Wo sind nur die Professoren?

Nicholas Kristof hat in der New York Times einen Beitrag mit dem Titel “Professors, We Nee You!” veröffentlicht. Dem pathetischen Titel folgt ein Text, in dem sich Kristof darüber wundert, dass die Sozialwissenschaften so gar nichts zu aktuellen Entwicklungen zu sagen haben: Professoren und Wissenschaftler, die sich seit Jahrzehnten mit internationaler Politik befassen, haben den Arab Spring verschlafen, Wissenschaftler, die sich mit gesellschaftlichen Prozessen beschäftigen, haben überhaupt nichts zu den gesellschaftlichen Prozessen zu sagen, die Politiker ans Laufen bringen.

NYTWissenschaftler, so Kristof, scheinen es als ihre Hauptaufgabe anzusehen, kaum lesbare Texte in weitgehend unbekannten wissenschatflichen Zeitschriften zu veröffentlichen, um sich mit dem Ruhm, einen kaum lesbaren Text in einer unbekannten Zeitschrift veröffentlicht zu haben, schmücken zu können. “Sociology, for example, should be central to so many national issues, but it is so dominated by the left it is instinctively dismissed by the right”.

Noch nie hatten Wissenschaftler so viele Möglichkeiten, sich mit der Öffentlichkeit in Verbindung zu setzen, ihre Untersuchungen und Ergebnisse einer breiten Öffentlichkeit über Blogs, Foren oder eigene Webseiten zugänglich zu machen. Noch nie haben Wissenschaftler den Kontakt mit der Öffentlichkeit so gescheut, wie dies heute der Fall ist. Noch nie haben sie sich so sehr hinter einer vermeintlichen Fachsprache versteckt, wie dies derzeit geschieht. Einzige Ausnahme: Ökonomen. Ökonomen verfügen über eine relativ hohe Präsenz in der Öffentlichkeit. Ökonomen haben zu vielen Dingen etwas zu sagen. Warum? Weil Ökonomen über klare Methoden und Vorgehensweisen verfügen und sich nicht scheuen, sich auch öffentlich zu streiten.

Soweit die Momentaufnahme aus den USA.

bildung alla bologneseIn Deutschland ist die Situation noch trister. Hier ist man fast froh, dass diejenigen, die universitäre Positionen einnehmen, sich nicht öffentlich zu Wort melden, denn wenn sie es tun, dann tun sie es häufig auf einer nicht wissenschaftlichen, weil ideologischen Basis; dann tragen sie dazu bei, dass in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, Wissenschaft sei ein Wunschkonzert, das über keine Methoden, keine Vorgehensweisen verfüge, die gewährleisten, dass wissenschaftliche Aussagen fundiert und geprüft bzw. zumindest prüfbar sind.

Vor allem die deutschen Sozialwissenschaften werden von einer Willkür beherrscht, die Außenstehende gerade dazu einlädt, sie in Bausch und Bogen abzulehnen, so dass man sich fragen muss: Wo sind nur die Professoren? Wo sind die großen deutschen, international bekannten Sozialwissenschaftler? Wo sind sie, wenn es darum geht, Entscheidungen, die die Zukunft von Menschen betreffen, auf fundierter Basis zu treffen?

Wo sind die Sozialforscher, wenn in Deutschland über Homosexualität gestritten wird? Wo sind die Juristen, wenn es darum geht, die Frage zu diskutieren, ob Staaten überhaupt ein Recht auf Steuern haben, wo die Ökonomen, wenn es darum geht, die Vorteile von Steuervorenthaltung zu analysieren? Wo sind die Verwaltungswissenschaftler, die die Konsequenzen von Verwaltungen beschreiben, die zum sich selbst erhaltenden System geworden sind? Wo sind die Ethiker und Philosophen, die den Verfall einer öffentlichen Kultur analysieren und Möglichkeiten ersinnen, wie man Respekt und Achtung wieder in zwischenmenschliche Interaktionen einbringen kann?

Und – besonders auffallend: Wo sind die Politikwissenschaftler, die den Schaden analysieren, den die derzeitige politische Klasse am demokratischen System anrichtet, wo die Soziologen, die untersuchen, welche Folgen das weitverbreitete Hängen am Tropf des Staates für die Interaktion und Kooperation von Individuen hat? Wo sind die Pädagogen, die die Ideologisierung des Bildungssystems und dessen Folgen untersuchen? Wo sind die Kriminologen, die sich mit dem Phänomen von ideologischen Lynchmobs an Universitäten beschäftigen?

Es gibt so viele Themen, die darauf warten, dass sie von einem Sozialwissenschaftler untersucht werden, dass man nicht anders kann als sich zu fragen: Wo sind sie nur, und was machen sie?

