Lottoscheine nur noch mit Warnhinweis

In modernen Gesellschaften findet sich eine Schicht von Umsorgern, deren einziger Lebensinhalt darin besteht, sich für andere einzusetzen. Diese Umsorger sind ihrer Sache so sehr verschrieben, dass sie schon zu einem frühen Zeitpunkt in ihrem Leben allen Versuchungen, doch eine Arbeit oder gar eine körperliche Arbeit aufzunehmen, widerstanden haben, um sich ganz in den Dienst der guten Sache an ihrem Nächsten stellen zu können, um diesem Nächsten mit allen Nachdruck, die Mängel an seinem irdischen Dasen vor Augen zu führen und ihn daran zu hindern, sich selbst zu schädigen, etwa durch das Trinken von zuviel Bier und Schnaps, das Rauchen von Zigaretten (alles Tätigkeiten, die u.a. die potentiellen Spenderorgane nutzlos machen – wer will schon Raucherlungen), das Essen der falschen Fettsäuren, den Mangel an Bewegung oder das Sprechen in nicht durch den richtigen Zusatz umfassender sexueller Orientierung ergänzter Sprache.

©Deutscher Bundestag, 2014
©Deutscher Bundestag, 2014

Um ihren aufreibenden und unermüdlichen Einsatz für das Soziale, das Gute im Menschen, die Mitmenschen und Nächsten und die Nächsten der Nächsten, effizient zu gestalten, haben sich die Besorgten, zähneknirschend und erst nach langem Zieren, einen kleinen Obolus aus dem Steueraufkommen, das von den Umsorgten erwirtschaftet wird, genehmigt, nicht weniger als 10.000 Euro im Monat, sollen den Aufwand entschädigen, der durch das ständige Besorgtsein um die Mitmenschen, auch gerne als “die Bevölkerung” oder “die Bürger” bezeichnet, entsteht.

Das ist gelebter Altruismus.

In einem Urteil aus dem Jahre 2006, genau vom 28. März 2006, haben die Richter des Bundesverfassungsgerichts, genauer des ersten Senats (1 BvR 1054/01), also richterlich Besorgte “dem Gesetzgeber” die Leviten gelesen und ihm erklärt, dass seine gesetzlichen Regelungen zum Spieltriebs der Bevölkerung nicht ausreichend sind. Sie reichen nicht aus, um einerseits besagten Spieltrieb der Bevölkerung durch ein ausreichendes Angebot an Spielmöglichkeiten zu befriedigen, andererseits die Folgen des Spieltriebs, in pathologischem Spielen, in Wett- und Spielsucht, einzudämmen oder gar zu verhindern.

Insbesondere sei das staatliche Monopol auf die Einnahmen aus Glücksspielen in Gefahr:

“Das bayerische Staatslotteriegesetz vom 29. April 1999 ist mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar, indem es vor dem Hintergrund des § 284 StGB das Veranstalten von Sportwetten dem Freistaat Bayern und deren Durchführung der Staatlichen Lotterieverwaltung oder einer juristischen Person des Privatrechts, deren alleiniger Gesellschafter der Freistaat Bayern ist, vorbehält, ohne zugleich hinreichende gesetzliche Regelungen zur materiellen und strukturellen Sicherung der Erreichung der damit verfolgten Ziele zu schaffen, insbesondere zur Ausrichtung des Wettangebots an der Begrenzung und Bekämpfung von Wettsucht und problematischem Spielverhalten. Die Beschränkung der Vermittlung von Sportwetten ist aus diesem Grund ebenfalls nicht mit Art. 12 Abs. 1 GG zu vereinbaren” (1 BvR 1054/01, Rn.79).

Bundesverfassungsgericht_RichterrobenDie Nachricht der richtlich Besorgten an die gesetzgeberisch Besorgten ist verheerend, basiert das Bayerische Lotteriegesetz doch auf dem Staatsvertrag zum Glückspielwesen in Deutschland (GlüStV), der zwischen den Ländern und dem Bund geschlossen, die Erträge aus dem staatlichen Monopol auf Glückspiele verteilen soll. Kurz: Der Hinweis der Karlsruher Besorgten an die Besorgten in Berlin und den Landeshauptstätten, dass der Spieltrieb der Bevölkerung, also der Umsorgten, zwar befriedigt, aber die Prävention von Wettsucht nicht ausreichend erfolge, wirkt wie ein Domino dem nach dem Bayerischen Lotteriegesetz vorhersehbar die entsprechenden Gesetze der verbleibenen Ländern und der GlüStV zum Opfer fallen. Anders formuliert: Die Einnahmen aus Glücksspiel sind gefährdet. Ziel muss es somit sein, Glücksspiele anzubieten und gleichzeitig von denselben abzsuchrecken, um Wett- oder Glücksspielsucht zu verhindern. Nur so, könne das staatliche Monopol auf die Einnahmen aus Glücksspielen aufrecht erhalten werden.

