Philosophie zum Wochenende – Hans Albert: Erkenntnis und Engagement

Hans Albert (1921 -) hat wie kein anderer zur Verbreitung des kritischen Denkens und der Methode des kritischen Rationalismus’ wie ihn Karl Raimund Popper entwickelt hat, in Deutschland beigetragen. Hans Albert ist bis heute ein engagierter Kämpfer gegen die Irrationalität und gegen all jene, die von sich behaupten, sie seien im Vollbesitz der Wahrheit oder doch zumindest im Besitz einer Methode, die unweigerlich zur Wahrheit führt und könnten sich auf dieser Basis für die Gesellschaft engagieren und dort nur Gutes bewirken.

Hans_Albert_2005Zwangsläufig war und ist Hans Albert damit der größte Gegenspieler der Frankfurter Schule in der Variante, die u.a. Jürgen Habermas daraus gemacht hat, also nicht in der Variante, die noch unter der Leitung von Max Horkheimer das Frankfurter Institut für Sozialforschung (IfS) auszeichnete, als noch empirische Studien wie z.B. die über Autorität und Familie durchgeführt und erstellt wurden.

Was man von der Wende, die das IfS unter unter dem Einfluss von Habermas genommen hat, zu halten hat, wird einem schnell deutlich, wenn man z.B. die Titel der derzeitigen Projekte betrachtet, Titel wie “Bürger_in aus Betroffenheit?”, “Erwerbsarbeit und psychische Erkrankung”, “Bedeutung des öffentlichen Integrationsdiskurses für das Selbstverständnis, die Selbstpositionierung und das Integrationshandeln von Migrant_innen. Eine biographieanalytische Untersuchung” oder “Prekäre Autonomie – Die Arbeit von SchriftstellerInnen im flexiblen Kapitalismus”.

Aus heutiger Sicht kann man Hans Albert auch als einen vehementen Gegner aller Heilsbringer oder wie wir heute sagen würden: Gutmenschen sehen, die ihre Heilsbotschaft über ihre Opfer ausgießen, ihre einfachen Botschaften, für die sie Wahrheit reklamieren, zur Grundlage nehmen, um in die Leben anderer Menschen, die sie für inferior halten, zu intervenieren und dort für ihre Ordnung zu sorgen und alles zu dem zu wenden, was sie für das Beste halten. Diese Form der Entmündigung im Namen einer ersponnenen Wahrheit, kulminiert für Albert im wissenschaftsfeindlichen Offenbarungsmodell, jenem Model, das nicht nur die katholische Kirche zur Grundlage ihrer Existenz gemacht hat und das darauf basiert, dass Erleuchteten, wie z.B. dem Papst, beim Lesen der heiligen Schrift ein Licht aufgeht, oder im Schlaf ein Engel mit der Nachricht erscheint, die fortan als Wahrheit verkündet werden soll.

Aber nicht nur die katholische Kirche fährt auf dieser Fahrkarte, um Verbreitung zu finden, Macht zu sichern und zu gewinnen und um die eigenen Taschen zu füllen, auch Kalvinismus, Kommunismus, Faschismus und Feminismus teilen strukturelle Prinzipien mit der katholischen Kirche, die sie zu Feinden von Freiheit, Autonomie, Toleranz und Liberalismus und vor allem von Vernunft machen.

Der folgende Text von Hans Albert aus der Einleitung zu seinem Traktat über kritische Vernunft, widmet sich diesem Totalitarismus der Gutmenschen. Ausgangspunkt ist die nicht zuletzt von Habermas geäußerte Ansicht, dass Erkenntnis und Entscheidung voneinander zu trennen seien (eine Idee, die man sich wirklich genauer überlegen sollte, damit einem klar wird, womit man es bei der post-Habermasschen Frankfurter Schule wirklich zu tun hat).

Albert Traktat“[…] Existenzielle Probleme sind, so scheint man oft anzunehmen, nicht rational zu behandeln, weil sie echte Entscheidungen verlangen, die der kalkulierende Verstand nicht liefern kann. Andererseits scheint es im Bereich der Erkenntnis zwar rationale Analyse zu geben, aber keine Entscheidung und kein Engagement, und den Problemen, die auf diese Weise zu lösen sind, kommt offenbar eo ipso keine existenzielle Bedeutung zu. Während die Verfechter der analytischen und der hermeneutischen Vernunft nicht selten Auffassungen formulieren, die solchen Thesen nahekommen, sind sich die der dialektischen Vernunft oft der Vereinbarkeit von Erkenntnis und Engagement so gewiß, dass in ihrem Denken die politische Stellungnahme sich mitunter ziemlich gradlinig – man möchte sagen: überraschenerweise gar nicht so dialektisch – aus der philosophischen Konzeption ergibt [Anhänger der dialektischen Vernunft  sind z.B. Habermas oder andere post-marxistische Sozialphilosophen].

