Koblenzer Forscher bringen das Wort “Mann” nicht über sich

Obdachlosigkeit oder Wohnungslosigkeit, wie es heute heißt, ist ein Problem, das diejenigen, die es betrifft, vermutlich nicht lustig finden werden. Wer gezwungen ist im Obdachlosenasyl oder in sonstigen Anlaufstellen, die Schlafraum, aber eben keinen Wohnraum zur Verfügung stellen, Unterschlupf zu suchen, dem fehlt – trotz aller Clochard-Romantik, die vornehmlich von Leuten versprüht wird, die in Hotels und nicht im Obdachlosenasyl oder unter der so oft beschworenen Brücke absteigen, ein wesentlicher Bestandteil eines vollwertigen Lebens.

Obdachlosigkeit ist in Deutschland ein Thema, von dem Wissenschaftler nichts wissen wollen, obwohl die Erforschung sozialer Probleme, doch angeblich so viele bewegt. Nun ist Obdachlosigkeit eine Angelegenheit, bei deren Beschäftigung man genötigt sein könnte, den Schutzraum des eigenen Büros zu verlassen und am Ende noch Kontakt mit Obdachlosen aufzunehmen. Das mag einiges erklären.

Wir haben in der Vergangenheit bereits darüber berichtet, wie sehr, das Thema “Obdachlosigkeit” von denen, die sich als Ungleichheitsforscher sehen, links liegen gelassen wird.

ObdachlosenasylNur wenige Ausnahmen gibt es zu berichten und die Ausnahmen, die es zu berichten gibt, zeigen eines: Obdachlosigkeit ist vornehmlich für Männer ein Problem: zwei Drittel der Obdachlosen sind männlich. Angesichts der miserablen Datenlage des sozialen Problems “Obdachlosigkeit”, für das sich nicht einmal die Wissenschaftler interessieren, die durch Kreuzzüge gegen Armut und Hartz IV auffallen, ist es erfreulich, dass an der Hochschule Koblenz ein Forschungsprojekt zum Thema Obdachlosigkeit durchgeführt wurde.

Es ist auch erfreulich, dass sich die Projektverantwortlichen Prof. Dr. Robert Frietsch, Dirk Holbach und Sabine Link getraut haben, mit 161 obdachlosen Menschen “sehr ausführliche persönliche Gespräche” zu führen, die durch Interviews mit “58 Experten…, die in Hilfseinrichtungen und Jobcentern tätig sind”, ergänzt wurden.

Nicht erfreulich ist jedoch die Darstellung eines Problems, dessen männliche Dominanz man kaum leugnen kann, oder doch?

Hochschule Koblenz“Die Ergebnisse”, so berichtet Dirk Holbach, “zeichnen vielschichtige Bilder der Lebensumstände wohnungsloser Menschen”. In Deutsch heißt dies, es ist nicht gelungen, ein oder doch wenige einheitliche Themen zu finden, die den Weg in die Obdachlosigkeit determinieren. Wann immer die Ergebnisse zu diffus sind, als dass man sie zusammenfassen könnte, reden überforderte Wissenschaftler entsprechend von “vielschichtigen Bildern”, Ergebnissen oder Entwicklungen. Weiter im Text: “Auch” in Rheinland-Pfalz, so erfahren wir, liegt das Durchschnittsalter inzwischen bei 35 Jahren, gar jeder vierte ist jünger als 25 Jahre”. Gemeint ist das Durchschnittsalter obdachloser Personen. Worauf sich das “auch” bezieht, ist unklar. Aber: “Besorgnis erregend”, so findet Sabine Link, “ist auch [wieder so ein bezugsloses auch] der kontinuierlich steigende Anteil der Frauen, der jetzt schon 25 Prozent beträgt”.

Anmerkung unsererseits: Die drei Koblenzer Wohnungslosenforscher haben 161 Wohnungslose und 58 Experten bis Ende Mai 2014 befragt. Wie man auf Grundlage dieser Daten einen Trend, einen kontinuierlich steigenden Anteil ermittelt haben will, ist uns ein Rätsel, aber vermutlich hat ein Experte gesagt, dass der Anteil von Frauen ansteigt, fast so gut wie empirische Daten – oder?

Geeigneter Wohnraum ist der erste Schritt auf dem Weg aus der Obdachlosigkeit, so erfahren wir weiter und fangen langsam an uns zu fragen, ob dieses Forschungsprojekt ein schlechter Witz ist, denn dass Reichtum das beste Mittel gegen Armut ist, kann man auch herausfinden, ohne ein Forschungsprojekt durchzuführen. Aber es kommt noch besser:

“Vielfältig und verwoben [ oder vielschichtig; !sic] sind die Problemlagen, in denen die Wohnungslosen stecken: Alkoholsucht, langjährige Arbeitslosigkeit, niedriger Schulabschluss, Überschuldung, Tod enger Bezugspersonen, traumatisierende Gewalterfahrungen – vor allem bei Frauen. Gerade bei den Jüngeren liegt häufig nur ein niedriger Schulabschluss vor. Dazu kommen oft Hafterfahrungen, auch wegen Bagatelldelikten wie zum Beispiel „Schwarzfahren“.

