Lass’ uns eine Sucht erfinden – Heute: Eßsucht –

Öfter einmal etwas Neues, so habe ich mir heute gedacht, und ausgerechnet einen alten Bekannten aus der Forschung zur Internetsucht gefunden: Dieselbe Skala, die zur Messung von Internetsucht und Spielsucht benutzt wird, wird nunmehr auch benutzt, um Eßsucht zu messen – unter dem Namen Yale Food Addiction Scale. Klingt doch gleich viel besser als Eßsucht – oder?

Nun aber ernsthaft, auch wenn die neuen Süchte aus dem Boden schießen, wie Pilze nach dem Regen. Die neue Suchtschwämme passt perfekt in dieses Zeitalter des Paternalismus, in dem sich selbsternannte Wächter über das Körpergewicht, den Teergehalt der Lunge, den Promillespiegel des Blutes an allen Ecken und Ende zu Wort melden, immer mit der Prämisse im Hinterkopf, dass Otto Normalverbraucher nicht in der Lage ist, das richtige Quantum Fett, Nikotin oder Alkohol selbst für sich zu bestimmen. Diese schleichende Entmündigung schlägt sich in Regulierungen nieder, die Otto Normalverbraucher daran hindern sollen, sich über Gebühr zu betrinken (es sei denn, es ist gerade Kölner Karneval). Und sie schlagen sich darin nieder, dass immer neue Süchte erfunden werden, die zum einen Süchtige, also Kranke, schaffen, denen man dann zum anderen, und zwar auf Kosten der Steuerzahler helfen kann.

Und die neueste Erfindung ist die Eßsucht. Vorbei sind die Zeiten eines Igor Maslow, in denen die Nahrungsaufnahme noch als Grundbedürfnis angesehen wurde. Vorbei die Zeiten, in denen Nahrungsaufnahme ein geselliges Ereignis war, bei dem die Bewohner Gallischer Dörfer um ein großes Feuer saßen. Auch die Nahrungsaufnahme wird heutzutage reglementiert, anhand von Angaben zu Kohlenhydraten, Kalorienmenge und ungesättigten Fettsäuren, und die Folgen der Nahrungsaufnahme werden als Body-Mass-Index (BMI) kategorisiert. Der BMI rangiert von zu dünn bis zu fett, und ab einer gewissen Grenze, wird der BMI-Träger zu einem Fall für diejenigen, die sich gerne um sein Wohlbefinden kümmern wollen.

EsssuchtDer neueste Schrei auf diesem Gebiet ist, wie gesagt, die Eßsucht, die anhand der Yale Food Addiction Scale (YFAS) gemessen wird. Die YFAS ist eine aufgepeppte Variante der Internet Addiction Scale (Eine der Skala zur Messung von “Internetsucht” finden interessierte Leser hier), was an sich schon die mannigfaltige Einsetzbarkeit der Sucht belegt. Und weil es so schön ist, hier ein paar Fragen aus der YFAS, mit denen Eßsucht gemessen werden soll.

Als Antwortkategorien für diese Fragen stehen (1) nie, (2) einmal im Monat, (3) 2 bis 4 Mal im Monat, (4) 2 bis 3 Mal in der Woche und (5) 4 Mal in der Woche bis täglich zur Verfügung.

    1. Ich esse bis ich mich unwohl fühle.
    2. Mein Eßverhalten sorgt für erhebliche Probleme.
    3. Meine Eßgewohnheiten verursachen mir erhebliche psychische Problemen, z.B. Depressionen, Angst, Selbst-Verachtung und Schuldgefühle.
    4. Ich habe festgestellt, dass ich immer größere Mengen von Nahrung aufnehmen muss, um das gute Gefühl zu erreichen, das ich mit Essen erreichen will oder um negative Gefühle zu unterdrücken.
    5. Wenn ich damit anfange, bestimmte Nahrungsmittel zu mir zu nehmen, dann esse ich immer mehr als ich geplant habe.
    6. Zuweilen esse ich bestimmte Nahrungsmittel obwohl ich gar nicht nicht hungrig bin.
    7. Wenn ich bestimmte Nahrungsmittel nicht im Haus habe, dann fahre ich in einen Laden, um sie zu kaufen, und zwar auch dann, wenn ich andere Nahrungsmittel zuhause habe.
    8. Es gab Zeiten, da habe ich private oder berufliche Treffen gemieden, weil ich dort bestimmte Nahrungsmittel nicht bekommen habe.
    9. Wenn ich damit aufhöre, bestimmte Nahrungsmittel zu mir zu nehmen, dann habe ich das heftige Verlangen danach, die entsprechenden Nahrungsmittel zu mir zu nehmen.
    10. Ich habe erhebliche Schwierigkeiten, in meinem täglichen Leben zu funktionieren (tägliche Routine, Beruf, Schule, soziale Aktivitäten, Familie), und zwar wegen meiner Eßgewohnheiten.

