Was macht Unsinn für manche so attraktiv?

Auf der Suche nach einer besseren WeltBildung galt Arbeitern zu allen Zeiten als erstrebenswertes Gut, nicht nur, weil wer lesen und schreiben kann, am Rechtsverkehr gleichberechtigt teilnehmen kann und niemanden braucht, der sich um ihn kümmert, sondern auch, weil Bildung die Auseinandersetzung von Ideen befördert, weil Bildung Freiheit verschafft, die Fähigkeit verleiht, sich ein informiertes und begründetes eigenes Urteil zu bilden, weil Bildung unabhängig macht, nichtzuletzt, weil Bildung der Grundstein ist, auf dem Erkenntnis und somit Entwicklung, Innovation und Zukunft bauen.

Nun gab es zu allen Zeiten diejenigen, die der irrigen Meinung aufgesessen sind, Bildung habe etwas mit der Art und der Anzahl von Worten zu tun, die man macht. Jürgen Habermas ist ein Vertreter dieser Gattung, der sich und seine Theorie des kommunikativen Handelns in Begriffswelten versteckt hat, die sich bei näherem Hinsehen sehr schnell in den Humbug aufgelöst haben, der sie nun einmal sind.

Die beste uns bekannte Verständlichmachung von Habermasscher Begrifflichkeit stammt von Karl Raimund Popper, hier zwei Beispiele:

Habermas im Original: Poppers Übersetzung:
Die gesellschaftliche Totalität führt kein Eigenleben oberhalb des von ihr Zusammengefassten, aus dem sie selbst besteht. Die Gesellschaft besteht aus den gesellschaftlichen Beziehungen.
Sie produziert und reproduziert sich durch ihre einzelnen Momente hindurch. Die verschiedenen Beziehungen produzieren irgendwie die Gesellschaft.
Popper (1990), S.110

Derartige Sprachakrobatik hat schon immer auf diejenigen, die nichts zu sagen haben, aber gerne etwas Gewichtiges in die Welt posaunen würden, einen starken Anreiz ausgeübt, und entsprechend ist die Reihe der mehr oder weniger guten Nachahmer lang. Dabei haben vor allem Ideologen entdeckt, dass die beschriebene Form der Sprachemission ein geeignetes Mittel darstellt, um zu verschleiern, dass man außer ideologisch aufgeladenen Worten nichts zu bieten hat.

Den Versuch, nichts in wohlklingenden Worten zu sagen, gibt es nicht erst seit heute. Bereits Arthur Schopenhauer konnte sich ausgiebig über Georg Wilhelm Friedrich Hegel und dessen wolkige Formulierungen, in die er nichts oder doch sehr wenig verpackt hat, ärgern. Und was Schopenhauer Hegel nie verziehen hat (und wir auch nicht), war dessen Anschlag auf die klassische Logik, seine Verwillkürlichung von Wissenschaft durch die typisch Hegelsche Auflösung aller mühsam methodisch geschaffenen Verlässlichkeit in These, Antithese und Synthese.

Wie Popper, so hat auch Schopenhauer besonderen Anstoß daran genommen, dass vermeintlich Gelehrte wie Hegel mit Tricks und verbalen Gebäuden am Begriffshimmel versuchen, ihre Zuhörer um den Verstand zu reden, sie von einer Zuhörerschaft in eine Gefolgschaft zu konvertieren. Der entsprechende Ärger von Schopenhauer hat sich in einem sehr lesbaren Essay zur “Eristischen Dialektik” niedergeschlagen, in dem der 38 Kunstgriffe sammelt, mit denen die Wortakrobaten seiner Zeit versucht haben, bei intellektuell unbeschlagenen und dem eigenen Urteilsvermögen misstrauenden Zuhörern zu punkten.

Unter diesen 38 Kunstgriffen findet sich mit Kunstgriff 30 ein besonderer Schatz, dem man entnehmen kann, was an sprachlichem Unsinn so attraktiv ist, dass sich manche dem Unsinn, den sie so wenig verstehen, wie dessen Schöpfer, verschreiben und Dritte, die darauf hinweisen, dass Unsinn nun einmal Unsinn ist, mit einer Energie und einem Haß verfolgen, den man nicht anders deuten kann als als pathologische Störung:

