Im Zweifel ist der Markt schuld: Europa, Ukraine, Russland und Verantwortung

AepfelMarkt und Marktwirtschaft haben in Deutschland einen schweren Stand, und zwar aus mindestens zwei Gründen: Die allgegenwärtige Rede der Ökonomisierungen von dies und jenem vermittelt den Eindruck, alles werde von Marktgesetzen, von Angebot und Nachfrage geregelt, eine Annahme, die sehr leicht als Unsinn auszuweisen ist. Wären es Marktregeln, die umfassend gelten würden, dann gäbe es keine Genderlehrstühle an Universitäten, dann gäbe es kein Berufsbeamtentum, dann gäbe es keine Subventionierung von Kinderbesitz, dann gäbe es Wettbewerb zwischen Schulen, und zwar darum, wer die beste Bildung bereit stellt, es gäbe Wettbewerb zwischen Pflegeheimen darum, wer die beste Pflege bereit stellt, und vor allem gäbe es keine Finanzierung politischer Institutionen, deren einziger Zweck darin besteht, die Bevölkerung zu indoktrinieren, unter dem Deckmantel der politischen Bildung und in der Verkleidung einer angeblichen politischen Stiftung.

Der zweite Grund dafür, dass Markt und Marktwirtschaft in Deutschland einen schweren Stand haben, besteht darin, dass es bei Politikern Mode geworden ist, die Verantwortung für ihr Handeln auf den Markt abzuschieben. Das ist sehr wirkungsvoll, denn es gibt eine Reihe Leichtgläubiger, die nur zu gerne den Markt verantwortlich machen – ohne in der Regel zu wissen, was der Markt eigentlich ist.

Wer hat sich jemals überlegt, ob das, was er unter Markt versteht, auch das ist, was der nächste, der über den Markt spricht, unter Markt versteht? Markt ist vielleicht der Begriff, der heute am meisten missbraucht wird, um alles, was einem nicht passt, zu subsumieren, als neoliberale Marktpolitik zu diskreditieren.

Hayek fuer jedernammDabei beschreibt das Wort Markt in seiner ökonomischen Bedeutung ein Ordnungsprinzip, das darin besteht, wie es z.B. Hayek ausgeführt hat, dass der Preis eine Funktion von Angebot und Nachfrage ist und beide, Angebot wie Nachfrage über die Katallaxie des Marktes reguliert werden. Sprich: Wenn ein Kilo Äpfel mehr Gewinn einbringt als ein Kilo Kartoffeln, dann werden mehr Äpfel angebaut. Wenn als Folge zu viele Äpfel angebaut werden, sinkt der Preis, sofern die Nachfrage nicht im selben Maße wie das Angebot steigt, und es werden wieder weniger Äpfel angebaut. Die historische Bedeutung von Markt verweist auf dieses Ordnungsprinzip, denn ein Markt bezeichnet einen Ort, an dem Anbieter und Nachfrager zusammenkommen, um miteinander zu handeln.

Mehr bezeichnet Markt nicht, aber es reicht ja auch, denn: Das Ordnungsprinzip des Marktes ist im täglichen Leben, selbst in den Bereichen, in denen niemand auf die Idee käme, einen Markt zu vermuten, allgegenwärtig. Nehmen wir z.B. den Markt für Nachwuchs und hier vor allem die Möglichkeit der In-vitro-Fertilisation (ivF): Ärtze bieten das Produkt der künstlichen Benachwuchsung gegen hohe Gebühren an, was eigentlich eine geringe Nachfrage und fallende Preise zur Folge hätte, gäbe es nicht Krankenkassen, die bereit sind, die hohen Gebühren für die desperat-Kinderlosen zu übernehmen und auf diese Weise die Kosten hochzuhalten.

Das Beispiel von Krankenkassen, die Märkte und deren Ergebnisse beeinflussen und das Regulationsprinzip von Märkten, den Preis, dabei zerstören, was letztlich auch den Markt zerstört, lässt sich beliebig fortsetzen. Vor allem die Landwirtschaft ist ein Beispiel dafür, wie man Marktmechanismen beseitigt und über Subventionen bewirkt, dass landwirtschaftliche Produkte zu weit höheren Preisen gekauft werden müssen, als sie es müssten, gäbe es einen Markt. Und die Landwirtschaft ist das Beispiel, an dem der Missbrauch des Begriffs “Markt” besonders deutlich gemacht werden kann.

