Religiöser Fundamentalismus – Eine Bestimmung

Vor kurzem ist uns ein Text von Douglas Pratt in die Hände gefallen, der nicht nur ein interessantes Thema behandelt, sondern der auch gut ist. Der Text trägt den Titel “Terrorism and Political Violence”, und er ist dem Versuch gewidmet, eine Typologie oder ein Stadienmodell des Fundamentalismus aufzustellen, um zu zeigen, in welcher Weise sich Fundamentalismus als Basis für religiös motivierten Terrorismus eignet.

Anders als dies z.B. westliche Medien kolportieren, ist religiöser Fundamentalismus kein Monopol von Muslimen. Religiöser Fundamentalismus begleitet die Geschichte der Menschheit ebenso wie darauf gründender Terrorismus, spätestens seit die Zeloten Brunnen vergiftet haben, um gegen die römische Besetzung von Palästina zu kämpfen. Er findet seinen Niederschlag in der indischen Sekte der “Thug”, auf deren Konto rund 500.000 Tote gehen sollen, die sie in ihrem rund 600 Jahre währenden Krieg gegen Andersgläubige aufgehäuft haben (Hoffman, 1993 , S.2). Und er findet seinen Niederschlag in den christlichen Terrorgruppen die sich selbst als Nachfolger des “Lost Tribe of Israel” als “blue eyed Aryans” ansehen, die sich unter dem Dach der Aryan Nations zusammefinden und aus deren Dunstkreis höchst effektive, auf Düngemittel basierende Bombenanschläge stammen, die nicht nur, u.a. das Alfred P. Murrah FBI-Gebäude in Oklahoma City in einen Haufen Schutt und Asche verwandelt, sondern auch 168 Menschen das Leben gekostet haben.

Interreligious relationsReligiös motivierter Terror hat seine Basis in Religion, und entsprechend schreibt Pratt gleich zu Beginn seiner Arbeit: “… fundamentalism is not the sole province of any one religion” (440). Das Saatkorn für Fundamentalismus steckt also in jeder Religion, weshalb z.B. Silberman, Higgins und Dweck (2005) von einem double-edged sword der Religion sprechen, das sowohl zur Legitimation von Frieden als auch zur Legitimation von Gewalt dienen kann.

Und es ist die Legitimation von Gewalt, die Douglas Pratt interessiert und vor allem die Frage, wie aus religiösem Fundamentalismus religiös motivierter Terrorismus wird. Dazu ist es zunächst notwendig, zu klären, was unter Fundamentalismus verstanden werden soll.

Unter Fundamentalismus verstehen wir, eine Geisteshaltung, die sich dadurch auszeichnet, dass sie mit der Außenwelt nur in Kontakt tritt, um das, was ihr als richtig und heilig gilt, zu bestätigen. (Religiöser) Fundamentalismus wohnt in keinem kritischen Geist, sondern in einem geschlossenen, engen Geist, der Veränderung feindlich gegenüber steht und versucht, wie dies Marty (1989) beschrieben hat, einen in der Vergangenheit liegenden Moment oder einen “heiligen” Text einzufrieren und als unveränderlich, als (Ausdruck einer) goldene(n) Zeit darzustellen und die Gegenwart vor diesem Hintergrund als defizitär zu beschreiben.

Religiöser Fundamentalismus kann zur Folge haben, dass seine Träger sich von der Außenwelt abschotten und ein Leben leben, wie die Amish-People in den USA. Er kann zur Folge haben, dass die eigene Weltsicht zur Grundlage genommen wird, um die Veränderung der bestehenden und als defizitär angesehenen sozialen und politischen Ordnung gewaltsam herbeizuführen. Die Transformationen eines friedlichen religiösen Fundamentalismus in einen gewalttätigen religiös fundierten Fundamentalismus erfolgt nach Ansicht von Pratt in drei Schritten:

Am Anfang steht ein passiver Fundamentalismus, der sich durch drei Kriterien auszeichnet:

  • zealotEin Glaubens-Absolutismus sagt dem Fundamentalisten, dass er im Besitz der Wahrheit. Der Glaubens-Asolutismus wird durch die Annahme unterfüttert, dass man den Kern der eigenen religiösen Überzeugung in Gänze erkennen könne, z.B. durch das Lesen der Bibel oder eine sonstige Form der direkten Glaubensbestätigung.
  • Der Glaubens-Absolutismus benötigt den Segen einer Autorität, wie sie der Papst, ein Ayatollah, die Bibel oder der Koran darstellen.
  • Schließlich beansprucht ein passiver religiöser Fundamentalismus eine umfassende Geltung. Mit einem Fundamentalisten kann man nicht diskutieren. Er glaubt zu wissen, was richtig ist und ist entsprechend weder Kritik noch abweichenden Beobachtungen oder Wahrnehmungen zugänglich.

Diese drei Kriterien bilden die Basis von religiösem Fundamentalismus. Sie sind, wenn man so will, der kleinste gemeinsame Nenner, den alle religiösen Fundamentalisten teilen.