Die Kunst Recht zu behalten jpg“Das argumentum ad verecundiam [an die Ehrfurcht gerichtetes Argument]. Statt der Gründe brauche man Autorität nach Maßgabe der Kenntnisse des Gegners. [Jeder will lieber glauben als urteilen]: sagt Seneca […] man hat also leichtes Spiel, wenn man eine Autorität für sich hat […] Auch sind allgemeine Vorurteile als Autoritäten zu gebrauchen. Denn die meisten denken mit Aristoteles […] [was vielen richtig scheint, das – sagen wir – ist; Nikomachische Ethik, X, 2, 1172b36]: ja, es gibt keine noch so absurde Meinung, die die Menschen nicht leicht zu der ihrigen machten, sobald man es dahin gebracht hat, sie zu überreden, dass solche allgemein angenommen sei. Das Beispiel wirkt auf ihr Denken, wie auf ihr Tun. Sie sind Schafe, die dem Leithammel nachgehen, wohin er auch führt: es ist ihnen leichter zu sterben als zu denken. Es ist sehr seltsam, dass die Allgemeinheit einer Meinung so viel Gewicht bei ihnen hat, da sie doch an sich selbst sehn können, wie ganz ohne Urteil und bloß kraft des Beispiels man Meinungen annimmmt. Aber das sehn sie nicht, weil alle Selbstkenntnis ihnen abgeht.

[…] Die Allgemeinheit einer Meinung ist, im Ernst geredet, kein Beweis, ja nicht einmal ein Wahrscheinlichkeitsgrund ihrer Richtigkeit.

[…] Was man die allgemeine Meinung nennt, ist, beim Lichte betrachtet, die Meinung Zweier oder Dreier Personen; und davon würden wir uns überzeugen, wenn wir der Entstehungsart so einer allgemeingültigen Meinung zusehn könnten. Wir würden dann finden, dass Zwei oder Drei Leute es sind, die solche zuerst annahmen oder aufstellten oder behaupteten, und denen man so gütig war zuzutrauen, dass sie solche recht gründlich geprüft hätten: auf das Vorurteil der hinlänglichen Fähigkeiten dieser nahmen zuerst einige Andre die Meinung ebenfalls an; diesen wiederum glaubten viele Andre, deren Trägheit ihnen anriet, lieber gleich zu glauben, als erst mühsam zu prüfen. So wuchs von Tag zu Tag die Zahl solcher trägen und leichtgläubigen Anhänger: denn hatte die Meinung erst eine gute Anzahl Stimmen für sich, so schrieben die Folgenden dies dem zu, dass sie solche nur durch die Triftigkeit ihrer Gründe hätte erlangen können. Die noch Übrigen waren jetzt genötigt gelten zu lassen, was allgemein galt, um nicht für unruhige Köpfe zu gelten, die sich gegen allgemeingültige Meinungen auflehnten, und naseweise Burschen, die klüger sein wollen als alle Welt. Jetzt wurde die Bestimmung zur Pflicht. Nunmehr müssen die Wenigen, welche zu urteilen fähig sind, schweigen: und die da reden dürfen, sind solche, welche völlig unfähig eigne Meinungen und eignes Urteil zu haben, das bloße Echo fremder Meinung sind: jedoch sind sie desto eifrigere und unduldsamere Verteidiger derselben. Denn sie hassen am Andersdenkenden nicht sowohl die andere Meinung, zu der er sich bekennt, als die Vermessenheit, selbst urteilen zu wollen; was sie ja selbst nie unternehmen und im Stillen sich dessen bewußt sind, – Kurzum: Denken können sehr Wenige, aber Meinungen wollen Alle haben: was bleibt da anderes übrig, als dass sie solche, statt sie sich selber zu machen, ganz fertig von Andern aufnehmen? …(Schopenhauer, 1995, S.60-64; nicht kursive Hervorhebungen durch uns)

Das ist eine der anschaulichsten Schilderungen des Zustandekommens von Moden und eine großartige Erklärung dafür, wie so leere und vor allem esoterische Ideologien wie der Genderismus sich etablieren können. Allerdings hat Schopenhauer eine Fehlstelle, denn es ist zu erklären, warum manche eine wie er sagt: Meinung, übernehmen, ohne sie geprüft, d.h. rational durchdrungen und verstanden zu haben.

Zwei Antworten fallen uns ein: (1) Die Entscheidung für eine bestimmte “Meinung” ist vom Gefühl geleitet. Die entsprechende Meinung spricht Träge an, die auf der Suche nach Identität und einer Möglichkeit, sich zuzuordnen, aber des eigenen Denkens nicht im Stande oder willens sind. (2) Die vermeintliche Meinung kommt im Gewand wolkiger und monumentaler Begriffe daher, die leer sind wie z.B. Nachhaltigkeit, Toleranz, Solidarität oder soziale Gerechtigkeit, aber zum einen mit der Konnotation des Guten versehen sind, zum anderen das Versprechen mit sich bringt, gewinnbringend einsetzbar, zweckmäßig zur eigenen psychologischen oder materiellen Bereicherung zu sein.

