Vogel-Schweine-Grippe-Panik: Viel Geld für wenig Tamiflu-Wirkung

Die Weltgesundheitsorganisation in Genf, die sich gelegentlich daran beteiligt, Pandemien zu beschwören und entsprechende Paniken herzustellen, empfiehlt in einer so genannten briefing note aus dem Jahre 2009 die Behandlung von Personen, für die der Verdacht besteht, dass sie mit Schweinegrippe infiziert sind, mit Oseltavimir und Zanamivir. Oseltavimir und Zanamivir sind besser bekannt unter ihren Handelsnahmen Tamiflu (Hoffman-La Roche) und Relenza (GlaxoSmithKline).

WHO“The guidelines represent the consensus reached by an international panel of experts who reviewed all available studies on the safety and effectiveness of these drugs. Emphasis was placed on the use of oseltamivir and zanamivir to prevent severe illness and deaths, reduce the need for hospitalization, and reduce the duration of hospital stays.”

Auf Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation haben sich nationale Regierungen bis unters Dach und unter Aufwendung von Hunderten von Millionen Euro mit u.a. Tamiflu ausgestattet, um eine anti-virale Waffe gegen den Ausbruch einer Schweine-Grippe-Pandemie zu haben. Nicht nur das: Man hat sich darüber gestritten, wer mit dem kostbaren Grippe-Verhütungsmittel präventiv versorgt werden darf und wer nicht und wer die Kosten der Prävention zu tragen hat.

Die Gesundheitskasse empfiehlt eine Impfung mit Tamiflu oder Relenza zur Vorbeuge vor (echter) Grippe wärmstens:

“Eine Impfung gegen Grippe ist für folgende Personengruppen besonders zu empfehlen:

  • aok_logo_rgb_finalMenschen im Alter über 60 Jahren
  • Bewohner von Alters- und Pflegeheimen
  • Personen mit chronischen Grundkrankheiten (insbesondere Herz- oder Lungenerkrankungen, Asthma bronchiale, Diabetes mellitus, Nierenversagen
    Personen mit angeborener oder erworbener Abwehrschwäche einschließlich HIV-Infizierte)
  • Personen mit Tumorerkrankungen
  • Personen mit beruflichem Infektionsrisiko, also Ärzte, Schwestern, Personal von Pflegeheimen, mobile Krankenschwestern
  • Schwangere im letzten Schwangerschaftsdrittel
  • Eltern von Säuglingen
  • Interkontinentalreisende”

Die Empfehlungen von Weltgesundheitsorganisation und Gesundheitskasse (AOK) sind mit einem kleinen Problem versehen: Die empfohlenen Mittel scheinen wenig hilfreich zu sein.

Zu diesem Ergebnis ist eine Studie gelangt, an der ingesamt 12 Wissenschaftler beteiligt waren. Und es ist eine besondere Studie, eine besondere Meta-Analyse, die schon deshalb bemerkenswert ist, weil die Forscher sich um die Transparenz von Prozessen verdient gemacht haben, die sonst vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen bleiben.

Normalerweise führen Pharmaunternehmen klinische Tests durch, um die Wirksamkeit und die Gefahren, die sich mit einem neuen Medikament verbinden, zu erforschen. Die Ergebnise der Tests werden dann den zuständigen Zulassungsbehörden vorgelegt, in Deutschland ist das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hier federführend. Die zuständigen Behörden prüfen die Testergebnisse, kommentieren die Testergebnisse und lassen ggf. die entsprechenden Medikamente zu. Der gesamte Prozess findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt – bislang.

TamifluDen 12 Forschern um Tom Jefferson von Cochrane Collaboration ist es nun gelungen, die Intransparenz der Zulassungsprozesse zu beseitigen und der Testergebnisse, die den zulassenden Behörden in Europa, den USA und in Japan sowie der Weltgesundheitsorganisation vorgelegt wurden sowie der Kommentare der Mitarbeiter der entsprechenden Behörden zu den vorgelegten Testergebnissen habhaft zu werden.

Die Wissenschaftler haben also die vorgelegten empirischen Belege analysieren können, die die Grundlage der Zulassung von Tamilu und Relenza oder der oben zitierten Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation bilden. Das Ergebnis ist ziemlich ernüchternd:

