ScienceFiles macht Schule (und Schulbücher)
So manche Überraschung kommt per Post. Dieses Mal ein Brief von der VG Wort mit der Mitteilung, dass ein Text von ScienceFiles nunmehr Unterrichtsmaterial geworden ist. Unser Beitrag über Staatsversagen und “Marktversagen” findet sich weitgehend im Buch “Kursthemen Politik und Wirtschaft – Wirtschaftliche Ordnung”, das von der Cornelsen Schulverlage GmbH herausgegeben wird, wieder.
ScienceFiles macht also nicht nur Schule, wie wir bereits vor kurzem feststellen konnten, ScienceFiles macht auch Unterrichtsmaterial, wie wir nunmehr feststellen können. Es besteht also noch Hoffnung …
Allerdings ist das Prozedere, das hier gewählt wird, um Autoren und Urheber von der Übernahme ihrer Texte in Kenntnis zu setzen, ziemlich seltsam. Wenn man bedenkt, welches Tamtam in Deutschland um die Übernahme von Texten oder Bildern auf Blogs gemacht wird, oder mit welcher Inbrunst Musikverlage vermeintlich illegalen Downloads verfolgen, ist die nonchalante Art, mit der Texte einfach von Schulbuchverlagen übernommen werden und dem Verfasser/Urheber dann irgendwann über Dritte mitgeteilt wird, dass der Text vervielfältig werden soll bzw. wurde, etwas befremdlich.
Aber sei’s drum.
Nehmen wir die Tatsache, dass unsere Beiträge jetzt auch in Schulbücher übernommen werden, zum Anlass eines der Tabus deutscher Pädagogik anzugehen.
Wie wird man eigentlich Schulbuchautor/Verfasser von Schulbüchern?
Nach welchen Kriterien werden Texte für Schulbücher ausgewählt?
Welche Maßnahmen gibt es, um sicherzustellen, dass Schulbücher zum einen dem Stand der Forschung entsprechen und zum anderen nicht als ideologische Müllkörbe missbraucht werden?
Schulbücher müssen in der Regel für den Unterricht zugelassen werden. Die Zulassung ist, wie könnte es anders sein, Aufgabe des jeweiligen Kultusministeriums. In Sachsen funktioniert das z.B. so, dass “Lehrkräfte aller Schularten und Fächer eingesetzt [werden]. Sie prüfen die von den Verlagen eingereichten Bücher zum Beispiel auf Übereinstimmung mit den Zielen und Inhalten des entsprechenden Lehrplans, auf Altersgemäßheit, auf sachliche Richtigkeit.”
Und wie werden die Lehrkräfte aller Schularten und Fächer ausgewählt?
Wie wird sichergestellt, dass die entsprechenden Lehrkräfte aller Schularten und Fächer auch in der Lage sind, die sachliche Richtigkeit eines Schulbuches zu bewerten?
Fragen über Fragen. Wie immer wenn man sich etwas intensiver mit alltäglichen Verwaltungsangelegenheiten beschäftigt, sieht man sich einer Informationsarmut gegenüber, um die sich nicht einmal die OECD kümmert, obwohl es sich hier nicht um relative, sondern um absolute Armut handelt.
Oder nehmen wir z.B. das Land Baden-Württemberg.
