Soziales Wesen oder kalter Ausnutzer? Auftragsforschung einmal anders

Die Frage: Wie primitiv darf es denn sein?, die wir gestern bereits gestellt haben, lässt sich nahtlos auf den Gegenstand des heutigen Posts übertragen. Der Gegenstand des heutigen Post ist eine Auftragsstudie. In Auftrag gegeben hat sie die Stiftung Familienunternehmen und durchgeführt hat sie das Institut für Mittelstandsforschung an der Universität Mannheim. Verantwortlich zeichnen: “M. Sc. Wirtschaftspsychologe Max Rasser, Dr. Detlef Keese, Dipl. Vwl Niclas Rüffer und Prof. Dr. Michael Woywode”.

Primitivität Teil I: Der Titel der Auftragsforschung lautet: “Soziales Wesen oder kalter Zahlenmensch? Ein empirischer Vergleich der Einstellungen von Unternehmenslenkern zu Steuern, Standorten und Mitarbeitern.”

Logik f dummiesDer erste Teil des Titels besteht aus einer Disjunktion (vermutlich aus einer ausschließenden). Man kann also entweder ein soziales Wesen sein oder ein kalter Zahlenmensch. Wobei man bei ausschließender Disjunktion schließen müsste, dass soziale Wesen keine Menschen sein können, zumindest keine Menschen, die mit Zahlen umgehen können, während umgekehrt Zahlenmenschen aus der Klasse der sozialen Wesen ausgeschlossen sind. Die Auftragsstudie fängt gut an: logischer Unsinn bereits in der Überschrift. Das lässt Schlimmes ahnen (Sollte die Disjunktion nicht ausschließend gemeint sein, dann macht die Überschrift noch weniger Sinn, denn dann kann man soziales Wesen und Zahlenmensch sein. Wie man es dreht und wendet, Unsinn bleibt eben Unsinn).

Auftragsstudien-Nehmer haben nicht nur die Hypothek zu tragen, dass die Ergebnisse den Auftraggebern nicht allzu sehr missfallen dürfen, sie müssen auch die Hypothek eines Vorworts ertragen. Das Vorwort stammt von (hoffentlich reicht die Zeile: ) Prof. Dr. Dr. h. c. Brun-Hagen Hennerkes, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen. Er hat uns Folgendes mit auf den Weg zu geben, Primitivität Teil II – das Vorwort:

“Der Home oeconomicus ist ein Erklärungsmuster, welches in der Wissenschaft als Grundlage für viele Modelle zur Erklärung wirtschaftlichen Verhaltens dient. Aber das Bild des Menschen, der weiß, wie er für sich den größten Nutzen herausholt und stets nach diesem Muster handelt, greift viel zu kurz. Wer als Familienunternehmer oder Fremdmanager ein Unternehmen führt, der bewegt sich in einer weitaus komplexeren Realität, als es das kolportierte Bild vom Gewinnmaximierer zulässt.”

Der Homo oeconomicus ist also ein Erklärungsmuster, das zur Erklärung genutzt wird, und gleichzeitig ist der homo oeconomicus das Bild eines Menschen, das zu kurz greift, weil die Realität komplexer ist als der Gewinnmaximierer, der weiß, wie er für sich den größten Nutzen herausholt (aus was auch immer).

Da muss man erst einmal tief durchatmen. Die geistige Welt von:  Prof. Dr. Dr. h.c. Brun-Hagen Hennerkes, kennt also Gewinnmaximierer, die wissen, wie sie für sich den größten Nutzen herausholen und Familienunternehmer, die, wie man der Überschrift zur Auftragsarbeit, der er sein Vorwort spendiert hat, entnehmen kann, durch das “Soziale” gesalbt sind.

Primitivität Teil III: Satz des ausgeschlossenen Dritten.

