Scheidung und Scheidungsfolgen – Viel Gerede und kein Wissen

Die elterliche Scheidung ist eines jener Themen, mit denen es sehr leicht möglich ist, emotionale Reaktionen auszulösen. Etwa so: Die Scheidung von Eltern kann für Kinder ein Segen sein oder so: Die Scheidung von Eltern hat insgesamt betrachtet keinerlei negative Folgen für die davon betroffenen Kinder. Oder auch so: Wenn elterliche Scheidungen negative Konsequenzen für Kinder haben, dann deshalb, weil Beobachter der Scheidung die von ihnen erwarteten Folgen an die Kinder herantragen, sie fortan als Scheidungskinder stigmatisieren.

Tatsächlich kommt Dr. habil. Heike Diefenbach in ihrer Dissertation zum Thema “Intergenerationale Scheidungstransmission in Deutschland”, die auf den umfangreichen Daten der Mannheimer Scheidungsstudie basiert, zu folgendem Schluss: “In etwas provokanter Formulierung lässt sich daher die Hypothese aufstellen, dass die elterliche Scheidung für ein Kind lediglich insofern langfristige Folgen hat als es von da an für den Rest seines Lebens mit dem Merkmal, ein Kind geschiedener Eltern zu sein, ausgestattet ist” (Diefenbach, 2000: 276).

HD ScheidungstransmissionScheidung hätte entsprechend einen sozialen Effekt wie z.B. eine Verurteilung wegen einer Straftat. Es erfolgt eine gesellschaftliche Stereotypisierung, wenn nicht Stigmatisierung schon weil nunmehr z.B. Lehrern bekannt ist, dass das Kind, das bislang nicht auffällig war und seine Aufgaben zuverlässig erledigt hat, nunmehr und als Folge einer Scheidung bei nurmehr einem Elternteil lebt, was dazu führt, dass dieses Kind besonderer Beobachtung unterzogen wird, einer besonderen Beobachtung deren Ergebnis darin bestehen kann, Besonderheiten bei diesem Kind zu beobachten, die zwar bereits vor der Scheidung vorhanden waren, nunmehr aber bemerkt und bedenklich gefunden werden. Dies ist dann der zweite Teil der Stereotypisierung, die sekundäre Stereotypisierung, die den entsprechenden Kindern als Scheidungsfolge durch ihre Umwelt aufgebürdet wird.

Warum ist das so? Weil eine Scheidung an einer Heilsvorstellung kratzt, die historisch verankert, katholischen Ursprungs und voller affektiver Ladung ist, heute mehr so als früher. Die Heilsvorstellung geht etwa wie folgt: Eine Ehe ist ein institutionalisiertes Arrangement zwischen zwei Menschen, die sich lieben und sich ausschließlich positiv begegnen. Die Ehe wird durch Kinder erhöht, quasi in den Zustand der gesellschaftlichen Heiligkeit versetzt und ist fortan eine Kleinfamilie, die nicht nur gut ist, sondern ausschließlich aus gutem Wirken besteht. Kinder sind in Kleinfamilien geborgen, wachsen behütet auf, werden zu guten und arbeitsamen Mitgliedern der Gesellschaft und kommen auf keine schlechten Pfade. Alles Unheil beginnt damit, dass die Heiligkeit der Familie durchbrochen wird, weil sich die Eltern scheiden lassen.

Unverbunden mit dieser Vorstellung familiärer Idylle stehen die Diskurse, die man eigentlich als Widerlegung dieser Vorstellung ansehen müsste: Die Diskussion über häusliche Gewalt, die Diskussion über vernachlässigte Kinder, die Diskussion über gescheiterte oder zerrüttete Familien, die Diskussion über die Transmission von Kriminalität in Familien und vieles mehr. Sie beschreiben die Realität, und entsprechend sind sie mit der Heilsvorstellung der guten und wichtigen Familie nicht zu vereinbaren, werden ausgelagert in die kalte Welt außerhalb der eigenen wohligen Phantasie.

Die Familie steht nicht nur unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes und seit Josef mit Esel und Maria durch die Wüste gezogen ist, auch unter dem Schutz von gelegentlich einfliegenden Engeln, sie steht auch unter dem Schutz von Wissenschaftlern, oder solchen, die sich dafür halten und die ihre Hauptaufgabe darin sehen, gesellschaftliche Stereotype zu reproduzieren.

Happy familiyDeshalb ist es für sie normal, von zerrütteten Familien zu schreiben, wenn das Faktum, das sie vor sich haben lediglich aussagt, dass ein Kind, das Kind geschiedener Eltern ist und bei einem Elternteil oder mit einem Stiefelternteil aufwächst. Man hat sich fast an derart dumme und unfundierte Einordnungen gewöhnt, die auf der ungeprüften Prämisse basieren, dass mit dem Akt vor dem Standesbeamten alle negativen Effekte aus der Welt von Familien verbannt werden, quasi von magisch-staatlicher Hand, die, sofern das staatlich vergebene Band der Familie gebrochen ist, mit voller Wucht zurückkehren, um nunmehr die Kinder zu treffen und vom rechten Pfad der Tugend abzubringen.

