Manipulation durch Auslassung: Bildungsberichterstattung 2014

DestatisGerade hat das Statistische Bundesamt die Broschüre “Bildung in Deutschland 2014 veröffentlicht, eine deren Ziel darin besteht, “eine umfassende empirische Bestandsaufnahme” vorzulegen, “die das deutsche Bildungswesen als Ganzes abbildet …” (V). Erstellt wurde die Broschüre von einer “Autorengruppe”, die sich aus Mitgliedern des Deutschen Jugendinstituts (DJI), des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), des Soziologischen Forschungsinstituts an der Universität Göttingen (SOFI) und aus den Statistischen Ämtern des Bundes und der Länder zusammensetzt. Viele Köche haben also in diesem Bildungsbrei gerührt.

Um so erstaunlicher, dass eine Broschüre dabei herausgekommen ist, die an politischer Korrektheit nicht zu überbieten ist und deren Auslassungen an Geschichtsfälschung grenzen, in jedem Fall aber verhindern, dass die Broschüre auch nur in die Nähe einer “umfassenden empirischen Bestandsaufnahme” der Situation der Bildung in Deutschland kommt.

Um dies zu zeigen, muss man nur ein paar Daten vorwegschicken: 44% der weiblichen Schüler haben ihre Schulausbildung im Jahr 2013 mit einem Abitur, also einer Studienberechtigung abgeschlossen, im Vergleich zu rund 35% der männlichen Schüler. Gut 7% der männlichen Schüler sind im Jahre 2013 ohne irgend einen Abschluss geblieben, im Vergleich zu 5% der Mädchen. Merken Sie sich diese Daten, die die nach wie vor für Jungen im deutschen Bildungssystem bestehenden Nachteile deutlich zeigen, denn in der “umfassenden empirischen Bestandsaufnahme” der oben genannten Autorengruppe kommen diese Daten nicht vor.

Ganz im Gegensatz zu den schon ans Manische grenzenden Gepflogenheiten alle Daten, die dies erlauben, nach Geschlecht auszuweisen, findet sich im Abschnitt D7 “Schulabgänge und Schulabschlüsse” der “umfassenden empirischen Bestandsaufnahme” keinerlei Ausschlüsselung der Schulabgänger von Hauptschulen oder Gymnasien nach Geschlecht.

Seltsam.

Es wird umso seltsamer, wenn man bedenkt, was in der Broschüre alles nach Geschlecht aufgeschlüsselt ist:

  • Alleinerziehende,
  • pädagogisches Personal,
  • die Häufigkeit familiärer Bildungsaktivitäten,
  • Sprachförderungsbedürftige,
  • Lehrkräfte,
  • Freiwilliges Engagement von Neuntklässlern,
  • Studienberechtigung (nur in Prozent),
  • Jugendarbeitslosigkeit,
  • Übergangsquoten vom Gymnasium auf die Hochschule,
  • Personal an Hochschulen,
  • Kinder in Kindertagesstätten,
  • Anteil der Erwerbstätigen nach Bildungsabschluss,
  • Politisches Interesse nach Bildungsabschluss,
  • Disparitäten in Berufsausbildung und Studium.

Ist es nicht erstaunlich, welch abseitige Bereiche dem Autorenteam der Aufschlüsselung nach Geschlecht würdig erschienen sind, und welch wichtige Bereiche nicht? Und dies, obwohl in der “umfassenden empirischen Bestandsaufnahme” steht:

“Für die weitere Bildungs- und Erwerbsbiographie ist ein allgemeinbildender Schulabschluss eine wichtige Voraussetzung. Informationen über die Anzahl der Absolventinnen und Absolventen – d.h. derjenigen Schülerinnen und Schüler mit Hauptschul- oder höher qualifizierendem Abschluss … ermöglichen insofern eine Einschätzung der Qualifizierungsfunktion des Schulsystems (91).

