelle begnügt, um sich in der anderen Hälfte seiner Zeit, dem Nachwuchs zu widmen und der “emanzipierten” Frau, die so emanzipiert ist, dass sie ebenfalls der vorgegebenen Agenda folgt.

Ich schreibe “gerade”, denn das wackelige Gebäude der Vereinbarkeitsrhetorik, das Männern und Frauen einen Wunsch nach Nachwuchs als höchstes Ziel des Lebens einreden will, gemeinhin als Übernahme von Verantwortung getarnt, wird gerade durch eine interessante Untersuchung aus Kanada und erneut erschüttert. Die Autoren der Untersuchung, Lonnie W. Aarssen und Stephanie T. Altmann finden in ihren Daten Hiwneise auf die Existenz einer Kultur der Kinderfreien, die vor allem für Frauen ein entweder Karriere oder Kinder umfasst.

1.115 Studenten an einer Kanadischen Universität haben die beiden Forscher nach Lebenszielen wie “Kinder”, “Bekanntheit und Ruhm”, “Ideen entwickeln und Entdeckungen machen” und “andere mit den eigenen religiösen Ideen beeindrucken” gefragt. Die Befragten konnten auf einer Skala von 1 “stimme voll zu” bis 5 “stimme überhaupt nicht zu”, die Wichtigkeit einstufen, die sie dem einzelnen Item zuwiesen.

Child free zoneDie Ergebnisse der Forscher sind insofern interessant als sie nicht nur einen Blick auf die Wirklichkeitsrelevanz von Sozialforschung ermöglichen und auf die Interpretationswelt, in der manche Forscher leben, sondern auch darauf, dass sich eine Kultur der Kinderfreiheit unter Gebildeten nicht erst entwickeln muss. Es gibt sie nämlich längst.

Der Mittelwert des Kinderwunsches, den die befraten Frauen (764) und Männer (351) angaben, lag bei 2,2. Zwei Kinder ist also das Ziel der meisten Befragten. Nur 10% der befragten Frauen gaben an, überhaupt keine Kinder zu wollen. Beide Ergebnisse, die durchschnittlich 2,2 Kinder und die 10% bekennenden Kinderfreien gaben Aarssen und Altman zu denken, ist doch die Geburtenrate in Kanada mit 1,6 deutlich geringer als der angegebene Kinderwunsch und die Anzahl der kinderfreien Frauen im Alter zwischen 40 und 44 Jahren mit 18% deutlich höher.

Methoden emp soz forschungWie ist die Diskrepanz zu erklären? Die Antwort liegt für die meisten Sozialforscher auf der Hand und lautet “soziale Erwünschtheit”. Der Kinderwunsch, den Befragte zu Beginn ihrer fertilen Phase angeben, hat nichts mit der Anzahl von Kindern zu tun, die sie tatsächlich in die Welt setzen wollen oder werden. Er ist vielmehr ein Maß für gesellschaftliche Konventionen, denen die Befragten sich ausgesetzt fühlen und die sie verbal befriedigen zu müssen glauben.

Dass dem so ist, können Aarssen und Altman vor allem für Frauen zeigen, denen Bekanntheit, die Entwicklung von Ideen und das Machen von Entdeckungen, also Variablen, die man mit einer Karriere und einem Beruf assoziieren würde, wichtig sind. Je wichtiger die entsprechenden Ziele sind, desto geringer ist der Kinderwunsch. Daher ist es nicht schwierig vorherzusehen, wie die entsprechenden Frauen sich im Verlauf ihres Lebens entscheiden werden, nämlich für eine Karriere und gegen Kinder. Daran wird auch die so weit verbreitete Vereinbarkeitsrhetorik nichts ändern, denn die entsprechende Wahl ist, wie Aarssen und Altman betonen, eine Lebensstilwahl “many women …can now freely realize the lifestyle and life course goals that their maternal ancestors wished for …” (42).