Hier entscheidet das landeseigene Institut für Schulentwicklung über die Zulassung von Schulbüchern. Die Landesregierung hat also direkten Zugriff auf die Inhalte von Schulbüchern, denn: wer bezahlt, bestimmt. Interessanter Weise kann man der Verordnung des Kultusministeriums über die Zulassung von Schulbüchern (Schulbuchzulassungsverordnung) vom 11. Januar 2007 für das Land Baden-Württemberg Folgendes entnehmen:
“(1) Der Zulassung bedürfen nicht: … Schulbücher für die Oberstufe des 9-jährigen Bildungsgangs und der Jahrgangsstufen 11 und 12 des 8-jährigen Bildungsgangs und der allgemein bildenden Gymnasien für die Fächer Deutsch, Fremdsprachen, Mathematik, Biologie, Chemie, Physik, Musik, Bildende Kunst und Sport sowie für die Fächer im Wahlbereich gemäß § 8 Abs. 3 der Abiturverordnung der Gymnasien der Normalform;” § 3 Abs. 1 Nr. 3
Alle relevanten (und eine Reihe irrelevanter) Fächer an Schulen werden somit auf Grundlage von Schulbüchern gelehrt, die nicht zum Unterricht zugelassen werden müssen. Zugelassen werden müssen dagegen
“1. Schulbücher der Werkrealschule und Hauptschule im Fächerverbund Welt – Zeit – Gesellschaft sowie im Fach Ethik; 2. Schulbücher der Realschule im Fächerverbund Erdkunde – Wirtschaftskunde – Gemeinschaftskunde sowie in den Fächern Geschichte und Ethik; 3. Schulbücher der Förderschule im Fach Geschichte/ Gemeinschaftskunde; 4. Schulbücher der Schule für Sprachbehinderte in den Fächern Geschichte/Gemeinschaftskunde und Ethik; 5. Schulbücher der Schule für Erziehungshilfe in den Fächern Geschichte/Gemeinschaftskunde und Ethik; 6. Schulbücher des Gymnasiums im Fächerverbund Geographie – Wirtschaft – Gemeinschaftskunde sowie den Fächern Geschichte und Ethik; 7. Schulbücher an beruflichen Schulen in den Fächern Geschichte, Gemeinschaftskunde, Ethik, Pädagogik einschließlich Erziehungslehre, Psychologie, Soziologie sowie Didaktik und Methodik der Kinder- und Jugenderziehung (erziehungskundliche Fächer). (§ 4 Abs. 2)”
Seltsam oder? Würde man nicht annehmen, dass es wichtiger ist sicherzustellen, dass Schulbücher im Fach Mathematik auch korrekt sind und nicht fehlerhafte Geometrie enthalten? Ausgerechnet die Fächer Ethik, Pädagogik, Psychologie, Soziologie, Geschichte, Gemeinschaftskunde usw. auszunehmen macht auf den ersten Blick keinen Sinn. Aber auf den zweiten Blick:
“(1) Zulassungsvoraussetzungen sind: 1. Übereinstimmung mit den durch Grundgesetz, Landesverfassung und Schulgesetz vorgegebenen Erziehungszielen; 2.
Übereinstimmung mit den Zielen, Kompetenzen und Inhalten des jeweiligen Bildungsstandards oder Lehrplans sowie angemessene didaktische Aufbereitung der Stoffe; 3. altersgemäße und dem Prinzip des Gender Mainstreaming Rechnung tragende Aufbereitung der Inhalte sowie Gestaltung der äußeren Form; 4. Einbindung von Druckbild, graphischer Gestaltung und Ausstattung in die jeweilige didaktische Zielsetzung; 5. Orientierung an gesicherten Erkenntnissen der Fachwissenschaft, (2) Schulbücher müssen den Bildungsstandards oder dem Lehrplan eines Faches oder Fächerverbundes entsprechen und sollen sich im Wesentlichen auf die dort ausgewiesenen verbindlichen Vorgaben (Kerncurriculum) beschränken” (§ 5 Abs. 1 und 2).
Zunächst ist festzustellen, dass eine Übereinstimmung mit den politischen Zielen eines Bildungsstandards und mit dem “Prinzip des Gender Mainstreamings” (kennen Sie das?) wichtiger ist, als die “Orientierung an gesicherten Erkenntnissen der Fachwissenschaft”, bei der es sich übrigens nur um eine Orientierung handelt, nicht mehr. Sodann ist festzustellen, dass die Bücher für zulassungspflichtige Fächer bereits heute genutzt werden, um Schüler mit Genderismus zu indoktrinieren. Hat es dazu eigentliche eine Abstimmung gegeben oder ist die Bevölkerung jemals darüber in Kenntnis gesetzt worden?
Schließlich muss festgestellt werden, dass auch zulassungsfreie Schulbücher nicht wirklich zulassungsfrei sind. Bei ihnen wird die Gleichschaltung mit den politischen Vorgaben nur über einen anderen Weg vorgenommen:
(3) Sofern Schulbücher oder Arbeitshefte, die nach den Absätzen 1 und 2 dem Zulassungsverfahren nicht unterworfen sind, oder Arbeitsmaterialien, die in der Lernmittelverordnung nicht enthalten sind (wie Unterrichtswerke für das schulische Curriculum), im Unterricht verwendet werden, müssen sie den in § 5 Abs. 1 genannten Voraussetzungen entsprechen; hierfür ist neben der Fachkonferenz auch die Schulleitung verantwortlich. Die in § 5 Abs. 1 genannten Voraussetzungen gelten auch, soweit die Lehrkraft weitere, darunter auch selbst entwickelte Unterrichtsmaterialien verwendet” (§3 Abs. 3).
