Großer Verlust an Humankapital: Gary S. Becker ist gestorben

Am Samstag den 3. Mai ist der Ökonomen und Nobelpreisträger Gary S. Becker im Alter von 83 Jahren gestorben. Zeit seines Lebens hat sich Becker für freie Marktwirtschaft eingesetzt, und mit seinem Konzept des Humankapitals hat sich Becker ein Denkmal geschaffen, das weit über seinen Tod hinausreichen wird.

Wie kein anderer hat Gary Becker dazu beigetragen, die Ökonomie und das ökonomische Denken aus ihren engen Grenzen und in andere Sozialwissenschaften zu verbreiten. Besonders wichtig dafür war sein Konzept des Humankapitals, das er in den 1960er Jahren entwickelt hat.

Becker_oekonomischer AnsatzInvestitionen in Bildung, Weiterbildung, Schulen, medizinische Versorgung, alle Investitionen, die geeignet sind, Ressourcen in Individuen herzustellen und zu erhalten, Humankapital zu bilden, wie Gary Becker es genannt hat, sie alle sind Investitionen, die sich für Individuen und die Gesellschaft als ganzes lohnen. Über je mehr Humankapital Individuen verfügen, desto höher ihr Einkommen, ihr Status, desto besser ihr Leben.

In gewisser Weise ist Gary Becker die individualistische Ergänzung zu Theodore W. Schultz, der Anfang der 1960er Jahre auf den Zusammenhang zwischen dem Bildungsniveau einer Gesellschaft und ihrem Wohlstand aufmerksam gemacht hat. Becker hat für Individuen gezeigt, dass sich Investitionen in Humankapital lohnen. Folglich erfordert eine sinnvolle Bildungspolitik die Schaffung der Randbedingungen, unter denen individuelle Investitionen in Humankapital effizient sein können.

Später hat Becker erzählt, dass er lange mit sich gerungen hat, ehe er sein theoretisches Konzept “Humankapital” genannt hat, weil er befürchtet hat, viele könnten den Begriff missverstehen und denken, er behandele Menschen wie Maschinen oder Sklaven. “My, how the world has changed!”, so schreibt er später, “The name and analysis are now readily accepted by most people not only in the social sciences, but even in the media” (Becker, 1993: 16). Offensichtlich hat Becker noch nie von den Darmstädter Sittenwächtern der Sprache gehört, die ihrerseits und ebenso offensichtlich keinerlei Ahnung haben, was hinter dem Konzept des Humankapitals steht.

Die Grundlagenarbeit von Gary Becker hat eine Renaissance des Rational Choice Ansatzes in den Sozialwissenschaften vorbereitet. Wissenschaftler wie Raymond Boudon, Hartmut Esser, Bruno S. Frey, Siegwart Lindernberg, Bernhard Nauck und Karl Dieter Opp haben die Ökonomie von Becker zur Sozialwissenschaft gemacht und sich dabei auf die vielen Vorarbeiten von Becker gestützt. Vorarbeiten, mit denen Becker auf Basis seiner ökonomischen Theorie Kriminalität, Vorurteile und Diskriminierung, Heirat und Fertilität oder soziale Interaktionen erklärt hat.

HUman CapitalSo überzeugend, dass das Nobelpreiskommitee nicht umhin konnte Gary Becker im Jahr 1992 den Nobelpreis für Ökonomie zu verleihen. Er habe, so hat Becker (1996: 308) in seiner Kolumne bei der New York Times geschrieben, den Nobelpreis dafür gewonnen, dass er die ökonomische Analyse auf soziale Probleme, vor allem auf Diskriminierung auf Grundlage von Rasse oder Geschlecht, für Investitionen in Bildung und Humankapital sowie seine Arbeiten im Hinblick auf die Erklärung von Kriminalität und die Formation, Struktur und Auflösung von Familien verliehen bekommen, und nichts wäre passender, um seine Arbeit zu würdigen, als einige Kostproben aus seiner reichhaltigen Forschung zu diesen Themen zu geben.

Mindestlohn

Zum Thema Mindestlohn, das heute unter Politikern, die sich bei bestimmten Wählern einschmeicheln wollen, wieder hoch im Kurs steht, hat Becker unter der Überschrift “erhöhe den Mindestlohn und du erhöhst die Arbeitslosigkeit” geschrieben: Selbst ein Zauberer hätte erhebliche Probleme damit, dass ökonomische Gesetz, nachdem ein Mindestlohn (oder eine Erhöhung des Mindestlohns) die Anzahl der Beschäftigten reduziert zu beseitigen. Weil Politiker keine Zauberer sind, sollten sie es gar nicht erst versuchen (Becker, 1996: 38).