Richtet sich der Fundamentalismus mehr auf die Außenwelt, wird er benutzt, um sich aktiv von Dritten abzugrenzen, dann ist die Grenze zum selbstsicheren, rechthaberischen Fundamentalismus überschritten. Diese offensive Form des Fundamentalismus zeichnet sich durch die folgenden Kriterien aus:

  • Der Kernbestand der eigenen Religion, das, was das “Wissen” der Religion ausmacht, ihre kodifizierte Form in Bibel, Koran oder Talmud ist Wahrheit. Der selbstsichere Fundamentalist ist überzeugt, dass jeder Satz in seiner heiligen Schrift Wahrheit ist und entsprechend strebsam ist er in seinem Bemühen, die heilige Schrift Wort für Wort zu kennen.
  • Der selbstsichere Fundamentalist wird in seiner Selbstsicherheit durch gemeinschaftliche Strukturen unterstützt, z.B. in Form einer Glaubensgruppe, die sich von der Außenwelt und der Mehrheitsgesellschaft abgrenzt und sich um einen gemeinsamen Bestand an unverrückbaren Wahrheiten sammelt.
  • Die Inklusion der Gruppe führt zu einer Feindschaft und Radikalisierung gegenüber abweichenden Meinungen, alles, was liberal erscheint, wird dämonisiert und abgelehnt. Die eigene Lehre gilt als wahr, umfassend und undiskutiertbar. Die Abgeschlossenheit der eigenen Glaubensgruppe geht bereits mit einer Abwertung von Anderen, einher, die geringschätzig als Ungläubige, “Maskus” oder Unmenschen bezeichnet werden.

Im selbstsicheren Fundamentalismus werden die Grundlagen gelegt, aus denen sich fast selbstverständlich der missionierende und gewalttätige Fundamentalismus entwickelt. Er ist durch die folgenden Kriterien gekennzeichnet:

  • Confessions of a thugDie eigene Gruppe wird erhöht, als von höherer Salbung definiert, alle, die nicht der eigenen Gruppe angehören, sind entsprechend Untermenschen und werden dämonisiert, als feindlich oder satanisch beschrieben.
  • Für die eigenen Handlungen wird eine höhere Weihe beansprucht. Die eigenen Handlungen werden als direkt von einer göttlichen Instanz legitimiert oder beauftragt dargestellt.
  • Der Abschluss der eigenen Gruppe, die feindliche Haltung gegenüber Nicht-Gruppenmitgliedern und die Überzeugung, nicht nur im Besitz der Wahrheit, sondern auch von göttlicher Gnade auserwählt zu sein, manifestiert sich in offenem Hass gegenüber Nicht-Gruppenmitgliedern, die sich in Einschüchterung von und Gewalt gegen Nicht-Gruppenmitgliedern äußert. Der Schritt in den Terrorismus ist damit vollzogen.

Was wir hier ausführlich zusammengestellt haben, lässt sich auf die folgenden Begrifflichkeiten bringen, bzw. die folgende Leiter zum Terrorismus:

  1. Verabsolutierung des eigenen Glaubens, der durch eine “höhere Instanz” sanktioniert werden muss und einen umfassenden Geltungsanspruch hat.
  2. Der eigene Glauben ist Wahrheit, die als Basis einer Gruppenbildung dient, die wiederum eine Radikalisierung und Abschätzigkeit gegenüber Andersdenkenden und vor allem gegenüber liberalem Gedankengut mit sich bringt.
  3. Die eigene Gruppe wird überhöht, als mit einer höheren Weihe versehen dargestellt, andere werden von diesem Standpunkt aus als Feinde oder Untermenschen dämonisiert. Der Glaube an die eigene Mission ist so internsiv, dass er den Drang, die vorhandene Ordnung zu verändern, so stark werden lässt, dass gewaltsame Aktionen daraus resultieren.

oklahoma BombingDie Typologie von Pratt ist sehr nützlich, um Fundamentalisten in ihren unterschiedlichsten Schattierung zu entdecken, denn religiöser Fundamentalismus findet sich nicht nur in Religionen, sondern auch in Parteien, in Verbänden, in Internetforen, in öffentlich-rechtlichen Medien. Das kann jeder leicht nachprüfen. Wir empfehlen, sich Repräsentanten von Parteien, wie z.B. Herrn Özdemir, der einen genetischen Unterschied zwischen Grünen und Mitgliedern oder Wählern der FDP kennt, zu nehmen, und zu untersuchen, auf welcher der oben genannten Stufen des Fundamentalismus, er zu verorten ist. Vermutlich auf Stufe 2.

Die Typologie von Pratt ist nicht nur geeignet, um Fundamentalisten ausfindig zu machen, sondern auch dazu, die Feinde der Offenen Gesellschaft zu erkennen und damit diejenigen, die daran arbeiten, demokratische Gesellschaften in autoritäre Oligarchien zu transformieren, mit zunächst friedlichen, aber schnell gewaltsamen Mitteln.

Literatur

Hoffman, Bruce (1993). “Holy Terror”: The Implications of Terrorism Motivated by a Religious Imperative. Santa Monica: RAND.

Marty, Martin E. (1989). Fundamentalisms Compared: The Charles Strong Memorial Lecture 1989. Underdale: South Australia Association for the Study of Religions.

Pratt, Douglas (2010). Religion and Terrorism: Christian Fundamentalism and Extremism. Terrorism and Political Violence 22(3): 438-456.

Silberman, Israela, Higgins, E. Tory & Dweck, Carol S. (2005). Religion and World Change: Violence and Terrorism Versus Peace. Journal of Social Issues 61(4): 761-784.

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