Wie Schopenhauer schreibt, sind die Übernehmer fremder Meinugen, die des eigenen Denkens nicht fähig und des eigenen Urteilens nicht willig sind, eifrige und unduldsame Verteidiger der übernommenen Meinung, und deshalb verfolgen sie Andersdenkende mit ihrem Hass. Dummheit ist demnach für Schopenhauer die Grundlage, auf der Überzeugungstäter wachsen. Und weil die Überzeugungstäter keine Argumente, dafür aber viel Emotion haben, können sie die Verteidigung der von ihnen übernommenen Meinung nicht mit Vernunft und Argumenten führen. Entsprechend braucht es andere Mittel, um Kritiker mundtot zu machen. Das bringt uns zum Kunstgriff 32:

hate_speech1“Eine uns entgegenstehende Behauptung des Gegners können wir auf eine kurze Weise dadurch beseitigen oder wenigstens verdächtig machen, dass wir sie unter eine verhaßte Kategorie bringen, wenn sie auch nur durch eine Ähnilchkeit oder sonst lose mit ihr zusammenhängt: das ist Pelagianismus; das ist Idealismus; das ist Spinozismus; das ist Pantheismus; das ist Brownianismus; das ist Naturalismus; das ist Spiritualismus; das ist Mystizismus, usw. […](Schopenhauer, 1995, S.66-67).

Die Reihe kann modernisiert fortgesetzt werden: das ist Rassismus, das isr Sexismus, das ist Antifeminismus, das ist Rechtsextremismus, usw. Auch hier erweist sich Schopenhauer als Kind seiner Zeit, wenn er annimmt, dass die Unterordnung unter den entsprechenden Begriff zumindest ansatzweise begründet werden müsste, und sei es auch mit noch so windigen Annahmen.

Hier hat ihn die Zeit überholt. Im Deutschland des 21. Jahrhunderts reicht die Bezichtigung, die Denunziation, die Behauptung, X sei rechts, antifeministisch, rassistisch, sexistisch … Heute kümmert sich niemand mehr um das Warum, also den Beleg für die Behauptung, außer ScienceFiles, wenn wir von Genderismus sprechen, um damit eine totalitäre Ideologie zu kennzeichnen, dann tun wir dies auf der Grundlage klarer und mehrfach genannter Kriterien.

Wir begründen also, was wir sagen. Und damit sind wir bei Schopenhauers Trägheit angekommen und bei der Mühe, die es macht, sich Bildung anzueignen und seine Meinungen zu begründen. Hier verläuft der Rubikon, denn wer nicht bereit ist, seine Meinungen zu begründen und sie damit anderen nachvollziehbar zu machen, wer seine Meinungen gerne sakrosankt halten und gegen Kritik immunisieren will, wie Hans Albert es genannt hat, der ist genau derjenige, für den Unsinn attraktiv ist, denn mit dem Unsinn verbindet ihn die Not, bloß nicht hinterfragt zu werden.

Insofern ist die herrschende Zensur in Deutschland, wie sie in Schließungsprozessen ihren Ausdruck findet, die nur noch Personen mit der als richtig erfühlten Meinung zulassen, wie sie in Versuchen ihren Niederschlag findet, eine richtige Sprache zu etablieren, die Begriffe als böse ausschließt und allen möglichen Einbildungen gerecht werden will, wie sie in Aktionen ihren Niederschlag findet, die Inhaber anderer Meinungen gleich im Vorfeld von Diskussionen auszuschließen, sie zu diskreditieren, ihnen jede Berechtigung zur Teilhabe am Wettbewerb der Ideen, der Demokratie eigentlich sein soll, abzusprechen, insofern ist die herrschende Zensur nicht nur im Hinblick auf die Art der vermeintlich herrschenden Meinung, sondern auch im Hinblick auf die intellektuelle Größe der Meinungsanhänger oder besser Meinungsjünger vielsagend.

Popper, Karl Raimund (1990). Gegen die großen Worte. In: Popper, Karl Raimund. Auf der Suche nach einer besseren Welt. München: Piper, S.99-113.

Schopenhauer, Arthur (1995). Die Kunst, Recht zu behalten. In achtundreißig Kunstgriffen dargestellt. Herausgegeben von Franco Volpi. Berlin: insel Taschenbuch.

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