Haben Mütter keinen Effekt auf ihre Kinder?

jomfJugen leiden darunter, wenn ihre Väter sehr lange arbeiten, so ist eine Pressemeldung betitelt, die uns gestern auf den Tisch gekommen ist und die sich auf eine Untersuchung bezieht, die fünf australische Forscher durchgeführt haben. Untersucht haben sie – wie der Titel der Pressemeldung nahelegt – den Einfluss der Arbeitszeit auf Verhaltensprobleme von Kindern, und sie haben ihre Untersuchung unter dem Titel “Mothers’ and Fathers’ Work Hours, Child Gender and Behavior in Middle Childhood” in der Februarausgabe des Journal of Marriage and Family veröffentlicht.

Bereits dem Titel kann man entnehmen, dass die Untersuchung in den Kontext der heile Welt bzw. in diesem Fall: heile Familie-Forschung gehört. Die heile Familie-Forschung nimmt im vorliegenden Fall Bezug auf Bronfenbrenners Ansicht, dass das Funktionieren einer Familie und die Interaktion unter den Familienmitgliedern eine zentrale Rolle spielen, wenn es darum geht, in keiner Weise (weder positiv noch negativ) auffällige Kinder zu produzieren, also Kinder, die mit all den Eigenschaften ausgezeichnet sind, die die gesellschaftliche Normalität positiv bewertet.

Angesichts dieser Annahmen ist es kein Wunder, wenn die fünf Forscher im vorliegenden Fall, Verhaltensprobleme zu ihrer abhängigen Variable machen, zu dem, was sie erklären wollen. Wie immer bei quantitativen Untersuchungen muss man Verhaltensprobleme bzw. das, was Bronfenbrenner zusammengestellt hat, operationalisieren, denn letztlich ist die Behauptung, keine positiven oder negativen Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern seien das Ergebnis funktionierender Familien und einer bestimmten Interaktion der Familienmitglieder nichts anderes als ein Wortspiel, wie sich spätestens zeigt, wenn man sich fragt, was man nun machen soll, um eine funktionierende Familie herzustellen bzw. was überhaupt eine funktionierende Familie ist.

Im vorliegenden Fall geht es um Verhaltensprobleme bei Kindern, die vorhanden sind, wenn die Familie nicht funktioniert und die nicht vorhanden sind, wenn die Familie funktioniert. Es handelt sich somit um eine normative Operationalisierung, bei der die Forscher ihre Vorstellung davon, was ideal oder normal ist, an die Familien herantragen. Nicht normal ist demnach, wenn Eltern angeben, dass z.B. das Folgende auf ihre Kinder zutrifft:

  1. … kann sich nicht konzentrieren;
  2. … träumt oft in den Tag hinein;
  3. … zerstörte Gegenstände, die ihm oder anderen gehören;
  4. … kaut Fingernägel;
  5. … denkt, er/sie müsse perfekt sein;
  6. … ist lieber alleine als mit anderen zusammen;
  7. … Ißt zu viel;
  8. … hat Alpträume;
  9. … läuft von zuhause weg;
  10. … schwänzt die Schule;
  11. … hat Schlafprobleme;
  12. … ist vorsichtig;
  13. … ist zurückhaltend oder scheu;
  14. … zieht es vor, mit älteren Kindern zusammen zu sein;
  15. … ist impulsiv oder handelt, ohne zu denken;
  16. … ist zuhause unfolgsam;
  17. … ist dickköpfig, missmutig oder irritierbar;
  18. … hat Angst vor der Schule;
  19. … ist ungewöhnlich laut;
  20. … raucht;

CBCLDie Liste der kindlichen Fehlverhaltensweisen umfasst insgesamt 113 Items. Die 20 genannten Items vermitteln, wie ich glaube, einen sehr guten Eindruck von der “Normalität”, die den messenden Wissenschaftlern als Normalität funktionaler Familien vorschwebt. Es sind Skalen, wie die Child Behaviour Checklist, der die 20 Items entstammen und die von den Autoren benutzt wurde, die dazu geführt haben, dass ich langsam aber sicher zu dem Schluss gekommen bin, dass Itemskalen zur Messung von was auch immer ungeeignet sind. Irgendwie lässt sich aus 113 Einzelitems immer ein Index konstruieren, mit dem man dann hausieren gehen kann ohne dass man genau weiß, was man nun eigentlich gemessen hat.

Wie ist das z.B. bei Item 17, das drei Stimuli enthält? Was weiß man nun? Dass Eltern, die dieses Item bejahen, ein missmutiges oder ein dickköpfiges oder ein irritierbares oder ein Kind, das missmutig und dickköpfig oder missmutig und irritierbar oder dickköpfig und irritierbar oder alles zusammen ist, haben?. Sieben mögliche Aussagen verbergen sich hinter einem Item und nur wirklich rabiate Forscher ignorieren diese Ambivalenzen.