Und weil die schöne Idee vom Heil der Familie so weit verbreitet ist, ist es unter manchen Wissenschaftlern, vor allem solchen, die empirische Daten zur Verfügung haben, in denen der Familienstand erfragt wurde, normal geworden, die unterschiedlichen Familienstände mit allem und jedem zu korrelieren. Die höchste Weihe politischer Korrektheit erzielen dabei diejenigen, die Scheidung mit anderen negativen Effekten, die der Staatspaternalismus nicht wünscht, in Verbindung bringen. Adipositas ist so ein negativer Effekt. Staaten und ihre nachgeordneten Wasserträger haben nämlich beschlossen, dass sie Dicke nicht wollen, und deshalb wird massiv gegen Dicke agitiert, Adipöse, wie es politisch korrekt heißt.

In den Reigen der für Staatspaternalismus nützlichen Wissenschaftler haben sich unlängst Anna Biehl und fünf Ko-Autoren eingereiht. Sie haben untersucht, wie Scheidung mit Adipositas zusammenhängt. Und siehe da: Sie haben einen Zusammenhang gefunden: 1.54 Mal häufiger sind Kinder geschiedener Eltern adipös als Kinder nicht geschiedener Eltern. Genauere Analysen haben gezeigt, dass nur Jungen geschiedener Eltern adipöser sind als Kinder nicht geschiedener Eltern, während Mädchen geschiedener Eltern nicht adipöser sind als Mädchen nicht geschiedener Eltern.

Nun stellt sich die Frage, was solche Ergebnisse aussagen. Kann man daraus schließen, dass sich Eltern mit adipösen Jungen eher scheiden lassen als Eltern mit nicht-adipösen Jungen? Muss man daraus schließen, dass nach einer Scheidung Jungen gemästet und Mädchen ausgehungert werden? Oder ist es gar so, dass Jungen nach einer Scheidung ihren Kummer in Essen erkauen, während Mädchen sich dürr hungern vor Kummer, zumindest nicht adipös essen. Oder hat die Scheidung gar nichts mit der Dicke von Kindern zu tun, weil sich z.B. Eltern aus Schichten oder sozialen Netzwerken, in denen Adipositas häufiger zu finden ist als in anderen, eher scheiden lassen? Gibt es am Ende ein Gen, das nur Jungen haben und das nach einer Scheidung überessen auslöst?

Peanuts theologzAll diese Fragen kann man stellen, wenn man nicht die Überzeugung teilt, dass mit dem Ende der heiligen Institution der Ehe, alles vor die Hunde geht. Teilt man dagegen diese Überzeugung, dann stellen sich die Ergebnisse anders dar, dann kann man spekulieren, warum sich eine Scheidung, von der man zwar nicht weiß, ob sie es tut, aber von der man aus Gründen der Bequemlichkeit einfach einmal annimmt, dass sie es tut, sich negativ auf die von der Scheidung betroffenen Kinder, also die Jungen insofern auswirkt, als sie dicker werden, wobei auch die Behauptung, dass sie nach der Scheidung dicker werden, eine ungeprüfte Annahme ist, so dass man sich bei Untersuchungen wie der von Biehl et al. (2014) regelmäßig fragt, warum sich die Autoren überhaupt die Mühe machen, Daten zu erheben und Berechnungen durchzuführen. Denn: Sie hätten ihre Überzeugung, dass die elterliche Scheidung schlecht für Kinder ist, auch ohne die Daten formulieren können, und man hätte die Daten nicht einmal vermisst:

“One can speculate as to whether the changing structure of daily life has a large effect on the children of divorced parents (living with only one parent or spending half their time with the mother and/or the father). The loss of various resources, like the absence of one of the parents or the loss of a parental figure, usually the father, can explain the negative implications of divorce. A consequence might be less time for domestic tasks such as cooking and reliance on more convenient, ready-to-eat foods. As processed foods tend to be higher in fat and calories and lower in nutritional value the result is an altered, less healthy diet. The household income and support from any non-custodial parent or the welfare state is often lower than in corresponding non-disrupted families” (6).

Hätte, wäre, wenn – wir sehen hier einen typischen Vertreter der Junk-Science, die nur dazu dient, eine Überzeugung, die man hat, als Ergebnis zu präsentieren. Damit es nicht auffällt, dass man nichts anderes will, als die eigene Überzeugung legitimieren, wird so getan, als habe diese Überzeugung etwas mit Daten zu tun, was sie regelmäßig nicht hat, denn nirgends belegen die Autoren, dass Scheidung überhaupt einen Effekt auf Adipositas hat. Es handelt sich eben um Junk Science, deren einziger Zweck darin besteht, Paternalismus zu legitimieren und gesellschaftliche Heilsvorstellungen zu untermauern. Daher ist es sicher kein Zufall, dass derartige Junk Science in einem medizinischen Journal erscheint, in einem Journal der Profession, die von Paternalismus mit am meisten profitiert.

Wäre dies anders, die Autoren hätten sicher geprüft, ob nach einer Scheidung all dies als Folge eintritt, was sie im obigen Zitat phantasieren. Der Zweck von empirischer Sozialforschung besteht ja gerade darin, Ideen über einen Effekt oder einen Zusammenhang zu prüfen, nicht darin, eine willkürliche Korrelation aufzuzeigen und dann zu “spekulieren”, wieso sich die Korrelation, die gleich noch zur Kausalität erklärt wird, eingestellt hat.

Biehl, Anna, Hovengen, Ragnhild, Groholt, Else-Karin, Hjelmesaeth, Joran, Strand, Bjorn Heine & Meyer, Haakon E. (2014). Parental Marital Status and Childhood Overweight and Obesity in Norway: A National Representative Cross-sectional Study. Britisch Medical Journal Open access.

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