Notdurft-Kultur: Pinkeln als politisches Programm
Wir haben schon seit einger Zeit den Eindruck, dass gängige Definition davon, was politische Parteien sind, nicht mehr stimmen. Prinzipiell kann man derzeit zwei Definitionsstränge unterscheiden: deskriptive und normative. Erstere gehen von dem aus, was Parteien tatsächlich tun und sind und verallgemeinern Parteien entsprechend als z.B. Karrierepfade für Personen, die über ein politisches Amt zu einem einträglichen Gehalt kommen wollen. Normative Bestimmungen dessen, was Parteien sind, gehen von einer (ebenfalls normativen) Demokratietheorie aus und bestimmen Partei entsprechend normativ als Ansammlung von funktionalen Einheiten, die benötigt werden, um eine (ideale) Demokratie zum Laufen zu bringen und aufrecht zu erhalten.
Irgendwie gehen alle Definitionen von Partei davon aus, dass in Parteien Interessen aus der Bevölkerung aufgenommen, gebündelt, modifiziert, mit Bürgern diskutiert und vertreten werden, dass, mit anderen Worten, ein Austausch zwischen Parteien und Bürgern stattfindet, eine Interaktion in Form gegenseitiger Beeinflussung. Die gegenseitige Beeinflussung ist insofern ein zentrales Element, weil es eines der Kriterien ist, die ein demokratisches von einem totalitären Parteiensystem unterscheiden, da in Letzterem z.B. eine Partei vorgibt, was zu geschehen hat und kein Austausch mit den Bürgern stattfindet.
Erste Zweifel an dieser Gegenseitigkeit der Beeinflussung und damit an der Qualifikation des deutschen Parteiensystems als demokratisch ergeben sich, wenn man den Absatz 2 des Paragraphen 1 des Parteiengesetztes liest:
“(2) Die Parteien wirken an der Bildung des politischen Willens des Volkes auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens mit, indem sie insbesondere auf die Gestaltung der öffentlichen Meinung Einfluß nehmen, die politische Bildung anregen und vertiefen, die aktive Teilnahme der Bürger am politischen Leben fördern, zur Übernahme öffentlicher Verantwortung befähigte Bürger heranbilden, sich durch Aufstellung von Bewerbern an den Wahlen in Bund, Ländern und Gemeinden beteiligen, auf die politische Entwicklung in Parlament und Regierung Einfluß nehmen, die von ihnen erarbeiteten politischen Ziele in den Prozeß der staatlichen Willensbildung einführen und für eine ständige lebendige Verbindung zwischen dem Volk und den Staatsorganen sorgen.”
Mitwirkung und Einflussnahme auf die “Gestaltung der öffentlichen Meinung” sind nicht miteinander vereinbar, denn die Mitwirkung sieht Parteien auf der gleichen Ebene wie z.B. Klaus Peter Wurst, während die Einflussnahme auf die “Gestaltung der öffentlichen Meinung” Parteien bereits erhöht, sie zu Super-Bürgern, zu politischen Besserwissern mit mehr Einfluss macht, die – ganz im Gegensatz zu der Behauptung, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht – Anspruch erheben, eine Führungs- und Leitungsfunktionen ausüben und ausfüllen zu können.
Auch die Tatsache, dass ausgerechnet Parteien eine Bildungsinstitution für “zur Übernahme öffentlicher Verantwortung befähigter Bürger” sein sollen, passt nicht zum angeblich vorhandenen und von Parteien angeblich geschätzten mündigen Bürger: Was ist von einem mündigen Bürger zu halten, der von Parteien beeinflusst werden kann und von Parteien ausgebildet werden muss, um für die Übernahme öffentlicher Verantwortung geeignet zu sein? Die Rollenzuschreibung, die als Prämisse hinter §1 Abs. 2 des Parteiengesetzes steht, sieht vielmehr Parteien als eine Art konkurrierender Götter, die ihre Menschen nach ihrem Ebenbild formen.