Unsere fünf australischen Forscher gehören zu dieser Art von Forschern, die lediglich an der Skalenreliabilität interessiert sind und die 113 Items der Child Behaviour Checklist einmal als Ganzes in einen Index der Verhaltensprobleme überführen und einmal in zwei Teilindices der internalisierten und der externalisierten Verhaltensprobleme.

Das statistisch Schöne, an diesem Index ist, dass er metrisch ist und sich entsprechend als abhängige Variable für linerare Regressionen, im vorliegenden Fall für gemischte lineare Regressionsmodelle, die es erlauben, Effekte für ordinale oder kategoriale unabhängige Variablen zu schätzen, eignet. Die wichtigsten kategorialen Variablen im Modell der fünf Australier sind: die Arbeitszeit von Vätern und die Arbeitszeit von Müttern. Beide Variablen sind ordinal beginnen bei Vätern mit (1) “arbeitslos” und reichen über (2) 1 bis 34 Stunden wöchentlicher Arbeitszeit, (3) 35-44 Stunden, (4) 45-54 Stunden bis zu (5) mehr als 55 Stunden wöchentliche Arbeitszeit. Für Mütter reichen drei Kategorien, nämlich: (1) arbeitslos, (2) 1-34 Stunden wöchentliche Arbeitszeit und (3) mehr als 35 Stunden wöchentliche Arbeitszeit.

Betrachtet man nur die drei Variablen “Verhaltensprobleme von Kindern” und Arbeitszeit der Väter bzw. der Mütter, dann zeigt sich, dass Kinder von Vätern, die zwischen 1 und 34 Stunden bzw. 45 und 54 Stunden in der Woche arbeiten im Vergleich zu Kindern von Vätern, die mehr als 55 Stunden in der Woche arbeiten, höhere Werte auf der Skala der Verhaltensprobleme erzielen. Wird das Geschlecht der Kinder berücksichtigt, dann findet sich der entsprechende Effekt ausschließlich für Jungen. Damit wäre gezeigt, wie die oben zitierte Überschrift der Pressemitteilung zustande gekommen ist.

linear mixed effectAber was bedeutet das Ergebnis? Einmal davon abgesehen, dass unklar ist, was, welche Art von Verhaltensproblemen, wenn überhaupt, mit der Child Behaviour Checklist gemessen werden, ist für mich nicht ganz nachvollziehbar, warum der Schnittpunkt bei 54 Wochenstunden Arbeitszeit verlaufen soll. Wie begründet man es theoretisch, dass die Söhne von Vätern, die zwischen 1 und 34 Stunden arbeiten, Vätern die zwischen 45 und 54 Stunden in der Woche arbeiten, nicht aber die Söhne von Vätern, die zwischen 35 und 44 Stunden in der Woche arbeiten im Vergleich zu Söhnen von Vätern, die mehr als 55 Wochenstunden arbeiten, höhere Wert auf der Child Behaviour Checklist erzielen? Das dürfte sehr schwer sein, um nicht zu sagen unmöglich. Und entsprechend zeigt sich an dieser Stelle, dass die vorliegenden Ergebnisse nichts anderes sind, als die Übertragung der Wortspiele, die Bronfenbrenner anstellt, auf die Ebene operationalisierter Konzepte. Und dass es operationalisiert Wortspiele sind, zeigt sich deutlich daran, dass die Autoren ein Ergebnis, das einem wirklich ins Auge springt, mit keiner Silbe erwähnen oder auch nur zu erklären versuchen:

Egal, ob Mütter arbeiten und wenn ja, egal, wie lange sie arbeiten, es hat keinerlei Effekt auf den Wert, den ihre Kinder auf der Child Behaviour Checklist erzielen oder, in der Welt der Autoren: Mothers’ Working Hours do not Affect Child Behaviour. Dies ist nur eine andere Art zu sagen, dass die Erziehung durch Mütter keinerlei Effekt auf das Verhalten von Kindern hat und das wäre, lebte man in der Welt der Autoren und würde man denken, sie haben etwas Originäres und Reales gemessen, das Ergebnis, das einem zu denken geben müsste.

Bleibt nur noch nachzutragen, dass die Autoren keinerlei Maße angeben, denen man die Güte und Signifikanz ihrer linearen Modelle entnehmen kann. Das Fehlen dieser Angaben ist ein eklatanter Bruch mit wissenschaftlicher Normalität und führt dazu, dass man selbst dann, wenn man die Ergebnisse für bare Münze nehmen würde, feststellen müsste, dass sie nutzlos sind.

Johnson, Sarah, Li, Jianghong, Kendall, Gareth, Strazdins, Lyndall & Jacoby, Peter (2013). Mothers’ and Fathers’ Work Hours, Child Gender, and Behavior in Middle Childhood. Journal of Marriage and Family 75(2): 56-74.

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