Dieses unschuldig daherkommende Zitat ist für manche deutsche Ohren vermutlich Sprengstoff, denn es heißt zu Deutsch: Frauen wollen gar keine Kinder, weder aufgrund einer biologischen Disposition noch aufgrund sonstiger “typisch weiblicher” Eigenschaften. Die Entscheidung für Kinder, entspringt heute anderen Erwägungen und früher gab es die entsprechende Entscheidung nicht, da Verhütungsmittel nicht so leicht zu erhalten waren, wie dies heute der Fall ist. Noch anders formuliert: Es ist eine Gemeinheit der Natur, Fertilität als Folge von Sexualität zu konzipieren, so dass der Spass an Sex seit Millionen von Jahren den daran Beteiligten vergällt wurde.

Patriarchat_coverAarssen und Altman präsentieren indes eine eigene Interpretation für das Ergebnis, dass Frauen sich offensichtlich zwischen Karriere und Kindern entscheiden und eben nicht vereinbaren wollen. Für sie ist die Freiheit von Fertilität, die Frauen heute haben, durch das Verschwinden des Patriarchats veursacht, das Frauen über Jahrtausende zur Fertilität gezwungen hat. Nunmehr könnten sich Verhaltenspräferenzen durchsetzen, die “uniquely female” seien und die eben ein Leben ohne Kinder und Fertilität anstrebten.

Warum man die Existenz eines Patriarchats annehmen sollte und damit implizit behaupten, dass Männer an Fertilität und nicht an Sexualität ein größeres Interesse haben sollen, ist mir nicht nachvollziehbar. Vermutlich sahen sich Männer vor der Einführung von Verhütungsmitteln ebenso gewzungen wie Frauen, die Folgen von Sexualität zu akzeptieren.

Wie auch immer, die Daten, die Aarssen und Altman belegen die Existenz einer Kultur der Kinderfreiheit, die vor allem unter hochgebildeten und hochspezialisierten-Frauen verbreitet ist. Die Existenz dieser Kinderfreien-Kultur belegt zum einen, dass es keinen natürlichen Kinderwunsch gibt, denn, wie die Untersuchung von Aarssen und Altman zeigt, ist ein Kinderwunsch eine kulturelle Vorgabe, etwas, das Gesellschaften ihren Mitglieder aufoktroyieren, etwas, von dem sie sich erst emanzipieren müssen. Die Existenz der Kinderfreien-Kultur belegt zum anderen, dass alle Vereinbarkeitsrhetorik umsonst ist, denn bestimmte individuelle Ziele schließen sich aus: Entweder man strebt nach herausragenden Leistungen in seinem Beruf oder man hat Kinder.

Und die Männer? Nun, die 351 Männer, die an der Befragung der beiden Autoren teilgenommen haben, antworten, wie Generationen von Männern vor ihnen geantwortet haben. Sie legen großen Wert auf ihre Karriere und die damit verbundenen Ziele und Kinder, ja, Kinder, warum nicht? Letztlich zeigt sich auch bei Ihnen das Scheitern aller Vereinbarkeitsrhetorik, denn zumindest die 351 Männer, die von Aarssen und Altman befragt wurden, sind offensichtlich der Meinung, dass Kinder, selbst die, die sie vielleicht haben werden, mit ihnen nur am Rande etwas zu tun haben. Und abermals zeigt sich, wie verquer die Interpration mit dem Patriarchat doch ist, denn eines wird deutlich: Außerhalb der ideologischen Welten des Staatsfeminismus ist Männern Nachwuchs heute anscheinend so egal, wie er es in all den Jahrhunderten zuvor war – zumindest gibt es kein plausibles Argument warum man annehmen sollte, dass das, was sich heute messen lässt, von dem abweicht, was frührer war.

Aarssen, Lonnie W. & Altman, Stephanie T. (2013). Fertility Preferences Inversely Related to ‘Legacy Drive’ in Women, But Not in Men: Interpreting the Evolutionary Roots, and Future, of the ‘Childfree’ Culture. Open Behavioural Science Journal 6: 37-43.

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