Wenn der Homo oeconomic ein Erklärungsmodell ist, dann kann er keine Handlungsmaxime von Unternehmern sein. Wenn ich annehme, dass Prof. Dr. Dr. h.c. Brun-Hagen Hennerkes mit der Studie über die soziale Salbung von Familienunternehmen einen Nutzen für seinen Verband herausschlagen will, dann ist dies eine Annahme, die der Überprüfung bedarf.

Stiftung FamilienunternehmenIm Jahre 1986 haben Tversky und Kahneman darauf hingewiesen, dass die Prüfung der Annahmen (des homo oeconomicus) zeigt, dass zwischen Annahme und Realität eine große Diskrepanz besteht, weil nämlich die Akteure nicht in der Weise rational handeln, wie es der homo oeconomicus annimmt und vor allem: weil die im Modell angenommene volle Handlungsinformation, bei den Akteuren nicht vorhanden ist. Sie wissen nämlich gerade nicht, wie sie den größten Nutzen für sich herausholen, sondern sie glauben nur zu wissen. Das Problem mit dem homo oeconomicus ist also nicht, dass das Modell nicht in der Lage wäre, die rationalste Wahl unter Alternativen vorherzusagen, sondern dass die Akteure in der Regel nicht die notwendigen Informationen haben, um sich modellkonforn und somit rational zu verhalten. Dieser kurze Ausflug in die Modellwelt des homo oeconomics macht deutlich, dass das Modell offensichtlich zu komplex ist, als dass es von z.B. Prof. Dr. Dr. h.c. Brun-Hagen Hennerkes in seinem Ausmaß erfasst werden könnte.

Primitivität Teil IV: Die Ergebnisse:

Natürlich kommt bei der Befragung heraus, was herauskommen soll:

“Familienunternehmen verfolgen im Vergleich zu Nicht-Familienunternehmen eher soziale und mitarbeiterorientierte Motive. Dies äußert sich zum Beispiel darin, dass 92,2 Prozent der Familienunternehmen es gegenüber 75,5% der Nicht-Familienunternehmen für eher oder sehr wichtig halten, ihren Mitarbeitern einen sicheren Arbeitsplatz zu bieten (V).”

Und dann behaupten die befragten Familienunternehmer oder Manager, die ein Unternehmen leiten, an dem eine Familie die Aktienmehrheit hält oder Manager von Unternehmen, die von sich sagen, sie seien ein Familienunternehmen, noch, dass sie sich stark oder sehr stark sozial engagieren und dann kommt das:

“Bei rendite- und qualitätsorientierten Zielen sind beide Unternehmenstypen gleichauf. So stuften beispielsweise in beiden Gruppen 78 bzw. 79 Prozent der Unternehmen das Ziel ‘die Rentabilität des Unternehmens zu steigern’ als sehr wichtig oder eher wichtig ein. (V)”

Ist die angetrebte Rentabilität (die angestrebte Nutzenmaximierung) nun für Familienunternehmen durch soziales Engagement, also quasi durch Buße entschuldigt oder entsprechen Familienunternehmer doch dem Modell des Nutzenmaximierers, nutzen nur andere Mittel, um ihren Nutzen zu maximieren.

Primitivität Teil V: Was passiert, wenn man eine Untersuchung auf Ideologie baut

Der homo oeconomicus ist ein Nutzenmaximierer. Dass der Begriff “Nutzen” umfassender ist, als der Begriff “Gewinn”, ist sowohl Prof. Dr. Dr. h.c. Brun-Hagen Hennerkes als auch den Autoren der Auftragsstudie entgangen. Ebenso, wie ihnen entgangen ist, dass der homo oeconomicus auch die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Nutzen erwirtschaftet werden kann und die Opportunitätskosten durch die Abwahl von Alternativen berücksichtigt (richtig komplex!). Geht man nun wie die Autoren der vorliegenden Studie auftragskonform davon aus, dass es gewinnmaximierende Ausnutzer (also Böse) und soziale Familienunternehmner (also Gute) gibt, dann kann man beide Ergebnisse, das mit der höheren Bedeutung von Arbeitsplatzsicherung und das mit der gleichhohen Bedeutung von Rendite, nur nebeneinander berichten und ansonsten hoffen, dass die Leser den offenkundigen Widerspruch nicht bemerken.

