Die Fleischwolfmethode: Herauskommt, was man reinsteckt

Ich glaube, es ist mittlerweile rund 20 Jahre her, dass ich die damals noch nicht habilitierte und promovierte Heike Diefenbach habe von der Fleischwolfmethode der empirischen Sozialforschung sprechen hören. Die Fleischwolfmethode ist schnell erklärt: Sie besagt, dass bei einer Forschung hinten heraus kommt, was man vorne hineingesteckt hat. Wobei das, was man hineinsteckt, in Form von Werten, in Form von Ausschnitten aus der Wirklichkeit oder in Form von Vorgaben an Befragte vorhanden sein kann.

FleischwolfDie Fleischwolfmethode eignet sich vor allem für empirische Sozialforscher, die sicherstellen wollen, dass die öffentliche Meinung, die sie abfragen werden, auch die öffentliche Meinung ist, die sie abfragen wollen. Durch eine geschickte Reduktion des Forschungsgegenstand, ein paar subtile Kleinigkeiten, eingestreut in Fragen oder durch Auslassungen, kann man die “öffentliche Meinung” perfekt manipulieren und zu Ergebnissen kommen, die das, was man selbst gerne als Ergebnis hätte, bestätigen.

Wir haben auf ScienceFiles schon eine Reihe von Beiträgen publiziert, in denen wir gezeigt haben, wie z.B. die Europäische Kommission den Eurobarometer, also die zweimal jährlich stattfindende Befragung von je 1000 Befragten in den Mitgliedsstaaten der EU (in Luxemburg nur 300 – mangels Anzahl) dazu einsetzt, um ihr genehme Ergebnisse zu erreichen und als öffentliche Meinung verkaufen zu können.

Ein neues Beispiel, das ein Schulbuchbeispiel dafür ist, wie man mit Umfrageforschung Ergebnisse vorstrukturiert, habe ich gerade beim IfD (Institut für Demoskopie) in Allensbach gefunden. Unter dem Titel “Albert Schweitzer ist auch heute für sehr viele Menschen Vorbild” steht dort Folgendes zu lesen: “Die Anziehungskraft der humanistischen Botschaft Albert Schweitzers wirkt bis heute fort. Fast 50 Jahre nach seinem Tod ist Albert Schweitzer noch 88 Prozent der deutschen Bevölkerung bekannt, und 26% zählen ihn zu den drei wichtigsten Vorbildern”.

AllensbachIst es nicht wunderschön. Wir sind kurz vor Weihnachten und diese Botschaft – wenngleich sie schon älter ist – lässt einem das Herz aufgehen. Humanismus, Albert Schweitzer, Gutes tun, sich kümmern und so, und 26% sehen ihn als ihr Vorbild. Wie schön!

Ein näherer Blick auf das Allensbacher Befragungsidyll zeigt indes eine eher verstörende Realität, die einem die Nackenhaare zu Berge stellt, und zwar beginnend mit der Frage:

“Hier sind noch einmal die Karten mit den Persönlichkeiten, von denen Sie schon einmal gehört haben. Welche davon können Ihrer Meinung nach heute ein Vorbild sein? Bitte nennen Sie mir nicht mehr als drei Namen.” (Vorlage eines Kartenspiels, Mehrfachangaben)

Die Vorbilder werden also vorgegeben, auf einer Liste, die Namen enthält, die wiederum von den Allensbachern zusammengestellt wurden. Die Frage ist demnach eine geschlossene Frage, Befragte haben gefälligst ihre Vorbilder unter den Vorgaben auszusuchen. Und das sind die Vorgaben:

  1. Mutter Teresa
  2. Nelson Mandela
  3. Helmut Schmidt
  4. Mahatma Ghandi
  5. Albert Schweitzer
  6. Dalai Lama
  7. Willy Brandt
  8. Konrad Adenauer
  9. Sophie Scholl
  10. Barack Obama
  11. Martin Luther
  12. John F. Kennedy
  13. Bill Gates
  14. Rosa Luxemburg
  15. Papst Benedikt XIV
  16. Steffi Graf
  17. Otto von Bismarck
  18. Michael Schumacher
  19. Che Guevara
  20. Keine davon

Ist es ein Wunder, dass sich Albert Schweitzer auf dieser Liste der Allensbacher durchgesetzt hat? Aber hat er das wirklich?