Nun gibt es ohne Zweifel Zusammenhänge zwischen Erkenntnis und Engagement, zwischen rationalem Denken und existenzieller Entscheidung, zwischen Philosophie und Politik, aber sie sind nicht so einfach, wie sie sich engagierten Denkern oft darstellen. Bestimmte Arten des Engagements korrumpieren nämlich das Denken und leisten infolgedessen auch keinen vernünftigen Beitrag zur Lösung von Problemen, ob es sich dabei nun um kognitive, ethische oder auch soziale und politische oder gar um religiöse Probleme handelt. Es gibt ein totales Engagement, das die unvoreingenommene Wahrheitssuche und das kritisch-rationale Denken beseitigt oder zumindest beeinträchtigt und das im Endeffekt – gleichgültig, ob es im Namen des Glaubens und einer göttlichen Macht, im Namen der Geschichte oder in dem der Vernunft in Erscheinung tritt – immer wieder zu totalitären Konsequenzen geführt hat. Nicht allen, die ein solches Engagement für richtig halten, scheint das bewußt zu sein, aber es gibt viele, die es wissen könnten, weil sie die Geschichte kennen. Mir liegt nichts an zeitgeschichtlichen Totalitarismus-Definitionen, die den Sinn haben, die säkularen politischen Religionen und die durch sie geprägten institutionellen Strukturen als Entartungserscheinungen gegen die politisch-religiösen Traditionen des christlichen Abendlandes abzugrenzen, denn die Geschichte ist voll von totalitären Exzessen, die im Namen des Christentums stattgefunden haben, und zwar bis in die neueste Zeit. Es kommt hier vielmehr darauf an, dass unter gewissen strukturellen Gesichtspunkten Katholizismus, Kalvinismus, Kommunismus und Faschismus [und Staatsfeminismus] zusammengehören, nicht etwa, weil alle diese historisch sehr komplexen Phänomene in jeder Hinsicht gleichartig oder auch nur gleichwertig wären, sondern weil in ihnen das extreme Gegenteil der im analytischen Denken postulierten Neutralität wirksam war oder ist: die blinde Parteilichkeit, der gehorsame Glaube, das unkorrigierbare Engagement. es gibt hier also strukturelle Gemeinsamkeiten, und zwar keineswegs solche, die als oberflächlich beiseite geschoben werden können. Gemeinsamkeiten, die nicht nur psychologisch oder soziologisch von Interesse sind, sondern darüber hinaus erkenntnistheoretisch, ethisch und sozialphilosophisch. Diese Züge gilt es zu erkennen, und zwar unabhängig von den unterschiedlichen Sympathien, die man diesen Erscheinungen entgegenbringen mag.

Viele, die diese Gemeinsamkeiten und Zusammenhänge durchschauen müssten, versäumen vielfach, darauf aufmerksam zu machen, mitunter aus leicht verständlichen ‘existenziellen’ Gründen, oft auch deshalb, weil sie ihre Art des totalen Engagements als etwas gänzlich Verschiedenes von den anderen Varianten absetzen möchten, etwa, weil die in ihrem Denken enthaltene utopische Komponente sie selbst und andere zu der Illusion verleitet, dieses Engagement müsse, wenn es sich in kollektive Aktion umsetzte, prinzipiell andersartige Konsequenzen haben, als wir sie aus der Geschichte kennen. Aber das ist romantisch-illusionäres Denken, auch wenn es von philosophischen oder theologischen Lehrstühlen herunter gepredigt und von Unzufriedenen willig aufgenommen wird, weil sie mit seiner Hilfe ihre Situation ohne die Anstrengung sachlich-rationaler Analyse und damit ohne die Berücksichtigung der sozialen Kosten der von ihnen propagierten Aktionen artikulieren zu können glauben. Begeisterung für eine heilige Sache führt, wie wir wissen, nicht selten zu Faschismus und Intoleranz, zur Diabolisierung des Gegners und schließlich zu Terror und Gewalt. Das totale Engagement, auch wenn es zur Stützung seiner Ansprüche und Forderungen den Namen einer dialektischen oder kritischen Vernunft [das ist eine Anspielung auf die nach Ansicht von Habermas “kritische” Frankfurter Schule] ins Spiel bringt, kann uns also keineswegs die Rettung vor jenem Irrationalismus bringen, dem ein unter der Neutralitätsforderung stehendes analytisches oder ein an Überlieferungen irgendwelcher Art sich auslieferndes hermeneutisches Denken freien Raum zur Entfaltung geben mögen, und zwar deshalb, weil es selbst nur eine Form dieses Irrationalismus ist.

Es besteht aber keine Notwendigkeit, zwischen völliger Neutralität und totalem Engagement zu wählen, wenn man bereit ist, eine weitere Möglichkeit zu sehen, die es erlaubt, Rationalität und Engagement mit einander zu verbinden: nämlich einen kritischen Rationalismus, wie er sich vor allem in der Philosophie Karl Poppers und in verwandten philosophischen Auffassungen präsentiert. Dieser neue Kritizismus, der die Neutralität des analytischen Denkens überwindet und dem totalen Engagement theologischer und quasi-theologischer Denkweisen mit seinen anti-liberalen Implikationen ein kritisches Engagement für rationales Denken und für die unvoreingenommene Suche nach der Wahrheit und nach offenen Problemlösungen entgegensetzt, die im Lichte neuer Gesichtspunkte jeweils revidierbar sind, knüpft tasächlich an eine alte Tradition an, die sich bis in die griechische Antike zurückverfolgen lässt, die sich in der Entstehungsgeschichte der neuzeitlchen Naturwissenschaft wieder zur Geltung gebracht und in der Periode der Aufklärung für einige Zeit das allgemeine Bewusstsein geprägt hat, die aber seit Beginn des neunzehnten Jahrhunderts den durch den Einbruch neuer Irrationalismen [z.B. Hegel und die Deutsche Romantik] hervorgerufenen Belastungen ausgesetzt war” (Albert, 1991: 4-7; fett gesetzte Hervorhebungen von uns, kursive Hervorhebungen im Original).

Abert, Hans (1991). Traktat über Kritische Vernunft. Tübingen: Mohr Siebeck.

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