Und genau das ist es, was wir alltäglich erleben, wenn Politiker für “uns” sprechen, wissen, was “wir” wollen, versuchen, Bürger in die richtige Richtung zu schubsen oder in ihrer Funktion als Beeinflusser der öffentlichen Meinung ganz eminent wichtige Dinge verbreiten und Bürgern zum Fressen geben, wie z.B. die Einrichtung einer Unisex-Toilette in Berlin Tiergarten.
Die wichtige Errungenschaft “Unisex-Toilette”, die durch den Austausch des Schildes an der Toilette erreicht wurde, ist ein Meilenstein der politischen Kultur in Deutschland, den wir den Piraten verdanken, die als neue Partei neuen Wind in das Berliner Abgeordnetenhaus gebracht hat, ein neuer Wind, anhand dessen man sehen kann, wie die vermeintliche demokratische Kultur in Deutschland funktioniert: nicht etwa über Interessenagglomeration, nicht etwa darüber, dass politische Nachfrage von Bürgern durch Parteien aufgenommen wird, nein dadurch, dass eine kleine Gruppe, die sich auf Toiletten mit Verhaltensstudien zu beschäftigen scheint, Dinge für relevant hält, auf die ein Normalbürger nie gekommen wäre.
Diese relevanten Dinge lesen sich in Drucksache 17/1554 vom 26. März 2014 des Abgeordnetenhauses Berlin und dem darin wiedergegebenen Antrag der Piratenfraktion zur Beseitigung von “Hürden im Alltag”, was wiederum durch die Einrichtung von “Unisextoiletten in öffentlichen Gebäuden” erreicht werden soll, wie folgt:
“Der Toilettenbesuch in öffentlich zugänglichen Räumen stellt Inter*- und Trans*-Personen vor große Herausforderungen: Die Unterscheidung von Toiletten nur nach Männern und Frauen benachteiligt Menschen, die sich entweder keinem dieser beiden Geschlechter zuordnen können oder wollen oder aber einem Geschlecht, das sichtbar nicht ihrem biologischen Geschlecht entspricht. Dieser Zwang zur Entscheidung bei Toilettenbesuchen hat eine große Bedeutung für den Alltag der Betroffenen. Trans*-Personen, deren Geschlecht sichtbar nicht ihrem biologischen Geschlecht entspricht, müssen sich bei jedem Gang zur Toilette entweder dem Geschlecht ihres Körpers zuordnen oder sich dem Risiko aussetzen, auf der anderen Toilette als „fremde Eindringlinge“ wahrgenommen und konfrontiert zu werden.”
Es ist schon erstaunlich, welche “Herausforderungen” das tägliche Leben bereit hält, Herausforderungen, die die entsprechenden Personen bis hinter die geschlossene Tür einer Toilette verfolgen, oder soll man dem Antrag entnehmen, dass Inter* und Trans*-Personen in aller Öffentlichkeit ihr jeweiliges Geschäft verrichten? Wie dem auch sei, der Antrag der Piraten ist natürlich begründet, denn, wie jeder weiß, es häufen sich in öffentlichen Gebäuden die Vorfälle die bereits unter dem Stichwort “Loo-Transgression” diskutiert werden, also das Einfallen unbefugter Personen in die jeweilige geschlechtliche Monokultur, die sich hinter Toilettentüren und geschützt durch diese zu entfalten können glaubt. Entsprechend wichtig ist es, dass Parteien wie die Piraten sich nicht nur für die politische, sondern auch für die Notdurft-Kultur stark machen:
“Daher ist es geboten, in öffentlichen Gebäuden zusätzlich Unisextoiletten einzurichten. Denn geschlechtsneutrale stille Örtchen erleichtern den Alltag von Trans*- und Inter*-Personen. Unisextoiletten erfordern keine Selbstkategorisierung in das binäre Geschlechtersystem für die Betroffenen. Zudem regen sie alle Besucher*innen öffentlicher Gebäude dazu an, über Geschlechtertrennungen im Alltag nachzudenken.”