IFD Vorbilder

Nein, hat er nicht. Um genau zu sein, er ist nicht einmal auf das Treppchen der Top-Drei-Deutschen-Vorbilder gelangt. Er bleibt deutlich hinter Mutter Teresa, was man vielleicht damit erklären kann, dass es immer schwierig ist, gegen weibliche Heilige zu konkurrieren. Er bleibt aber auch hinter Nelson Mandela und die Befragung war lange vor dessen Tod, ein Trauerbonus fällt demnach aus. Schweitzer bleibt auch hinter Helmut Schmidt, dem rauchenden Sinnbild für eine ungesunde Lebensweise, was besonders erschreckend für Gesundheitsapostel sein wird, und er bleibt hinter Mahatma Ghandhi, warum auch immer. Immerhin lässt Albert Schweitzer Steffi Graf und Che Guevara hinter sich und kann sich auch gegen Willy Brandt und Konrad Adenauer durchsetzen.

Man könnte dieses Spiel endlos fortsetzen und käme doch immer zum selben Ergebnis: Die Befragung der Allensbacher ist schlicht sinnlos. Wollte man die Vorbilder von Deutschen abfragen, man müsste dies mit einer offenen Frage, also ohne Vorgaben zu machen, tun. Nicht nur das, man müsste ein Filterfrage vorschalten, denn es soll Menschen geben, die haben keine Vorbilder – wirklich!

So wie die Allensbacher hier gefragt und untersucht haben, kann man das Ergebnis nur zur Grundlage nehmen, um ein Psychogramm der Allensbacher Berichtsautoren zu erstellen. Da die Liste keinerlei Wissenschaftler enthält (Schweitzer zähle ich als Arzt) und ansonsten von Politikern (Mandela, Gandhi, Brandt, Adenauer, Obama) beherrscht wird, zu denen sich ein paar Stray-People, wie Michael Schumacher und Steffi Graf gesellen, kann man davon ausgehen, dass die Autoren der Untersuchung einen gewissen Bias haben, der Aufschluss über die Auftrags-Welt gibt, in der sie sich bewegen, aber nichts über die Vorbilder von Deutschen aussagt.

Vorbild1Deutlich wird der Bias auch an einer Auslassung, die Sophie Scholl als Mitglied der Weißen Rose eben einmal aussondert und für sich stellt, ganz so, als sei Sophie Scholl die “Weiße Rose”. Damit beteiligen sich die Allensbacher an einem Geschichtsreduktionismus, der die Widerstandsgruppe der Weißen Rose zunächst von einer Gruppe mit rund 23 Mitgliedern auf ein Geschwister-Paar herunter romantisiert hat, dem gelegentlich noch professorale Hilfe durch Kurt Huber zugestanden wird, auf nunmehr ausschließlich Sophie Scholl.

Da sie unbedingt Humanismus als Wert und Ergebnis ihrer Vorbild-Umfrage präsentieren wollten und beides offensichtlich auch keinen religiösen Hintergrund haben darf, setzen sich die Allensbacher mit ihrer Zusammenfassung der Ergebnis eben einmal über die tatsächlichen Ergebnisse hinweg und erklären Albert Schweitzer zum Sieger, obwohl er nicht einmal auf das Treppchen gelangt ist.

Als Wissenschaftsblog machen wir das natürlich besser, und deshalb fragen wir nunmehr unsere Leser nach Ihren/Ihrem Vorbild/ern, sofern Sie eines haben. Bitte geben Sie die Antwort über die Kommentarfunktion, denn Poll-Daddy, unser Umfragetool, lässt keine offenen Fragen zu – vermutlich haben die Allensbacher die Programmierer beraten.

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