  • Von anfänglich 107 klinischen Tests, die im Zulassungsverfahren von Tamiflu und Relenza vorgelegt wurden, blieben 46 klinische Tests übrig, nachdem die Tests ausgeschlossen wurden, in denen “inadäquate Maße” verwendet wurden, um den Effekt der beiden Medikamente zu messen oder für die nicht klar war, ob der Kontrollgruppe, der ein Placebo verabreicht worden sein soll, auch tatsächlich ein Placebo verabreicht wurde. Allein die Beschreibung der Unklarheiten, die die 12 Wissenschaftler in den klinischen Tests gefunden haben, ist erschreckend.
  • Für beide Medikamente konnte gezeigt werden, dass sie die Dauer der Symptome einer klassischen Grippe um 0,7 von 7 auf 6,3 Tage (Tamiflu) bzw. um 0,6 von 6,6 auf 6 Tage (Relenza) verkürzen. Beide Medikamente hatten keinen Effekt in der Behandlung von Kindern.
  • Tamiflu und Relenza erwiesen sich als völlig unwirksam in der Bekämpfung ernsthafter Grippeerkrankungen: “In adult treatment trials, oseltamivir [Tamiflu] did not significantly reduce those complications classified as serious … neither did zanamivir [Relenza]”. Folgerichtig hatten beide Medikamente keinerlei Effekt auf die Wahrscheinlichkeit, dass ein an Grippe Erkrankter in ein Krankenhaus überwiesen werden musste.
  • Es gibt keine belastbaren Ergebnisse, die den Schluss begründen, das Tamiflu oder Relenza einer Lungenentzündig vorbeugen. Während Relenza die Gefahr einer Bronchitis signifikant reduzierte, hatte Tamiflu keinen entsprechenden Effekt.
  • Dagegen ist Tamiflu mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden: Tamiflu führt häufig zu Übelkeit und Erbrechen. Möglicherweise reduziert Tamiflu das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, tut dies aber vermutlich auf Kosten von erheblichen Herzrhythmusstörungen. Für Relenza haben sich keine Indizien auf erhebliche Nebenwirkungen ergeben.

Zusammenfassend kommen die Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass es keine Belege dafür gibt, dass Tamiflu oder Relenza irgendeine Wirkung zur Behandlung von mit Grippe Erkrankten oder gar zur Behandlung schwerer Grippeerkrankungen haben. Beide Medikamente hätten bestenfalls in der Prophylaxe einen Platz, wobei die einer Grippe vorbeugende Wirkung moderat sei. Er würde, so fasst Tom Jefferson die Ergebnisse der Studie zusammen, an der er federführend beteiligt war, eine schwere Grippeerkrankung mit Paracetamol behandeln, nicht mit Tamiflu.

RelenyaNationale Regierungen, die den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation folgen, haben große Reserven an Tamiflu angelegt, um damit eine eventuelle Pandemie zu bekämpfen. Die dahinterstehende Idee baut darauf, dass der breite Einsatz von Tamiflu Erkrankungen lange genug hinauszögert bzw. die Pandemie lange genug verhindert, um Wissenschaftler in die Lage zu versetzen, ein geeignetes Gegenmittel gegen das Virus zu finden, das die Pandemie verursacht hat. Wie sich nun auf Basis der berichteten Ergebnisse zeigt, sind weder Tamiflu noch Relenza in der Lage, diese Anforderung zu erfüllen. Beide haben bestenfalls eine moderate Wirkung im Bereich der Vorbeugung von grippalen Effekten, aber keinerlei Effekt bei Behandlung einer (schweren) Erkrankung.

Es ist vor diesem Hintergrund mehr als verwunderlich, dass Regierungen dreistellige Millionenbeträge aufwenden, um sich ein Arsenal von Tamiflu anzulegen. Es ist insbesondere verwunderlich, weil den entsprechenden Regierungen im Gegensatz zu ihrer Bevölkerung die Ergebnisse der klinischen Tests, die die Wirksamkeit von Tamiflu und Relenza belegen sollen, vorliegen, jene Ergebnisse, die den 12 Wissenschaftlern für ihren Bericht erst nach langer Auseinandersetzung zur Verfügung gestellt wurden und auf deren Grundlage sie nunmehr die fast vollständige Unwirksamkeit von Tamiflu und Relenza zur Vorbeugung einer Pandemie oder auch nur zur Behandlung einer Grippe gezeigt haben.

Einmal mehr zeigt sich, dass die Geheimniskrämerei oder die Kartellbildung zwischen Behörden und manchen Konzernen nicht dazu geeignet ist, positives für andere als die am Kartell Beteiligten zu produzieren. Und wie immer, wenn es um Kartelle geht, gibt es nur ein wirksames Gegenmittel: Die vollstänige Transparenz der Prozesse, die zur Zulassung von Medikamenten führen.

Das bedeutet, dass die klinischen Tests, die Unternehmen durchführen,um die Sicherheit und Wirksamkeit neuer Medikamente zu belegen, generell veröffentlicht werden und Wissenschaftlern zur Prüfung bereitgestellt werden müssen. Um die wirtschaftlichen Interessen der Unternehmen zu wahren und zu verhindern, dass die Testergebnisse genutzt werden, um Imitationen der Medikamente herzustellen, gibt es bereits die Möglichkeit, ein Patent anzumelden, so dass es wirklich keinen Grund für Behörden und Unternehmen gibt, die Testergebnisse geheim zu halten.

 

Jefferson, Tom et al. (2014). Neuraminidase Inhibitors for Preventing and Treating Influenza in Healthy Adults and Children.

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