Geschichte wiederholt sich doch: Kein Unsinn ist groß genug, als dass er nicht wiederkäme

Der Klassiker der Kriminologie, den Siegfried Lamnek im Jahe 1979 unter dem Titel “Theorien abweichenden Verhaltens” veröffentlicht hat, enthält die folgende Beschreibung:

Lamnek_abweichendes Verhalten“Diebe haben im allgemeinen sehr bewegliche Gesichtszüge und Hände; ihr Auge ist klein, unruhig, oft schielend; die Brauen gefältet und stoßen zusammen; die Nase ist krumm oder stumpf; der Bart spärlich, das Haar seltener dicht, die Stirn fast immer klein und fliehend, das Ohr oft henkelförmig abstehend. Die Mörder haben einen glasigen, eisigen, starren Blick, ihr Auge ist bisweilen blutunterlaufen. Die Nase ist groß, oft eine Adler- oder vielmehr Habichtnase; die Kiefer starkknochig, die Ohren lang, die Wangen breit, die Haare gekräuselt, voll und dunkel, der Bart oft spärlich, die Lippen dünn, die Zähne groß. Im allgemeinen sind bei Verbrechern von Geburt die Ohren henkelförmig, das Haupthaar voll, der Bart hervorragend, die Backenknochen breit – kurz ein mongolischer und bisweilen negerähnlicher Typus vorhanden.”

Dies hat Cesare Lombroso im Jahre 1894 geschrieben. Lombroso war einer der Pioniere einer biologischen Sichtweise auf Kriminalität, die sich um die Annahme dreht, dass Kriminalität und abweichendes Verhalten angeboren sind, sich in den Genen finden, wie man heute wohl sagen würde.

Es hat die Kriminologie einige Jahrzehnte gekostet, bis sie den biologischen Unrat aus ihren Theorien entfernt hatte und ein Hans Haferkamp im Jahre 1972 sein verdientsreiches Buch mit der Überschrift “Kriminalität ist normal” versehen konnte. Kriminalität und alle Verhaltensweisen, die damit assoziiert sind, sind keine angeborenen Verhaltensweisen, sondern das Ergebnis der Sozialisation von Individuen und der Gelegenheitsstruktur. Das ist relativ leicht einsehbar, denn Kriminalität setzt Gesetze voraus und Gesetze fallen nicht vom Himmel, sie werden von Menschen gemacht.

Wer Gesetze macht, ist eine Frage der Macht, denn mit Gesetzen zwingen Mitglieder einer bestimmten sozialen Schicht oder bestimmter sozialer Schichten, Mitgliedern anderer sozialer Schichten ihren Willen auf. Dies ist sehr anschaulich bei den derzeitigen Versuchen, Schüler in Schulen dem Zwang sexueller Orientierungslehre zu unterziehen oder bei Versuchen, anderen bestimmte Sprachregelungen aufzuzwingen. Inwiefern es gelingt, Gesetze, Normen und Regeln durchzusetzen, das ist, wie Karl Dieter Opp im Jahre 1968 geschrieben hat, eine Funktion der Bekanntheit und Akzeptanz dieser Gesetze, Normen und Regeln. Also: nichts ist’s mit der biologischen Anlage zur Kriminalität.

Wie gesagt, in den 1970er Jahren und durch die 1980er und 1990er Jahre sah es ganz danach aus, als sei es gelungen, den biologischen Inkubus aus der Kriminologie austreiben und abweichendes Verhalten als sozialisiertes Verhalten anzusehen, das von Akteuren gezeigt wird, die sich davon einen Vorteil versprechen.

Und jetzt gibt es einen Beitrag in Biology Letters, den man mit “Gehe zurück auf Los, gehe direkt dorthin, ziehe nicht 4000 ein”, übersetzen könnte.

Ein Team aus Forschern von der University of Bristol hat belegt, dass ihre Arbeit im Team, also Teamwork nicht garantiert, dass die Ergebnisse sinnvoll sind, und gezeigt, dass das Vermächtnis von Cesare Lombroso fortlebt, und lebendiger ist denn je.

Bundeskabinett
Anstelle von Studenten: Gesichtsvermessung im Bundeskabinett?

Die Forscher haben Gesichter vermessen, von 103 Studenten an der University of Bristol, und zwar der Höhe und der Breite nach. Dann haben sie die Breite des Gesichts durch die Höhe des Gesichts geteilt. Warum nicht die Höhe durch die Breite geteilt wurde, ist unbekannt und eine Spitzfindigkeit von uns kritischen Wissenschaftlern, die zudem darauf bestehen, dass Forschung theoretisch angeleitet sein muss, dass man also angeben können muss, warum man die Gesichter von Studenten der Höhe und Breite nach vermessen wollen sollte.

Das Team aus Bristol kennt derartige Fragen nicht. Das Team macht. Das, was sie gemessen haben, haben sie mit Indizes korreliert, die sie über Fragen nach verbaler und physischer Aggression gebildet haben und mit Ärger. Und siehe da: Mit einer steigenden selbstberichteten verbalen und physischen Aggression korreliert ein hoher Wert für das Breite/Länge-Verhältnis. Wer also ein vergleichsweise breites Gesicht hat, ist ein Schläger, und zwar ein ärgerlicher Schläger, denn dieselbe Korrelation findet sich auch für das Breite/Länge-Verhältnis des Gesichts und dem selbstberichteten Niveau von Ärger.

Lombroso Lhomme criminellImmerhin geben die Forscher aus Bristol zu, dass sie nicht die Spur einer Ahnung haben, warum diese Korrelation zwischen Aggression und Ärger auf der einen Seite und dem Breite/Länge-Verhältnis auf der anderen Seite besteht. Warum sie eine Forschung durchführen, die zu einem Ergebnis führt, von dem sie keinerlei Idee haben, wie man es interpretieren kann, ist eine Frage, die wiederum nur von kritischen Wissenschaftler gestellt wird und von den Datenhubern, die auch die Rückenkrümmung ihrer Omas mit der Wahrscheinlichkeit, dass das Haus von den Enkeln versoffen wird, korrelieren würden, vermutlich mit Unverständnis goutiert werden wird.

Aber, wenn man sich einmal in eine Schiene verrannt hat und ein Ergebnis produziert hat, das einem nichts sagt, dann kann man das natürlich nicht so einfach im Raum stehen lassen. Also werfen uns die Gesichts-Vermesser von der University of Bristol noch eine ad-hoc Erklärung hinterher: Breitere Gesichter haben breitere Backenknochen, so ihre Erkenntnis, und breitere Backenknochen können Faustschläge besser aushalten als schmalere Backenknochen. Noch Fragen?

In der Mittelschicht ist es zeitweise schick, von Stammtischniveau zu fabulieren und bestimmte Diskurse als “auf Stammtischniveau” zu diskreditieren. Wenn man manche Forschungsergebnisse betrachtet, dann wünschte man sich, die Forscher kämen auch nur annähernd auf Stammtischniveau oder wären doch zumindest in der Lage, das Stereotyp des ewigen Juden in irgendeiner Weise zu überwinden.

Lefevre, Carmen E., Etchells, Peter J., Howell, Emma C., Clark, Andrew P. & Penton Voak, Ian S. (2014). Facial width-to-height ratio predicts self-reported dominance and aggression in males and females, but a measure of masculinity does not. Biology Letters 10(10).

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