So tut sich Landwirtschaftsminister Christian Schmidt derzeit als Apfel-Botschafter hervor, der kauend durch die Lande zieht und andere zum Genuss von Äpfeln, von mehr, am besten von vielen Äpfeln anregen will. Warum? Darum:

“Unser Ziel mus es sein, den Schaden für die Betroffenen in Grenzen zu halten und zugleich neue Märkte und neue Absatzregionen zu erschließen, damit Marktrisiken künftig noch besser abgefedert werden”.

Marktrisiken sind nämlich, das will uns Christian Schmidt hier glauben machen, dafür verantwortlich, dass Apfelbauern vorhersehbar auf einem Teil der für 2014 erwarteten, guten Ernte sitzen bleiben. Marktrisiken sind etwas, was immer in Mehrzahl, nie in Einzahl auftritt. Das Marktrisiko findet sich bestenfalls in ökonomischen Texten, nicht jedoch in Aussagen von Politikern, deren Ziel wohl darin besteht, den Markt als Ausgeburt von Risiken darzustellen.

Dabei kennt der Markt nur ein einziges Risiko: Anbieter verschätzen sich mit Blick auf die Höhe der Nachfrage, produzieren entsprechend zu viel und müssen ihre Produktion zu geringeren Preisen als kalkuliert abgegen oder, wenn es ganz schlecht läuft: Sie bleiben auf einem Teil ihrer Produktion sitzen (oder umgekehrt: Nachfrager verschätzen sich im Hinblick auf eine Preisentwicklung).

Genau dieses Risiko ist in der Landwirtschaft, in der die EU die Abnahme dessen garantiert, was angebaut wird, ausgeschlossen. Entsprechend gibt es in der Landwirtschaft im Allgemeinen und beim Apfelanbau im Speziellen keinen Markt. Wenn es keinen Markt gibt, von welchen Risiken fabuliert dann Christian Schmidt.

Deceibe infeigle obfuscateDie Marktrisiken von Christian Schmidt sind “Auswirkungen des russischen Importembargos für Agrarprodukte”. Schmidts Marktrisiken sind also Ergebnis politischer Entscheidung, eine Sicht der Dinge, die ihn als entweder bar jeglicher Kenntnis, selbst rudimentärer Kenntnis über das Ordnungsprinzip Markt und Märkte ausweist, was nicht schlimm ist, ihn aber davon abhalten sollte, sich zu Dingen zu äußern, von denen er so gar keine Ahnung hat. Oder Schmidt will gezielt sein Auditorium täuschen und so tun, als wären die Absatzprobleme der Apfelbauern nicht das Ergebnis politischer Entscheidungen, sondern das Ergebnis des bösen Marktes, der sich neuerdings gegen die Apfelbauern verschworen hat.

Wir sind uns nicht sicher, ob Schmidt mit seinem Versuch, die Verantwortung von Politikern eben einmal auf den Markt zu verlagern, eine große Zahl von Bürgern täuschen kann, in jedem Fall hier die Kausalitätskette in aller Kürze:

Irgend etwas, was niemand so richtig überblickt, was aber viele Experten auf den Plan gerufen hat, die genau zu wissen meinen, was vor sich geht, geht derzeit in der Ukraine vor sich. Die Europäische Union, vermutlich in ihrer Funktion als Träger des Friedensnobelpreises, weiß, wer für die unübersichtliche Lage verantwortlich ist und hat Sanktionen gegen Russland verhängt. Der Präsident Russlands, den man auch vor den Sanktionen als Mann der Tat gekannt hat, hat dies zum Anlass genommen, seinerseits ein Importembargo auf Agrarprodukte, vornehmlich Äpfel und Kohl legen zu lassen.

Das beschreibt “die Marktrisiken”, von denen Landwirtschaftsminister Schmidt spricht. Wir lernen: Wenn Politiker etwas entscheiden, was positive Effekte hat, dann sind das positive Effekte einer Entscheidung durch Politiker. Wenn Politiker etwas entscheiden, was negative Effekte hat, dann sind die negativen Effekte das Ergebnis von Marktrisiken.

Wie viele Dumme und Leichtgläubige mag es wohl geben, die sich nur zu gerne von Politikern wie Herrn Schmidt täuschen lassen?

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