Ausnahmsweise befindet sich das Bundesverfassungsgericht hier in Übereinstimmung mit dem Europäischen Gerichtshof, der wiederholt in Entscheidungen darauf hingewiesen hat (z.B. C-338/04; C-359/04 und C-360/04), dass ein staatliches Monopol auf Glücksspiele nur durch ausgewöhnliche Schutzmaßnahmen gerechtfertigt sei, die sich auf die Bevölkerung beziehen, um diese u.a. vor Wett- oder Glücksspielsucht zu schützen.

Entsprechend haben die Besorgten in Bund und Ländern nachgebessert und einen neuen Staatsvertrag zum Glücksspielwesen in Deutschland gezimmert, der nunmehr allen Vorgaben der richterlichen Besorgten  genügen soll. Allerdings haben die europäischen Besorgten aus der Brüsseler Besorgten-Kommission bereits Zweifel daran angemeldet, dass der neue Versuch, dem Spieltrieb der Umsorgten Herr zu werden, ausreichend ist, dem Europäischen Umsorgtenrecht entspreche. Auch aus Karlsruhe lassen sich die ersten kritischen Stimmen von besonders richterlich Besorgten vernehmen, die das neue Umsorgungswerk dem Zwecke des Schutzes vor Glücksspiel- und Wettsucht als nicht angemessen ansehen.

Abermaliges Nachbessern ist angesagt und nachbessern wollen die Besorgten aus Ländern und Bund:

In einer Schublade des Bundesjustizministeriums schlummert derzeit ein Referentenentwurf, der noch in der laufenden Legislaturperiode Gesetz werden sollen. Bereits mit den um die Einnahmen des Bundes und der Länder besorgten Finanzministern abgesprochen, sieht der Vorschlag vor, die Bekämpfung der Wett- und Glücksspielsucht offensiv anzugehen.LottoscheinWarnung 1

So sollen demnächst Lottoscheine nur noch mit Aufdrucken wie:  “Glücksspiel gefährdet ihre Gesundheit ” möglich sein. Alternative Entwürfe sehen vor, z.B. Wohnsitzlose und einen Begleittext auf den Rückseiten von Losen oder Wettscheinen von Oddset aufzudrucken bzw. in Pop-Up Fenstern bei Online-Spielern abzubilden, wobei die Prävention von Wettsucht durch Texte wie die folgenden erreicht werden soll:

Einst hatte ich ein nettes Reihenhaus. Heute bin ich wohnsitzlos. Ich habe alles verspielt. Lassen Sie es nicht so weit kommen.

Oder:

Glücksspiel ruiniert!

GlücksspielopferAndere Vorschläge sind am liberalen Paternalismus ausgerichtet und gehen davon aus, dass z.B. Lottospieler gar nicht Lotto spielen wollen. Demgemäß werden sie im Online-Spiel erst nach wiederholtem Ausfüllen des entsprechenden Loses zugelassen, während es in der Annahmestelle passieren kann, dass z.B. der Kioskbesitzer den Lottozettel in den Papierkorb wirft und erst dann aus dem Papierkorb entnimmt und annimmt, wenn derjenige, der das Los abgeben will, auch ganz sicher ist, dass er Glücksspielen will und es sich auch leisten kann.

Bei der Frage der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit setzt ein weiterer heiß diskutierter Vorschlag an, der das Mitbringen eines aktuellen Kontoauszuges als Voraussetzung für die Teilnahme am Glücksspiel ins Spiel gebracht hat. Geht aus dem Kontoauszug hervor, dass der potentielle Spieler bereits seinen Kontokorrentkredit ausschöpft, sei der dringende Verdacht auf Glücksspielsucht begründet und ihm die Teilnahme zu verweigern. Eine Online-Teilnahme an Glücksspielen ist, geht es nach den Befürwortern dieses Vorschlags, nur noch nach vorheriger Schufa-Auskunft möglich, wobei die Schufa-Auskunft alle sechs Monate aktualisiert werden soll.

Wann die entsprechenden Vorschläge umgesetzt werden, und welches genaue Ausmaß die Warnhinweise annehmen werden, ist derzeit noch unklar und wird erst entschieden, wenn die wissenschaftliche Untersuchung, die am eigens eingerichteten Lehrstuhl für Gender und Glücksspiel an der HU-Berlin derzeit durchgeführt wird, zu einem Ergebnis gekommen ist.

 

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