Primitivität Teil VI: Der Widerspruch

ifm MannheimAutoren, die das Soziale pflegen, wollen ihre Leser glauben machen, dass Unternehmen wegen der Arbeitsplätze bestehen. Das ist Zeitgeist-konform, und wer will heute schon durch nicht-konforme Ideen auffallen? Unternehmen gibt es aber dennoch nicht, um Arbeitsplätze zu schaffen. Das Ziel von Unternehmen besteht nach wie vor darin, einen Gewinn, eine Rendite und somit das eigene Überleben zu sichern. Ist die Rendite gesichert, dann folgt alles weitere nach, z.B. sichere Arbeitsplätze. Offensichtlich ist diese grundlegende Erkenntnis, die jeder hat, der schon einmal versucht hat, ein Unternehmen mit gesicherten Arbeitsplätzen, aber ohne Rendite zu führen, bei Nicht-Familienunternehmern noch eher anzutreffen oder die Befragung, die die Autoren durchgeführt haben, ist verzerrt.

Primitivität Teil VII: Die Stichprobe

Manchmal glaubt man nicht, was man da liest:

Dillman“Daher betrug die bereinigte Stichprobe 5551 Erhebungseinheiten. Von diesen verweigerten 4931 Unternehmen die Auskunft und weitere 33 Unternehmen brachen das Interview ab. Schließlich lagen 587 auswertbare Interviews vor, was einer Ausschöpfungsquote von 10,6% entspricht. Dieser Rücklauf von gut 10% kann angesichts der eingeschränkten Auswahl der Zielpersonen und der besonderen Thematik und Anlage des Fragebogens als sehr zufriedenstellendes Ergebnis angesehen werden, da derzeit auch in anderen Unternehmensbefragungen ohne solche besonderen Bedingungen ebenfalls Rücklaufquoten um die 10% erzielt werden (23).”

Hier haben wir uns gekringelt, vor lachen. Peter kommt nach Hause und hat eine 5, aber angesichts des Klassendurchschnitt von 5,1 kann die Note von Peter als zufriedenstellendes Ergebnis angesehen werden. Man glaubt den Unsinn zuweilen gar nicht, der einem zugemutet werden soll. Und nicht einmal der äußerst liberale Don Dillman käme auf die Idee, eine lausige Rücklaufquote von 10% als “zufriedenstellend” zu bezeichnen. Dillman ist der Papst für schriftliche Befragungen. Die Autoren haben aber Telefoninterviews mit Personen in Unternehmen geführt, vermutlich mit den Personen, derer sie habhaft werden konnten, und da fragt man sich dann schon, wie es die Autoren angestellt haben, 90% der Befragten zu verprellen – am Telefon.

Und zum Schluß: Unter den 587 Antwortern, die sich letztlich vermutlich aus Mitleid bereit gefunden haben, die Auftragsstudie der Stiftung Familienunternehmen vor dem Scheitern zu retten, sind 259 aus einem Familienunternehmen, was einen Anteil von gut 44% darstellt. An allen deutschen Unternehmen halten Familienunternehmen jedoch einen Anteil von 95,3%. Wie man vor diesem Hintergrund behaupten kann, auf Basis dieser dünnen und verzerrten Stichprobe ließen sich “repräsentative Aussagen für Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern treffen”, ist nicht nachvollziehbar und eine Erklärung oder gar einen Beleg für diese Behauptung sucht man in der Auftragsarbeit vergeblich.

Tversky, Amos & Kahneman, Daniel (1986). Rational Choice and the Framing of Decisions. Journal of Business 59(4): S251-S.278.

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