Und so geht das weiter. Wer die gesamte YFAS nachlesen will, der kann dies hier tun. Wer sich dafür interessiert, wie aus den Einzelitems eine Einteilung nach Eßsucht und nicht-Eßsucht gezaubert wird, der kann sich hier kundig machen.

GesundheitsfoederungWie ich schon oben bemerkt habe, finden sich nahezu identische Items zur Messung von Internetsucht. Der einzige Unterschied besteht darin, dass an den Stellen, die sich oben auf Nahrung beziehen, Internet, im Internet sein usw. steht. Die entsprechenden Items sind also multifunktional, und wer gerne eine eigene Abhängigkeit erfinden will, der ist herzlich dazu eingladen uns die entsprechende Abhängigkeit nebst den zugehörigen Items zu schicken. Denkbar wäre z.B. eine aus dem Fenster-Schau-Sucht (auch als Hans-Guck-in-die-Luft-Syndrom bekannt), eine #Aufschrei-Sucht (auch als Gender-Sucht bekannt), eine Unsinn-Sucht (auch als das unter Funktionären weitverbreitete Spruchbeutelsyndrom bekannt) und vieles mehr. Wer Spass hat, kann die drei Süchte, die wir hier vorgeschlagen haben, gerne in die Items der YFAS packen und wie gesagt an uns schicken. Wir leiten Sie dann an die WHO und die American Psychiatric Association weiter und beantragen die Aufnahme der neuen Sucht in das DSM bzw. den ICD-10.

Wo es eine Skala gibt, da gibt es natürlich auch Forschung, und entsprechend findet sich bei Plos One ein Beitrag von 12 Autoren (eigentlich müsste man hier von einer Zusammenarbeits-Sucht sprechen), die gemeinsam einen sechseitigen Beitrag mit dem Titel “Food Addiction: Its Prevalence and Significant Association with Obesity in the General Population” verfasst haben (jeder Autor hat demnach eine halbe Seite beigesteuert), in dem so erstaunliche Dinge stehen wie:

      • 5,4% der Neufundländer (in Kanada) sind Eß-Süchtige. Eß-Süchtige finden sich häufiger unter Frauen (6,7%) als unter Männern (3%).
      • 88,6% der Eß-Süchtigen sind adipös, aber (das haben die Autoren vergessen, auszurechnen, deshalb habe ich es nachgeholt) nur 7,7% der Adipösen sind eßsüchtig.
      • “The third major finding from the current study is the significant correlation between ‘food addiction’ and the severity of obesity in the general Newfoundland population” (4). Die “general Newfoundland population” besteht im vorliegenden Fall aus 237 Männern und 415 Frauen. Wikipedia behauptet, auf Neufundland würden rund 479.000 Menschen leben, so dass hier eine gewisse Diskrepanz zu den Angaben der Autoren besteht.

cartoon cavemenSo ist das. Wer zu viel ißt, ist nicht etwa selbst verantwortlich, dass er zuviel in sich hineinstopft, nein, er ist süchtig nach Essen und weil er das ist, muss ihm geholfen werden, und zwar ärztlich, psychologisch, er braucht einen Gesundheitscoach, einen direkten Ansprechpartner bei der Krankenkasse, einen extra Vertrausmann im Unternehmen, sofern er arbeitet, wenn nicht ist der Vertrauensmann beim Arbeitsamt anzusiedeln, die WHO muss eine task force “food addiction” einrichten, die Deutsche Forschungsgemeinschaft einen Sonderforschungsbereich mit dem Titel “Warum eß’ ich nur so viel?”, mit dem Bewusstsein gebildet wird, finanzieren, und das BMFSFJ muss ein Forschungsprojekt in Auftrag geben, das den besorgniserregenden Zusammenhang zwischen Fettleibigkeit und Geschlecht im neugegründeten Forschungsgang “Gender Fatness” untersucht.

Niemand ist derzeit so erfolgreich wie Sozialbesorgte, sich mit steuerzahlerfinanzierten Tätigkeiten zu versorgen. Fast, dass man den Hut ziehen müsste, wäre es nicht so offenkundig, so durchschaubar und methodisch so abgrundtief schlecht.

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