Wer nun denkt, die Wichtigkeit des allgemeinbildenden Schulabschlusses für Absolventinnen und Absolventen habe eine entsprechende Auszählung der Schulabschlüsse nach Geschlecht zur Folge, der irrt sich. Die Ergebnisse, die wir diesem Text vorangestellt haben, kommen in der “umfassenden empirischen Bestandsaufnahme” nicht vor. Die Autorengruppe übt sich lieber in Ignoranz gegenüber einem Problem des deutschen Bildungssystems, das, wäre es invers, sähe es also mehr Mädchen ohne Abitur und Schulabschluss, sicher zu einem #Aufschrei führen würde. Aber es betrifft Jungen, deshalb wird es totgeschwiegen. Jungen sind offensichtlich in ihrer Mehrzahl als Arbeitstiere der Zukunft und nicht als Mausschubser in Verwaltungen vorgesehen.

Wer denkt, dass wir angesichts dieser Art von Fälschung durch Unterlassung angewidert sind, der denkt richtig.

Aber es wird noch besser. Gibt es doch ein Kapitel das mit “Chancengleichheit” überschrieben ist (212-214).

Hier gibt es so bemerkenswerte Aussagen wie:

“Junge Frauen haben zwar geringere Übertrittsquoten in eine betriebliche Ausbildung als junge Männer, gleichzeitig treten sie aber wesentlich häufiger in eine vollzeitschulische Ausbildung ein.

In Deutsch: Weil mehr Jungen als Mädchen ohne Abschluss bleiben bzw. keine Studienberechtigung erzielen, gehen mehr Jungen in eine betriebliche Ausbildung. Dagegen studieren mehr Mädchen als Jungen, weil deutlich mehr Mädchen (siehe oben) eine Hochschulreife erwerben. Wer noch nicht genug hat, es geht noch weiter:

dji“Während sich im allgemeinbildenden Schulwesen, aber auch in der beruflichen Ausbildung und im Studium für Frauen eine Erfolgsgeschichte zeigt und Frauen günstigere Bildungsbiographien aufweisen als Männer, stellt sich die Situation am Arbeitsmarkt deutlich anders dar. … Während im Beschäftigungsstatus durchaus günstige Entwicklungen für die Frauen im Beobachtungszeitraum zu erkennen sind, zeigt sich eine umgekehrte Entwicklung im Einkommen. Hier hat sich die Differenz im Nettoäquivalenzeinkommen in den letzten Jahren vergrößert. … Ein ähnliches Bild zugunsten der Männer ergibt sich beim Einkommensvergleich auf Basis des Bruttomonatseinkommens bei Vollzeiterwerbstätigkeit … : hier sind die Geschlechterdifferenzen bei Personen mit hohem Bildungsstand zum Nachteil der Frauen bzw. Vorteil der Männer am größten (213)”

Wenn also Jungen bei Bildungsabschlüssen und beim Zugang zu Universitäten weit hinter Mädchen zurückbleiben, dann ist dies eine Erfolgsgeschichte der Mädchen. Wenn Frauen zu faul sind, ihre Vorteile auch in eine Vollerwerbstätigkeit umzusetzen und sich lieber als Vollzeitmama vom Arbeitsmarkt verabschieden, dann ergeben sich daraus Nachteile für Frauen und Vorteile für Männer.

Und wem es noch nicht reicht bis hierhin, wer noch nicht den Drang verspürt, einen nach dem anderen der sogenannten Autorengruppe zu verprügeln oder ihm doch zumindest seine Verachtung auszusprechen, dem kann geholfen werden:

“Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass es über die verschiedenen Bildungsbereiche hinweg offenbar gelungen ist, die früheren Nachteile von Frauen in der Bildungsbeteiligung und im Bildungsstand … zu kompensieren. … Zu beobachten bleibt die Entwicklung der Jungen bzw. Männer in den Bildungsinstitutionen, insbesondere im allgemeinbildenden Schulsystem, in der beruflichen Ausbildung und in der Hochschulbildung. Zwar konnten im Schulsystem im unteren Leistungsbereich Verbesserungen bei den Jungen erzielt werden wie eine niedrigere Abgängerquote ohne oder mit Hauptschulabschluss, aber in der Erreichung der Hochschulugangsberechtigung geht die Schere zwischen Männern und Frauen, wenn auch nur leicht, so doch weiter auseinander” (214).