Und somit gilt Gender Mainstreaming und die Verpflichtung, politischen Vorgaben, die im Bildungsplan enthalten sind, zu genügen, auch für nicht zulassungspflichtige Schulbücher.
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Welcher Text genau von Sciencefiles ist denn von Cornelsen verwendet worden ?
Der im Text verlinkte: http://sciencefiles.org/2012/02/17/staatsversagen-und-marktversagen/
Dabei würde mich mal interessieren wie das “Gender Mainstream” (alleine dieser Kunstbegriff, ekelhaft) überhaupt als solide wissenschaftlich begründet wird, dass es schleichend 2007 den Weg in Schulbücher findet ohne demokratische Auseinandersetzung.
Wenn also nicht demokratisch legitimiert wurde -der politische Prozess nicht stattfgefunden hat-, muss es eine sachliche Begründung geben.
Aber ich bezweifel, dass es eine sachliche Begründung geben kann, da in meinen Augen der “Gender Mainstream” eine postnormale Wissenschaft, kurz es sind ideologische Überzeugungen, vielleicht so eine Art Esoterik.
Ich verstehe nicht einmal, wieso dieses Gehinrgespinst “Gender Mainstream” überhaupt ein Thema ist.
Ausnahmsweise darf ich die Sozialwissenschaft hier einmal verteidigen: Der Begriff “Gender mainstreaming” hat mit Wissenschaft nichts zu tun, und er ist auch nicht von Sozialwissenschaftlern geprägt worden. Aber – und das war es dann auch schon mit meiner Verteidigung der Sozialwissenschaften – man könnte durchaus den Eindruck haben, das das anders ist, wenn man beobachtet, wie viele von ihnen sich in vorauseilendem Gehorsam zu Handlangern oder heutzutage anscheinend akzeptabler bzw. politisch korrekter gesagt: Multiplikatoren der entsprechenden politischen Ziele und Maßnahmen machen.
“Gender mainstreaming” ist entstanden als politisches bzw, verwaltungspolitisches Konzept, nach dem bei allen öffentlichen Maßnahmen die möglichen Auswirkungen auf Frauen explizite Berücksichtigung finden – und im Prinzip auch diejenigen auf Männer, aber weil man im GM davon ausgeht, dass es Männern sowieso in allem viel besser geht als Frauen und Männer prinzipiell das Patriarchat und den Chauvinismus repräsentieren, fällt die Beschäftigung mit Männern im Rahmen des GM gewöhnlich unter den Tisch, es sei denn, man thematisiert sie im Zusammenhang mit ihrer Umerziehung.
Und nein, das GM wurde niemals sachlich begründet, und damit meine ich: durch belastbare empirische Daten und vernünftige Interpretationen derselben (man denke in diesem Zusammenhang nur an das Bauerntheater um das angebliche gender pay gap als Negativbeispiel!) . Es beruht auf einer abstrusen Ideologie, nach der Frauen so eine Art Schmerzensfrauen sind: von Gott, der Natur, den Aliens, der Transzendenz schlechthin oder irgenwas eben eigentlich dem Mann als überlegen konzipiert, aber in der schnöden, “gefallenen”, materiellen Welt des Mannes gerade deshalb und per se und immer benachteiligt seien.
Und noch einmal nein: das GM wurde als umfassende Politik in Deutschland oder der EU nicht demokratisch legitimiert. Bestenfalls kann man festhalten, dass es eine ganze Menge von Bürgern gegeben hat, die bei Wahlen in Deutschland verantwortungslos genug gewesen sind, die Parteien zu wählen, die sich dieses Programm auf die Fahnen geschrieben haben oder zumindest nicht dagegen opponiert haben. Möglicherweise haben sie anfangs unterschätzt, dass mit dem Engagement für die arme, benachteiligte, hilflose Frau (meist werden Frauen von öffentlichen Organen ja als eine großer, vereinigter Mutterorganismus gesehen und daher im Singular bezeichnet) eine grundlegende Umformung der Gesellschaft verbunden wurde bzw. das GM ein Teil dieser Umformung gewesen ist und als solcher auch gedacht war. Und dann gibt es ja auch noch die Wähler, die sich bestechen lassen, z.B. durch die In-Aussicht-Stellung von Bürgerrente oder Grundeinkommen, und wenn sie das wählen, dann wählen sie GM eben mit….
Lesetipp:http://www.cicero.de/salon/gender-studies-dogmatisches-hokuspokus-aber-keine-wissenschaft/57240
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