Krise der Sozialwissenschaften – Einige Thesen gegen den Niedergang

Aus Anlass der Australian Science Communicators Conference 2014 ist in Australien eine Diskussion darüber ausgebrochen, warum es trotz aller Anstrengungen nicht gelingen will, Mneschen für Wissenschaft zu begeistern und – mehr noch – warum es eine Gruppe von Menschen gibt, die in Umfragen konstant von sich sagen, sie seien nicht an Wissenschaft interessiert – ein für manche australische “Science Communicators” irritierendes Ergebnis, wenn man bedenkt, dass Menschen mit den Ergebnissen von Wissenschaft und Forschung in ihrem täglichen Leben umgeben sind wie nie zuvor.

Während die australischen Science Communicators das in Teilen der Bevölkerung vorhandene Desinteresse zum Anlass nehmen, um ihre Methoden zu hinterfragen, mit denen sie Wissenschaft und wissenschaftliche Ergebnisse vermitteln, wollen wir diese Diskussion zum Anlass nehmen, um für Deutschland und bezogen auf die Sozialwissenschaften zu fragen, wo es im Argen liegt [Wobei wir uns den Hinweis nicht sparen können, dass es in anderen Ländern ein Problem darstellt, wenn es Wissenschaftlern nicht gelingt, ihre Forschung in der Bevölkerung zu legitimieren.].

Albert TraktatUnser kleines Traktat beginnt mit dem Eurobarometer 340, der im Jahr 2010 im Feld war. Damals haben 32%der befragten Deutschen angegeben, Sie seien an wissenschaftlichen Entdeckungen und technologischen Entwicklungen sehr interessiert (30% im EU-27 Durchschnitt, 51% der befragten Deutschen sagen von sich, sie seien etwas interessiert) und 70% haben voll und ganz oder eher der Aussage zugestimmt, dass Wissenschaftler nicht die Wahrheit sagen, “da sie in finanzieller Hinsicht mehr und mehr von der Industrie abhängig sind” (58% im EU-27 Durchschnitt).

Diese Ergebnisse sprechen dafür, dass Wissenschaft und wissenschaftliche Ergebnisse in der Öffentlichkeit auf ein reges Interesse stoßen, wenngleich eine pessimistische Grundhaltung zu überwiegen scheint, die wissenschaftliche Ergebnisse zunächst einmal entgegen gebracht wird. Dass diese pessimistische Grundhaltung hier am Beispiel einer finanziellen Abhängigkeit von der Industrie abgefragt wird, ist eine der Eigenarten des Eurobarometers, der keinerlei kritische Fragen gegenüber den Versuchen von Regierungen, wissenschaftliche Ergebnisse in ihrem Sinne zu verzerren enthält.

Wenn man davon ausgeht, dass viele Menschen in Deutschland an Wissenschaft interessiert sind und wenn man die beschriebene skeptische Grundhaltung einmal als gegeben annimmt, dann stellt sich die Frage, warum dennoch bestimmte Bereiche der Wissenschaft eher belächelt werden, wenn sie überhaupt wahrgenommen werden, und warum man in Foren und Blogs regelmäßig auf eine Haltung trifft, die z.B. Sozialwissenschaften als unfundierte ideologische Veranstaltung abtut, die nur dazu da ist, ideologische Moden und Trends zu rechtfertigen.

scientificmethodDie Antwort auf diese Frage scheint sich von selbst aufzudrängen: Deutsche Sozialwissenschaften sind in Teilen ideologische Veranstaltungen und Forschungen werden immer häufiger als Auftragsforschung z.B. der Bundesregierung durchgeführt, die dazu dienen soll, bestimmte, ideologisch gewünschte Ergebnisse zu produzieren. Wir selbst haben mehrfach darüber berichtet. Mehr noch: Manche Besetzer sozialwissenschaftlicher Lehrstühle sehen es als ihre Aufgabe oder Bestimmung an, ihre Sicht der Welt quasi wie ein Evangelium an Studenten und alle, die ihnen zuhören mögen, zu verbreiten und verstärken damit ein Bild in der Öffentlichkeit, das Sozialwissenschaften als willkürliche al-gusto-Veranstaltung darstellt. Und selbstverständlich hat die Unterminierung der Sozialwissenschaften durch Politkomissare des Genderismus und die Zersetzung wissenschaftlicher Fakultäten durch Lehrstühle der Frauen- oder Geschlechterforschung nicht dazu geführt, die Sozialwissenschaften reliabel und vertrauenswürdig zu machen. Ganz im Gegenteil tragen die universitären Positionen, die eigens geschaffen wurden, um Frauen ein Auskommen zu verschaffen, dazu bei, die wissenschaftliche Professionalität restlos zu beseitigen.

Vor diesem Hintergrund haben wir einige Thesen aufstellen, die das Elend der deutschen Sozialwissenschaften beschreiben und Wege aus der Krise aufweisen sollen:

  • Die Sozialwissenschaften haben eine Methode und dennoch führen sich viele Sozialwissenschaftler auf, als wären sich in der von Thomas Kuhn beschriebenen Vor-Wissenschaft.
    1. Einst war eine methodologische Grundausbildung ebenso wie die Wissenschaftstheorie ein fester Bestandteil des sozialwissenschaftlichen Curriculums. Heute herrscht methodologische Willkür, und eine wissenschaftstheoretische Ausbildung findet an den meisten Universitäten nicht mehr statt.
    2. TopitschAls Konsequenz hat sich ein methodologisches “anything goes” entwickelt, das selbst Paul Feyerabend das Fürchten lehren würde und das dazu führt, dass sich Sozialwissenschaftler aus der Außenansicht oftmals wie ein Haufen von Beseelten, um nicht zu sagen Besessenen darstellen, die ohne Ziel und Zweck Dinge erforschen, von denen niemand weiß, geschweige denn sie selbst, warum.
    3. Nicht nur ist die Rigorosität der Forschung einer methodischen Beliebigkeit gewichen, die die Korrelation von Variablen zum heiligen Kalb erkohren hat, das an die Stelle der theoretischen Ableitung getreten ist, auch die aus dieser Rigorosität folgende theoretische Begründung von Forschung ist verschwunden. Anything goes gilt nicht nur im Hinblick auf die Forschungsmethoden, sondern auch im Hinblick auf die häufig skurrilen und keinerlei Erkenntnisgewinn bringenden Themen.
    4. In diesem Sumpf aus methodischer Willkür und methdologischer Unkenntnis gedeihen esoterische Nutznießer der Sozialwissenschaften sowie Bekenntnis- und Gesinnungsforscher, die ihren Sinn und Zweck darin sehen, ihre geistige Verfassung, ihren geistigen Frame, das was sie für richtig halten, an die Welt heranzutragen und – wenig überraschend – in der Welt wiederzufinden.
  • Die Sozialwissenschaften tun als Fächergruppe überhaupt nichts, um einen einheitlichen Standard der Wissenschaftlichkeit durchzusetzen.
    1. Für einen neutralen Beobachter müssen sich die Sozialwissenschaften an deutschen Universitäten wie ein bunt zusammengewürfeltes Durcheinander wilder Ideen darstellen, das nichts Gemeinsames hat. Das sozialwissenschaftliche Schriftum hält für jeden noch so ausgefallenen Wunsch etwas bereit: Wer eine Berechtigung sucht, Forschung al-gusto zu betreiben, um machen zu können, was er will ohne sich der Gefahr einer Kontrolle auszusetzen, wird in manchen der so genannten Lehrbücher zur qualitativen Sozialforschung, z.B. unter dem Stichwort “Experteninterviews” fündig. Wer eine Rechtfertigung dafür sucht, dass er den ideologischen Kampf für die vermeintlich Armen aufnehmen und die Einflüsse des “menschenverachtenden Kapitalismus” zurückdrängen will, wird ebenfalls fündig. Wer seine Karriere als Politiker mit dünngeistigen Sätzen oder der Bildung von Netzwerken vorbereiten will, der ist ebenfalls in den Sozialwissenschaften gut aufgehoben. Selbst Bundesverfassungsrichter werden schon in den Sozialwissenschaften gemacht.
    2. Sozialwissenschaftler, die einer Methode verpflichtet sind und ernsthaft Sozialwissenschaft betreiben, wenden sich nicht gegen das wilde Treiben, das sie umgibt. Viele forschen in ihrem Elfenbeinturm und sind nach wie vor der Ansicht, Medienkontakte würden die eigene Foschung inkubieren und darüber hinaus sei es ihnen nicht zuzumuten, mit denjenigen, die ihre Forschung bezahlen, Kontakt aufzunehmen, sie für ihre Forschung zu interessieren.
    3. Und viele Sozialwissenschaftler sehen dabei zu, wie ihre Fächer von Ideologen und Politkommissaren aller Art überlaufen und übernommen werden. Sie stehen am Rand und lassen geschehen.

Um Sozialwissenschaften in Deutschland auch in der öffentlichen Wahrnehmung zu etwas zu machen, das ernsthaft betrieben wird und mit gesicherten Ergebnissen aufwarten kann, sehen wir die folgenden Maßnahmen für unverzichtbar:

  • Eine verpflichtende Ausbildung von Studenten in Logik, Methoden und Methodologie der Sozialwissenschaften und damit die Schaffung eines gemeinsamen Standards der Wissenschaftlichkeit und vor allem der intersubjektiven Prüfbarkeit wissenschaftlicher Ergebnisse.
  • Die Verpflichtung aller Fachbereiche auf die Regeln der formalen Logik und die Einhaltung methodischer Standards, die sich auf die Form der Forschung, nicht auf deren Inhalt beziehen.
  • Die Durchsetzung dieser klaren Regeln des wissenschaftlichen Arbeitens an Universitäten und die Schließung aller Fachbereiche und Beseitigung aller Lehrstühle, die nicht im Stande sind, Ergebnisse zu produzieren, die nachprüfbar sind oder einen Erkenntnisgewinn insofern bereitstellen, dass nützliches Wissen bereitgestellt wird, das dadurch definiert ist, dass es andere in die Lage versetzt, Probleme zu lösen.
  • Eine Verpflichtung für Wissenschaftler nicht nur alle eigenen Daten und Methoden offenzulegen, sondern der Öffentlichkeit ein Dialogangebot zu machen, d.h. über die vielfältigen Formen sozialer Netzwerke die eigene Forschung zur Diskussion zu stellen.
  • blogger comicDa nicht zu erwarten ist, dass öffentliche Medien plötzlich die Sozialwissenschaften entdecken, wird es notwendig sein, eine eigene Plattform für die Diskussion mit der Öffentlichkeit zu schaffen.
  • Schließlich muss Wissenschaft und Forschung unabhängig von politischen Institutionen und Auftraggebern betrieben werden. Ministerien mögen Forschungsanfragen an Sozialwissenschaftler stellen, eine Finanzierung der Forschung muss aber unabhängig von Ministerien erfolgen. Das Ziel muss entsprechend eine unabhängige Finanzierung von Hochschulen sein, was letztlich nur über Bildungsfonds und Studiengebühren erfolgen kann, wobei die Studiengebühren über Bildungsgutscheine, die an Studenten ausgegeben werden und die eine Freiheit der Wahl der Universität beinhalten, finanziert werden.

©ScienceFiles, 2014

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