Und weiter:

„Angesichts der vielschichtigen [!sic] Problemlagen der Betroffenen ist es nötig, dass Fachleute der verschiedenen sozialen, medizinischen Bereiche und vor allem auch der Jobcenter kooperieren und sich gemeinsam um die Lösung der einzelnen Probleme kümmern“, weiß Frietsch, „nur so ist eine Rückkehr der Betroffenen in die Gesellschaft mit gesichertem Wohnraum möglich.“

In Punkto Floskeln ist den Koblenzer Forschern der einfache Kleindiek sicher. Die zwischenzeitlich vielschichten Problemlagen erfordern entsprechend ganz viele Fachleute, die sich gemeinsam oder getrennt den Kopf über die Obdachlosen zerbrechen, die besorgniserregender Weise und steigend zu 25% weiblich sind, und alkoholsüchtig und arbeitslos und traumatisiert durch Gewalterfahrungen, “vor allem bei Frauen”, und wegen Schwarzfahren ins Haft kommen, aber doch nur mit einem Mittel in die Gesellschaft re-integriert werden können: mit gesichertem Wohnraum.

Es ist natürlich Unfug zu behaupten, dass Schwarzfahren zu einer Haftstrafe führt. Erst wenn Vorstrafen dazu kommen, die bereits bei der letzten Verhandlung nur mit erheblicher richterlicher Nachsicht in eine Strafaussetzung zur Bewährung gemündet sind, kann ein Schwarzfahren das berühmte Fass zum Überlaufen bringen.

MannUnd hier reicht es, hier ist endgültig der Punkt, an dem wir von diesen angeblichen Forschern genug haben. Sie bringen es im Verlauf ihrer Pressemeldung, die 460 Worte umfasst, nicht über sich, den Begriff “Männer” oder “Mann” auch nur einmal zu verwenden, dagegen wird nicht versäumt darauf hinzuweisen, dass besorgniserregender Weise 25% der Obdachlosen weiblich sind und traumatisiert wegen Gewalterfahrungen und ansonsten sind die Ergebnisse zu vielschichtig, um im Detail berichtet zu werden.

Wozu finanziert man solche Forschung? Wozu lässt man Forscher wie Frietsch, Holbach und Link auf die Welt los? Wozu gibt man ihnen die Mittel, um ein wichtiges Thema zu erforschen, wenn alles, was dabei herauskommt, zu vielschichtig ist, um berichtet werden zu können und zu vielschichtig, um konkrete Hilfe zu ermöglichen, aber gleichzeitig und angeblich dennoch durch eine einzige Lösung beseitigt werden kann, wenn man als Leser damit verulkt wird, dass das beste Mittel gegen Obdachlosigkeit die Bereitstellung von Wohnraum ist und ansonsten dabei zusehen muss, wie Forscher derat gehemmt, feige und politisch korrekt sind, dass ihnen an keiner Stelle über die Lippen oder die Tastatur kommt, dass Obdachlosigkeit ein männliches Phänomen ist.

Deshalb zum Üben:

  • Obdachlosigkeit ist ein männliches Phänomen.
  • Besorgniserregende 75% der Obdachlosen sind Männer.
  • Viele davon sind Alkoholiker (und haben vielleicht ein Gewalttrauma, aber niemand fragt sie).
  • Viele davon sind überschuldet, darunter die meisten aufgrund einer Scheidung, ja, auch das darf man sagen.

Bei diesen vier Punkten wollen wir es belassen, sonst wird die Aufgabe zu vielschichtig für die Koblenzer, und wir wollen ja, dass sie etwas lernen. Man darf die Wahrheit aussprechen, nein, als Forscher MUSS man die Wahrheit aussprechen, sonst ist man die Zahl nicht wert, die auf dem monatlichen Lohnstreifen steht und sich der Verachtung der ScienceFiles-Betreiber sicher.

Und am besten die Koblenzer Forscher wiederholen die Ergebnisse:

  • Obdachlosigkeit ist ein männliches Phänomen.
  • Besorgniserregende 75% der Obdachlosen sind Männer.
  • Viele davon sind Alkoholiker (und haben vielleicht ein Kindheitstrauma, aber niemand fragt sie).
  • Viele davon sind überschuldet, darunter die meisten aufgrund einer Scheidung, ja, auch das darf man sagen.
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