Hier sehen wir, wie politische Parteien die öffentliche Meinung selbst auf Toiletten zu beeinflussen versuchen. Wer bislang dachte, er gehe einfach nur auf die Toilette, der soll nunmehr reflexiv pinkeln, sich dabei seiner nicht vorhandenen Probleme bewusst werden, damit er ein Verständnis darüber erreicht, wie es für ihn wäre, wenn er diese Probleme hätte. Wir sehen damit eine alte Diskussion wiederbelebt, die in der Anthropologie vor bald einem Jahrhundert in der Frage von E. E. Evans-Pritchard ihren Niederschlag gefunden hat: “Wenn ich ein Pferd wäre, würde mir dann Heu schmecken?”. Die neue Variante lautet: Wenn ich ein Trans* oder ein Inter* wäre, würde ich dann anders pinkeln?
Derartige reflektive Tätigkeiten sind in hohem Maße der Notdurft-Kultur und über die Notdurft-Kultur der politischen Kultur förderlich, und entsprechend ist es wichtig, dass politische Parteien die öffentliche Meinung über die Art und Weise, wie Inter* und Trans* pinkeln, formen, beeinflussen und in die richtige Richtung schubsen. Es gibt schließlich nichts Wichtigers zu tun.
Das bringt uns zurück zur Notwendigkeit, Definitionen davon, was Parteien sind, welchen Zweck sie verfolgen und was ihre Aufgaben sind, zu erweitern. Wir schlagen folgende Erweiterung vor: Die Aufgabe politischer Parteien ist es insbesondere, die Bevölkerung in den diversen Techniken der körperlichen Erleichterung zu bilden, wobei in der Bevölkerung vor allem ein Bewusstsein dafür geschaffen werden muss, dass Menschen, die sich nicht ihrem körperlichen Geschlecht zuordnen wollen, anders pinkeln.
Derzeit prüfen wir zudem, ob man Parteien als Organisationen definieren muss, die die Normalverteilung, die z.B. die Verteilung von Intelligenz in einer Bevölkerung beschreibt, in Frage stellen und die rechtsschiefe Verteilung als für Parteien gültigen Intelligenz-Standard festschreiben.
Danke an Rundertischdgf, der auf diesen Unisex hingewiesen hat.
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Neben der politischen Aussage wirft der Originalbericht der B.Z. Berlin für mich einige Fragen auf.
Bedeutet das jetzt, dass es keine dedizierte Männertoilette mehr gibt? Muss ich eine andere Notdurft-Einrichtung aufsuchen wenn es nicht pressiert? Und wenn es doch pressiert ich aber “xenophob” bin… Vermutlich gehören xenophobe Männer sowieso zu den Unerwünschten auf die keine Rücksicht genommen werden muss.
Hat dies auf Haunebu7's Blog rebloggt.
Hat dies auf rundertischdgf rebloggt und kommentierte:
Pinkeln als politisches Programm? Wir fragen den Bürger in Brandenburg und Thüringen, wählst Du diese Parteien am kommenden Sonntag, die aus der Notdurft Kultur machen? Noch hast Du die Chance, Dich zwischen Idiotismus und Vernunft zu entscheiden.
Im Zusammenhang mit Toiletten ist bei mir “Wind” eindeutig “besetzt”.
Zwei DImensionen hat dies:
1. Die geschlechterspezifische Vereinheitlichung des Pinkelns. Ich warten auf den Tag, an dem auf den Unisex-Toiletten eine allgemeine Sitzpinkel-Vorschrift erlassen wird. Unisex wäre dann ZwangsfemInisierung, das Männliche wäre nur noch negativ anwesend als das Auszuschließende – was ja in den gender-Studies ohnehin schon der Fall ist… aber entspricht das nicht einer gewissen Hausfrauentradition (zur Erinnerung: Steinzeit, Mann Jäger, Frau putzt Höhle und so): Mann ist schmutzig und muss gesäubert werden, ehe Mann in den von Frau beherrschten Innenraum der von ihm gebauten und geschützten Häuser darf? Und was anderes sind Feminismus und Genderismus als eine Wiederholung dieses primitiven, stereotypen Uralt-Musters?