Manipulationsversuche leben in der Regel von der Verwendung wertender Adjektive und schwammiger Verben. Die Nachteile von Mädchen wurden “kompensiert”.

Die Kompensation folgt dem zweistelligen Funktor “Nachteile”, der ja ein “gegenüber” oder “im Vergleich zu” erfordert, also ein Nullsummenspiel darstellt, das zu Lasten von nicht-Mädchen gegangen ist. Die Nennung der Vergleichsgruppe wird vermieden, das Verb “kompensiert” ist dabei sehr nützlich, suggeriert es doch, Mädchen hätten den Abstand zu einer Vergleichsgruppe aufgeholt, nicht mehr. Dass Jungen erhebliche Nachteile haben, weil sie seltener ein Abitur erreichen als Mädchen, wird durch den Einschub “wenn auch nur leicht”, für den es weder eine Notwendigkeit, noch eine andere Funktion als Verniedlichung gibt, kurzerhand weggeschrieben und dass deutlich mehr Jungen als Mädchen auf Haupt- und Sonderschulen zu finden sind und mit oder ohne Hauptschulabschluss in ihre Berufskarriere entlassen werden, wird gleich ganz in Abrede gestellt, denn bei den Jungen wurden Verbesserungen erzielt, im unteren Leistungsbereich. Dass auch hier fehlt, im Vergleich zu was, die Verbesserungen erreicht wurden, ist sicher kein Zufall.

Autorengruppe Bildungsbericht 2014Derartige Pamphlete verursachen Übelkeit, und man fragt sich unwillkürlich, was sind das für Menschen, die an so etwas mitwirken. Können sie, ob ihres vollständigen Mangels an Empathie mit Jungen, überhaupt als Menschen gewertet werden? Oder sind sie einfach nur Instrumente eines vorgegebenen politisch korrekten Zeitgeistes, der mit Anstand und Moral nicht vereinbar ist und bei denen, die sowohl Anstand als auch Moral besitzen, zu nichts anderem führen kann als Verachtung? Damit den an der Autorengruppe Mitwirkenden auch die angemessene Verachtung zuteil werden kann, haben wir sie in der Abbildung am rechten Rand verewigt.

P.S.

Das vorliegende Pamphlet, das auch als Bildungsbericht 2014 bezeichnet wird, bleibt entsprechend weit hinter seinem Vorgänger dem Bildungsbericht 2012 zurück, in dem zwar auch versucht wurde, die Nachteile von Jungen zu verniedlichen, aber in dem sie doch immerhin noch genannt wurden.

Da spätestens seit wir “Bringing Boys Back In” veröffentlicht haben, der Öffentlichkeit bekannt ist, dass Jungen im deutschen Bildungssystem erhebliche Nachteile gegenüber Mädchen haben, fragt man sich, durch welche Form psychologischer Pathologie die Auslassung der Beschreibung der Realität im deutschen Bildungssystem, etwa so: Jungen erwerben seltener ein Abitur als Mädchen oder so: Jungen finden sich öfter auf Sonderschulen wieder als Mädchen, verursacht wird. Offensichtlich ist der Autorengruppe die Pflege dieser Pathologie so wichtig, dass sie es in Kauf nehmen, dass die informierte Öffentlichkeit die entsprechenden Autoren mit Kopfschütteln und Verachtung betrachtet und sich wie wir fragt, aus welchem Abgrund menschlischer Störung dieser Hass auf die Bevölkerungsgruppe der Jungen gespeist wird.

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