Zwei Fragen, eine Reihe von Antworten, die jeder nachvollziehen kann, wenn er die Inhaltsverzeichnisse verschiedener Hefte beliebiger Fachzeitschriften aus Erziehungswissenschaften, Psychologie, Soziologie oder Politikwissenschaft zur Hand nimmt. Auf ihrer Basis kann man die folgenden Feststellungen treffen:

  • Sozialwissenschaftliche Themen sind häufig schlicht irrelevant für das tägliche Leben. Sie lesen sich wie der Zeitvertreib Gelangweilter.
  • Sozialwissenschaftliche Themen zeichnen sich durch eine unglaubliche Konformität aus. An die Stelle der Kritik gesellschaftlicher Zustände, die z.B. Politikwissenschaft und Soziologie früherer Zeiten ausgezeichnet haben, ist die Legitimation des Status Quo getreten, die systemnützliche Untersuchung hat die systemkritische Untersuchung ersetzt.
  • Sozialwissenschaftliche Arbeiten zeichnen sich häufig durch keinerlei Aha-Effekt aus. Sie produziert keinerlei neues Wissen, bescheiden sich in der Bestätigung dessen, was sowieso Mehrheitsmeinung ist. Entsprechend sind Sozialwissenschaften von einer Wissenschaft, die eine Form demokratischer Kontrolle dargestellt hat, zu einer Bestätigungswissenschaft herrschender Zustände verkommen
  • Insgesamt vermitteln die meisten sozialwissenschaftlichen Arbeiten ein Bild großer Beliebigkeit, ein Bild von einer methodisch verwahrlosten Wissenschaft, in der ein Wettbewerb im Hinblick auf Konformität stattfindet. Weil dem so ist, sind sozialwissenschaftliche Fakultäten zu kleinen Abbildern staatlicher Verwaltungen geworden, an denen eine selbsternannte zumeist linke Intelligentia versucht, keinerlei Kontakt mit der Außenwelt entstehen zu lassen.

conformity hazardVor diesem Hintergrund könnte man es als Segen ansehen, dass Sozialwissenschaftler in öffentlichen Diskursen nur dann vorkommen, wenn einem öffentlich-rechtlichen Angestellten gerade danach ist, seine eigene Meinung mit einem Sozialwissenschaftler zu untermauern. Dann finden wir die Sozialwissenschaftler in ihrer derzeit einzigen Form, der des Meinungs-Legitimators. Passivität und Konformität sind entsprechend die Hauptattribute, die man den deutschen Sozialwissenschaften derzeit zuordnen muss, eine wahre Konservenwissenschaft, in der aufgewärmt, gegessen und wiedergekäut wird, was Politiker zubereitet haben.

Und die Professoren, die wenigen international bekannten deutschen Sozialwissenschaftler, die es derzeit gibt – was machen Sie?

Sie schauen zu. Sie betrachten die Universität, nicken zu allem, was ihnen von Seiten der Verwaltung vorgegeben wird, verteilen nunmehr brav und artig ECTS-Punkte, bieten monoton dieselben Module an, stehen passiv am Rande, wenn ihrer Fakultät weibliche Professoren verordnet werden und das meritokratische Prinzip beseitigt wird und freuen sich, wenn sie in einer Kommission der Bundesregierung sitzen dürfen, um Texte zu erstellen, die in Regalreihen abgestellt und vergessen werden können.

Und Öffentlichkeitswirksamkeit – was ist damit?

Es gibt eine kleine Riege von – wie könnte es auch anders sein – Ökonomen, die im Ökonomenblog versuchen, ökonomischen Sachverstand in öffentliche Diskussionen zu bringen, die in Deutschland zumeist ohne denselben geführt werden – eine kleine Riege, die die Fahne der Sozialwissenschaften hochhält, während die anderen Sozialwissenschaftler vor neueren Technologien, die mittlerweile eigentlich als alte Technologien gelten können, angesichts der Zeit, die wir sie nun schon haben, also diesen nicht neuen Technologien ablehnend, feindlich oder doch zumindest fremd gegenüberstehen.

Wizard-of-Id-Poli-SciTrotz allen Suchens ist es uns nicht gelungen, einen blog eines Soziologen oder Politikwissenschaftlers zu finden, in dem sich derselbe in das, was seine Gesellschaft angeht, die Gesellschaft, aus der die Steuerzahler kommen, die seine Position finanzieren, einmischt. Keine Foren schaffen es derzeit, Wissenschaftler und Bürger in Interaktion miteinander zu bringen. Sozialwissenschaftler scheuen das Licht neuer Medien wie der Teufel das Weihwasser, und das ist in Teilen auch verständlich, denn was will so mancher Sozialwissenschaftler auf die Frage eines Bürgers, wozu das, was er da macht, denn eigentlich gut ist, antworten?

Also werden Entscheidungen in Deutschland ohne Beteiligung von Sozialwissenschaftlern getroffen, finden Gesetzgebung und deren Folgen ohne eine demokratische Kontrolle durch sozialwissenschaftliche Experten statt, was misslich ist, denn selten war die politische Klasse ahnungs- und skrupelloser, selten hatte Selbstbedienung und Klientelpolitik einen höheren Stellenwert und selten war demokratische Kontrolle durch diejenigen, die theoretisch über die Mittel verfügen würden, um Missstände aufzudecken und Fehlentwicklungen aufzuzeigen, notwendiger als heute. Aber die beschriebene Not macht offenbar keinen Eindruck auf die Masse der Sozialwissenschaftler. Sie legitimieren munter weiter, üben sich in Konformität und begehen täglich aufs Neue einen Verrat an der Wissenschaft, die sie doch eigentlich betreiben wollen.

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