Diskriminierung von Frauen

Die politische Mode, die Becker schon in den 1990er Jahren beobachtet hat, geht dahin, Frauen auf Händen in den Beruf zu tragen und vor allem eine Vereinbarkeit von Arbeit und Fertilität dadurch herzustellen, dass Unternehmen u.a. dazu gezwungen werden, Beschäftigten mit Kindern bezahlte Elternzeit zu gewähren. Dies, so hat Becker festgestellt, sei ungerecht und ineffizient. Es diskriminiert Singles und Verheiratete, die keine Kinder haben oder Verheiratete mit erwachsenen Kindern (Becker, 1996: 130). Aber, wo gehobelt wird, da fallen Spähne und entsprechend diskriminiern die heutigen vermeintlichen Wohlfahrtsstaaten munter und mit zunehmender Intensität all diejenigen, die nicht ihrem Modell von Mensch entsprechen.

An anderer Stelle stellt Becker fest, dass die Löhne von Frauen über die letzten Jahrzehnte kontinuierlich gestiegen seien. Dies, so Becker, sei nicht das Ergebnis von Quoten oder sonstigen Politiken, die Frauen bevorzugen, es könne es gar nicht sein, denn die Gesetze seien zu einem Zeitpunkt erlassen, wirkten also punktuell, die Lohnsteigerungen seien aber kontinuierlich. Folglich können sie nur darauf zurückgeführt werden, dass Frauen sich mehr auf den Arbeitsmarkt einlassen und dort mehr Erfahrung und Kompetenzen sammeln und somit etwas, das ihnen keine Gesetzgebung verschaffen kann (Becker, 1996: 132)).

Korruption

economics of lifeJede finazielle Hilfe, die von Regierungen in Form einer Subvention, Maßnahme oder in anderer Form (z.B. über Verträge) gewährt wird, ist eine Quelle der Korruption, kann dazu genutzt werden, um die eigene Klientel und sich selbst zu bereichern (man denke nur an die politischen Stiftungen), folglich hat Becker nur einen Rat, wenn es darum geht, Korruption wirksam zu bekämpfen: die Einflussmöglichkeiten von Regierungen und die Anzahl der Regierungsbediensteten verringern (Becker, 1996: 203):

“But corruption always reemerges whenever governments have a major impact on economic conditions. The momentum behind reform movements peters out as politicians, officials and companies become tempted once again to risk exposure and disgrace by giving and receiving bribes and engaging in other corrupt acts” (Becker, 1996: 211).

Fertilität

Kein Rückblick auf das Werk von Gary Becker kann vollständig sein, wenn er nicht seine Arbeiten zu Familie und Fertilität umfasst. Und Becker selbst fasst seine grundlegende und einen ganzen Fachbereich neu orientierende ökonomische Analyse von Fertilität aus dem Jahr 1960 wie folgt zusammen (unsere Übersetzung):

“Kinder werden als langlebige Konsumgüter angesehen, die Einkommen, vornehmlich psychisches Einkommen für ihre Eltern produzieren. Fertilität (also die Entscheidung, sich forzupflanzen) ist von Einkommen, Kosten der Kinder, Wissen, Unsicherheit und Geschmack abhängig. Erhöht sich das Einkommen und sinken die Kosten von Kindern, dann steigt die Nachfrage nach Kindern, wobei es notwendig ist, zwischen der Quantität und der Qualität nachgefragter Kinder zu unterscheiden. Die Qualität von Kindern ist eine direkte Folge der Investition in Kinder.

Jede Familie muss eigene Kinder produzieren, da Kinder nicht auf dem Markt gekauft oder verkauft werden können. Deshalb resultiert jede Unsicherheit, die mit der Produktion von Kindern verbunden ist (z.B. das Geschlecht des Kindes) in einer entsprechenden Unsicherheit im Hinblick auf die Konsummöglichkeiten. Und deshalb hängt die Anzahl der Kinder in einer Familie nicht nur von der Nachfrage, sondern auch von den Möglichkeiten, Kinder zu produzieren und zu unterhalten ab. Manche Familien sind nicht in der Lage, so viele Kinder zu produzieren, wie sie wollen, während andere Familien mehr Kinder produzieren müssen, als sie wollen. Deshalb weicht die tatsächliche Fertilität erhebilch von der gewünschten Fertilität ab.

Ich habe in aller Kürze einige Implikationen dieser Theorie untersucht. Zum Beispiel kann mit der Theorie der Anstieg der Fertilität nach dem Zweiten Weltkrieg erklärt werden oder die relativ geringen Schwankungen wenn man die Nachfrage nach Kindern mit der Nachfrage nach anderen langlebigen Konsumgütern vergleicht. Sie erklärt beobachtbare Unterschiede zwischen Quantität und Qualität von Kindern, und sie erklärt, warum Frauen auf dem Land mehr Kinder haben als Frauen in der Stadt.

Ich habe eine wichtige Implikation der Theorie im Detail geprüft, nämlich dass die Anzahl der gewünschten Kinder eine Relation des Einkommens ist. … Hält man das Wissen um die Verhütung von Kindern konstant, dann ergibt sich ein positiver Zusammenhang zwischen der Anzahl von Kindern und dem Einkommen …”(Becker, 1976: 193).

Mit Gary S. Becker ist einer der großen, innovativen und streitbaren Ökonomen gestorben.

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