2. Die Aufwertung des Banalen zum Bedeutenden. In den Zeiten der Friedensbewegung starteten alle möglichen Leute alle möglichen Aktionen für den Frieden. Ein satirisch veranlagter Bekannter hängte sich ein Schild um, auf dem stand: “Ich atme für den Frieden.” Die Friedies nahmen das ernst und schlossen sich zu Friedens-Atmungs-Meditationsrunden zusammen. Er war, bis er sich verabschiedete, ihr Guru (seinem, Sexleben hats angeblich genützt). Ich bastelte mir daraufhin ein Schild, auf dem stand: Ich sch..ße für den Frieden. Ich muss gestehen: Mein Takt- und Schamgefühl verboten mir dann doch, so aus dem, Haus zu gehen. Heute bereue ich diese damalige Feigheit manchmal. Womöglich wäre ich auch Guru
einer neuen Religion geworden. Obwohl, wenn ich mir das so vorstellen wen dann alle um mch herum plötzlich gesch….en hätten, vielleicht bereue ich es doch nicht.
Immerhin: Klein Genderli hat nun das Pinkeln entdeckt. Gratulation!
http://www.berliner-kurier.de/kiez-stadt/hu-professorin-fordert–beschneidung-bei-maedchen-soll-erlaubt-werden,7169128,28384580.html?google_editors_picks=true
Ist zwar OT, passt aber zu Berlin.
Dachte ich bisher, die Beschneidungsdebatte tangiert nur heranwachsende Männer, so stelle ich fest, gewisse Professorinnen sehen darin wieder irgendeine Art von Diskriminierung wenn der Staat nur erlaubt, männliche Babys und Heranwachsende im Namen irgendeiner Wüstenreligion zu verstümmeln, nein, der Staat soll auch die Verstümmelung im Genitalbereich von Mädchen erlauben. Don`t ask..
Weder kann ich frohlocken oder einen Kübel voll Häme ausschütten über so ein Auftreten, ich bin einfach sprachlos…
“Der Toilettenbesuch in öffentlich zugänglichen Räumen stellt Inter*- und Trans*-Personen vor große Herausforderungen: Die Unterscheidung von Toiletten nur nach Männern und Frauen benachteiligt Menschen, die sich entweder keinem dieser beiden Geschlechter zuordnen können oder wollen oder aber einem Geschlecht, das sichtbar nicht ihrem biologischen Geschlecht entspricht. Dieser Zwang zur Entscheidung bei Toilettenbesuchen hat eine große Bedeutung für den Alltag der Betroffenen. Trans*-Personen, deren Geschlecht sichtbar nicht ihrem biologischen Geschlecht entspricht, müssen sich bei jedem Gang zur Toilette entweder dem Geschlecht ihres Körpers zuordnen oder sich dem Risiko aussetzen, auf der anderen Toilette als „fremde Eindringlinge“ wahrgenommen und konfrontiert zu werden.”
Es ist das gleiche Sprachmuster wie gehabt
Der Toilettenbesuch stellt vor große Herausforderungen..als auch der Klimawandel und das Ozonloch.
“Dieser Zwang zur Entscheidung bei Toilettenbesuchen hat eine große Bedeutung für den Alltag der Betroffenen. Trans*-Personen, deren Geschlecht sichtbar nicht ihrem biologischen Geschlecht entspricht, müssen sich bei jedem Gang zur Toilette entweder dem Geschlecht ihres Körpers zuordnen oder sich dem Risiko aussetzen, auf der anderen Toilette als „fremde Eindringlinge“ wahrgenommen und konfrontiert zu werden.”
Verabreicht den Leuten, die sich als “fremde Eindringlinge” fühlen, zwei Abführtabletten.
Befragt die Probanten nach einer Viertelstunde nochmal bezüglich Wahrnehmung und Konfrontation. Das Problem kennt jeder Außendienstler, der mit Magen/Darm Probleme
schon mal im Stau war. Und ich garantiere, eine Schüssel in der Nähe empfindet dann jeder
als die Offenbarung schlechthin. “Wahrnehmung, Konfrontation” ist das absolut letzte, woran irgendeiner denkt.
“…über Geschlechtertrennungen im Alltag nachzudenken.”
Oh ja bei genauerem Nachdenken fühlt man sich an Zustände zu Zeiten des Apartheid Regimes in Afrika erinnert….